Demokratischer Islam
17.07.2006 um 20:55
Teil 2:
Anzahl von Sklaven kauften, die sie dann freiließen, um so dasWohlwollen Gottes zu erlangen.
Die Freilassung eines Sklaven war auch eine gesetzlichvorgeschriebene Wiedergutmachung für bestimmte Sünden oder die Vernachlässigungreligiöser Pflichten wie zum Beispiel das Brechen eines Eides oder den Abbruch desFastens: eine gute Gelegenheit, einen Fehler zu korrigieren oder aus der Welt zuschaffen. Der Koran fordert, dass jemand, der versehentlich einen Gläubigen getötet hat,einen gläubigen Sklaven freilässt und der Familie des Getöteten ein Sühnegeld zahlt.(4:92) Der Mord an einem Menschen betrifft sowohl die Gesellschaft als auch die Familiedes Opfers. Das Sühnegeld ist eine teilweise Wiedergutmachung, die an die Familie desOpfers gezahlt wird. Die Freilassung eines Sklaven hingegen ist eine Rechnung, die zumWohle der Gesellschaft beglichen wird - in dem Sinne, dass diese eine freie Person hinzugewinnt. Einem lebenden Menschen die Freiheit zu schenken wurde so beurteilt, als würdeman den Toten zurück ins Leben bringen. Um die Freilassung von Sklaven zu erreichen,wurde sowohl privates als auch öffentliches Vermögen eingesetzt: Die Beispiele desPropheten und Abu Bakr’s sind hinlänglich bekannt. Später wurden insbesondere unter derHerrschaft von Umar ibn Abdul Aziz, öffentliche ‚Zakat‘- Fonds für diesen Zweckverwendet.
Man mag einwenden: "Zwar hat der Islam im Umgang mit SklavenMenschlichkeit eingefordert und deren Freilassung mit größtem Nachdruck angeregt. Und dieGeschichte vieler verschiedener Völker der islamischen Welt zeigt uns in der Tat, dassSklaven - teilweise sogar bevor sie freigelassen wurden - schnell in die Gesellschaftintegriert wurden und Positionen bekleideten, die mit enormem Prestige und großer Machtverknüpft waren. Und dennoch, wenn der Islam die Sklaverei als soziales Übel betrachtet,warum verboten dann weder der Koran noch der Prophet sie ohne Umschweife, sondernduldeten sie stillschweigend? Immerhin finden sich doch eine Reihe von sozialen Übeln,die bereits vor dem Islam existierten und die dieser gänzlich abzuschaffen versuchte: denGenuss von Alkohol etwa, das Glücksspiel, den Wucher oder auch die Prostitution.“
VorBeginn des üblen europäischen Handels mit schwarzen Sklaven war die Sklaverei imWesentlichen eine Randerscheinung der Kriege zwischen Völkern. Die Besiegten wurden zuSklaven der Sieger. In der Frühzeit des Islam gab es kein verlässliches System zumAustausch von Kriegsgefangenen. Es blieben also keine anderen Möglichkeiten, als
1. sie mit dem Schwert zu töten,
2. sie gefangen zu nehmen und in der Gefangenschaftfür ihr Wohlergehen zu sorgen,
3. ihnen zu erlauben, zu ihrem eigenen Volkzurückzukehren oder
4. sie als Teil der Kriegsbeute unter den Muslimen zuverteilen.
Die erste Option ist auf Grund ihrer Grausamkeit abzulehnen. Die zweiteist nur für eine geringe Anzahl von Kriegsgefangenen und innerhalb eines begrenztenZeitraums praktikabel, jedoch auch nur dann, wenn es die finanziellen Mittel erlauben.Diese Methode wurde natürlich praktiziert, wobei die Gefangenen gegen Lösegeldfreigelassen wurden. Viele von ihnen waren jedoch so zufrieden mit ihrer Behandlung, dasssie Muslime wurden und die Fronten wechselten. Die dritte Option ist in Kriegszeitennicht zu vertreten. Für eine allgemeine Anwendung kam also lediglich die vierte Option inFrage, aus der sich dann die vom Islam eingeführten menschlichen Gesetze und Normenentwickelten, was de facto die Rehabilitierung der Kriegsgefangenen zur Folge hatte.
Dem Sklaven eines muslimischen Haushalts bot sich die Gelegenheit, die Wahrheit desIslam aus nächster Nähe kennen zu lernen. Eine entgegenkommende Behandlung und dieMenschlichkeit des Islam einerseits, der Zugang zu vielen für Muslime geltendengesetzlich verankerten Rechten andererseits, vor allem aber die Aussicht auf Erhalt derFreiheit gewannen die Herzen der Sklaven. Tausende von rechtschaffenen Menschen ließendie Zahl jener bedeutenden und berühmten islamischen Persönlichkeiten anwachsen, derengutes Vorbild später Sunna wurde - eine Norm für Muslime, die ihnen nachfolgten. Imamewie zum Beispiel an-Nafi, der Lehrer Imam Maliks, und Tawus ibn Qaisan sind hier nur zweiBeispiele.
In der Realität war das Leben als Sklave im Islam meistens nur einvorübergehender Zustand. Im Gegensatz zur üblichen Praxis in der westlichen Zivilisationwurde die Sklaverei in islamischen Ländern nicht von Generation zu Generation vererbt: ineiner sich immer weiter vertiefenden Spirale der Erniedrigung und Hoffnungslosigkeit, diedie Hoffnung der Sklaven, ihrem Status bzw. ihrer Lage zu entkommen, zunichte machte. ImGegenteil, Sklaven wurden in der muslimischen Gesellschaft als im Wesentlichengleichrangig betrachtet. Ihnen wurde als Geschöpfen des Einen Schöpfers gestattet, sichihre Würde zu bewahren, was sie auch taten. Darüber hinaus besaßen sie auch einenpermanenten Zugang zur Hauptströmung der islamischen Kultur und Zivilisation. Wie bereitsfestgestellt wurde, leisteten sie hierzu auch einen enormen Beitrag. In den westlichenGesellschaften, in denen die Sklaverei weit verbreitet war, insbesondere in Nord- undSüdamerika, leben die Nachfahren der Sklaven bis heute, noch Generationen nach ihreroffiziellen Freilassung, zum größten Teil in einer Art Subkultur oder Antikultur am Randeder Gesellschaft. Nur selten werden sie von der immer noch dominanten Gesellschafttoleriert, in der Regel hingegen werden sie verachtet.
Aber warum, so werden unsereKritiker fragen, schenkten die Muslime nicht allen ehemaligen Gefangenen oder Sklaven dieFreiheit, wenn sie sich bei ihren Eroberungen doch so sicher fühlten? Die Antwort stelltwiederum die Realität, nicht irgendwelche Theorien in den Vordergrund. Die ehemaligenGefangenen oder Sklaven besaßen ja weder die persönlichen und psychologischen noch dieökonomischen Mittel, die zum Aufbau einer gesicherten und ehrenhaften unabhängigenExistenz erforderlich gewesen wären. Wer dies bezweifelt, sollte sich einmal vor Augenführen, welche Konsequenzen ihre unverhoffte Freilassung für die Sklaven der frühereneuropäischen oder amerikanischen Kolonien hatte. Viele wurden ganz plötzlich in bittereNot gestürzt und von den einstigen Sklavenhaltern (die ihrerseits für ihrenEigentumsverlust entschädigt wurden) obdachlos und mittellos gemacht. Die früherenBesitzer der Sklaven weigerten sich, weiterhin Verantwortung für diese zu übernehmen. Eswurde ja bereits erwähnt, dass die ehemaligen Sklaven in den Gesellschaften, von denensie so lange per Gesetz ausgeschlossen waren, nicht Fuß fassen, geschweige denn sicheinen Namen machen konnten.
Im Gegensatz dazu ermunterte ein guter Muslim, derseinen Sklaven wie einen Bruder aufnahm, diesen dazu, für seine Freiheit zu arbeiten. Erbeachtete alle seine Rechte, half ihm bei der Unterstützung seiner Familie, war ihm schonvor der Freilassung dabei behilflich, einen Platz in der Gesellschaft zu finden, undkonnte sich sehr wohl mit einer Institution anfreunden, die ihm die Möglichkeiteröffnete, Gott eine Freude zu bereiten. Das beste Beispiel für die Integration vonSklaven in die islamische Gesellschaft ist Zaid Ibn Harith. Er wurde im Haushalt desPropheten persönlich aufgezogen und später freigelassen. Er heiratete eine Frau von hohemStande und wurde schließlich zum Befehlshaber eines muslimischen Heeres ernannt, in demebenfalls viele Menschen von edler Abstammung dienten. Die Liste der Beispiele ließe sichum viele Tausende erweitern, wenn man denn über genügend Platz verfügen würde.
Wasdie Haltung der Muslime gegenüber der Sklaverei betrifft, so sind zwei Punkte besondershervorzuheben: einer, der für die Muslime selbst und ein zweiter, der für die Sklaven unddie nicht-muslimischen Länder von Bedeutung ist. Obwohl die Sklaverei im islamischen fiqh(der islamischen Gesetzeswissenschaft) eine eher nebensächliche Angelegenheit darstellt,eine Institution, die nach und nach reformiert werden sollte, bis sie im Gleichschrittmit den geistigen, kulturellen und sozialen Fortschritten im Laufe der Zeit ganzverschwindet, konnte man gelegentlich beobachten, dass sich einige Muslime, insbesonderegewisse muslimische Herrscher, auch weiterhin Sklaven hielten. Dafür kann dem Islamjedoch kein Vorwurf gemacht werden, denn diese Praxis entsprang den spirituellenDefiziten von Muslimen, die den Islam in ihrem Leben nicht auf angemessene Art und Weisepraktizierten. Der zweite Punkt ist der, dass Gewohnheiten einen Menschen dazu bewegen,eine zweite Persönlichkeit zu entwickeln. Nachdem Lincoln im 19. Jahrhundert dieSklaverei per Gesetz abgeschafft hatte, mussten viele Sklaven zu ihren Besitzernzurückkehren, weil sie bereits die Initiative und auch ihre Fähigkeit verloren hatten,sich frei zu entscheiden. Sie waren gar nicht in der Lage, ein Leben als freier Mensch zuführen. Dieser psychologische Sachverhalt begründet, warum Kriegsgefangene zunächst unterden Muslimen verteilt wurden: Nach ihrer Freilassung sollten sie ein wahrhaft islamischesgesellschaftliches Leben als freie Menschen in einer muslimischen Gesellschaft führen undihre vom Gesetz garantierten Rechte auch voll wahrnehmen können. Der Islam strebtedanach, das Problem der Sklaverei schrittweise aus der Welt zu schaffen: Zuerst sollteden Sklaven ermöglicht werden, ihr wahres menschliches Bewusstsein und ihre Identität zuerkennen. Dann wurden ihnen islamische, menschliche Werte vermittelt und die Liebe zurFreiheit nahe gebracht. Wenn die Sklaven schließlich freigelassen wurden, stellten siefest, dass ihnen alle Wege offen standen, um als Bauern, Handwerker, Lehrer,Wissenschaftler, Befehlshaber, Kommandanten oder hohe Beamte zu nützlichen Mitgliedernder Gesellschaft zu werden.
Der Islam bemühte sich darum, die Institution der‚individuellen Sklaverei‘ zu zerstören, während er eine Versklavung von Völkern erst garnicht ins Auge fasste oder betrieb. Als Muslim bete ich deshalb zu Gott, dass dieversklavten, kolonisierten und unterdrückten Völker dieser Erde sich wahrer Freiheiterfreuen mögen.
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[1] Abu Dawud, Diyat,70; Tirmidhi, Diyat, 17; An-Nisa’i, Quasma 10, 16
[2] Tirmidhi, Tafsir, 49, Manaqib,73; Abu Dawud, Adab, 111
[3] Ibn Hanbal, Musnad, 411
[4] Muslim, Birr, 138,Dschanna, 48; Tirmidhi, Manaqib, 54, 65
[5] Bukhari, Fada’il as-Sahaba, 23
[6]Bilal, einer derjenigen, die sich als erste zum Islam bekannten, war ein äthiopischerSklave. Er wurde schließlich vom Propheten zum offiziellen mu’azzin (Gebetsrufer) derislamischen Gemeinschaft bestimmt. Abu Bakr, ein Angehöriger der mekkanischen Elite,gehörte ebenfalls zu den ersten Konvertiten. Er war der politische Nachfolger desPropheten und der erste der vier rechtgeleiteten Kalifen.
[7] Bukhari, Iman, 22,Adab, 44; Muslim, Iman, 38-40; Abu Dawud, Adab, 124
[8] Ibn Hanbal, Musnad, 2.4
[9] Tirmidhi, al-Ayman wan-Nudhur, 13