Deutschland als Ziel neuer Anschläge.
19.11.2006 um 16:11ISLAMISTEN-FURCHT IN GROSSBRITANNIEN
1600 Gründe für die Terrorangst
VonSebastian Borger , London
Realistische Lageeinschätzung oder Politik der Angst?In Großbritannien vergeht kaum ein Tag ohne neue Schreckensmeldungen über islamistischeTerroristen im eigenen Land. Die Geheimdienstchefin sieht auch Deutschland als Ziel neuerAnschläge.
London - Schon zu Schulzeiten muss Eliza Manningham-Buller rechtforsch aufgetreten sein - jedenfalls bekam das Mädchen den Spitznamen "Bullying Manners"weg, also "die mit der einschüchternden Art". Heute dient die mittlerweile 58-Jährige alsChefin des britischen Inlands-Geheimdienstes MI5. Was sie vergangene Woche am LondonerQueen-Mary-College über die Bedrohung Grossbritanniens durch den islamistischen Terror zusagen hatte, war zur Einschüchterung der Untertanen Ihrer Majestät angetan.
200 Grüppchen oder Netzwerke mit 1600 namentlich bekannten Mitgliedern stünden unterder Überwachung ihrer 2800 Mitarbeiter, sagte die MI5-Chefin - "aber natürlich gibt esdarüber hinaus viele, die wir nicht kennen". Seit den mörderischen Anschlägen auf dieLondoner U-Bahn und einen Bus, bei denen vier junge britische Muslime am 7. Juli 2005 52Londoner in den Tod gerissen und Hunderte schwer verletzt hatten, hätten dieSicherheitskräfte fünf weitere Attentate verhindert. Die Arbeitsbelastung ihrer Leute seiseit Januar um 80 Prozent gestiegen. "Wir haben es mit einer ernsten und wachsendenBedrohung zu tun." Zu den Staaten, die neuen Bedrohungen ausgesetzt seien, zählteManningham-Buller ausdrücklich auch Deutschland.
Die offenen Worte der resolutenGeheimdienstchefin trafen einen Nerv. Auf der Insel hat sich die Stimmung verändert, seitdie Sicherheitskräfte im August offenbar weit fortgeschrittene Pläne für koordinierteBombenangriffe auf transatlantische Passagierjets aufdeckten und mehr als ein DutzendMänner, allesamt britische Staatsangehörige, verhafteten. Offener als nach den Anschlägenvom vergangenen Jahr wird über die Bedrohung aus dem eigenen Land gesprochen. In Umfragenunter britischen Muslimen teilten immerhin sieben Prozent, also mehr als 100.000Menschen, die Ansicht, unter Umständen seien Selbstmordattentate gegen Zivilisten inGrossbritannien gerechtfertigt.
Welle von Terrorprozessen
Auf dieGerichte rollt eine Terrorprozesswelle zu. 99 Islamisten, so kürzlich VerfassungsministerCharles Falconer, warten in 34 Verfahren auf ihren Prozesstermin. Erst vergangene Wochewurde Dhiren Barot vom Krongericht Woolwich zu lebenslanger Haft verurteilt, der Prozessgegen sieben Mittäter steht noch aus. Der 34-Jährige ist der wichtigste Angehörige derQaida, der der britischen Polizei bisher ins Netz gegangen ist. Seine Anschlagszielewaren U-Bahnen und große Londoner Bahnhöfe, geplant war der Bau einer radioaktivverseuchten Bombe sowie ein Projekt, mit Gaszylindern vollbepackte Nobellimousinen inGebäude rasen zu lassen.
Ob Barots Verhaftung im August 2004 zur rechten Zeitkam? Inzwischen glauben die Fahnder zu wissen, dass Barot Verbindungen zu MohammedSidique Khan hatte - dem Anführer des Mord-Quartetts vom 7. Juli 2005. Vielleicht hätteBarots längerfristige Observierung die Beamten rechtzeitig auf Khans Spur gebracht.
Der Prozess gegen jene vier Männer, die 14 Tage nach dem Blutbad vom 7. Juli 2005erneut U-Bahnen und einen Bus angreifen wollten, musste kürzlich erneut verschobenwerden. Für Januar ist das Gerichtsverfahren gegen den 23-jährigen Marokkaner YounisTsouli sowie zwei Helfershelfer terminiert. Dem Trio wird vorgeworfen, Suizid-Anschlägevorbereitet zu haben. Bei Tsouli soll es sich zudem um Irhabi 007 handeln, einen derwichtigsten Cyber-Terroristen von al-Qaida.
Qaida strebt nach der Bombe
Kein Zweifel: Manningham-Bullers Lageeinschätzung stützt sich auf reale Fakten.Dass die Dame gerade jetzt einen ihrer seltenen öffentlichen Auftritte absolvierte, kamder Regierung sicher nicht ungelegen - ebenso wie das Hintergrundgespräch eines anonymenSpitzenbeamten des Außenministeriums, das den Auslands-Geheimdienst MI6 befehligt, mitbritischen Journalisten. "Ohne Zweifel" strebe al-Qaida nach der Atombombe: "Ihr Einsatzgegen den Westen wäre ein Triumph für manche Leute", sagte der Beamte laut "Guardian".
Ist das "die Politik der Angst", die Oppositionsführer David Cameron in derAussprache zur sogenannten Queen's Speech am Mittwoch beklagte? Tony Blair stellte anjenem Tag sein Programm vor, mit dem der britische Premierminister einmal im Jahr demParlament die wichtigsten geplanten Gesetze ankündigt. Die Rede, die traditionell von derQueen vorgetragen wird, stand unter einem naheliegenden Motto: Sicherheit.
Derdesignierte Blair-Nachfolger Gordon Brown und Innenminister John Reid übertreffen sichgegenseitig mit Forderungen nach neuen Anti-Terror-Gesetzen. Einwänden vonBürgerrechtlern begegnen sie gern mit dem Totschlagargument, die Kritiker bezögen nichteindeutig genug gegen den Terror Stellung. Dagegen hält der nachdenkliche Vorsitzende desInnenausschusses und frühere Innenstaatssekretär John Denham, ein loyaler Labour-Mann,einige der in letzter Zeit verabschiedeten Terrorgesetze für "intellektuell nichthaltbar".
Die Regierung spreche "die Sprache eines gereizten, verängstigtenObrigkeitsstaates", analysiert Dominic Grieve, der rechtspolitische Sprecher derTory-Opposition. Dabei könne man "der Bedrohung durch den heimischen Terrorismus nichtdurch immer neue Gesetze begegnen".
Wie aber sonst? Der Dialog mit dermuslimischen Minderheit auf der Insel kommt nur stockend in Gang. Einstweilen hat derGeheimdienst MI5 seit den Massenmorden vom 11. September 2001 seinen Personalstand um 50Prozent aufgestockt, bis 2008 sollen weitere 900 Mitarbeiter hinzukommen. Ihre Leuteseien hochmotiviert, sagt Eliza Manningham-Buller. "Aber sie wissen auch, dass siemöglicherweise den nächsten Anschlag nicht werden verhindern können."
Rechnetihr mit angriffen in Deutschland? Glaubt ihr es gibt eine Potenzielle gefahr inDeutschland?
1600 Gründe für die Terrorangst
VonSebastian Borger , London
Realistische Lageeinschätzung oder Politik der Angst?In Großbritannien vergeht kaum ein Tag ohne neue Schreckensmeldungen über islamistischeTerroristen im eigenen Land. Die Geheimdienstchefin sieht auch Deutschland als Ziel neuerAnschläge.
London - Schon zu Schulzeiten muss Eliza Manningham-Buller rechtforsch aufgetreten sein - jedenfalls bekam das Mädchen den Spitznamen "Bullying Manners"weg, also "die mit der einschüchternden Art". Heute dient die mittlerweile 58-Jährige alsChefin des britischen Inlands-Geheimdienstes MI5. Was sie vergangene Woche am LondonerQueen-Mary-College über die Bedrohung Grossbritanniens durch den islamistischen Terror zusagen hatte, war zur Einschüchterung der Untertanen Ihrer Majestät angetan.
200 Grüppchen oder Netzwerke mit 1600 namentlich bekannten Mitgliedern stünden unterder Überwachung ihrer 2800 Mitarbeiter, sagte die MI5-Chefin - "aber natürlich gibt esdarüber hinaus viele, die wir nicht kennen". Seit den mörderischen Anschlägen auf dieLondoner U-Bahn und einen Bus, bei denen vier junge britische Muslime am 7. Juli 2005 52Londoner in den Tod gerissen und Hunderte schwer verletzt hatten, hätten dieSicherheitskräfte fünf weitere Attentate verhindert. Die Arbeitsbelastung ihrer Leute seiseit Januar um 80 Prozent gestiegen. "Wir haben es mit einer ernsten und wachsendenBedrohung zu tun." Zu den Staaten, die neuen Bedrohungen ausgesetzt seien, zählteManningham-Buller ausdrücklich auch Deutschland.
Die offenen Worte der resolutenGeheimdienstchefin trafen einen Nerv. Auf der Insel hat sich die Stimmung verändert, seitdie Sicherheitskräfte im August offenbar weit fortgeschrittene Pläne für koordinierteBombenangriffe auf transatlantische Passagierjets aufdeckten und mehr als ein DutzendMänner, allesamt britische Staatsangehörige, verhafteten. Offener als nach den Anschlägenvom vergangenen Jahr wird über die Bedrohung aus dem eigenen Land gesprochen. In Umfragenunter britischen Muslimen teilten immerhin sieben Prozent, also mehr als 100.000Menschen, die Ansicht, unter Umständen seien Selbstmordattentate gegen Zivilisten inGrossbritannien gerechtfertigt.
Welle von Terrorprozessen
Auf dieGerichte rollt eine Terrorprozesswelle zu. 99 Islamisten, so kürzlich VerfassungsministerCharles Falconer, warten in 34 Verfahren auf ihren Prozesstermin. Erst vergangene Wochewurde Dhiren Barot vom Krongericht Woolwich zu lebenslanger Haft verurteilt, der Prozessgegen sieben Mittäter steht noch aus. Der 34-Jährige ist der wichtigste Angehörige derQaida, der der britischen Polizei bisher ins Netz gegangen ist. Seine Anschlagszielewaren U-Bahnen und große Londoner Bahnhöfe, geplant war der Bau einer radioaktivverseuchten Bombe sowie ein Projekt, mit Gaszylindern vollbepackte Nobellimousinen inGebäude rasen zu lassen.
Ob Barots Verhaftung im August 2004 zur rechten Zeitkam? Inzwischen glauben die Fahnder zu wissen, dass Barot Verbindungen zu MohammedSidique Khan hatte - dem Anführer des Mord-Quartetts vom 7. Juli 2005. Vielleicht hätteBarots längerfristige Observierung die Beamten rechtzeitig auf Khans Spur gebracht.
Der Prozess gegen jene vier Männer, die 14 Tage nach dem Blutbad vom 7. Juli 2005erneut U-Bahnen und einen Bus angreifen wollten, musste kürzlich erneut verschobenwerden. Für Januar ist das Gerichtsverfahren gegen den 23-jährigen Marokkaner YounisTsouli sowie zwei Helfershelfer terminiert. Dem Trio wird vorgeworfen, Suizid-Anschlägevorbereitet zu haben. Bei Tsouli soll es sich zudem um Irhabi 007 handeln, einen derwichtigsten Cyber-Terroristen von al-Qaida.
Qaida strebt nach der Bombe
Kein Zweifel: Manningham-Bullers Lageeinschätzung stützt sich auf reale Fakten.Dass die Dame gerade jetzt einen ihrer seltenen öffentlichen Auftritte absolvierte, kamder Regierung sicher nicht ungelegen - ebenso wie das Hintergrundgespräch eines anonymenSpitzenbeamten des Außenministeriums, das den Auslands-Geheimdienst MI6 befehligt, mitbritischen Journalisten. "Ohne Zweifel" strebe al-Qaida nach der Atombombe: "Ihr Einsatzgegen den Westen wäre ein Triumph für manche Leute", sagte der Beamte laut "Guardian".
Ist das "die Politik der Angst", die Oppositionsführer David Cameron in derAussprache zur sogenannten Queen's Speech am Mittwoch beklagte? Tony Blair stellte anjenem Tag sein Programm vor, mit dem der britische Premierminister einmal im Jahr demParlament die wichtigsten geplanten Gesetze ankündigt. Die Rede, die traditionell von derQueen vorgetragen wird, stand unter einem naheliegenden Motto: Sicherheit.
Derdesignierte Blair-Nachfolger Gordon Brown und Innenminister John Reid übertreffen sichgegenseitig mit Forderungen nach neuen Anti-Terror-Gesetzen. Einwänden vonBürgerrechtlern begegnen sie gern mit dem Totschlagargument, die Kritiker bezögen nichteindeutig genug gegen den Terror Stellung. Dagegen hält der nachdenkliche Vorsitzende desInnenausschusses und frühere Innenstaatssekretär John Denham, ein loyaler Labour-Mann,einige der in letzter Zeit verabschiedeten Terrorgesetze für "intellektuell nichthaltbar".
Die Regierung spreche "die Sprache eines gereizten, verängstigtenObrigkeitsstaates", analysiert Dominic Grieve, der rechtspolitische Sprecher derTory-Opposition. Dabei könne man "der Bedrohung durch den heimischen Terrorismus nichtdurch immer neue Gesetze begegnen".
Wie aber sonst? Der Dialog mit dermuslimischen Minderheit auf der Insel kommt nur stockend in Gang. Einstweilen hat derGeheimdienst MI5 seit den Massenmorden vom 11. September 2001 seinen Personalstand um 50Prozent aufgestockt, bis 2008 sollen weitere 900 Mitarbeiter hinzukommen. Ihre Leuteseien hochmotiviert, sagt Eliza Manningham-Buller. "Aber sie wissen auch, dass siemöglicherweise den nächsten Anschlag nicht werden verhindern können."
Rechnetihr mit angriffen in Deutschland? Glaubt ihr es gibt eine Potenzielle gefahr inDeutschland?