Haben die Weltmächte militärisch nichts drauf?
20.02.2008 um 14:58
Entwicklung innerstaatlicher Kriege seit dem Ende des Ost-West Konfliktes
Nicolas Schwank
24 innerstaatliche Kriege und kein einziger zwischenstaatlicher: Die Bilanz für das Jahr 2005 klingt zwar erschreckend, aber so niedrig war die Kriegshäufigkeit das letzte Mal vor knapp 30 Jahren. Der Rückgang ist das Ergebnis einer wechselvollen Entwicklung, deren Ausgangspunkt das Ende des Ost-West-
Gegensatzes ist.
Im Jahr 1992, kurz nach dem Ende des Kalten Krieges, wurden so viele Kriege geführt wie seit 1945 nicht mehr. Die Statistik verzeichnet 46 Kriege, davon waren 44 innerstaatliche und zwei zwischenstaatliche. Die Zunahme innerstaatlicher Kriege verläuft parallel zum Niedergang der Sowjetunion. Gab es 1984 weltweit 30 Kriege (24 innerstaatliche/6 zwischenstaatliche), waren es 1987 bereits 35 (31/4). Im Jahr 1990, dem Jahr der deutschen Wiedervereinigung, waren es 39 (36/3), und ein Jahr später bereits 44 (39/5). Von 1994 bis 1996 sank die Anzahl der Kriege rasch bis auf 32 (31/1). Danach stieg sie bis 2001 wieder auf 42 (41/1) an. Seitdem werden Jahr für Jahr weniger Kriege ausgetragen.
Die meisten Kriege und Konflikte nach dem Ende des Ost-West-Konflikts fanden in Afrika statt. Wurden in Afrika in den 1980er Jahren noch durchschnittlich acht Kriege ausgetragen (davon 7,7 innerstaatliche und 0,3 zwischenstaatliche Kriege pro Jahr), waren es in den neunziger Jahren mit 15 (14,6/0,6) fast doppelt so viele. Nach dem Höhepunkt im Jahr 1994 mit 19 Kriegen konnte erst ab Mitte 2004 ein deutliches Absinken der Kriege verzeichnet werden. Im Jahr 2005 sank die Zahl erneut erheblich auf nur noch sechs Konflikte, die alle innerstaatlich waren ). Derder niedrigste Stand seit 20 Jahren mag auch mit "robusteren Mandaten" der UN-Missionen zusammenhängen, die den Truppen mehr Befugnisse zubilligten.
Die Nachbeben des Ost-West-Konflikts waren am zweitstärksten in Europa zu spüren. Anders als in Afrika kam es hier auch zu einer deutlichen Zunahme zwischenstaatlicher Kriege. Bis dahin war Krieg in Europa so gut wie verschwunden. Allenfalls der Kampf der IRA in Nordirland und auf der britischen Insel durchbrach mit den militärischen Gegenaktionen Großbritanniens in den sechziger und siebziger Jahren die Kriegsschwelle.
Die Rückkehr zwischenstaatlicher Kriege nach Europa begann 1988 an seinen Rändern: mit den militärischen Auseinandersetzungen zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach. 1991 und 1992 kamen die Nachfolgekriege im Zuge des Staatszerfalls Jugoslawiens hinzu. Auch am Rande Europas wurde wieder gekämpft in Georgien, am Rande. In Europa wurden 1991 insgesamt sechs (davon drei innerstaatliche und drei zwischenstaatliche) und zwischen 1992 und 1994 sogar neun Kriege (zwei innerstaatliche, sieben zwischenstaatliche) geführt. Aber bereits 1996 ging die Anzahl wieder auf zwei innerstaatliche Kriege zurück.
Im Unterschied zu Afrika konnte in Europa innerhalb weniger Jahre die Gewalt eingedämmt werden. Hier wirkte sich u.a. der Umstand aus, dass mit der OSZE, der Europäischen Union und der NATO handlungsfähige zivile und militärische Regionalorganisationen zur Verfügung standen. Sie konnten mäßigend auf die Konfliktparteien einwirken deeskalierende Maßnahmen der Konfliktparteien honorieren In anderen Regionen der Welt führte das Ende des Ost-West-Konflikts insgesamt zu einer verbesserten Sicherheitssituation. In Nord- und Südamerika, Asien und im Vorderen und Mittleren Orient lag die Zahl der Kriege in den 1990er Jahren im Durchschnitt niedriger als in den achtziger Jahren. Allerdings erhöhte sich auch hier der Anteil innerstaatlicher Kriege an der Gesamtzahl. In Asien sank zwischen 1990 und 2000 die Zahl der Kriege von durchschnittlich 13,2 (davon 10,5 innerstaatliche Kriege und 2,7 zwischenstaatliche) auf 11,2 (11,0/0,2) Kriege pro Jahr, in Amerika von 5,3 (5,0/0,3) auf 3,8 (3,6/0,2) und in der Region Vorderer und Mittlerer Orient von 6,6 (5,2/1,4) auf 4,4 (4,2/0,2).
Die Gründe für diese von Europa und Afrika abweichende Entwicklung sind hauptsächlich darin zu suchen, dass die Staatsbildungsprozesse in diesen Regionen bereits weitestgehend abgeschlossen und die Staaten konsolidiert waren. In Europa entstanden dagegen zwischen 1990 und 1994 sechzehn neue Staaten. In allen übrigen Regionen waren es im gleichen Zeitraum insgesamt nur zehn. In Afrika waren Anfang der 1990er Jahre über 80 Prozent der Staaten jünger als 30 Jahre. Hier wird deutlich, dass sich Forschung und Politik zukünftig stärker mit der Frage nach den Bedingungen innerer Stabilität junger Staaten beschäftigen müssen.
Gerade das afrikanische Beispiel zeigt, dass die Beendigung von Konflikten hoher Intensität nicht gleichbedeutend ist mit dem Ende von Gewalt. Die tagtäglichen Nachrichten über Bombenterror, Gräueltaten und Flüchtlingsströme belegen dies eindringlich. Die Ursache ist in den veränderten Austragungsformen innerstaatlicher Konflikte und Kriege zu suchen. Immer mehr Konflikte werden ohne systematische Gewalt ausgetragenKonventionelle Vorstellungen von Krieg mit dem Einsatz von Heer, Luftwaffe und Marine greifen hier nicht mehr. Die Hauptakteure sind einzelne Banden, ihre Mittel Terroranschlägen oder grausamen Aktionen gegen ungeschützte Dörfer und Zivilbevölkerung. Seit etwa zehn Jahren sprechen Konfliktforscher deshalb von "neuen Kriegen".
Diese Konflikte geringer und mittlerer Intensität, in denen Gewalt in begrenztem Umfang eingesetzt wird und bei denen man deshalb kaum noch von Kriegen sprechen kann, finden sich in unterschiedlicher Ausprägung mehr oder weniger in allen Weltregionen: in Europa mit dem Terror der ETA, im Nahen Osten mit Anschlägen der Hisbollah oder in Asien mit den Entführungen und Bombenterror der Abu Sayyaf auf den Philippinen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie eine vergleichsweise geringere Anzahl an Toten hervorrufen als Kriege, gleichwohl aber ein hohes Niveau an Angst, Schrecken sowie physischen und psychischen Einschränkungen für die betroffenen Menschen bedeuten. Die Folge sind oftmals Fluchtbewegungen in riesigem Ausmaß.
Innerstaatliche Konflikte mittlerer Intensität lassen sich bereits seit 1945 nachweisen. Deshalb ist es nur bedingt angebracht, von "neuen Kriegen" zu sprechen. Lange Zeit lag ihre Zahl unterhalb der Häufigkeit von Kriegen. Vielfach ist auch eine direkte Abhängigkeit zwischen beiden Konflikttypen zu beobachten: Wenn die Anzahl mittlerer Konflikte abnahm, stieg die Anzahl der Kriege (z.B. 1985–1990). Wenn die Anzahl der Kriege abnahm, stieg die Anzahl der Konflikte mittlerer Intensität (z.B. 1994–1996). Dies lässt den Schluss zu, dass etliche Konflikte mittlerer Intensität später zu Kriegen eskalierten und umgekehrt viele Kriege als Konflikte mittlerer Intensität weitergeführt wurden.