George W. Bush - Visionär oder Kriegstreiber ?
16.04.2005 um 19:48
Eine historische Analyse der Krise des US-Imperialismus
Teil 1
Von David North
15. Januar 2005
Am Wochenende vom 8. und 9. Januar fand in Ann Arbor, Michigan, eine nationale Mitgliederversammlung der amerikanischen Socialist Equality Party statt. Den einleitenden Bericht gab der nationale Sekretär der Partei, David North, der gleichzeitig Chefredakteur der World Socialist Web Site ist. Wir veröffentlichen hier den ersten Teil des Berichts. Teil 2 und 3 werden kommende Woche erscheinen.
Es ist angebracht, diese nationale Mitgliederversammlung der Socialist Equality Party mit einer Schweigeminute zum Gedenken an die Zehntausenden Menschen zu beginnen, die im vergangenen Monat in Südasien dem Tsunami zum Opfer gefallen sind, der sichüber den Indischen Ozean ergoss.
Es gab überall auf der Welt tief empfundene Sympathie und echte Solidarität für die Opfer des Tsunami. Doch wie sehr unterschieden sich die widerwilligen, heuchlerischen und formalen Betroffenheitserklärungen der Führer des amerikanischen und britischen Imperialismus von diesen Bekundungen wirklicher Trauer! Weder Bush noch Blair waren in der Lage, ihre Besorgnis über das Schicksal der Millionen Menschen, deren Lebensgrundlage durch die Katastrophe vernichtet wurde, in glaubhafter Weise zum Ausdruck zu bringen.
Selbst den Medien war die Reaktion - oder besser, die fehlende Reaktion - des Weißen Hauses auf die sich entfaltende Tragödie peinlich. Erst fast drei Tage Schweigen; der Präsident werkelte auf seiner Ranch herum und der britische Premier bräunte sich an einem ägyptischen Strand, so gut wie unbewusst über die Konsequenzen des Tsunami. Dann kam Bushs lächerliches Angebot von 15 Millionen Dollar Hilfe, dass dann widerwillig auf 35 Millionen erhöht und später, als die Knauserigkeit des Weißen Hauses zum internationalen Gespött wurde, auf 350 Millionen aufgestockt wurde. Vergleicht man diese Summe mit den Geldern, die von den Vereinigten Staaten ausgegeben werden, um Menschen zu töten, so sind 350 Millionen Dollar nicht viel mehr als Kleingeld.
350 Millionen Dollar sind nur ein Bruchteil der Summe, die Jahr für Jahr in Form von Gehältern und Aktienoptionen an die Vorstandsvorsitzenden der 500 größten amerikanischen Firmen bezahlt wird. Diese Summe beläuft sich auf mehrere Milliarden Dollar. 2003 kassierte Charles M. Cawley von MBNA über 45 Millionen Dollar, Stanley O’Neal von Merrill Lynch 28,3 Millionen, Daniel P. Amos von Aflac 37,3 Millionen, Kenneth L. Chennault von American Express 40 Millionen, Patrick Stokes von Anheuser Busch 49 Millionen. Ich habe diese Namen mehr oder weniger zufällig aus einer Liste von 1.000 Vorstandsmitgliedern ausgewählt. Sie erschien auf einer Website, die die Gehaltsausschüttungen in großen Konzernen verfolgt. (1)
Betrachtet man die Summen, die auf den Investmentkonten dieser Leute herumschwappen, so sind die von den Medien gemeldeten Spenden für wohltätige Zwecke aus den USA nicht allzu beeindruckend. Der durchschnittliche Spender aus der Arbeiterklasse gibt mit Sicherheit einen viel größeren Prozentsatz seines wöchentlichen Einkommens für Hilfszwecke aus, als das Vorstandsmitglied, das die Angelegenheit mit dem Steuerberater durchspricht und die Steuerersparnis berechnet, bevor es einen Scheck unterschreibt.
Nach dem Tsunami haben viele Presseberichte die geologischen Ursachen des Desasters erklärt. Es handelt sich dabei um wichtige wissenschaftliche Informationen. Aber sie müssen durch eine Analyse der gesellschaftlichen Faktoren ergänzt werden, die maßgeblich und ursächlich zu den schrecklichen Opferzahlen beigetragen haben. Dieser Aufgabe weichen die Medien in der Regel aus. Sie finden es einfacher, sich über die Unergründlichkeit der Ziele der Natur auszulassen. So informiert uns New York Times -Kolumnist David Brooks: "Menschen sind nicht das Hauptanliegen des Universums. Wir sind nur Mücken auf der Kruste der Erde. Die Erde zuckt die Achseln, und 140.000 Mücken sterben. Sie sind Opfer von Kräften, weitaus stärker und dauerhafter als sie selbst." Derartige Kommentare - eine Mischung aus Ignoranz und Verachtung für die Menschheit - erfüllen einen bestimmten Zweck: Sie weichen der Realität aus und vertuschen unangenehme gesellschaftliche, ökonomische und politische Wahrheiten.
Die Auswirkungen des Tsunami enthüllen auf anschauliche Weise den irrationalen Charakter des Kapitalismus, seine Unfähigkeit, die Produktivkräfte in einer Weise zu entwickeln, die zum Ansteigen des Lebensstandards breiter Bevölkerungsschichten führt. Die Medien schwärmen vom "asiatischen Wunder", aber das Kapital, das während des letzten Jahrzehnts in die Region geflossen ist, kommt nur kleinen, privilegierten Eliten zugute. Hunderte Millionen leben in asiatischen Elendssiedlungen, die selbst unter den günstigsten klimatischen Bedingungen kaum Schutz vor den Elementen bieten. Es zeugt vom inhumanen Charakter der wirtschaftlichen Entwicklung in der Region, dass eine Katastrophe, die mehr als 150.000 Menschenleben gekostet hat, von der internationalen Finanzwelt nicht als wichtiges ökonomisches Ereignis betrachtet wird. Die regionalen Börsen- einschließlich der indonesischen, thailändischen, indischen und selbst srilankischen - haben nach dem Tsunami keinen bedeutenden Einbruch erlebt. Der Grund ist, dass große Teile der Bevölkerung dieser Länder in entsetzlicher Armut leben und nur am Rande mit der nationalen Wirtschaft in Beziehung stehen.
Die sozialen Bedingungen in diesen Ländern müssen im Zusammenhang mit ihrer politischen Geschichte gesehen werden. Betrachten wir die beiden Länder, in denen der Schaden am größten war: Indonesien und Sri Lanka. Man kann den Charakter der modernen indonesischen Gesellschaft - die unerträgliche Armut, die weitverbreitete Unterernährung, die Lebenserwartung von weniger als 65 Jahren für Männer - nicht verstehen, ohne auf den 1. Oktober 1965 einzugehen. An jenem Tag organisierte die CIA in Zusammenarbeit mit faschistischen indonesischen Offizieren unter Führung von General Suharto einen Putsch gegen den linken nationalistischen Präsidenten Sukarno. Unmittelbar nach dem Putsch schlachteten Militäreinheiten und rechte muslimische Todesschwadronen gestützt auf Listen, die die CIA zur Verfügung gestellt hatte, über eine halbe Millionen Mitglieder der indonesischen Kommunistischen Partei und anderer linker Organisationen ab. Während der anschließenden drei Jahrzehnten sorgte das brutale, von den USA gestützte Unterdrückerregime von General Suharto in Indonesien für die Sicherheit kapitalistischer Investitionen. Die chaotische und destruktive kapitalistische Entwicklung gipfelte im finanziellen Tsunami, der 1998 die indonesische Wirtschaft verwüstete.
Auch Sri Lanka wurde durch die reaktionäre und chauvinistische Politik aufeinanderfolgender bürgerlicher Regierungen verwüstet, lange bevor der Tsunami seine verwundbare Küste überflutete. Die Entwicklung der maßgeblichen Infrastruktur war den finanziellen Anforderungen eines Bürgerkriegs geopfert worden, den die srilankische Bourgeoisie provoziert hatte.
Untersucht man den Tsunami in seinem wirklichen gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Zusammenhang, so wird deutlich, dass seine zerstörerische Wirkung weit stärker dem Werk von Menschen als dem Werk der Natur zuzuschreiben ist.
Irgendwann in der Zukunft sollte die Entwicklung von Wissenschaft und Technologie die Menschheit in der Lage versetzen, die Natur so weit zu beherrschen, dass die Zerstörung von Tausenden Leben durch eine derart elementare und primitive Gewalt wie einen Tsunami unvorstellbar wäre. Zumindest sollte man ein solches Ereignis so weit voraussehen können, dass es möglich ist, lebenserhaltende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Tatsächlich gibt es die entsprechende Technologie bereits. Sie ist im gesamten Pazifik im Einsatz. Aber die Beherrschung der Natur durch den Menschen ist abhängig von seiner Beherrschung der sozioökonomischen Grundlagen der eigenen Existenz, von der Beseitigung aller irrationalen Elemente aus der ökonomischen Struktur der Gesellschaft - d.h. von der Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus.
Im gegenwärtig vorherrschenden, politisch reaktionären Klima mit seinen erstickenden Auswirkungen auf Emotionen und Intellekt, scheint die Möglichkeit einer solchen Umwandlung unendlich fern - was selbst ein deutliches Zeichen ist, dass die historischen Voraussetzungen für eine derartige Umwandlung schnell heranreifen. Mit Beginn des neuen Jahreswachsen die Hinweise, dass der Weltkapitalismus in eine neue Periode wirtschaftlicher Krisen und politischer Erschütterungen tritt. Diese Versammlung steht vor der Aufgabe, die Weltsituation so genau wie möglich einzuschätzen, auf dieser Grundlage die wirklichen Aussichten für den Sozialismus zu beurteilen und die politischen Aufgaben festzulegen, die sich aus dieser Einschätzung ergeben. Das ist eine wissenschaftliche Arbeit.
Im April 1933 schrieb Trotzki einen Brief an Sydney Hook. Er kritisierte darin gewisse Formulierungen in einem Essay, den der junge radikale Professor unter dem Titel "Marxismus - Dogma oder Methode?" für The Nation geschrieben hatte. Laut Hook ist der Marxismus "weder Dogma, noch Mythos, noch objektive Wissenschaft, sondern eine realistische Methode der Klassenaktion". Trotzki erwiderte: "Was bedeutet hier das Wort ‚realistisch’? Offenbar bedeutet es, gestützt auf die wirkliche Kenntnis des Objektiven - in diesem Fall gesellschaftlicher Prozesse. Kenntnis des Objektiven ist Wissenschaft. Die marxistische Politik ist insoweit realistisch, als sie sich auf den Marxismus als Wissenschaft stützt." (2)
Trotzkis Auffassung, dass die Formulierung politischer Perspektiven eine wissenschaftliche Aufgabe sei, setzt voraus, dass sich politische Prozesse auf gesetzmäßige Weise entwickeln. Diese Haltung ist allen pragmatischen Spielarten des Antimarxismus ein Gräuel. Diese erheben Möglichkeit und Zufall im historischen Prozess auf die Ebene des Absoluten und bestehen darauf, dass Geschichte und Politik in letzter Analyse durch die Wechselwirkung von Zufällen und einer unbeschränkten Anzahl nicht vorhersehbarer und/oder nicht voraussagbarer Variablen bestimmt würden. Der verstorbene Historiker François Furet, der einmal Mitglied in der Kommunistischen Partei war, fasste diesen Standpunkt wie folgt zusammen: "Ein wahres Verständnis unserer Zeit ist nur möglich, wenn wir uns von der Illusion der Notwendigkeit befreien. Das zwanzigste Jahrhundert kann nur erklärt werden, soweit eine Erklärung überhaupt möglich ist, wenn sein unvorhersehbarer Charakter hervorgehoben wird, eine Eigenschaft, die von jenen geleugnet wird, die die Hauptverantwortung für seine Tragödien tragen." (3)
Furets entwickelt seine Argumentation in einem äußerst rigiden Rahmen: Da es unmöglich sei, die Zukunft mit einiger Gewissheit vorauszusagen, sei es absurd, von historischer Notwendigkeit zu sprechen. Für Furet setzt Notwendigkeit das Vorhandensein unwiderstehlicher Kräfte voraus, die zu einem einzigen möglichen Ergebnis führen. Da der Verlauf der historischen Entwicklung zu verschiedenen und sogar entgegengesetzten Ergebnissen führen kann, sei die Auffassung, der historische Prozess sei Gesetzen unterworfen und diese Gesetze könnten verstanden und zur Grundlage des Handelns gemacht werden, eine marxistische Illusion. Es dürfte kaum überraschen, dass Furet den historischen Determinismus im Rahmen einer buchfüllenden Polemik angreift, deren Aufgabe darin besteht, für jetzt und alle Ewigkeit die Notwendigkeit des Kapitalismus zu beweisen.
Furets Haltung, die unter Antimarxisten weit verbreitet ist, lässt ein naives Missverständnis der Bedeutung der Begriffe Gesetz und Notwendigkeit erkennen. Der wissenschaftliche Charakter des Marxismus ergibt sich nicht aus der Genauigkeit seiner Voraussagen. Wie genau der Marxismus und jede wissenschaftliche Disziplin ein gegebenes Phänomen beschreiben kann, wird letztlich durch den Charakter des Phänomens selbst bestimmt. Der objektive Charakter des Phänomens, das den Gegenstand der Geschichte bildet - der menschlichen Gesellschaft -, ist so beschaffen, dass selbst der gewissenhafteste historische Materialist nicht genau "voraussagen" kann, was in zwei Tagen, zwei Wochen oder zwei Monaten geschieht. Das ist kein Einwand gegen die Gesetzmäßigkeit des historischen Prozesses oder die Möglichkeit seines wissenschaftlichen Studiums. Vielmehr ist ein genaueres Verständnis nötig, wie sich die Gesetzmäßigkeit im historischen Prozess manifestiert. Lukács erklärte, dass "die Gesetze in der Wirklichkeit nur als Tendenzen, die Notwendigkeiten nur im Gewirr von gegenwirkenden Kräften, nur in einem Vermitteltsein inmitten von unendlichen Zufällen sich durchsetzen können." (4)
Der historische Prozess ist nicht vorherbestimmt, er kann sich in unterschiedliche Richtungen entwickeln, weil sich die gesellschaftliche Entwicklung durch den Kampf von Klassen vollzieht, die unterschiedliche, sich gegenseitig ausschließende Ziele verfolgen. Aber weder die Klassen als Ganze noch die Parteien und Individuen, die ihre soziökonomischen Interessen mehr oder weniger adäquat zum Ausdruck bringen, sind ihr eigener Herr. Ausmaß und Charakter ihrer Tätigkeit werden im Wesentlichen durch die Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise bestimmt.
Das trifft nicht nur auf die Arbeiterklasse, sondern auch auf die bürgerliche herrschende Elite zu. Die politische Perspektive unserer Partei geht nicht von subjektiv motivierten Hoffnungen und Wünschen aus. Marxisten stellen sich die Revolution weder als Strafe für die Übeltaten der Kapitalisten, noch als Belohnung für ihre eigenen, selbstlosen Bemühungen zur Überwindung der Armut vor. Die Perspektiven der revolutionären Partei müssen aus einer Analyse der realen, objektiven Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweiseabgeleitet werden. Diese Analyse bildet die allgemeine Grundlage der revolutionären Perspektive. Ihre detailliertere Erarbeitung erfordert, dass diese Widersprüche im wirklichen gesellschaftlichen und politischen Leben aufgespürt und durch dievielen historischen, gesellschaftlichen, kulturellen und intellektuellen Ebenen verfolgt werden, durch die sie vermittelt sind.
Eine marxistische Perspektive kann sich mit umfassenden, Jahrzehnte umspannenden historischen Prozessen befassen, oder mit unmittelbareren, konkreten politischen Umständen, bei denen der Zeitrahmen des revolutionären Handelns viel kürzer ist. Aber selbst im letzteren Fall bildet der umfassende historische Prozess stets den Bezugsrahmen der revolutionären Partei. Taktische Initiativen, die entwickelt werden, um den Erfordernissen konjunktureller Probleme und Umstände gerecht zu werden, müssen mit den prinzipiellen Zielen übereinstimmen, die durch das historische Programm und die Aufgaben der internationalen sozialistischen Bewegung bestimmt werden. Konjunkturelle Probleme und Umstände können zudem nur verstanden werden, wenn man sie im Rahmen der strategischen Ziele studiert, die sich aus dem Charakter der historischen Epoche ergeben.
Schließlich erfordert die Entwicklung einer revolutionären Perspektive eine aktive und keine kontemplative Haltung gegenüber Gesellschaft und Klassenkampf. Objektiv sein heißt nicht passiv sein. Die Beurteilung der objektiven Wirklichkeit und des Kräfteverhältnisses durch die revolutionäre Partei beinhaltet auch eine Einschätzung der Auswirkungen und Folgen ihres eigenen Eingreifens im revolutionären Prozess. Die korrekte Interpretation der Welt ist nur möglich im Kampf, sie zu verändern, wie Marx in der elften Feuerbachthese erklärte.
Aber ein korrektes Verständnis des "aktiven" Elements im Erkenntnisprozess - dessen Entdeckung und Klärung zu den großen Errungenschaften der klassischen deutschen idealistischen Philosophie im späten 18. und frühen 19 Jahrhundert gehört (insbesondere im Werk Hegels) - bedeutet nicht, dass die objektive Welt nach Belieben verändert und neu geformt werden kann. Keine philosophische Tendenz hat gefährlichere reaktionäre Implikationen als jene, die die Aktivität des "Willens" von der wissenschaftlichen Erkenntnis der objektiven, gesetzmäßigen sozialen Prozesse trennt, die die gesellschaftlichen Praxis des Menschen wesentlich bestimmen. Die Tätigkeit der revolutionären Partei muss von einer korrekten Einschätzung der grundlegenden sozioökonomischen Entwicklungstendenzen im Weltmaßstab ausgehen. Ist die Arbeit der revolutionären Partei nicht aufdiesem Fundament verankert, kann sie sich nur auf Impressionen und Mutmaßungen stützen... und endet im Desaster.
Die Kirche sagt, man soll vergeben.
Vergebung ist eine Sache zwischen ihnen und Gott.
Mein Job ist es ein Treffen zu aragieren.
(John W. Creasy US-Marins)