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http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24994/1.htmlKuba ohneCastro
Harald Neuber 07.04.2007
Fidel Castro soll Ende April in die Regierungzurückkehren. Aber welchen Unterschied macht das jetzt noch?
Seit 45 Jahren verfolgtdie US-amerikanische Kuba-Politik vor allem ein Ziel: den Sturz Fidel Castros. Weil derAbtritt des Revolutionsführers in den USA mit dem Ende des kubanischen Sozialismusgleichgesetzt wird, scheut Washington weder Kosten noch Mühen. In der Hauptstadt arbeitetein Übergangskoordinator für Kuba, eine Sonderkommission "für ein freies Kuba" und eigeneFachabteilungen für Kuba in mehreren Ministerien. Wie weit George W. Bush, der zehnteUS-Präsident seit der kubanischen Revolution 1959, von dem Ziel, Kuba zu isolieren,entfernt ist, zeigt der Umgang mit der Person Castro in den vergangenenWochen.
Der 80-jährige Staatschef ist seit dem 31. Juli letzten Jahres aus derRegierung ausgeschieden. "Vorrübergehend", wie es seither in Kuba heißt. DieRegierungsgeschäfte leitet seitdem ein halbes Dutzend Spitzenpolitiker unter der Führungvon Fidel Castros fünf Jahre jüngerem Bruder Raúl. Die regelmäßigen Krankenberichte überFidel Castro, dessen nahen Tod der US-Auslandsgeheimdienst CIA in dieser Zeit mehrfachprognostizierte, wurden nicht nur von kubanischen Regierungsfunktionären verbreitet. Eswaren alliierte lateinamerikanische Staatschefs, die der Presse gegenüber erklärten, wiees dem "Comandante en Jefe" geht.
Mitte März nun ließ Boliviens Präsident EvoMorales verlauten, Castro werde am 28. April zu einem Gipfeltreffen der "BolivarischenAlternative für Amerika" in Havanna wieder im Amt sein. Anfang dieser Woche dann war esder venezolanische Staatschef, der über den Zustand seines kubanischen Amtskollegeninformierte. Castro habe sich in den vergangenen Monaten "über mehrere Tage hinweg inLebensgefahr" befunden, nun gehe es ihm besser. Die Medienstrategie ist klar: Indem dieInformationen über Fidel Castro von regionalen Amtskollegen an die Presse gegeben werden,wird die Integration Kubas in Lateinamerika bekräftigt. Auch über Castros Amtszeithinaus.
Mexiko, Kuba, Haiti - ungleiche Nachbarn
Dabei spielt diePerson Castro als Garant für die politische Stabilität vor allem im äußeren Blick aufKuba eine Rolle. Im Land selbst glaubt kaum jemand, dass sich die politischenVerhältnisse ändern, wenn Castro durch Krankheit oder Tod aus dem Amt scheidet. In derTat hält die These des Personenkultes schon der oberflächlichen Überprüfung nicht stand.Denn während das politische System Kubas im Ausland auf Castro reduziert wird, findetsich in der Hauptstadt nicht ein Denkmal des Revolutionsführers.
Doch was hat denkubanischen Sozialismus über den epochalen Umbruch von 1989/90 gerettet? So wie eineomnipräsente Führungsperson lässt sich staatliche Repression weitgehend ausschließen.Entgegen anderen Staaten der Region - von Mexiko westlich von Kuba bis hin zu Haiti alsöstlichen Anrainer - hat es in Kuba in den vergangenen zwei Jahrzehnten keinenennenswerte Zusammenstöße mit der Staatsmacht gegeben. Polizeiliches Vorgehen gab es inunrühmlichen Ausnahmen, bei Flüchtlingskrisen etwa, oder bei einer Demonstration gegendie schlechte Versorgungslage Mitte der neunziger Jahre.
Während in MexikoDrogenbanden an Macht gewinnen und das Land im vergangenen Jahr mit neun Toten diehöchste Mordrate an Journalisten aufwies, fand in Haiti Ende Februar 2004 ein blutigerPutsch gegen Präsident Jean-Bertrand Aristide statt. Politische Unruhen haben seitherHunderte Tote gefordert, ganze Landstriche und Teile der Hauptstadt Port-au-Prince sindin der Hand von kriminellen Banden - auch unter der aktuellen Regierung von René Préval,der auf einen neuen sozialen Ausgleich bedacht ist.
In Kuba ist das bekannt. Zwargibt es in der Loyalität zur Staatsführung eine erkennbare Kluft zwischen denen, die dasdiktatorische Regime von Fulgencio Batista vor 1959 erlebt haben, und den Nachgeborenen.Doch auch in der jüngeren Generation ist von Systemwechsel kaum die Rede. Politisch habesie keine Kritik, sagte etwa die 26-jährige Yamilei. Die junge Frau arbeitet in einemImbiss-Betrieb in Miramar, einem ausgedehnten Wohnviertel im Westen Havannas. Wie vieleKubaner beklagt sie vor allem die sozialen Unterschiede. Durch das doppelte Geldsystem -neben dem nationalen Peso zirkuliert der "Konvertible Peso", eine landeseigeneDevisenwährung mit Dollarparität - ist die soziale Kluft gewachsen.
In Kubaexistieren keine existenziellen Nöte, zumal das Gesundheits- und Bildungssystem gratisist und keine Mieten anfallen, weil der Wohnraum in Staatshand ist Auch haben in denvergangenen Jahren immer mehr Kubaner Zugang zu Devisen bekommen. Doch die Jagd nach dem"CUC", wie die Devisenwährung auf der Insel kurz genannt wird, bestimmt den Alltag."Gerade wenn man ausgehen will, oder wenn man Kaffee oder ein Bier kauft, kommt man mitdem nationalen Peso nicht weiter", klagt Yamilei.
Unbequeme Wahrheiten
Dass sich diese Ungleichheit nicht in politischer Dissidenz niederschlägt, isteines der größten Phänomene Kubas. Die US-Amerikanerin Julia Sweig, Direktorin derLateinamerika-Abteilung des US-amerikanischen Council for Foreign Relations, einesregierungsnahen Think-Tanks, hat in der Januar-Ausgabe der US-Politikzeitschrift ForeignAffairs in einem beachtlichen Aufsatz die Gründe für diese Stabilität beleuchtet. Währendmehrerer Reisen nach Kuba habe sie erlebt, dass "Leute auf allen Ebenen der kubanischenRegierung und der Kommunistischen Partei enorme Zuversicht in die Fähigkeit des Systemshaben, den Abtritt Fidels zu überleben". Innerhalb und außerhalb der Regierung würdenProbleme in Produktivität und Güterverteilung thematisiert, schrieb Sweig weiter, und esbestünde ein weitreichendes Vertrauen in die Staatsführung, dieser Missstände Herr zuwerden.
Auf US-Regierungsebene und in der US-Exilgemeinde gehe man von jeherdavon aus, im Fall Fidel Castros Machtabtritt freie Hand zu haben. Nachdem dieser Momentvorbeigegangen ist, seien die Erwartungen aber nicht erfüllt worden. Die Kubaner hättennicht revoltiert "und die nationale Identität ist eng mit der Verteidigung gegenUS-Angriffe auf die nationale Souveränität verbunden".
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Kuba ist weit von einer Mehrparteiendemokratie entfernt, aber es ist einfunktionierender Staat, mit Bürgern, die eigene Meinungen vertreten, in dem lokalgewählte Amtsträger (wenn auch von einer Partei) sich um Aufgaben wie Müllbeseitigung,öffentlichen Transport, Beschäftigung, Bildung, Gesundheitswesen und Sicherheit kümmern.(...) Kubanische Bürger sind hoch belesen, kosmopolitisch, unternehmerisch und nachglobalen Maßstäben recht gesund. Während Kritiker des Castro-Regimes solche Darstellungenerschaudern lassen, haben sie alles daran gesetzt, Washingtons und die internationaleAufmerksamkeit auf Menschenrechtsverstöße, politische Gefangene und wirtschaftliche sowiepolitische Beschränkungen zu richten.
Julia Sweig in Foreign Policy
DerAufsatz ist erstaunlich, weil dissidente Meinungen zur dominierenden Kuba-PolitikWashingtons aus der öffentlichen Debatte in den USA seit 1990 massiv zurückgedrängtwurden. Mehrere Kuba-stämmige Kongressabgeordnete und Regierungsmitglieder haben seithereine stetige Verschärfung forciert, in der Hoffnung, den Systemwechsel auf Kuba auf dieseWeise zu forcieren. Unter dem Eindruck der offensichtlichen Stabilität im Karibikstaatscheint ein Umdenken einzusetzen. Sweig weist auf eine "überraschende" Stellungnahme desUS-Präsidenten George W. Bush hin. Dieser habe im vergangenen Sommer in einer Reaktionauf die Amtsübergabe Fidel Castros erklärt, ein Nachfolger werde aus Kuba kommen - eindirekter Affront gegen die Exilgemeinde, die ihre Intentionen auf eine Machtübernahe inder Post-Castro-Ära nie verheimlicht hat.