Zur Rolle des Fernsehens in der Kriegspropaganda
Redebeitrag auf der Bremer Demonstration am 22.9.2001
11. September. Es ist kaum zu glauben, was passierte. Die meisten sind bestürzt. Alle wollen jetzt Informationen. Wer von uns hat nicht den Fernseher angeschaltet? In unserer durchgestylten Medienwelt können wir die Katastrophe fast live verfolgen.
Egal, auf welchem Sender: unzählige Male, immer wieder, sehen wir das Flugzeug in den zweiten Turm des WorldTradeCenter stürzen und explodieren. Wir sehen dieses Bild so lange und so oft, bis, ja, bis was in unseren Köpfen passiert? Was für Bilder bekommen wir in diesen Tagen zu sehen und warum?
Dieses Bild von den jubelnden Palästinensern: Man sieht maximal 15 Menschen, im Blickfeld drei jubelnde Jungs, eine Frau, dann ein Mann mit etwas zu essen in der Hand. Diese kurze Filmaufnahme müssen für die Schlagzeile herhalten: " Die Welt trauert, die Palästinenser feiern." Wir sehen sie Dutzende von Malen, immer und immer wieder, auf allen Sendern. Damit werden Emotionen geweckt. Denn, so erschließt es sich aus der Rhetorik von US-Präsident Bush: Die Welt wird aufgeteilt in Gut und Böse.
Bereits am ersten Tag der Berichterstattung kommt der Name Osama Bin Laden ins Spiel. Am nächsten Tag wird er bereits als der vermeintliche Attentäter bzw. Drahtzieher verhandelt - und das, obwohl keine neuen Erkenntnisse vorliegen. Am übernächsten Tag fällt das kleine und entscheidende Adjektiv "vermeintlich" manchmal weg - Bin Laden wird es schon gewesen sein - man braucht nur lang genug darüber berichten!
Schließlich muss ein lebender für die Verkörperung des Oberbösen herhalten, damit es sich überhaupt bekämpfen lässt.
Es heißt: Der Angriff auf NY war ein Angriff auf die ganze, sogenannte zivilisierte Welt. Überhaupt zu sagen, dass es zivilisierte und nicht-zivilisierte Menschen gäbe, zeugt vom Macht- und Überlegenheitsdenken in den Industrienationen. Das ist ein unglaublicher, rassistischer Affront!
Als ein Angriff auf die Freiheit, auf die gesamten selbsternannten freiheitlich organisierten Gesellschaften, wird stündlich berichtet - das tut in der Seele weh!
Ist damit die Freiheit der Menschen gemeint, die auf der ganzen Welt für einen Hungerlohn schuften, oder deren Existenz von den Regierungen der Industrienationen als überflüssig angesehen wird? Ist die Freiheit derjenigen gemeint, die aus solch einer Situation noch nicht einmal dort hingehen dürfen, wo sie ein menschenwürdiges Leben führen könnten, weil die Länder, in denen dies möglich wäre ihre Grenzen dicht machen?
Und wie viel Freiheit erleben die Menschen in den Metropolen, deren Leben nur noch von Arbeit, von Leistungsdruck und Funktionieren müssen dominiert wird?
Kein Sender erinnert uns in diesen Tagen, dass die sogenannte zivilisierte Welt seit Jahrzehnten wenn nicht seit Jahrhunderten Krieg gegen die Menschen in anderen Teilen der Welt führt. Eine Geschichte, die lang ist und blutig, die bei der Ausrottung indigener Bevölkerungen anfängt und bei Hiroshima, Vietnam, Chile und Irak noch nicht aufhört. Überall in der Welt leben Menschen in einer Situation der permanenten Demütigung und des ökonomischen Desasters! Im Namen der Freiheit werden Kriege inszeniert und Hungersnöte in Kauf genommen. Täglich sterben allein 24000 Kinder durch Hunger oder an den Folgen der Armut, die von den Industriestaaten bewusst produziert und ausgenutzt wird. Meistens sterben die Menschen jedoch stiller und nicht so spektakulär. Darüber berichten die Medien in diesen Tagen nicht. Dieses Weglassen von Informationen ist gewollt.
Schon in den ersten Tagen setzt sich in den Fernsehanstalten das Motto durch "Heute sind wir alle Amerikaner". Werden wir alle Afghanen und Afghanerinnen sein, wenn dort die Bomben niedergehen? Bildmaterial soll es zu diesem Kriegsgeschehen nicht geben, hat die US-Regierung angekündigt. Warum bloß? Wir erinnern uns: Im Jugoslawienkrieg hießen die von den Natobomben getöteten Menschen Kollateralschaden.
Am dritten Tag sehen wir im Fernsehen die Betroffenheit der Menschen. Da ist die Straßenbahnfahrerin in Leipzig, die etwas aufgeregt ihren Mitfahrern und Mitfahrerinnen die Schweige- und Fahrpause erklärt, die Feuerwehrleute in Berlin, die ihren Kumpels in New York gedenken, die Schüler und Schülerinnen, die Schule schwänzen, um in der Kirche zu beten.... Mikel Jackson nimmt einen neuen Song auf, um Spenden zu sammeln, Heino sagt einen Musikabend ab, Fußballer wollen nicht spielen... Eine Omi weint, weil sie an die Care-Pakete erinnert wird. Es wird das humanitäre Terrain besetzt.
Das hat wenig mit der Geschichte des Attentats und viel mehr mit uns selbst zu tun. Das hemmungslose Durcheinander aller privaten und öffentlichen Gefühle funktionalisiert diese Katastrophe und dient dem Zweck: die Menschen in ihrer Fassungslosigkeit zu belassen und nicht nach Hintergründen zu fragen, die über die Personen der Attentäter hinausgehen.
Das belässt die Menschen in ihrer Ohnmacht - es wird suggeriert, dass es keine Alternative gibt dazu, dass der Staat nach Innen mit mehr Kontrolle und Überwachung und nach Außen mit Krieg reagiert.
Diese Emotionalisierung der Medien ist Methode. So reichen sachlich-souverän inszenierte Nachrichten- und Sondersendungen aus - offene Kriegshetze ist dann nicht mehr nötig.
Eine einsame Wahrheit: Krieg beginnt mit Worten und mit Bildern. Wir konstatieren: Aus der Form der Berichterstattung wird deutlich: Kein einziger Fernsehsender hat eine Antikriegshaltung!
Kritische Stimmchen am Rande sind das höchste der Gefühle. Was wir in diesen Tage in Fernsehen beobachten, dient vielfach der Kriegspropaganda!
Daher fordern wir Euch auf:
* Schluckt nicht die scheinbar neutralen und objektiven Berichterstattungen!
* Hinterfragt das vom Fernsehen dargestellte Gut-Böse-Schema!
* Lasst euch nicht Aufhetzen zum Krieg!
* Bleibt aktiv gegen innere und äußere Kriegsführung!
Quelle: Meldung in Indymedia, 22.09.2001 18:33 (
http://germany.indymedia.org/2001/09/7882.html (Archiv-Version vom 26.02.2002))