Gibt es den richtigen Glauben?
05.03.2006 um 18:03
Im Übrigen:
Nein, DEN richtigen Glauben KANN es gar nicht geben. Denn warumsollten die anderen Völker den Überlieferungen IHRER Vorväter weniger trauen? Ich haltees da lieber mit der "Ring-Parabel" unseres guten alten Lessing:
NATHAN. Vorgrauen Jahren lebt' ein Mann in Osten,
Der einen Ring von unschätzbarem Wert
Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein
Opal, der hundert schöne Farben spielte,
Und hatte die geheime Kraft, vor Gott
Und Menschen angenehm zu machen, wer
In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder,
Dass ihn der Mann in Osten darumnie
Vom Finger ließ; und die Verfügung traf,
Auf ewig ihn bei seinem Hausezu 1920
Erhalten? Nämlich so. Er ließ denRing
Von seinen Söhnen dem geliebtesten;
Und setzte fest, dass dieserwiederum
Den Ring von seinen Söhnen dem vermache,
Der ihm der liebste sei;und stets der liebste,
Ohn' Ansehn der Geburt, in Kraft allein
Des Rings,das Haupt, der Fürst des Hauses werde. -
Versteh mich, Sultan.
SALADIN. Ich versteh dich. Weiter!
NATHAN. So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn,
Auf einen Vater endlich von drei Söhnen; 1930
Die alle drei ihm gleich gehorsam waren,
Die alle drei er folglich gleich zulieben
Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit
Zu Zeit schien ihm baldder, bald dieser, bald
Der dritte, - sowie jeder sich mit ihm
Alleinbefand, und sein ergießend Herz'
Die andern zwei nicht teilten, - würdiger
Des Ringes; den er denn auch einem jeden
Die fromme Schwachheit hatte, zuversprechen.
Das ging nun so, solang es ging. - Allein 1940
Es kam zum Sterben, und der gute Vater
Kömmt in Verlegenheit. Esschmerzt ihn, zwei
Von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort
Verlassen, sozu kränken. - Was zu tun? -
Er sendet in geheim zu einem Künstler,
Bei demer, nach dem Muster seines Ringes,
Zwei andere bestellt, und weder Kosten
Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich,
Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt
Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt, 1950
Kann selbst der Vater seinen Musterring
Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft
Er seine Söhne, jeden insbesondre;
Gibt jedem insbesondre seinen Segen, -
Und seinen Ring, - und stirbt. - Du hörst doch, Sultan?
SALADIN (der sichbetroffen von ihm gewandt).
Ich hör, ich höre! - Komm mit deinem Märchen
Nur bald zu Ende. - Wird's?
NATHAN. Ich bin zu Ende.
Denn was noch folgt, versteht sich ja von selbst. -
Kaum war der Vater tot,so kömmt ein jeder
Mit seinem Ring, und jeder will der Fürst 1960
Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt,
Man klagt. Umsonst;der rechte Ring war nicht
Erweislich; -
(nach einer Pause, in welcher erdes
Sultans Antwort erwartet)
Fast so unerweislich,als
Uns itzt - der rechte Glaube.
SALADIN. Wie? dassoll
Die Antwort sein auf meine Frage? . . .
NATHAN. Soll
Mich bloß entschuldigen, wenn ich die Ringe
Mir nichtgetrau zu unterscheiden, die
Der Vater in der Absicht machen ließ,
Damitsie nicht zu unterscheiden wären.
SALADIN. Die Ringe! - Spiele nicht mit mir! - Ichdächte, 1970
Dass die Religionen, die ich dir
Genannt, doch wohl zuunterscheiden wären.
Bis auf die Kleidung, bis auf Speis' und Trank!
NATHAN.Und nur von Seiten ihrer Gründe nicht. -
Denn gründen alle sich nicht aufGeschichte?
Geschrieben oder überliefert! - Und
Geschichte muss doch wohlallein auf Treu
Und Glauben angenommen werden? - Nicht? -
Nun, wessen Treuund Glauben zieht man denn
Am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen? 1980
Doch deren Blut wir sind? doch deren, die
Von Kindheit an unsProben ihrer Liebe
Gegeben? die uns nie getäuscht, als wo
Getäuscht zuwerden uns heilsamer war? -
Wie kann ich meinen Vätern weniger
Als du dendeinen glauben? Oder umgekehrt. -
Kann ich von dir verlangen, dass du deine
Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht
Zu widersprechen? Oder umgekehrt.
Das nämliche gilt von den Christen. Nicht? - 1990
SALADIN.(Bei dem Lebendigen! Der Mann hat recht.
Ich muss verstummen.)
NATHAN. Lass auf unsre Ring'
Uns wieder kommen. Wie gesagt: die Söhne
Verklagten sich; und jeder schwur dem Richter,
Unmittelbar aus seines Vaters Hand
Den Ring zu haben. - Wie auch wahr! - Nachdem
Er von ihm lange dasVersprechen schon
Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu
Genießen. - Wienicht minder wahr! - Der Vater,
Beteu'rte jeder, könne gegen ihn 2000
Nicht falsch gewesen sein; und eh' er dieses
Von ihm, von einem solchen lieben Vater,
Argwohnen lass': eh' müss' er seineBrüder,
So gern er sonst von ihnen nur das Beste
Bereit zu glauben sei, desfalschen Spiels
Bezeihen; und er wolle die Verräter
Schon auszufindenwissen; sich schon rächen.
SALADIN. Und nun, der Richter? - Mich verlangt zu hören,
Was du den Richter sagen lässest. Sprich!
NATHAN. Der Richter sprach: Wenn ihrmir nun den Vater 2010
Nicht bald zur Stelle schafft, so weis ich euch
Von meinem Stuhle. Denkt ihr, dass ich Rätsel
Zu lösen da bin? Oder harret ihr,
Bis dass der rechte Ring den Mund eröffne? -
Doch halt! Ich höre ja, derrechte Ring
Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen;
Vor Gott undMenschen angenehm. Das muss
Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden
Doch das nicht können! - Nun; wen lieben zwei
Von Euch am meisten? - Macht, sagtan! Ihr schweigt? 2020
Die Ringe wirken nur zurück? und nicht
Nachaußen? Jeder liebt sich selber nur
Am meisten? - Oh, so seid ihr alle drei
Betrogene Betrüger! Eure Ringe
Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring
Vermutlich ging verloren. Den Verlust
Zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater
Die drei für einen machen.
SALADIN. Herrlich! herrlich!
NATHAN. Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr
Nicht meinen Rat, stattmeines Spruches, wollt: 2030
Geht nur! - Mein Rat ist aber der:ihr nehmt
Die Sache völlig wie sie liegt. Hat von
Euch jeder seinen Ringvon seinem Vater:
So glaube jeder sicher seinen Ring
Den echten. - Möglich;dass der Vater nun
Die Tyrannei des einen Rings nicht länger
In seinemHause dulden wollen! - Und gewiss;
Dass er euch alle drei geliebt, und gleich
Geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen,
Um einen zu begünstigen. - Wohlan! 2040
Es eifre jeder seiner unbestochnen
Von Vorurteilen freien Liebe nach!
Es strebe von euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag
Zu legen! komme dieser Kraft mitSanftmut,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,
Mit innigsterErgebenheit in Gott
Zu Hilf'! Und wenn sich dann der Steine Kräfte
Beieuern Kindes-Kindeskindern äußern:
So lad ich über tausend tausend Jahre 2050
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
Einweisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen
Als ich; und sprechen. Geht! - So sagte der
Bescheidne Richter.
SALADIN. Gott! Gott!
"Wir wissen heute, daß der Mond nachweislich nicht vorhanden ist, wenn niemand hinsieht."
David Mermin