Srebrenica-Hintergründe
30.07.2007 um 14:14
Die Recherchen der Kosovo-Revisionisten konzentrierten sich nun auf die
Frage, ob dieGetöteten "Kombattanten" im Sinne des Kriegsrechts oder
"Zivilisten" waren. Zeitweiseging man dem Verdacht nach, die Opfer wären
nach ihrem Tode umgezogen worden, hättenvorher also Uniform getragen.
Als sich dafür nach den Berichten eines finnischenPathologenteams keine
Anhaltspunkte fanden, ging es darum, ob "Schmauchspuren" anden
Händen der Toten auf Schusswaffengebrauch deuteten. Es wurde nichts
gefunden,obwohl man einräumen musste, dass gründlicher hätte
untersucht werden können. Aufeiner Pressekonferenz in Prishtina wurde
die Leiterin des finnischen Ärzteteams,Randa, mit der durchaus legitimen
Frage bestürmt, ob es sich nach ihren Erkenntnissenum ein "Massaker"
gehandelt habe. Ebenso legitim war allerdings die Antwort derÄrztin, der
Begriff "Massaker" sei keiner der Pathologie, politischeWertungen
abzugeben nicht ihr Auftrag.
Dass Randa sich weigerte, von einem"Massaker" zu sprechen, tauchte in
späteren Zeitungsartikeln immer wieder als Indizfür Zweifel am Hergang
der Tat auf. Ein französischer Journalist entdeckte in Racak zuseinem
Erstaunen Schützengräben. War das albanische Dorf in Wirklichkeitein
Partisanennest? War die Weltöffentlichkeit Objekt eines
Täuschungsmanöversgeworden? - Wie absurd die Fragen sind, wird erst
klar, wenn man den Kontext wiedereinblendet, aus dem der Fall Racak
isoliert wurde. Fast ein Jahr schon befanden sichdie Kosovo-Albaner im
Aufstand. Die UÇK, ursprünglich eine Terrortruppe, war zumSynonym für
den bewaffneten Widerstand geworden; eine Armee unterzentralem
Kommando war sie nie. UÇK war alles, was albanisch war und Waffen
trug,auch die zahlreichen Dorfwehren, die aus den jungen Männern kleiner
Orte bestanden undvon niemandem zentral kontrolliert wurden. Auch nach
der Stationierung vonOSZE-Beobachtern Anfang 1999 hielten die Sprecher
der UÇK daran fest, von "befreitenGebieten" zu sprechen. Der serbischen
Polizei und Sonderpolizei war das Anlass, die indiesen Gebieten liegenden
Dörfer anzugreifen. Häufig lagen solche Orte, besondersim
Drenica-Gebirge, einfach unter Artilleriebeschuss. Mangels schwerer
Waffenbeschränkte sich die UÇK darauf, serbische Polizeistreifen in
Hinterhalte zu lockenund zu erschießen. Die Polizei reagierte auf diese
Partisanentaktik mit Terror gegendie Dörfer, aus denen sich die Partisanen
versorgten. Dorfbewohner entschieden vonFall zu Fall, ob sie sich gegen
eventuelle Strafexpeditionen militärisch verteidigenwollten oder nicht. Dem
Massaker von Racak gingen zwei Hinterhalte gegen serbischePolizisten
voraus.
Was immer an jenem 15. Januar 1999 genau passiert ist, einechter Kampf
fand jedenfalls nicht statt. Kein serbischer Polizist wurde getötet odernur
verletzt, obwohl doch Eroberer eines feindlichen Ortes normalerweise einen
vielhöheren Blutzoll zahlen als die Verteidiger. Racak hat sich offensichtlich
nichtverteidigt. Einige Revisionisten haben festgestellt, dass etliche Opfer
von weiterher, nicht mit aufgesetzten Schüssen, getötet wurden;
tatsächlich dürften nach denersten Schüssen viele zu fliehen versucht
haben, die dann doch noch getroffen wurden.20 Männer waren nach
(natürlich albanischen) Zeugenberichten schon am Vortag desMassakers
von den anderen getrennt und in Gewahrsam genommen worden. Sie
waren alleunter den Toten. Kombattanten oder nicht: Wenn die 20 in
Gewahrsam waren, war es Mord,und wenigstens, was mit ihnen geschah,
darf man getrost ein Massakernennen.
Die Racak-Falle
Aber selbst mit wieder eingeblendetem Kontext führtdie Racak-Debatte auf
eine falsche Fährte. Wenn Männer aus Racak es waren, die in denTagen
zuvor serbische Polizisten getötet haben, ja, selbst wenn Racak von sich
ausdie Polizei angegriffen hätte - als Begründung für die weitere
Entwicklung zuRambouillet und zum NATO-Bombardement hätte der Fall
trotzdem ausgereicht. Racak hatklargemacht, dass auch die Präsenz der
OSZE am Kämpfen (und Morden) im Kosovo nichtsgeändert hatte. Daran
waren nicht allein - und nicht einmal überwiegend! - "dieSerben" Schuld.
Das vage Abkommen, das den Waffenstillstand im Kosovogarantieren
sollte, wurde weit häufiger von der UÇK gebrochen; mangelsmilitärischer
Kraft und Kompetenz beschränkte sich die Guerilla auferfolgreiche
Provokationen. Das mag einen zu der Annahme führen, indiesem
historischen Augenblick seien die Albaner die "Bösen" und die Serbendie
"Guten" gewesen - auch wenn man für ein solches Urteil einenzehnjährigen
Polizeiterror vergessen muss.
Die Annahme führt aber zu nichtsanderem als wiederum zu Rambouillet
und zu den NATO-Luftangriffen. Man hätte 1999 dieAlbaner - ob sie Recht
hatten oder nicht - kaum auffordern können, die Waffenabzugeben und
sich mit ihrem Status zu bescheiden. Sie befanden sich im Aufstand,aus
dem sie niemand einfach zurückpfeifen konnte. Ohne westliches (nicht
unbedingtmilitärisches) Eingreifen wäre der Partisanenkrieg noch Jahre
weitergegangen. Die UÇKals den "Schuldigen" zu bombardieren hätte,
selbst wenn es möglich gewesen wäre, amGeschehen nichts geändert. Den
Schlüssel für eine politische Lösung hielt Belgrad inder Hand, das die
Souveränität über das Kosovo ausübte. Deshalb wurdeBelgrad
bombardiert.
Das Vertrackte an Racak ist, dass es sowohl symbolisch alswirklich Anlass
für das NATO-Bombardement war. Symbolisch, weil es dieÖffentlichkeit
gegen einen internationalen "Bösewicht" einnahm, wirklich, weil esdie
Hilflosigkeit der bisherigen Strategien bewies. Aber nur auf diesymbolische
Bedeutung des Massakers von Racak konzentriert sichdie
Revisionismus-Debatte; deshalb dreht sie sich im Kreise. Nur wenn man
glaubt,Symbole und Bilder bewiesen den ganzen Schrecken des Krieges,
kann man auch annehmen,dass ein Fehler im Symbol oder auf einem Bild
denselben Schrecken widerlegt. Davonlebt eine naive Variante von
Medienkritik. Wenn der eine Mann auf dem berühmten Fotogar kein
Muslim ist, dann sind in Wirklichkeit wahrscheinlich gar nicht dieMuslime,
sondern die Serben die Opfer. Irgend jemand will uns da wasvormachen.
Solche Vorstellungen kann man nur grundsätzlich ausräumen. Wennman
versucht, sie im Einzelfall zu widerlegen, kommt nur Absurdesdabei
heraus.
Der zitierte Peter Brock behauptete in seinem Artikel auch, dassder
berühmte "Mann vor dem Stacheldraht" aus dem serbischen Lager
Trnopolje (dessenFall der deutsche Journalist Thomas Deichmann
akribisch recherchiert hat) inWirklichkeit ein Serbe gewesen sei. Die
Gesellschaft für bedrohte Völker wies dannnach, dass es doch ein Muslim
war. Beide Seiten waren ideologisch motiviert undführten einen Streit um
Kriegsschuld: Für Brock waren die Serben die Guten, für dieGfbV dagegen
waren sie Wiedergänger der Nazis. Damit beide Unrecht behaltenkonnten,
führten sie einen Streit um ein Bild, das nichts bewies. Beide sindPartisanen
einer Kriegspartei, beide brauchten Symbole, weil ihnen die Fakten imWege
waren.