Religiösität heute
12.01.2007 um 02:47Gerangel um eineverschwundene Hostie
Handgreiflichkeiten in der katholischen Kirche St. Bonifatius /Die Staatsanwaltschaft ermittelt
Vom 12.01.2007
WIESBADEN DieStaatsanwalt spricht von einem außergewöhnlichen Fall: Auslöser ist eine Hostie. EinAbendmahlbesucher hatte sie, wohl aus Unkenntnis, eingesteckt statt gegessen. Es kam zumTumult. Gläubige wurden handgreiflich gegen den Frevler.
Von
Wolfgang Degen
"Vergleichbares habe ich nicht erlebt", sagt HartmutFerse, Sprecher der Staatsanwaltschaft Wiesbaden. "Es ist sicher ein juristischaußergewöhnlicher Fall." Es müsse sorgfältig geprüft werden, wie der Streit in der Kirchezu ahnden ist. Geprüft werden muss gleich ein ganzes Bündel möglicher Straftatbestände:Es geht um den Vorwurf der Körperverletzung, des Diebstahls und der Störung derReligionsausübung. Nötigung steht im Raum. Es geht dabei um religiöses Empfinden, um eineangenommene Notwehr, abgeleitet aus dem Glauben, das religiöse Symbol schützen zu müssen.
Der Vorfall ereignet sich am Mittwochabend vergangener Woche nach der Messe.Beteiligt daran sind Thomas R., nach eigenen Angaben früher evangelisch, aber schon langeaus der Kirche ausgetreten. Des weiteren zwei als resolut beschriebene Frauen, dazu derneue katholische Wiesbadener Stadtdekan Johannes zu Eltz.
"Wo ist Ihre Oblate?"Thomas R. sucht an jenem Mittwochabend die Kirche zum Gebet auf. Er reiht sich, weilneugierig, auch zum Abendmahl ein, nimmt die Hostie entgegen. Thomas R. beißt nur einStückchen ab. "Sie schmeckte krustig nach nichts. Ich steckte sie in meine linkeInnentasche, wollte nach der Messe mal sehen, was das ist." Dazu kommt der Mann abernicht mehr. Zwei ältere Frauen, die er nach ihrer Kleidung als die "Grüne" und die "Rote"bezeichnet, müssen ihn wohl sehr aufmerksam beobachtet haben. Ihr Argwohn jedenfalls istgeweckt. Die Frauen meinen, einschreiten zu müssen. Katholiken glauben, dass einegeweihte Hostie der Leib Christi ist. Als sich die Kirche leert, versperren die FrauenThomas R. den Weg. Es beginnt, was er als "Verhör" empfindet: "Wo ist Ihre Oblate?",wollen die Frauen, die nicht locker lassen, wissen.
Als sie schließlich hören,dass er die Oblate eingesteckt habe, sind sie erbost. Thomas R., der ihre Aufregung nichtversteht, hört den Satz: "Es ist eine Sünde. Gott wird Sie strafen." Sein Gott werde dasgewiss nicht tun, meint er nur. Dann wird, wie R. sich erinnert, eine der Frauenhandgreiflich, sie greift ihm in die Tasche, will die Oblate finden. Ihn empört so vielAnmaßung und Selbstjustiz. "Woher nehmen die Frauen das Recht?"
Zwischenzeitlichist auch Stadtdekan zu Eltz, der sich in der Sakristei aufhält, informiert: Ihm wirdzugetragen, dass ein Besucher die Hostie nicht gegessen, sondern eingesteckt haben soll.Über das dann Folgende gibt es sich widersprechende Schilderungen: Thomas R. sieht sichbedroht vom Stadtdekan, der ihm an Körperkräften deutlich überlegenen ist, und von dem ersich doch eigentlich Unterstützung gegen die ihn bedrängenden Frauen erhofft hatte.
Eltz aber habe ihn gepackt und geschüttelt, verbunden mit der insistierenden Frag:"Wo ist die Oblate?" Der Griff des Stadtdekans sei schmerzhaft gewesen. Stadtdekan Eltzseinerseits hat in Erinnerung, dass er, im Bemühen um Aufklärung und Rückgabe der Hostie,nur leicht den Arm des Mannes gegriffen habe. "Die Berührungen waren nicht geeignet, ihmirgendwelche Verletzungen zuzufügen." Ein normales Gespräch, um etwas aufzuklären, ist inder aufgebrachten Stimmung längst nicht mehr möglich. Beide Seiten stimmen überein, dassdie Sache "sehr schnell eskaliert ist."
Dekan macht "Polizeigriff" MehrereGläubige hätten ihn gepackt, ihm die Arme weit vom Körper weg gezogen. Thomas R., dernicht versteht, warum alle derart aufgebracht sind, wehrt sich. Der robustere Stadtdekanspielt seinen körperlichen Vorteil aus, als sein Kontrahent, der sich nicht mehr anderszu helfen gewusst haben will, nach ihm tritt - zu Eltz nimmt den Mann nach eigenerSchilderung nahe der Sakristei in einen "Polizeigriff". Er sei nach unten gedrücktworden, Richtung Boden, schildert Thomas R. das Erlebte. Der Stadtdekan hat das anders inErinnerung. Der Mann sei auch "nicht systematisch durchsucht" worden, sagt zu Eltz, wasder Betroffene sehr wohl erlebt haben will. Eine der Frauen soll auf der Suche nach derHostie seine Jackentaschen leergeräumt haben. Gut ein Dutzend Zeugen verfolgen denZwischenfall. Es wird durcheinander geschrien. Thomas R. kommt frei, als er zur Notlügegreift: "Ich habe die Oblate gegessen".
Humpelnd aus der KircheR. verlässthumpelnd, sagt er, die Kirche. Im Gerangel sei ihm jemand auf oder gegen den Knöchelgetreten. Minuten später erstattet er auf dem nahen Polizeirevier Strafanzeige. GegenUnbekannt, weil er die Namen derer, mit denen er zu tun hatte, nicht kennt. Dann geht erins Krankenhaus, wo Prellmarken an der Schulter, eine Schürfung und ein dicker Knöchelattestiert werden.
"Ich bedauere, dass ich den Mann berührt habe", sagtStadtdekan Johannes zu Eltz. Auch er spricht von einem "ungewöhnlichen Zwischenfall". DerStadtdekan selbst hat keine Anzeige erstattet. Die Polizei hat von Amts wegen gegenThomas R. Schritte eingeleitet, was der Mann nun gar nicht mehr verstehen kann. Er habeniemanden stören, im Glauben verletzen oder kränken wollen, sagt er. Der Stadtdekan gehtauch von "Unkundigkeit" denn von Absicht aus: Der Mann habe offensichtlich nicht gewusst,dass die geweihte Hostie als Leib Christi angesehen wird. Die Hostie einzustecken, ausder Kirche rauszubringen, sei ein "ungeheuerlicher Frevel", ein nach katholischemKirchenrecht mit Ausschluss aus der Kirchengemeinschaft belegtes "Verbrechen". DerStadtdekan bestätigt, dass es auch in seinem Sinne ist, wenn Mitglieder der Gemeinde, wiedie beiden Frauen, "wachsam sind", um solchem Frevel zu begegnen. In "geziemender Form"sollten Unwissende angesprochen werden, meint zu Eltz. "Ein Mandat, Leuten zu Leibe zurücken oder sich im Ton zu vergreifen, haben sie aber nicht."
Argwohn,Hinterlist, falsch verstandenes Interesse? Was sind die Gründe für religiös anmutendeMitmenschen, Tumulte zu verursachen und ihren Mitmenschen Unlauterkeitanzudenken(dichten?).
Was treibt den religiösen Menschen in den alltäglichenWahnsinn?
Gruß