Türkische Frauen: Die Opferrolle hat ausgedient
11.03.2007 um 17:26Link: www.spiegel.de (extern)
Und wieder fällt ein Vorurteil.
TÜRKISCHE FRAUEN
DieOpferrolle hat ausgedient
Von Ferda Ataman
Niedrige Bildung, schlechtesDeutsch, an den Ehemann gefesselt: So sehen die Klischeevorstellungen von türkischenFrauen in Deutschland aus. Sie sind falsch, zeigt eine neue Studie: Die Alltagsproblemeder Türkinnen unterscheiden sich oft kaum von denen deutscher Frauen.
Düsseldorf- Wenn türkische Migrantinnen für die Schlagzeilen der deutschen Medien interessantwerden, geht es meist um Zwangsheiraten, Ehrenmorde und mittelalterlicheFamilienvorstellungen. Kurz: um die Rolle der Frau als Opfer.
Ein Pauschalurteilüber 1,3 Millionen türkischstämmige Frauen in Deutschland, das so nicht stimmt: DasEssener Zentrum für Türkeistudien hat erstmals eine wissenschaftliche Untersuchung überdie "Lebenssituation der türkeistämmigen Frauen in Europa am Beispiel Deutschland"vorgelegt. Für die Studie, die es bislang nur auf Türkisch gibt, wurden 1000türkischstämmige Frauen telefonisch befragt.
Die Ergebnisse haben mit denKlischeevorstellungen über türkische Frauen wenig zu tun und zeichnen ein sehrheterogenes Bild. Denn laut der Befragung sprechen türkischstämmige Frauen in der Regelbesser Deutsch und machen häufiger Abitur als türkischstämmige Männer. Rund ein Drittelder türkischen Frauen über 18 Jahren ist berufstätig.
Und in der Altersgruppezwischen 18 und 29 Jahren ist die Hälfte der Türkinnen unverheiratet. Mehr als zweiDrittel aller Befragten gaben an, dass sie finanziell selbstständig seien und eigeneEinkommensquellen hätten. Welche Rolle die Frau spielen soll, ob sie nur Mutter undGattin sein soll, ist unter türkischen Frauen umstritten. Rund die Hälfte von ihnen kannlaut der Studie mit dem traditionellen Frauenbild wenig anfangen.
Genau wieviele deutsche Frauen leiden auch 43 Prozent der türkischen Hausfrauen an der schwierigenVereinbarung von Beruf und Familie. Das mangelnde Angebot an Kinderbetreuung lasse ihnenkeine Zeit für einen Job. Im Ergebnis: Die erwerbstätigen türkischen Frauen haben lautStudie in der Regel keine Kinder.
Fast die Hälfte der Türkinnen istunverheiratet
Abgefragt wurden in den Interviews nicht nur Einstellungen undLebensumstände, sondern auch, wie sich türkische Frauen in der deutschen Gesellschaftwahrgenommen fühlen - nämlich meist als homogene Gruppe, die an überlieferten Bräuchenfesthält. Vor allem beim Thema Zwangsehen sehen dreißig in ausführlicheren Interviewsbefragte Frauen eine eklatante Fehlwahrnehmung. Die arrangierte Ehe dürfe nicht mit einererzwungenen Ehe verwechselt werden, da hier die Heiratskandidatinnen ein"Mitspracherecht" hätten, betonen die Frauen ausdrücklich.
Auffällig ist undbleibt, dass die Wahl eines Ehepartners im Herkunftsland eine verbreitete Option ist,denn jährlich kommen rund 16.000 frisch geheiratete Lebensgefährten nach Deutschland.Aber anders als vielfach angenommen, sind es längst nicht nur Frauen - fast die Hälfteder nachziehenden Partner sind Männer. Und das Durchschnittsalter der Frauen beiEheschließungen mit einem Mann aus der Türkei liegt laut Studie weit jenseits derMinderjährigkeit, nämlich bei 25 Jahren.
Wenn sich die Öffentlichkeit je einfortschrittlicheres Bild von in Deutschland lebenden Türkinnen macht, handelt es sichmeist um Frauen aus der zweiten und dritten Einwanderergeneration: Schauspielerinnen,Moderatorinnen und Politikerinnen aus türkischen Familien sind auch der deutschenMehrheitsgesellschaft bekannt. Dabei wird oft vergessen, dass es durchaus auch"Pionierinnen" der Einwanderung gab: Frauen - wie im autobiographischen Roman von EmineSevgi Özdamar "Die Brücke vom Goldenen Horn" - die in den sechziger Jahren für ein, zweiJahre in deutschen Fabriken am Fließband standen, um die Schauspielschule in Istanbul zubezahlen oder sich einfach italienische Schuhe zu leisten.
Schließlich sind inden Jahren zwischen 1961 und 1976 nicht nur 678. 702 türkische Männer angeworben worden,es kamen auch 146. 681 Frauen als so genannte Gastarbeiter nach Deutschland. Und siehatten es schwerer als ihre männlichen Pendants: Ihre Landsmänner schmähten sie, weil sieals Frauen noch weniger Geld erhielten und so zur Konkurrenz wurden. Viele dieser Frauenkamen - von ihren Familien geschickt - in der Hoffnung, nach kurzer Zeit die Ehemännernachzuholen. Es waren aber auch Alleinstehende, Geschiedene oder Verwitwete unter ihnen,die ein neues Leben beginnen oder einfach ihr Fernweh ausleben wollten.
35 Jahrenachdem die erste Gastarbeitergeneration nach Deutschland kam, liegt vieles über dieRolle von Migrantinnen noch im Dunkeln: "Wenn Frauen in der Migrationsforschung ein Themawaren, dann meist als Opfer patriarchaler Gewalt", kritisiert Dr. Margarete Jäger. Diestellvertretende Leiterin des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschunguntersuchte bereits vor elf Jahren die "Ethnisierung von Sexismus" im"Einwanderungsdiskurs". Und sie stellt fest: Der Blick auf weibliche Einwanderer aus derTürkei war immer stark darauf ausgerichtet, sie als Opfer männlicher Gewalt zubetrachten. Dabei würden die tragischen Beispiele misshandelter Frauen leichtherzig aufdie gesamte türkische Community, oder gleich auf alle Muslime übertragen.
DieStudie des Zentrums für Türkeistudien versuche dem nun etwas entgegenzusetzen. "Sie machtdamit deutlich, dass stereotype Zuschreibungen einer ethnischen Gruppe ein Problem derMehrheitsgesellschaft sind", so Jäger zu SPIEGEL ONLINE.
Und wieder fällt ein Vorurteil.
TÜRKISCHE FRAUEN
DieOpferrolle hat ausgedient
Von Ferda Ataman
Niedrige Bildung, schlechtesDeutsch, an den Ehemann gefesselt: So sehen die Klischeevorstellungen von türkischenFrauen in Deutschland aus. Sie sind falsch, zeigt eine neue Studie: Die Alltagsproblemeder Türkinnen unterscheiden sich oft kaum von denen deutscher Frauen.
Düsseldorf- Wenn türkische Migrantinnen für die Schlagzeilen der deutschen Medien interessantwerden, geht es meist um Zwangsheiraten, Ehrenmorde und mittelalterlicheFamilienvorstellungen. Kurz: um die Rolle der Frau als Opfer.
Ein Pauschalurteilüber 1,3 Millionen türkischstämmige Frauen in Deutschland, das so nicht stimmt: DasEssener Zentrum für Türkeistudien hat erstmals eine wissenschaftliche Untersuchung überdie "Lebenssituation der türkeistämmigen Frauen in Europa am Beispiel Deutschland"vorgelegt. Für die Studie, die es bislang nur auf Türkisch gibt, wurden 1000türkischstämmige Frauen telefonisch befragt.
Die Ergebnisse haben mit denKlischeevorstellungen über türkische Frauen wenig zu tun und zeichnen ein sehrheterogenes Bild. Denn laut der Befragung sprechen türkischstämmige Frauen in der Regelbesser Deutsch und machen häufiger Abitur als türkischstämmige Männer. Rund ein Drittelder türkischen Frauen über 18 Jahren ist berufstätig.
Und in der Altersgruppezwischen 18 und 29 Jahren ist die Hälfte der Türkinnen unverheiratet. Mehr als zweiDrittel aller Befragten gaben an, dass sie finanziell selbstständig seien und eigeneEinkommensquellen hätten. Welche Rolle die Frau spielen soll, ob sie nur Mutter undGattin sein soll, ist unter türkischen Frauen umstritten. Rund die Hälfte von ihnen kannlaut der Studie mit dem traditionellen Frauenbild wenig anfangen.
Genau wieviele deutsche Frauen leiden auch 43 Prozent der türkischen Hausfrauen an der schwierigenVereinbarung von Beruf und Familie. Das mangelnde Angebot an Kinderbetreuung lasse ihnenkeine Zeit für einen Job. Im Ergebnis: Die erwerbstätigen türkischen Frauen haben lautStudie in der Regel keine Kinder.
Fast die Hälfte der Türkinnen istunverheiratet
Abgefragt wurden in den Interviews nicht nur Einstellungen undLebensumstände, sondern auch, wie sich türkische Frauen in der deutschen Gesellschaftwahrgenommen fühlen - nämlich meist als homogene Gruppe, die an überlieferten Bräuchenfesthält. Vor allem beim Thema Zwangsehen sehen dreißig in ausführlicheren Interviewsbefragte Frauen eine eklatante Fehlwahrnehmung. Die arrangierte Ehe dürfe nicht mit einererzwungenen Ehe verwechselt werden, da hier die Heiratskandidatinnen ein"Mitspracherecht" hätten, betonen die Frauen ausdrücklich.
Auffällig ist undbleibt, dass die Wahl eines Ehepartners im Herkunftsland eine verbreitete Option ist,denn jährlich kommen rund 16.000 frisch geheiratete Lebensgefährten nach Deutschland.Aber anders als vielfach angenommen, sind es längst nicht nur Frauen - fast die Hälfteder nachziehenden Partner sind Männer. Und das Durchschnittsalter der Frauen beiEheschließungen mit einem Mann aus der Türkei liegt laut Studie weit jenseits derMinderjährigkeit, nämlich bei 25 Jahren.
Wenn sich die Öffentlichkeit je einfortschrittlicheres Bild von in Deutschland lebenden Türkinnen macht, handelt es sichmeist um Frauen aus der zweiten und dritten Einwanderergeneration: Schauspielerinnen,Moderatorinnen und Politikerinnen aus türkischen Familien sind auch der deutschenMehrheitsgesellschaft bekannt. Dabei wird oft vergessen, dass es durchaus auch"Pionierinnen" der Einwanderung gab: Frauen - wie im autobiographischen Roman von EmineSevgi Özdamar "Die Brücke vom Goldenen Horn" - die in den sechziger Jahren für ein, zweiJahre in deutschen Fabriken am Fließband standen, um die Schauspielschule in Istanbul zubezahlen oder sich einfach italienische Schuhe zu leisten.
Schließlich sind inden Jahren zwischen 1961 und 1976 nicht nur 678. 702 türkische Männer angeworben worden,es kamen auch 146. 681 Frauen als so genannte Gastarbeiter nach Deutschland. Und siehatten es schwerer als ihre männlichen Pendants: Ihre Landsmänner schmähten sie, weil sieals Frauen noch weniger Geld erhielten und so zur Konkurrenz wurden. Viele dieser Frauenkamen - von ihren Familien geschickt - in der Hoffnung, nach kurzer Zeit die Ehemännernachzuholen. Es waren aber auch Alleinstehende, Geschiedene oder Verwitwete unter ihnen,die ein neues Leben beginnen oder einfach ihr Fernweh ausleben wollten.
35 Jahrenachdem die erste Gastarbeitergeneration nach Deutschland kam, liegt vieles über dieRolle von Migrantinnen noch im Dunkeln: "Wenn Frauen in der Migrationsforschung ein Themawaren, dann meist als Opfer patriarchaler Gewalt", kritisiert Dr. Margarete Jäger. Diestellvertretende Leiterin des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschunguntersuchte bereits vor elf Jahren die "Ethnisierung von Sexismus" im"Einwanderungsdiskurs". Und sie stellt fest: Der Blick auf weibliche Einwanderer aus derTürkei war immer stark darauf ausgerichtet, sie als Opfer männlicher Gewalt zubetrachten. Dabei würden die tragischen Beispiele misshandelter Frauen leichtherzig aufdie gesamte türkische Community, oder gleich auf alle Muslime übertragen.
DieStudie des Zentrums für Türkeistudien versuche dem nun etwas entgegenzusetzen. "Sie machtdamit deutlich, dass stereotype Zuschreibungen einer ethnischen Gruppe ein Problem derMehrheitsgesellschaft sind", so Jäger zu SPIEGEL ONLINE.