Ist Mitleid und Mitgefühl das Gleiche?
25.03.2008 um 02:07
@ laberblubb
Recht haste. Nachdem Sprache an sich etwas sehr dynamisches ist, kann die jeweilige Bedeutung höchstens der jeweilige Sprecher festlegen - mit dem Risiko nicht verstanden zu werden.
Abgesehen davon ist die Wortbedeutung auch kontextdeterminiert, diskursabhängig, was insbesondere zum Beispiel für den religiösen Bereich interessant ist. Trotz allem gibt es sowas wie eine sprachliche Norm, die Bedeutung festlegt. Was mich zum Thema an sich führt.
Da, wo im religiösen Sinn von Erbarmen gesprochen wird, ist nicht Mitleid gemeint. Erbarmen hängt mit Barmherzigkeit zusammen - was wiederum etwas ist, was im Menschen auch ohne ein akutes "Objekt", dem gegenüber man barmherzig ist, vorhanden sein kann. Gewissermassen eine Charaktereigenschaft, eine generelle Bereitschaft und Fähigkeit "sein Herz zu öffnen".
Zur generellen, rein lexikalischen Unterscheidung Mitleid-Mitgefühl wurde schon das wesentliche gesagt, was man sich auch selbst erschliessen kann: mit leiden und mit fühlen. Wobei Mitgefühl und Empathie so ziemlich das gleiche sind, die Fähigkeit sich in jemanden einzufühlen.
Bereits angemerkt wurde, dass MItgefühl auch positive Gefühle teilen lässt. Mitleid ist auf leidhafte Erfahrungen beschränkt.
An sich sind beide Worte ihrem Wesen nach gleich positiv oder negativ.
Ein Unterschied ergiebt sich aber, wenn aus ihnen eine Forderung gebastelt wird. Will ich jemanden zum Mitleid auffordern, dann erwarte ich, dass er am Leid anderer teilhat. Erwarte ich Mitgefühl, dann möchte ich jemanden dazu bringen, dass er sich auf den emotionalen Zustand aller Menschen in seinem Umfeld einlässt - der Fokus fällt also nicht nur auf eine kleine Gruppe Leidender, es besteht eine Verpflichtung gegenüber allen.
Was den Ego-Aspekt angeht, kann man nicht sagen, dass Mitleid partout egoistisch ist. Wenn jemand "mit leidet" beschert ihm das in erster Linie keine positiven Gefühle, die man normalerweise mit einem egoistischen Handeln verbinden würde.
Egoistisch wird Mitleid dann, wenn es kein wirkliches "mit leiden" ist, sondern eine rein äussere Haltung - wenn man etwa in die den Samariter spielt oder den verständnisvollen Tröster oder sich einfach verpflichtet fühlt Mitleid zu haben, weil die Gesellschaft das erwartet. Hier leidet man nicht mit, hier produziert man sich. Solch "falsches Mitleid" hat gewissermassen den Ruf des Wortes ruiniert (sowohl weil es eben nicht aufrichtig ist und zum anderen, weil man sich selbst irgendwie genötigt fühlt es zu empfinden, es also keine freiwillige Sache ist), da es meistens als erstes konnotiert wird, während wahres Mitleid etwas ist, wozu wenige Menschen in der Lage sind.
Ein weiterer egoistischer Zug des Mitleids ist aber durchaus bei echtem "mitleiden" möglich. Immer dann, wenn man wirklich Leid empfindet und dieses Leid das Ego füttert, indem es über den Umweg des fremden Leids die Bestätigung liefert, dass das Leben schlecht, ungerecht, bitter und zum heulen und man selbst doch ein ganz armer Tropf ist. Hier wird man gewissermassen fortgerissen von einem Gefühl und verliert jede Distanz. Das mit leiden ist damit kein bewusst gesteuerter Akt mehr (nebenbei erwähnt etwas, dass ebenso auch beim Mitgefühl geschehen kann).
Hinsichtlich des Handlungspotentials, das sich aus Mitgefühl und Mitleid ergiebt, kann man ansich keinen Unterschied machen. Es kommt immer darauf an, wie gross die Distanz des Mitleidenden/Mitfühlenden zu seinem Empfinden ist. Versinkt er im Gefühl fehlt ihm die nötige Objektivität konstruktiv zu handeln. Erkennt er seine Gefühle als "Spiegelung" der Gefühle eines anderen und macht sie nicht zu seinen eigenen, dann wird seine Handlungsfähigkeit nicht eingeschränkt.
Als Einschränkung gibt es hier jedoch diskursabhängige Unterscheidungen der beiden Begriffe zu berücksichtigen. Manche Philosophien/Schulen/etc. sehen im Punkt der Intensität der Aneignung der Gefühle per se einen Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl. Aber diese Unterscheidung ist nicht an den Begriffen an sich fest zu machen, sondern beruht lediglich auf jeweils eigenen Definitionen, die keine Allgemeingültigkeit hinsichtlich sprachlicher Normen besitzen.