Vertreibungspolitik in Hebron
18.05.2007 um 14:21
Im Oktober des vergangenen Jahres fand der UN-Sonderbotschafter für Menschenrechte in denpalästinensischen Gebieten, John Dugard, vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationenäußerst deutliche Worte für das Vorgehen Israels gegen Palästina und die palästinensischeBevölkerung.
"Israel hat den Gaza-Streifen in ein Gefängnis für die Palästinenserverwandelt und den Schlüssel weggeworfen", sagte er damals. Palästinenser, die zwischender von Israel errichteten "Mauer" und der "Grünen Linie" leben, können nicht länger freiSchulen und Arbeitsplätze erreichen. Viele hätten bereits ihre Bauernhöfe verlassen, soDugard. "In anderen Ländern könnte dieser Prozeß als ethnische Säuberung beschriebenwerden, aber die politische Korrektheit verbietet eine solche Sprache, wenn es um Israelgeht."
Betrachtet man einen Anfang dieses Monats veröffentlichten Bericht derisraelischen Menschenrechtsorganisation B'Tselem, so ist Dugards Einschätzung nicht nurzuzustimmen, er läßt auch keinen Spielraum mehr für "politischeKorrektheit".
Hebron ist die zweitgrößte Stadt der West Bank und die einzigepalästinensische Stadt, in deren Mitte sich eine israelische "Siedlung" befindet. Einedem Bericht zugrundeliegende Studie ist zu dem Ergebnis gekommen, daß mindestens 1.014Wohnheiten im Zentrum Hebrons, der Altstadt, von ihren Bewohnern verlassen worden sind,was 41,9 Prozent aller Wohneinheiten in dem untersuchten Gebiet entspricht. 65 Prozentdieser verlassenen Wohnungen wurden demnach in den vergangenen sechseinhalb Jahren seitBeginn der zweiten Intifada - der Auflehnung gegen die israelische Besatzung - verlassen.1.829 - 76,6 Prozent - der ehemals 2.388 Geschäfte sind mittlerweile geschlossen.1.141hiervon - 62,4 Prozent - wurden während der zweiten Intifada geschlossen, mindestens 440davon auf Befehle des israelischen Militärs hin.
Gründe für diese Flucht sind "dieschwerwiegenden und weitreichenden Beschränkungen der palästinensischen Bewegungsfreiheitund das systematische Versagen der Behörden, Gesetz und Ordnung gegenüber gewalttätigen"Siedlern", die Palästinenser angreifen, durchzusetzen", so der Bericht. Diepalästinensischen Bewohner der Stadt leiden außerdem unter dem Vorgehen der israelischenSicherheitskräfte.
Während den ersten drei Jahren der Intifada verhängte dasisraelische Militär insgesamt 377 Tage lang Ausgangssperren, die längste hiervon dauerte182 Tage an, unterbrochen nur von wenigen Stunden ein oder zwei Mal die Woche, um dieVorräte auffüllen zu können. Die Menschen waren also teilweise monatelang Gefangene inihren eigenen Häusern. Die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen hiervon sindnicht schwer zu erahnen. Außerdem schuf das Militär einen Streifen, an dem entlang sichkeine palästinensischen Fahrzeuge bewegen dürfen. Dieser Streifen durchläuft nicht nurzahlreiche Straßen, auf denen es sogar palästinensischen Fußgängern verboten ist, sich zubewegen, sondern blockiert vor allem mehrere der Hauptverkehrsadern der Stadt von Nordnach Süd. Darüber hinaus schaffen die für Verkehr als auch Fußgänger gesperrten Straßenteilweise vollständig eingeschlossene Gebiete, zugänglich nur durch israelischeKontrollpunkte - mit den bekannten Folgen "gründlicher" Durchsuchungen undErniedrigungen.
All dies dient nach israelischer Darstellung dem Schutz derisraelischen "Siedlungen" innerhalb der Stadt. Die Palästinenser andererseits brauchenaber nicht auf Schutz vor militanten "Siedlern" zu hoffen.
Während der gesamtenzweiten Intifada ist es immer wieder zu Angriffen von "Siedlern" auf palästinensischeZivilisten gekommen, teils mit Schlägen, teils mit Knüppeln, teils durch das Werfen vonSteinen, Sand, Wasser, leeren Flaschen und sogar Chlor. "Siedler" zerstörten Geschäfteund Türen, begangen Diebstähle und fällten Obstbäume. In mehreren Fällen eröffneten"Siedler" sogar das Feuer auf Palästinenser oder versuchten sie zu überfahren. In einemFall vergifteten sie einen Brunnen, in einem anderen töteten sie ein palästinensischesMädchen. Obgleich israelische Soldaten praktisch an jeder Straßenecke postiert sind,greifen sie nur höchst selten ein, um Palästinenser vor solchen Übergriffen zu schützen.Gleiches trifft auch auf die Polizei zu. Dies kann nur als stillschweigende Zustimmungbetrachtet werden - eine Botschaft, die von den "Siedlern" offenbar auch sehr gutverstanden wird.
Über diese passive Unterstützung der "Siedler" gehen dieisraelischen Soldaten und Polizisten aber auch aktiv gegen die palästinensischeBevölkerung vor - wie letztlich überall in den besetzten Gebieten. Gewalt, willkürlicheHausdurchsuchungen, die Beschlagnahme von Häusern, Schikanierung und Verhaftung vonPassanten sind zu einem festen Bestandteil des täglichen Lebens geworden und tragen ihrübriges dazu bei, daß immer mehr Menschen versuchen, diesen Bedingungen zu entkommen.Auch wenn derartiges Verhalten in einigen Fällen nicht einmal durch die israelischeArmeeführung gedeckt wurde, so ist doch offensichtlich, daß es in seiner Gesamtheit auchdort Zustimmung findet, da auch auf dieser Ebene kaum Versuche unternommen werden, eseinzudämmen.
All dies kann nur noch als gezieltes Vorgehen zur Vertreibung derpalästinensischen Bevölkerung - also ethnische Säuberung - bezeichnet werden.