Ist jeder deutscher Konvertit ein Terrorist?
13.02.2007 um 21:25
Die ARD stellte mal eine Doku vor, in der es um einen zum Islam konvertierten Deutschenging, der sich in Israel in die Luft sprengen wollte. Die Zeit hat einen Bericht (Jahr2004) dazu geschrieben:
„Wir geben unser Leben – ohne Gefühle“
Ein Deutscher wollte sich in Israel als „Märtyrer“ in die Luft sprengen. DieGeheimdienste kamen ihm auf die Spur. Ein ARD-Film dokumentiert den Fall
VonBarbara Siebert
Ashkelon
Wer das Hochsicherheitsgefängnis vonAshkelon im Süden Israels betritt, passiert stacheldrahtbewehrte Betonmauern,kameraüberwachte Sicherheitsschleusen und enge, mit Gittern abgedeckte Höfe. An einemglühend heißen Tag im Spätsommer 2003 bereitet sich der NDR-Redakteur Eric Friedler imGerichtssaal des Gebäudes mit seinem Kamerateam auf ein Interview vor. Monatelang hat ermit den israelischen Behörden für eine Drehgenehmigung verhandeln müssen, denn inAshkelon sitzen Häftlinge, die als Sicherheitsrisiko für den Staat Israel gelten. Vieleder Gefangenen waren an der Planung von Selbstmordanschlägen beteiligt oder standen kurzdavor, sich als menschliche Bomben in die Luft zu sprengen.
Einer von ihnen istSteven Smyrek. Mit aneinander gefesselten Füßen nimmt er vor der Kamera Platz. Erlächelt, nimmt die angebotene Zigarette zwischen die Finger und sagt in fließendemDeutsch:
„Wir sind keine Selbstmordattentäter, wir sind Märtyrer, wir sindGottessoldaten. Wenn man sein Land befreien möchte, nimmt man jedes Mittel, um das zutun. Es geht nicht um die Person selber, die das Attentat, die militärische Operationausführt. Es geht um das ganze Volk, es geht um das Land, und es stirbt dafür nur eineeinzelne Person.“
Steven Smyrek ist Deutscher, geboren 1971 in Detmold. Es sindbescheidene Verhältnisse, in denen er als Jüngster von drei Geschwistern aufwächst. Keineglückliche Familie: Seine Eltern trennten sich, als er sechs Jahre alt war. Kurz danacherhielt er die Erstkommunion. Ein Foto von diesem Anlass zeigt einen kleinen blondenJungen, blass mit großer Brille. Ein langer Weg liegt zwischen diesem Kind, das eineweiße Kerze hält, und dem Gefangenen mit Fußfesseln in einem israelischenHochsicherheitsgefängnis. Stationen dieses Weges zeigt der Film Für Allah in den Tod vonEric Friedler. Die NDR-Dokumentation zeigt, dass der radikale Islam nicht nurmuslimischen jungen Männern Halt und Selbstwertgefühl bietet. Er kann auch Jugendlicheohne diesen religiösen Hintergrund in seinen Bann ziehen.
Als Steven SmyreksMutter einen britischen Soldaten heiratet und ihm mit ihren Kindern nach England folgt,verliert der Junge die Heimat und obendrein den letzten Rest familiärer Geborgenheit. DieMutter schaut zu, wenn der Stiefvater ihren Sohn prügelt. Eine der Schwestern erinnertsich, dass die Schläge für längere Zeit Spuren auf dem Körper des kleinen Brudershinterließen. Aber niemand griff ein. Schließlich kommt Steven auf ein Internat.
Er empfand es als Abschiebung, doch die Schule bot ihm auch Chancen: Parallel zumUnterricht wurden die Internatsschüler als Kadetten gedrillt. Stevens Schulnoten warenschlecht, aber als Nachwuchssoldat hatte er Erfolgserlebnisse. Kameradschaft, Hierarchieund Disziplin gaben ihm Halt und Bestätigung. Heute sieht sich Smyrek als Soldat imHeiligen Krieg. Der Tod schreckt ihn nicht, im Gegenteil:
„Wir müssen alleeinmal sterben, und um die Auszeichnung eines Schahid, eines Märtyrers zu erhalten, würdeich mein Leben geben. Für die Sache, für den Islam, für Allah.“
Eine Pizzeriain Herford liefert islamische Bekenntnisse
Religion? Für den JugendlichenSmyrek war sie kein Thema. Als er 17 war, trennten sich Mutter und Stiefvater. Ziellosging er zurück nach Deutschland. Ohne Schulabschluss, ohne Freunde, ohne Familie. VierJahren bei der Bundeswehr folgten eine Karriere als Kleinkrimineller im Drogenmilieu undmehrere kurze Haftstrafen. Im Rückblick auf diese Zeit sagt Smyrek, dass er vieleschlechte Dinge getan habe, die er heute bereue. Erst der Islam habe ihn auf denrichtigen Weg gebracht.
Wenn er über seine Religion spricht, strahlt erGelassenheit und tiefe Überzeugung aus. Vor seiner Konversion war er – so beschreiben ihnFamilienangehörige – ein unruhiger, ja unangenehmer Typ. Ein Angeber, der schnell vielGeld verdienen wollte. Dies ändert sich 1994, als Smyrek einen Job in einer Pizzeria inHerford findet. Die Besitzer des Restaurants sind Türken. Die sehr religiöse Familienimmt den jungen Mann freundlich auf. Smyrek beeindruckt der Zusammenhalt dieserMenschen, die ihr Leben ganz selbstverständlich nach dem Koran ausrichten. Schließlichkonvertiert er zum Islam. Drogen, Alkohol, Geld – all das, was bisher sein Lebenbestimmte, wird nun bedeutungslos. In Moscheen und bei muslimischen Einwanderern erlebter Gemeinschaft. Auch in Braunschweig, wo er ab Ende 1995 lebt, akzeptieren ihn türkischeund arabische Familien als Glaubensbruder.
Aber der Konvertit will mehr als einruhiges Leben zwischen türkischen Gemüseläden und Moscheen. Was er sucht, findet erschließlich in der Braunschweiger Moschee der seit 2001 verbotenen Kaplan-Bewegung. IhreAnhänger streben nach einem Gottesstaat und predigen den Heiligen Krieg. Smyrek bewundertdiese kämpferische Haltung. Sein bester Freund, ein türkischstämmiger Deutscher, erlebtimmer öfter, dass der sonst so ruhige Steven bei Fernsehbildern aus Palästina in Ragegerät. Erregt beschuldigt er seine Freunde dann, dass sie tatenlos zuschauten, währenddie Israelis Muslime ermordeten. Er ist überzeugt: Dies ist der Heilige Krieg, in dem erkämpfen muss. Ab Herbst 1996 sucht er Kontakt zu radikalen Gruppierungen aus dem NahenOsten, denen er erklärt, er wolle als Selbstmordattentäter für Allah zum Märtyrer werden.
Smyrek trifft sich mit Angehörigen der libanesischen Hisbollah, die inDeutschland leben. Die Rekruteure der Terrororganisation sehen es als Chance, denblonden, blauäugigen Deutschen anzuwerben. Er kann unauffällig in Länder einreisen, diearabischen Hisbollah-Aktivisten verschlossen bleiben. Glauben sie. Tatsächlich sind dieNachrichtendienste längst auf Smyrek aufmerksam geworden. Sie lassen den jungen Fanatikernicht mehr aus den Augen. Im August 1997 fliegt Smyrek in Absprache mit seinenKontaktleuten nach Beirut. Nach zahlreichen Verhören durch Hisbollah-Funktionäre, dieseine Motivation überprüfen, wird er in ein Ausbildungslager geschickt. Inzwischen hatder Bundesnachrichtendienst die Israelis informiert. Ab jetzt wird Smyrek auch vom Mossadüberwacht. Geschult durch die Hisbollah, kehrt Smyrek nach Braunschweig zurück. In einemReisebüro bucht er für den 28. November einen Flug nach Tel Aviv. Bei denSicherheitsbehörden, die ihn beobachten, schrillen die Alarmglocken. Schon mehrmals hattedie Hisbollah Attentäter mit europäischen Pässen nach Israel eingeschleust. Zuletztverübten im Frühjahr 2003 zwei britische Muslime einen Anschlag in Tel Aviv, bei dem dreiMenschen starben.
Die Hisbollah will Smyrek gegen israelische Gefangeneaustauschen
Smyrek verbringt seine letzten Tage in Deutschland in einemHotel. Wahrscheinlich ist er völlig von seiner Mission erfüllt, nichts soll ihn jetztnoch von seinem eingeschlagenen Weg abbringen. Auf die Frage, wie sich einSelbstmordattentäter kurz vor der Tat fühlt, antwortet er heute:
„Wir sind sogefestigt im Glauben, wir denken nicht darüber nach. Ein Schahid bekommt seine Befehle,und die müssen ausgeführt werden. Man hat keinen Freiraum nachzudenken: Gibt es Gott,gibt es keinen Gott? Was wird nach dem Tod sein? Wir sind so gefestigt in unsererReligion, dass wir ohne Gefühle unser Leben geben.“
Aber so weit kommt es fürSteven Smyrek nicht. Noch auf dem Flughafen von Tel Aviv nehmen israelischeGeheimdienstbeamte ihn fest. Ein israelisches Gericht verurteilte ihn im August 1999unter anderem wegen Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung zu zehn JahrenHaft. Nach dem Prozess hätte er den Antrag stellen können, die Strafe in Deutschland zuverbüßen. Doch Smyrek zog das Leben in einer Zelle mit zehn weiteren militantenIslamisten der Haft in einem deutschen Gefängnis vor. Inzwischen spricht er fließendarabisch, empfindet sich als Mitglied einer brüderlichen Gemeinschaft. Es scheint fast,als habe er schließlich hinter Mauern und Stacheldraht ein Zuhause gefunden.
Allerdings wird er das neue Heim möglicherweise schon bald verlassen. Seit Monatenverhandeln die Hisbollah und die israelische Regierung über den Austausch von mehr als400 inhaftierten Mitgliedern verschiedener Terrororganisationen gegen die Leichen einigerisraelischer Soldaten und einen entführten israelischen Geschäftsmann. Auf derWunschliste der Hisbollah steht auch Steven Smyrek.