@ Holzer
holzer schrieb:Die Institution Kirche ist Religion.
Deine Grundintention die ich vorher las ist schon richtig, aber dieser Satz ist nicht ganz günstig formuliert, weil Kirche genau das Gegenteil von Religion geworden ist.
Zuerst einmal ist es von Nutzen sich den Begriff Religion aus etymologischer Sicht anzusehen.
„Religion“ leitet sich vom lateinischen "religio" her ab, was soviel wie "Rückbindung" bedeutet. Es bezieht sich also auf den Umstand, daß wir eine Verbindung zu etwas aufgegeben haben und es nun unsere Aufgabe ist, uns wieder aufs neue damit zu verbinden.
Unter Betrachtung dieses etymologischen Aspektes gelingt es, sich von der heute weit verbreiteten irrführenden Meinung zu lösen, Religion sei entweder aus Furcht der Urzeitmenschen vor ihnen unerklärlichen Naturgewalten oder aus Dummheit entstanden. Wer daran glaubt macht es sich meiner Meinung nach viel zu einfach.
Entgegen dieser These steht diejenige die aussagt, daß die Religion im wahrsten Sinne des Wortes, also die Rückverbindung mit einem Ursprung resp. die Suche und den Drang danach, ein essentieller Bestandteil der menschlichen Natur und darum spirituell-geistiger Art ist, sprich grundlegend für dasWachstum der Menschen. Diese These ist folglich das genaue Gegenteil von Erstgenanntem und mir persönlich viel schlüssig erscheinender.
Religion bezieht sich also auf die Bemühung, sich wieder mit der Wirklichkeit zu verbinden. Natürlich sind wir in einem Sinne jeden Augenblick mit dieser Wirklichkeit verbunden. Rückbindung kann sich also nur darauf beziehen, diese Tatsache wieder bewußt anzuerkennen. Religion ist also gewissermaßen ein System das den Menschen dazu erzieht, die Realität so anzunehmen, wie sie wirklich ist. Es versteht sich von selbst, das nach dieser Definition heutige religiöse Gruppierungen so gut wie davon ausgeschlossen sind, denn Religion ist ihrem Wortursprung und ihrem ursprünglichen Verständnis nach in keinster Weise das, was eine abgewirtschaftete Kitsch- und Dogmenideologie über Jahrhunderte daraus gemacht hat.
Religion ist nicht Glauben, und schon gar nicht Glauben an Vorstellungen, Ideen, Bilder, Worte oder Wesenheiten. Sie ist weder der Glauben ans Christkind in der Krippe, den Nikolaus oder an einen über den Wolken schwebenden Gottvater, noch der Glauben an irgendwelche übersinnlichen Fähigkeiten des Gottsohns Christus oder anderer Propheten. Genau so wenig ist sie der Glauben an die Wiedergeburt, das Nirwana, die Erleuchtung oder an sonstige Wünsche und Projektionen.
Was ist sie aber dann? Sie ist die Wiederentdeckung der Einbettung in das Ganze, in die Ganzheit des Seins. Das vom Ganzen getrennte Ich — bzw. die auf ihre Körperlichkeit und ihre mentalen Konstrukten und Konzepte beschränkte Persönlichkeit — fühlt sich abgeschnitten und einsam, und es muß sich demnach verloren und im Stich gelassen fühlen. Die Wiederverbindung mit dem Sein ist nichts weit Hergeholtes, sondern sie ist Tatsache. Und Tatsachen benötigen nicht Dogmen oder ideologische Unterfütterung, sondern Erkenntnis und Einsicht.
Religion ist auch keine Tradition, kein Kult, kein soziales oder kulturelles Gebilde. Denn die Einsicht, mit dem Ganzen in Verbindung zu stehen, kann nicht in der Zeit, sondern nur im aktuellen Jetzt stattfinden. Denn sie ist keine Idee, kein Gedanke und erst recht nicht das Für-wahr-Halten einer Theorie oder Hypothese.
Deshalb führt kein Weg an der Selbsterkenntnis vorbei. Fehlt die Selbsterkenntnis, wird sie gemieden, wird das Augenmerk auf anderes gerichtet, so ist auch Religion nicht möglich. Genau hier begegnen wir dem fundamentalen Irrtum, der heute so populär ist wie selten zuvor: Die Kitsch- und Dogmenideologie, die sich heute noch Religion nennt, aber nicht nur keine mehr ist, sondern noch nie eine gewesen ist, hat ja nichts anderes im Sinn, als von Selbsterkenntnis abzulenken und Einsicht durch dumme, blinde Imitation von Behauptungen und vorgefertigten Sehweisen (sogenannten Weltanschauungen) zu ersetzen.
Damit wird der Mensch schön abgelenkt und in fortwährendemSchlaf gehalten. Die ganze Gesellschaft arbeitet daran, daß es so bleiben soll. Nur wenn Einzelne -und so war es schon immer- den Mut haben, der Wahrheit nachzuforschen, können sie aus den oberflächlichen Patentantworten zu tieferem Erkennen gelangen. Sie müssen sich selbst finden und sich selbst erkennen wollen, und verstehen wollen, was sich hinter den Fassaden befindet. Sie müssen herausfinden wollen, was die wahre Bedeutung ihres Lebens ist und warum sie sich in ausgerechnet dieser Art von Existenz wiederfinden.
Genau dieser tiefe Herzenswunsch ist der Wunsch nach echter Religion, nach echter Bedeutung, nach Einbettung in das echte, verläßliche Sein, und nach Wahrheit. Dazu ist der Mensch berufen. Vergißt er das und geht er hierin fehl, läßt er sich von den hohlen Spielchen und Ablenkungen der Masse einfangen, dann verpaßt er die Antwort. Und dann lebt er ein sinn- und bedeutungsloses Leben, ein Leben der Vergessenheit und der Lüge, der Bitterkeit und Resignation. Aber vor allem: er verpaßt sich selbst.
Wir dürfen also vor allem bei dieser Überlegung nicht vergessen, daß die sich heute zeigenden Religionen im Grunde gar nichts mehr mit der ursprünglichen Bedeutung von >religio< zu tun haben, lediglich oberflächlicher Abklatsch und darum auch kein geeignetes Gegenargument gegen wirkliche Religion sind.