Centrino schrieb am 24.01.2016:Mich würde interessieren, durch welche Erfahrungen, Ereignisse oder Erlebnisse ihr zum Glauben gekommen seid.
Alles zu schildern, wäre bei weitem zu umfangreich. Hier spielen auch unzählige Dinge eine Rolle wie Elternhaus, Sozialisation, Lebenserfahrungen... Ich bin bspw. in Berlin aufgewachsen, zum Teil noch zu DDR-Zeiten. Politik, Kosmologie, Teilchenphysik, Philosophie... im Laufe des Lebens führt man ja etliche Gespräche, aber Religion war hier eigentlich immer eher ein Randthema.
Was das Elternhaus angeht... Meine Mutter glaubt fest an Jesus, an Gott, an den Himmel, wurde allerdings nie getauft, ging selten zur Kirche, liest bestenfalls sporadisch in der Bibel. Und mein Vater... keine Ahnung, hab' mit ihm nie wirklich über das Thema gesprochen. Als Kind glaubt man ja generell viele Dinge, die man so hört, das galt natürlich auch für mich. Wenn ich bspw. unbequeme Fragen über den Tod stellte, dann vertröstete mich meine Mutter bspw. damit, dass man nach dem Tod in den Himmel kommt. Die Geschichten über Gott & Himmel nahm ich als Kind erst einmal so hin wie unzählige andere Geschichten über Atlantis, Entführungen durch Außerirdische, Poltergeister, Telepathie und vieles, vieles mehr, was man "hier und da" so aufschnappt. Mit der Zeit wurde ich älter, stellte viele Dinge in Frage, lernte viel über die Geschichte der Erde, des Lebens, des Universums und was man sonst noch so im Rahmen naturwissenschaftlicher Fächer so alles vermittelt bekam. Vor allem bekam ich als junger Heranwachsener das Gefühl, dass "die Erwachsenen" irgendwie alles wissen würden, vor allem irgendwelche Wissenschaftler. Völlig egal, ob es um die Geschichte der Erde, die Geschichte des Lebens, die Geschichte des Universums, den Aufbau der Materie, den Aufbau des Gehirns oder sonstwas ging. Praktisch zu allen möglichen Fragen gab es irgendwelche Bücher oder Lexikoneinträge. Wow!
Ich erinnere mich auch noch sehr gut, wie ich so mit ca. 18 Jahren in die Bibliothek ging, um in der Abteilung Naturwissenschaft wenigstens zwei, drei Bücher über Gott zu finden. Wenn es Gott gibt, dachte ich mir, so müsse es doch auch Bücher darüber geben. So wie über alle anderen Dinge, die es gibt. Immerhin gab es Bücher über "Atome", über "Schwarze Löcher", über den "Urknall" und vieles, vieles mehr. Leider wurde ich recht schnell enttäuscht...
Leider war ich auch viel zu klug, um mich von irgendwelchen Verweisen auf die Bibel abspeisen zu lassen. Nee, das war mir wirklich zu albern! Die Chancen standen also alles in allem ziemlich gut, dass ich meinen kindlich-naiven Glauben an Gott, Seele, Jenseits usw. spätestens nach dem Abitur verlieren und zum Atheismus "konvertieren" würde. Übrigens war das auch ungefähr die Zeit, als R. Dawkins sein Werk "Der Gotteswahn" veröffentlichte, um mit dem Theismus radikal abzurechnen und den Glauben an Gott völlig ad absurdum zu führen (viele "Argumente" kannte ich aber schon, waren für mich insofern also eigentlich "alter Wein in neuen Schläuchen"). Ich kann mein damaliges Mindset und all unzähligen die Dinge, die mich an den Geschichten der Religionen zweifeln ließen, kaum in Worte fassen. Ich kann nur sagen: Es war ziemlich krass und ich war eigentlich schon ganz schön dolle vom Glauben abgefallen, auch wenn ich eigentlich eh nie so wirklich gläubig - wie Christen, Moslems usw. - war.
Ich muss leider noch weiter ausholen... Was R. Dawkins, der damalige sog. "Neue Atheismus" und auch viele Gläubige übersahen und immer noch übersehen: Religion dreht sich nicht nur um die Frage nach
Gott, sondern und vor allem auch um die Frage nach
Leben und Tod. Gibt es eine Art Seele? Gibt es eine Art Jenseits? Was passiert mit uns nach dem Tod? Das ganze Reden über Gott ist ja schön und gut, aber was ist mit dem Himmel, was ist mit dem Paradies? Und ist mit einer Widerlegung der Existenz Gottes gleichzeitig auch die Existenz einer Art Seele oder Jenseits widerlegt? Für mich schien es zunächst so und es dauerte ein wenig, bis der Groschen fiel und ich mir dachte:
"Gut, vielleicht gibt es keinen Gott, aber daraus folgt doch nicht, dass es keine Seele und kein Jenseits gibt." Den wenigsten Menschen gelingt das übrigens, diesen einfachen logischen Schluss nachzuvollziehen. Für sie gibt es immer nur das komplette Paket:
Gott-Seele-Jenseits. Und das Komplettpaket kaufen sie dann, oder lehnen es eben komplett ab. Wie auch immer. Ich kann nicht in wenigen Worten all die Gedankengänge vermitteln, für deren Erschließung ich selbst unzählige Jahre brauchte. Es geht einfach nicht.
Noch viel weniger kann ich in Worten vermitteln, welches Gefühl in mir aufkam, als ich in jungen Jahren (20-25 J.) eines Tages abends im Bett lag, intensiv über den Tod nachdachte und darüber, wie es eben ist, einfach nicht mehr da zu sein. "Angst" trifft es nicht, es war schlimmer. Zumal auch andere Emotionen hinzukamen, wie bspw. Wut, Ohnmacht, Panik. Vielleicht hatte ich auch einfach nur überreagiert oder so, also hatte ich in den nachfolgenden Jahren noch zwei, drei Mal (erfolgreich) versucht, mir erneut der Bedeutung des Todes bewusst zu werden, um mir sicher zu sein: Der Tod ist wirklich das größte Übel und erneut lief es mir kalt den Rücken runter. Und diese emotionale Auseinandersetzung hat sicherlich auch ihren Teil dazu beigetragen, dass ich trotz aller Zweifel
zum Glauben gekommen den Glauben letztendlich nicht gänzlich verloren hab.
Und ja, dank meiner Affinität zu Mathematik und Naturwissenschaft hatte ich auch stets die rationale Auseinandersetzung mit den Themen Gott, Seele, Jenseits usf. gesucht. Dabei den Glauben nicht vollends zu verlieren, ist alles andere als leicht! Geholfen hat mir nur die Philosophie und die Erkenntnis, dass es nicht nur keine
allwissenden Götter gibt, sondern und erst recht auch keine
allwissenden Menschen. Was wissen wir denn bitte schon? Hallo?! Klar, wir wissen gegenwärtig im 21. Jhd. bereits verdammt viel und weitaus mehr als unzählige Generationen vor uns. Aber wir halten uns immer noch für die "Krone der Schöpfung", sind so unglaublich vermessen und arrogant, zu glauben, die großen Fragen der Menschheit ausgerechnet jetzt (!) abschließend beantworten und so manche Hypothese dezidiert ausschließen zu können. Die Kosmologie sagt: Wir wissen fast alles über das Universum, aber von Gott keine Spur. Die Hirnforschung sagt: Wir wissen fast alles über das Gehirn, aber von einer Seele keine Spur. Ja, derartige Hypothesen scheinen gar im Widerspruch zum gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Weltbild zu stehen. Und ja, es stimmt, es sieht verdammt mies aus, wenn es um solche Fragen geht. Und es ist vor dem Hintergrund naturwissenschaftlicher Erkenntnisse auch ungeheuer schwierig, den Glauben und die Hoffnung nicht zu verlieren.
Wie schafft man es dennoch? Ich weiß es nicht... es ist einfach so.
:DWichtig ist wohl vor allem, seinen Glauben stets kritisch zu hinterfragen, auf den Prüfstand zu stellen und ggf. weiterzuentwickeln. Aber auch unser (vermeintliches) Wissen gilt es stets, kritisch zu hinterfragen (klassisches Beispiel etwa: die Frage nach der Natur der Wirklichkeit...). Und nach all den Jahren glaube ich irgendwie immer noch an eine Art "Gott", "Seele" oder "Leben nach dem Tod". Was genau ich da glaube, hat allerdings mit dem, was die einfachen Menschen sich darunter so alles vorstellen mögen, eigentlich herzlich wenig zu tun.
:P:Nach all dem Text ist mir nun vielleicht doch eine recht knappe Antwort eingefallen: Es geht weniger darum, zum Glauben zu kommen, sondern eher darum,
den Glauben die Hoffnung nicht zu verlieren. Und vom Mindset her bevorzuge ich eher den
Zweifel statt
Glauben. Es ist bspw. weniger so, dass ich an eine Art Leben nach dem Tod
glaube, sondern vielmehr so, dass ich daran
zweifle, dass wir nur dieses eine Leben haben, welches mit dem Tod endgültig erlischt. Wichtig ist auch die Auseinandersetzung mit Naturwissenschaft, Philosophie, Wissenschaftsgeschichte und -theorie, dabei den Wissensstand und das Naturverständnis der gegenwärtigen Epoche in der Menschheitsgeschichte stets kritisch hinterfragend.