Aleviten in Deutschland
05.12.2011 um 20:24Insgesamt leben in Deutschland rund 500.000 Aleviten, die zu 95 % aus der Türkei stammen. Mit einem Anteil von 13 % stellen die Aleviten, nach den Sunniten, die zweitgrößte Gruppe der in Deutschland lebenden Muslime dar.[13]
Der prozentuale Anteil der Aleviten an den aus der Türkei stammenden Immigranten in Deutschland ist höher als der Anteil der Aleviten an der türkischen Bevölkerung. Dies hängt einerseits damit zusammen, dass türkische Einwanderer zu einem großen Anteil aus Gebieten in der Türkei kamen, die hauptsächlich von Aleviten bewohnt waren. Andererseits erfolgte in den 1980er Jahren eine verstärkte Einwanderung als Asylsuchende, da die meisten Aleviten vor dem Militärputsch auf der Seite der Opposition standen. Obwohl die Aleviten in Deutschland eine recht homogene Gruppe bilden, kann man mehrere „Richtungen“ erkennen.
Die Gruppe der „modernen Aleviten“ sieht das Alevitentum als Teil des Islams. Dieser Gruppe ist bewusst, dass das Alevitentum nicht so wie vor mehreren Jahrzehnten in türkischen Dörfern praktiziert werden kann. Statt einer Isolierung vertreten diese Aleviten die Öffnung hin zur Gesellschaft, beispielsweise durch die Forderung, den alevitischen Glauben gesetzlich anzuerkennen und eigenen Religionsunterricht erteilen zu dürfen. Nach dieser Ansicht ist das Alevitentum eine Religion unter vielen in einer multireligiösen Gesellschaft, und es ist deswegen auch selbstverständlich, dass Menschen dem Alevitentum beitreten können.
Eine Gruppe von Aleviten mit politischer Unterstützung durch islamisch geprägte Interessengemeinschaften sieht sich in erster Linie als Muslime und nicht als Aleviten. Sie versuchen deswegen auch eine Annäherung an die Sunniten zu erreichen, indem sie z. B. neben dem Cem-Gottesdienst auch das sunnitische Gebet in einer Moschee verrichten. Gleichzeitig will diese Gruppe aber das ursprüngliche Alevitentum bewahren und lehnt jede „Modernisierung“ ab.
Eine weitere Gruppe sieht das Alevitentum als eine eigenständige Religion an und beharrt, wie die erste Gruppe, auf den Unterschieden zwischen Sunniten und Aleviten. Sie lehnen einen Beitritt zur sunnitischen Gemeinschaft ab und wollen das Alevitentum nicht einer breiteren Öffentlichkeit bekanntmachen, sondern weiter als eine Art „Geheimlehre“ praktizieren. Erklären lässt sich dies durch die Erfahrung der Unterdrückung und Verfolgung durch Sunniten.
Es ist festzustellen, dass die Aleviten in Deutschland einen für Aleviten (und Moslems) sehr hohen Grad an Organisierung (z. B. durch Gründung von Verbänden und Gemeinden) erlangt haben. So wurde z. B. das Kulturzentrum Anatolischer Aleviten im Jahr 2002 durch den Berliner Senat als Religionsgemeinschaft anerkannt und erhielt dadurch die Möglichkeit, alevitischen Religionsunterricht in den Berliner Grundschulen zu erteilen. Ein wesentliches Ziel der Alevitischen Gemeinde in Deutschland ist es, alevitischen Religionsunterricht auf Deutsch in weiteren Bundesländern abhalten zu dürfen.
Viele Aleviten leben wegen der garantierten Religionsfreiheit gerne in Deutschland. Anders als im sunnitischen oder schiitischen Islam spielt die islamische Rechtsordnung Scharia im Alevitentum keine Rolle. Deshalb stelle sich für Aleviten in Deutschland auch nicht die Frage, ob Scharia und Grundgesetz vereinbar seien. Daher sind sie besser in die deutsche Gesellschaft integriert als konservative Sunniten. Zur Alevitischen Gemeinde Deutschland mit Hauptsitz in Köln gehören bundesweit 125 lokale Mitgliedsvereine. Mehr als 60 Prozent der eingeschriebenen Mitglieder haben, Ali Ertan Toprak zufolge, dem früheren Generalsekretär und ab 2010 Zweiten Vorsitzenden der Alevitischen Gemeinde Deutschland (AABF), mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft.
Toprak hält die Nichtanerkennung der Aleviten als Religionsgemeinschaft in der Türkei für „unwürdig für einen Beitrittskandidaten“ der Europäischen Union.[14]
Organisationen in Deutschland [Bearbeiten]
Der erste gegründete und eingetragene Verein in Deutschland ist Ahlen Haci Bektas Alevi Kültür Birligi e.V., der 1986 nach Hamm in Westfalen umgezogen ist und nun den Namen Hamm Alevitischer Kulturverein (tr: Hamm Alevi Kültür Birligi - HAKBIR) trägt. 1987 wurde der zweite alevitische Kulturverein gegründet. In der Folgezeit kamen weiter dazu, wie z. B. Mainz-Wiesbaden-Rüsselsheim Alevi-Bektasi-Kultur e.V. (1988) mit Sitz in Gustavsburg.
Die größte alevitische Dachorganisation ist die Alevitische Gemeinde Deutschland mit Sitz in Köln. Es gibt Gemeinden in Augsburg, Köln, Stuttgart[15], Mainz, Duisburg usw. Für die Jugend ist der Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland zuständig.
Schulunterricht:
In Nordrhein-Westfalen begann im Schuljahr 2008/09 in den Städten Bergkamen, Köln und Wuppertal an insgesamt vier Grundschulen der alevitische Religionsunterricht. In Duisburg startete nach den Herbstferien 2008 ebenfalls der Unterricht.[16] Andere Städte planen ebenfalls alevitischen Religionsunterricht einzuführen.
Kontroversen um Vorurteile [Bearbeiten]
Am 23. Dezember 2007 lief im Fernsehsender „Das Erste“ (ARD) die Tatort-Folge „Wem Ehre gebührt“, die eine Inzestsituation in einer in Deutschland lebenden alevitischen Familie zum Thema hatte. Der Fernsehfilm löste Proteste der alevitischen Gemeinde Deutschlands aus, da durch die Darstellung der inzestuösen Beziehung innerhalb einer alevitischen Familie eine in der Türkei seit Jahrhunderten übliche Verunglimpfung der Aleviten durch fundamentalistische Sunniten nun auch über das deutsche Fernsehen verbreitet würde.[17] Der Ethnologe Martin Sökefeld verglich den Tatort zur Verdeutlichung des klischeehaften Inhalts mit einem Film, in dem ein geiziger jüdischer Kaufmann der Kindermörder ist.[18]
Güner Balcı (* 1975), Buchautorin und freie Reporterin
Bilkay Öney (* 1970), SPD-Politikerin, Integrationsministerin von Baden-Württemberg
Deniz Naki (* 1989), Profi-Fußballer beim FC St.Pauli
Ekin Deligöz (* 1971), Grünen-Politikerin, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
Kool Savas (* 1975), deutscher Rapper
Eko Fresh (* 1983), deutscher Rapper
Kazim Abaci (* 1965), SPD-Politiker, Integrationspolitischer Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion in Hamburg
Der prozentuale Anteil der Aleviten an den aus der Türkei stammenden Immigranten in Deutschland ist höher als der Anteil der Aleviten an der türkischen Bevölkerung. Dies hängt einerseits damit zusammen, dass türkische Einwanderer zu einem großen Anteil aus Gebieten in der Türkei kamen, die hauptsächlich von Aleviten bewohnt waren. Andererseits erfolgte in den 1980er Jahren eine verstärkte Einwanderung als Asylsuchende, da die meisten Aleviten vor dem Militärputsch auf der Seite der Opposition standen. Obwohl die Aleviten in Deutschland eine recht homogene Gruppe bilden, kann man mehrere „Richtungen“ erkennen.
Die Gruppe der „modernen Aleviten“ sieht das Alevitentum als Teil des Islams. Dieser Gruppe ist bewusst, dass das Alevitentum nicht so wie vor mehreren Jahrzehnten in türkischen Dörfern praktiziert werden kann. Statt einer Isolierung vertreten diese Aleviten die Öffnung hin zur Gesellschaft, beispielsweise durch die Forderung, den alevitischen Glauben gesetzlich anzuerkennen und eigenen Religionsunterricht erteilen zu dürfen. Nach dieser Ansicht ist das Alevitentum eine Religion unter vielen in einer multireligiösen Gesellschaft, und es ist deswegen auch selbstverständlich, dass Menschen dem Alevitentum beitreten können.
Eine Gruppe von Aleviten mit politischer Unterstützung durch islamisch geprägte Interessengemeinschaften sieht sich in erster Linie als Muslime und nicht als Aleviten. Sie versuchen deswegen auch eine Annäherung an die Sunniten zu erreichen, indem sie z. B. neben dem Cem-Gottesdienst auch das sunnitische Gebet in einer Moschee verrichten. Gleichzeitig will diese Gruppe aber das ursprüngliche Alevitentum bewahren und lehnt jede „Modernisierung“ ab.
Eine weitere Gruppe sieht das Alevitentum als eine eigenständige Religion an und beharrt, wie die erste Gruppe, auf den Unterschieden zwischen Sunniten und Aleviten. Sie lehnen einen Beitritt zur sunnitischen Gemeinschaft ab und wollen das Alevitentum nicht einer breiteren Öffentlichkeit bekanntmachen, sondern weiter als eine Art „Geheimlehre“ praktizieren. Erklären lässt sich dies durch die Erfahrung der Unterdrückung und Verfolgung durch Sunniten.
Es ist festzustellen, dass die Aleviten in Deutschland einen für Aleviten (und Moslems) sehr hohen Grad an Organisierung (z. B. durch Gründung von Verbänden und Gemeinden) erlangt haben. So wurde z. B. das Kulturzentrum Anatolischer Aleviten im Jahr 2002 durch den Berliner Senat als Religionsgemeinschaft anerkannt und erhielt dadurch die Möglichkeit, alevitischen Religionsunterricht in den Berliner Grundschulen zu erteilen. Ein wesentliches Ziel der Alevitischen Gemeinde in Deutschland ist es, alevitischen Religionsunterricht auf Deutsch in weiteren Bundesländern abhalten zu dürfen.
Viele Aleviten leben wegen der garantierten Religionsfreiheit gerne in Deutschland. Anders als im sunnitischen oder schiitischen Islam spielt die islamische Rechtsordnung Scharia im Alevitentum keine Rolle. Deshalb stelle sich für Aleviten in Deutschland auch nicht die Frage, ob Scharia und Grundgesetz vereinbar seien. Daher sind sie besser in die deutsche Gesellschaft integriert als konservative Sunniten. Zur Alevitischen Gemeinde Deutschland mit Hauptsitz in Köln gehören bundesweit 125 lokale Mitgliedsvereine. Mehr als 60 Prozent der eingeschriebenen Mitglieder haben, Ali Ertan Toprak zufolge, dem früheren Generalsekretär und ab 2010 Zweiten Vorsitzenden der Alevitischen Gemeinde Deutschland (AABF), mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft.
Toprak hält die Nichtanerkennung der Aleviten als Religionsgemeinschaft in der Türkei für „unwürdig für einen Beitrittskandidaten“ der Europäischen Union.[14]
Organisationen in Deutschland [Bearbeiten]
Der erste gegründete und eingetragene Verein in Deutschland ist Ahlen Haci Bektas Alevi Kültür Birligi e.V., der 1986 nach Hamm in Westfalen umgezogen ist und nun den Namen Hamm Alevitischer Kulturverein (tr: Hamm Alevi Kültür Birligi - HAKBIR) trägt. 1987 wurde der zweite alevitische Kulturverein gegründet. In der Folgezeit kamen weiter dazu, wie z. B. Mainz-Wiesbaden-Rüsselsheim Alevi-Bektasi-Kultur e.V. (1988) mit Sitz in Gustavsburg.
Die größte alevitische Dachorganisation ist die Alevitische Gemeinde Deutschland mit Sitz in Köln. Es gibt Gemeinden in Augsburg, Köln, Stuttgart[15], Mainz, Duisburg usw. Für die Jugend ist der Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland zuständig.
Schulunterricht:
In Nordrhein-Westfalen begann im Schuljahr 2008/09 in den Städten Bergkamen, Köln und Wuppertal an insgesamt vier Grundschulen der alevitische Religionsunterricht. In Duisburg startete nach den Herbstferien 2008 ebenfalls der Unterricht.[16] Andere Städte planen ebenfalls alevitischen Religionsunterricht einzuführen.
Kontroversen um Vorurteile [Bearbeiten]
Am 23. Dezember 2007 lief im Fernsehsender „Das Erste“ (ARD) die Tatort-Folge „Wem Ehre gebührt“, die eine Inzestsituation in einer in Deutschland lebenden alevitischen Familie zum Thema hatte. Der Fernsehfilm löste Proteste der alevitischen Gemeinde Deutschlands aus, da durch die Darstellung der inzestuösen Beziehung innerhalb einer alevitischen Familie eine in der Türkei seit Jahrhunderten übliche Verunglimpfung der Aleviten durch fundamentalistische Sunniten nun auch über das deutsche Fernsehen verbreitet würde.[17] Der Ethnologe Martin Sökefeld verglich den Tatort zur Verdeutlichung des klischeehaften Inhalts mit einem Film, in dem ein geiziger jüdischer Kaufmann der Kindermörder ist.[18]
Güner Balcı (* 1975), Buchautorin und freie Reporterin
Bilkay Öney (* 1970), SPD-Politikerin, Integrationsministerin von Baden-Württemberg
Deniz Naki (* 1989), Profi-Fußballer beim FC St.Pauli
Ekin Deligöz (* 1971), Grünen-Politikerin, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
Kool Savas (* 1975), deutscher Rapper
Eko Fresh (* 1983), deutscher Rapper
Kazim Abaci (* 1965), SPD-Politiker, Integrationspolitischer Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion in Hamburg