Merkel dreht auf
05.10.2006 um 23:03Hi,
Merkel fordert Religionsfreiheit in der Türkei
von Marina Zapf (Berlin), Fidelius Schmid (Brüssel) und Dilek Zaptcioglu (Istanbul)
Ein Jahr nach dem Start der türkischen Beitrittsverhandlungen mit der EU warntDeutschland das Bewerberland, kein Zerwürfnis mit den Mitgliedsstaaten zu riskieren.Bundeskanzlerin Angela Merkel will bei ihrem Antrittsbesuch in Ankara und Istanbulbesonders die unzureichend gewährte Religionsfreiheit zum Thema machen.
Zudem will sie der Forderung der EU Nachdruck verleihen, dass die Türkei sich für denSchiffs- und Flugverkehr aus Zypern öffnet - und damit indirekt das EU-Mitgliedanerkennt. "Ein Beitrittsrabatt ist ausgeschlossen", hieß es dazu am Mittwoch inRegierungskreisen in Berlin.
Merkels Besuch erfolgt zu einem heiklenZeitpunkt im europäisch-türkischen Verhältnis. In Brüssel wird am 8. November einkritischer Fortschrittsbericht der EU-Kommission über die türkische EU-Reife erwartet.Erweiterungskommissar Olli Rehn sprach von "zwei aufeinander zufahrenden Zügen", sollteAnkara im Zypernstreit nicht bis Jahresende einlenken. Im Krisenfall müsste entschiedenwerden, ob die Beitrittsverhandlungen ausgesetzt werden.
Zuspruch zumEU-Beitritt auf Rekordtief
Wie gespannt die Beziehungensind, zeigte am Mittwoch ein Eklat zwischen Europäischem Parlament und Türkei. EineDelegation des Umweltausschusses wurde in der Nacht vor der Abreise nach Ankarakurzfristig wieder ausgeladen. Als Grund nannte die Regierung in Ankara, dass derzyprische Abgeordnete Marios Matsakis an der Reise teilnehmen sollte. Demgriechisch-zyprischen Abgeordneten wird vorgeworfen, antitürkische Propaganda zubetreiben.
Die EU hat es mit einer innenpolitisch geschwächtentürkischen Regierung zu tun - und das vor dem türkischen Wahljahr 2007. DieEU-Begeisterung der Türken ist Enttäuschung gewichen. Der Zuspruch zur EU liegt lautUmfragen auf dem Rekordtief von 40 Prozent. Zugleich sinkt Ministerpräsident Recep TayyipErdogan in der Gunst der Wähler. Das rechtsgerichtete nationalistische Lager gewinnt anZulauf. Selbst das Militär kritisiert die Regierungspartei AKP neuerdings offen. Dienegativ aufgeladene Stimmung richtet sich stark gegen Minderheiten - die der Kurden, aberauch die der nichtmuslimischen Religionsgemeinschaften.
Religionsfreiheit imZentrum der Beitrittsverhandlungen
Für die will sich Merkelin ungewöhnlicher Runde einsetzen. Sie trifft erst den orthodoxen PatriarchenBartholomäus und dann gemeinsam mit Erdogan neben Bartholomäus auch den OberrabbinerBisak Haleva und den armenische Patriarchen Mesrob Mutafyan. Das Oberhaupt der türkischenMuslime, der Chef der staatlichen Religionsbehörde Ali Bardakoglu, lässt sich vomObermufti von Istanbul, Mehmet Cagrici, vertreten.
Dass die Türkei dieGrundlagen für die Ausübung der Religionsfreiheit schaffe, "spielt eine ganz zentraleRolle in den Beitrittsverhandlungen", heißt es in Merkels Umfeld. Das Gespräch soll zudemein Zeichen für den Dialog der Religionen setzen.
Die rund 110.000Christen in der Türkei, etwa 60.000 davon Armenier und 20.000 Katholiken, beklagen sich,vor dem Gesetz gar nicht zu existieren. Ein von der AKP-Regierung eingebrachtesStiftungsgesetz, das auch die Wiedereröffnung des orthodoxen Priesterseminars auf derInsel Halki in Istanbul zugelassen hätte, wurde noch vergangene Woche entscheidendabgeschwächt. Dahinter stand der Druck der konservativ gesinnten Opposition, die auch imZypern-Streit Erdogans Spielraum einengt.
Berlin erwartet deutlichesSignal der Türken
Hier setzt die Regierung Erdogan darauf, inDeutschland einen fairen Partner zu finden, der auch Verständnis dafür hat, dass jedetürkische Regierung die Belange der türkischen Volksgemeinschaft im Norden Zypernsverteidigen müsse. "In Ankara wird nicht mit harten Forderungen gerechnet", hieß es inAKP-Parteikreisen.
In Berlin ist der Ton unnachgiebig: Man unterstützezwar finnische Vermittlungsversuche im Streit um Häfen und Flughäfen, heißt es. Aber ohnedeutliches Signal der Türken "wird der Unfall nicht zu vermeiden sein". Über eineSuspendierung der Verhandlungen oder als weichere Alternative das Aussetzen derVerhandlungen bei einzelnen Kapiteln müsste den Kreisen zufolge der EU-Gipfel EndeDezember entscheiden.
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Merkel fordert Religionsfreiheit in der Türkei
von Marina Zapf (Berlin), Fidelius Schmid (Brüssel) und Dilek Zaptcioglu (Istanbul)
Ein Jahr nach dem Start der türkischen Beitrittsverhandlungen mit der EU warntDeutschland das Bewerberland, kein Zerwürfnis mit den Mitgliedsstaaten zu riskieren.Bundeskanzlerin Angela Merkel will bei ihrem Antrittsbesuch in Ankara und Istanbulbesonders die unzureichend gewährte Religionsfreiheit zum Thema machen.
Zudem will sie der Forderung der EU Nachdruck verleihen, dass die Türkei sich für denSchiffs- und Flugverkehr aus Zypern öffnet - und damit indirekt das EU-Mitgliedanerkennt. "Ein Beitrittsrabatt ist ausgeschlossen", hieß es dazu am Mittwoch inRegierungskreisen in Berlin.
Merkels Besuch erfolgt zu einem heiklenZeitpunkt im europäisch-türkischen Verhältnis. In Brüssel wird am 8. November einkritischer Fortschrittsbericht der EU-Kommission über die türkische EU-Reife erwartet.Erweiterungskommissar Olli Rehn sprach von "zwei aufeinander zufahrenden Zügen", sollteAnkara im Zypernstreit nicht bis Jahresende einlenken. Im Krisenfall müsste entschiedenwerden, ob die Beitrittsverhandlungen ausgesetzt werden.
Zuspruch zumEU-Beitritt auf Rekordtief
Wie gespannt die Beziehungensind, zeigte am Mittwoch ein Eklat zwischen Europäischem Parlament und Türkei. EineDelegation des Umweltausschusses wurde in der Nacht vor der Abreise nach Ankarakurzfristig wieder ausgeladen. Als Grund nannte die Regierung in Ankara, dass derzyprische Abgeordnete Marios Matsakis an der Reise teilnehmen sollte. Demgriechisch-zyprischen Abgeordneten wird vorgeworfen, antitürkische Propaganda zubetreiben.
Die EU hat es mit einer innenpolitisch geschwächtentürkischen Regierung zu tun - und das vor dem türkischen Wahljahr 2007. DieEU-Begeisterung der Türken ist Enttäuschung gewichen. Der Zuspruch zur EU liegt lautUmfragen auf dem Rekordtief von 40 Prozent. Zugleich sinkt Ministerpräsident Recep TayyipErdogan in der Gunst der Wähler. Das rechtsgerichtete nationalistische Lager gewinnt anZulauf. Selbst das Militär kritisiert die Regierungspartei AKP neuerdings offen. Dienegativ aufgeladene Stimmung richtet sich stark gegen Minderheiten - die der Kurden, aberauch die der nichtmuslimischen Religionsgemeinschaften.
Religionsfreiheit imZentrum der Beitrittsverhandlungen
Für die will sich Merkelin ungewöhnlicher Runde einsetzen. Sie trifft erst den orthodoxen PatriarchenBartholomäus und dann gemeinsam mit Erdogan neben Bartholomäus auch den OberrabbinerBisak Haleva und den armenische Patriarchen Mesrob Mutafyan. Das Oberhaupt der türkischenMuslime, der Chef der staatlichen Religionsbehörde Ali Bardakoglu, lässt sich vomObermufti von Istanbul, Mehmet Cagrici, vertreten.
Dass die Türkei dieGrundlagen für die Ausübung der Religionsfreiheit schaffe, "spielt eine ganz zentraleRolle in den Beitrittsverhandlungen", heißt es in Merkels Umfeld. Das Gespräch soll zudemein Zeichen für den Dialog der Religionen setzen.
Die rund 110.000Christen in der Türkei, etwa 60.000 davon Armenier und 20.000 Katholiken, beklagen sich,vor dem Gesetz gar nicht zu existieren. Ein von der AKP-Regierung eingebrachtesStiftungsgesetz, das auch die Wiedereröffnung des orthodoxen Priesterseminars auf derInsel Halki in Istanbul zugelassen hätte, wurde noch vergangene Woche entscheidendabgeschwächt. Dahinter stand der Druck der konservativ gesinnten Opposition, die auch imZypern-Streit Erdogans Spielraum einengt.
Berlin erwartet deutlichesSignal der Türken
Hier setzt die Regierung Erdogan darauf, inDeutschland einen fairen Partner zu finden, der auch Verständnis dafür hat, dass jedetürkische Regierung die Belange der türkischen Volksgemeinschaft im Norden Zypernsverteidigen müsse. "In Ankara wird nicht mit harten Forderungen gerechnet", hieß es inAKP-Parteikreisen.
In Berlin ist der Ton unnachgiebig: Man unterstützezwar finnische Vermittlungsversuche im Streit um Häfen und Flughäfen, heißt es. Aber ohnedeutliches Signal der Türken "wird der Unfall nicht zu vermeiden sein". Über eineSuspendierung der Verhandlungen oder als weichere Alternative das Aussetzen derVerhandlungen bei einzelnen Kapiteln müsste den Kreisen zufolge der EU-Gipfel EndeDezember entscheiden.
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