Wo steht Pakistan ?
19.09.2006 um 10:59DIE ZEIT
Pakistans Dr. Seltsam hatte viele Freunde
Dasweltweite
Atomnetz des Qadir Khan: Wie es funktionierte und was aus dem Fall zu lernenist
Von Ulrich Ladurner und Gero von Randow
Islamabad/Wien
Von Hamid
Gul lassen sich westliche Journalisten gern das Gruseln lehren. Dasbezeugen die mehr als
tausend Visitenkarten, die der pakistanische General im Laufeder Jahre von ebenso vielen
Journalisten erhalten hat. Die Taliban? Gul hatte immereine paar verständnisvolle Sätze
für die Gotteseiferer übrig. Amerika? Gul schleuderteBlitze Richtung Washington.
Terrorismus? „Geben sie mir zuerst mal eine Definition vonTerrorismus!“
Nun ist
es wieder so weit, denn Pakistan ist wegenProliferation, also wegen der Weitergabe von
Kernwaffentechnik, ins Scheinwerferlichtgeraten. Sein Nationalheld Qadir Khan steht am
Pranger, und General Gul sitzt inseinem frühlingswarmen Garten und wartet darauf, dass
er interviewt wird. Seine Wortesind von Gewicht, immerhin war er von 1987 bis 1989 Chef
des allmächtigenGeheimdienstes ISI. „Keine Bombe ist eine gute Bombe!“, sagt Gul, fügt
dann jedochetwas hinzu, das wie ein Gruß aus der Hölle klingt: „Aber es gibt auch den
Willen zuüberleben. Wer überleben will, der folgt dem Gesetz der Notwendigkeit.“
Diesem Gesetz hat Pakistan nach Auffassung Guls gehorcht, als es in densiebziger
Jahren begann, sich illegal die Technik und das Wissen zum Bau der Atombombezu
beschaffen. Damals kehrte ein Metallurg namens Qadir Khan aus Holland zurück undbrachte
Unterlagen der Firma Urenco mit, die er hatte mitgehen lassen: Design fürGaszentrifugen,
mit denen sich die Zusammensetzung von Uran so verändern lässt, dasses zum
Kernsprengstoff wird. „Er bot uns diese Möglichkeit an“, erinnert sich einehemaliger
hoher Beamter des Außenministeriums, der nicht mit Namen genannt werdenwill. Die
Regierung griff zu.
Mehr als 20 Jahre später, am 28. Mai 1998,zündete Pakistan
seine erste Atombombe. Ein Feiertag für die Nation – und der Tag derGeburt des
Nationalhelden Doktor Qadir Khan. Er schien ein für alle Mal dieExistenzangst der
pakistanischen Nation beseitigt zu haben. Nun mochte derübermächtige Gegner Indien ruhig
drohen, Krieg führen konnte er nicht mehr. Das wardas Ziel gewesen.
Pakistan
hatte drei Kriege mit Indien ausgefochten, derletzte endete 1971 mit der Abtrennung des
östlichen Pakistans, des heutigenBangladesch. Unter den Pakistanern hielt sich das
Gefühl, dass Indien die Existenzihres Staates nicht akzeptieren wollte. Pakistans
Herrscher waren daher überzeugt,dass sie über Atomwaffen verfügen mussten, wenn sie
nicht von Indien in Stückezerrissen werden wollten. Also wurde ein weltweites
Beziehungsnetz geknüpft, umKerntechnik einzukaufen.
Doch das Netz, um das es
dieser Tage geht, hat mehrgetan: Es hat jahrzehntelang Atomwaffentechnik auf dem
internationalen Marktumhergeschoben. Mit Entsetzen mussten die Pakistaner im Fernsehen
mit ansehen, wie derVater ihrer Bombe dafür Abbitte leistete. Der Präsident, General
Pervez Musharraf,stellte Qadir Khan unter Hausarrest – und begnadigte ihn zugleich.Der
Weltöffentlichkeit versprach er Aufklärung.
Viel Erhellendes war ausIslamabad
seither nicht zu hören. Doch es lässt sich ein Puzzle zusammensetzen. Inseiner Mitte
sitzt Qadir Khan, ein „Netzwerker“ ersten Ranges. Lieferanten undNachfrager trafen sich
unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Konferenzen inIslamabad oder – in privater Runde
– in Karatschi. Musste es konspirativer zugehen,boten sich Kuala Lumpur und Dubai als
Treffpunkte an. Wer die Kunden waren, ist nichtvollständig bekannt. Als gewiss gilt,
dass Iran mit Technik zur Urananreicherungausgestattet wurde. Identische Ware dürfte
auch Nordkorea im Austausch fürRaketentechnik erhalten haben, außerdem Blaupausen für
Atomsprengköpfe. Libyen erhieltebenfalls einen Teil der begehrten Hardware, zusammen mit
Informationen über denWaffenbau. Wer noch? Saudi-Arabien vielleicht.
Oder bin
Laden. Das istzumindest denkbar. Die Weisheit von einst, Terroristen hättenan
Massenvernichtungswaffen kein Interesse, wird heutzutage von den Experten nichtmehr
verbreitet. In Zusammenarbeit mit einem staatlichen Labor könnte eswohlorganisierten
Terroristen gelingen, einen Atomsprengkopf zu zimmern; nicht seinDesign ist die größte
Hürde, sondern der Atomsprengstoff selbst – angesichts derTatsache, dass spaltbares
Material in der Ex-UdSSR äußerst schlecht gesichert ist,kein allzu beruhigender Befund.
Über die Zulieferer wird ebenfalls nurstückchenweise etwas bekannt. Den
Experten der Internationalen Atomenergiebehörde inWien (IAEA) hat ihr Direktor
Schweigegebot auferlegt; die Nervosität lässt daraufschließen, dass einiges im Busch
ist. Immerhin ist von Lieferanten nicht nur ausTaiwan, Malaysia und den Vereinigten
Arabischen Emiraten die Rede, sondern auch ausSpanien, Japan, Südafrika und Deutschland.
Am Montag dieser Woche nannte dieWashington Post drei Namen mittlerweile älterer Herren
aus Hessen, die ampakistanischen Atomprogramm der achtziger und neunziger Jahre
beteiligt gewesen seinsollen. Einer von ihnen ist bereits verstorben, die anderen beiden
leugnen jedeVerwicklung. Es gab freilich weitere deutsche Fälle, die vor wenigen Jahren
mitVerurteilungen endeten, was den Schluss nahe legt, dass Khan noch mehrHelfershelfer
aus dem Land der Werkzeugmaschinen und Spezialmetalle hatte. Man hörtsogar, dass
Deutsche kleine Mengen Tritiums verkauft hätten, diesmal nicht, wie schoneinmal
geschehen, an Pakistan, sondern an Dritte. Das wäre schlimm; Tritium dientzur
Konstruktion von Atombomben, sein Einsatz bewirkt eine Kombination vonKernspaltung und
Kernfusion und erhöht die freigesetzte Energie.
Aber wiesoan Dritte? Wer in
Pakistan soll daran ein Interesse gehabt haben? Darüber wird inIslamabad spekuliert. Der
offiziellen Version zufolge war Khan ein geldgierigerKrimineller. Malik Aziz
widerspricht: „Er hatte doch Geld genug, er hatte alles!“ Azizist Journalist und ein
Freund Khans. Er hat eine Biografie über den Wissenschaftlergeschrieben und an der
Legende vom genialen Doktor Khan mitgestrickt. Doch wenn nichtGeldgier, was war es dann?
Die Frage wirft weitere auf, allesamt beunruhigend. Wer hatvon Khans Aktivitäten
gewusst? Genoss er Unterstützung innerhalb des Staatsapparates?Präsident Musharraf
behauptet, dass bis vor drei Jahren niemand über die AktivitätenKhans im Bilde war, erst
dann habe er Verdacht geschöpft. Kaum einer glaubt dies inPakistan, denn immerhin ist
das Militär der alles beherrschende Faktor im Land. Wasimmer sich rührt, die Militärs
sollten es wissen.
IslamischeWaffenbrüderschaft als Motiv der Militärs? Kaum
plausibel
Freilich verfügtenKhan und seine Khan Research Laboratories (KRL)
über ein außergewöhnliches Maß anAutonomie, die es erlaubte, illegalen Aktivitäten
nachzugehen: Das ist die mildeVersion, der General a.D. Massud Talat zustimmt. Talat ist
ein Mann, dessen Meinungman im Westen ernst nehmen sollte. Seit geraumer Zeit
befürwortet er öffentlich dieDemokratisierung Pakistans und ist gewissermaßen das
Gegenstück zu demGeheimdienstgeneral Hamid Gul. Ob die Militärs über die Proliferation
informiertwaren? „Etwas konnte man vielleicht wissen, aber das Ausmaß und die Details,
davonwusste das Militär mit Sicherheit nichts!“ Außerdem: Was hätte das Militärdazu
bewegen können, Khans Treiben zu tolerieren oder gar zu fördern? An dieser Stellekommt
der ehemalige Generalstabschef Mirza Aslam Beg ins Spiel. Der Mann zog nach demersten
Golfkrieg 1991 den Schluss, dass die muslimischen Staaten ein Gegengewicht zuden USA
bilden sollten. Gemeint waren Pakistan, Afghanistan, Iran, der Irak und wohlauch Libyen.
Aber – als nukleare Gegenmacht? Könnte dies das Motiv Khans gewesen sein,und gab es im
Militär Gleichgesinnte? Vielleicht sah er die Chance, vom NationalheldenPakistans zu
einem Idol der islamischen Welt zu werden? „Kann schon sein“, sagt seinBiograf Malik
Aziz.
Einem Strategen wie Aslam Beg dürfte indes nichtentgangen sein, dass die
Beziehungen der muslimischen Staaten zueinander instabilwaren. Das Verhältnis zwischen
Pakistan und Iran etwa hatte sich 1999 extremverschlechtert. Pakistan unterstützte die
Taliban, und Iran war damals nahe daran, denTaliban den Krieg zu erklären. „Die Iraner
haben uns klipp und klar gesagt: Entwederdie Taliban oder wir!“, erzählt der
Sicherheitsexperte Rifaat Hussein von derQaid-i-Azam Universität in Islamabad. „Würden
sie einen solchen Staat mit Atomtechnikbeliefern?“ Natürlich nicht. Unwahrscheinlich,
dass die Führung der pakistanischenArmee zu einem anderen Schluss kam.
War das
Militär also vielleicht dochnicht im Bilde? Im Bilde war jedenfalls der Westen. Das
bestätigte in der vergangenenWoche der CIA-Chef George Tenet, der auf die Arbeit von
CIA-Agenten in Khans Atomringhinwies. Der ehemalige Resident des
Bundesnachrichtendienstes (BND) in Islamabad, JanKleffel, lässt gleichfalls keinen
Zweifel daran, dass das Proliferationsnetz schonlange aktenkundig war. Auch die
Machenschaften deutscher Unternehmer seien dem BNDseit Jahren bekannt gewesen, sagt
Kleffel. Der Dienst habe dieses Wissen aus der„strategischen Telefonüberwachung“
gewonnen. Warum haben die westlichen Regierungendem Treiben tatenlos zugesehen? Zum
einen, erinnert sich der BND-Mann Kleffel, habeder Westen Pakistan in den Achtzigern als
Verbündeten gebraucht, um Waffen gegen dieSowjets nach Afghanistan zu verfrachten. Zum
anderen versuchten die USA damals, einenKranz aus Militärbündnissen um die Sowjetunion
zu legen – folglich hätten auch die mitAmerika befreundeten Regierungen ein Auge
zugedrückt. „Es wird da nicht die reineLehre verfolgt“, sagt Kleffel. „Das ganze
Geschäft ist verlogen.“
DerAtomwaffensperrvertrag muss dringend reformiert
werden
Dass der Fall Pakistanjetzt auf einmal Gegenstand der Politik ist,
könnte daran liegen, dass die von derIAEA in Iran und Libyen gefundenen Beweise nicht
unter Verschluss zu halten waren,weshalb der Westen um seiner Glaubwürdigkeit willen
handeln musste. Aber mitgebremstem Schaum: Auf Musharraf wird zurzeit wenig Druck
ausgeübt. Und anders als inden Fällen Iran und Irak gibt es in Washington keine –
zumindest keine einflussreiche– Fraktion von Politikern, die einen Regimewechsel in
Islamabad herbeizwingen will.Nicht nur, weil Musharraf als innenpolitisch kleineres Übel
gesehen wird, und nichtnur, weil seine Indien-Politik eher entspannend als verschärfend
wirkt, sondern auch,weil er immer noch als Verbündeter im Kampf gegen den Terror
angesehen wird.
Pakistans Dr. Seltsam hatte viele Freunde
Dasweltweite
Atomnetz des Qadir Khan: Wie es funktionierte und was aus dem Fall zu lernenist
Von Ulrich Ladurner und Gero von Randow
Islamabad/Wien
Von Hamid
Gul lassen sich westliche Journalisten gern das Gruseln lehren. Dasbezeugen die mehr als
tausend Visitenkarten, die der pakistanische General im Laufeder Jahre von ebenso vielen
Journalisten erhalten hat. Die Taliban? Gul hatte immereine paar verständnisvolle Sätze
für die Gotteseiferer übrig. Amerika? Gul schleuderteBlitze Richtung Washington.
Terrorismus? „Geben sie mir zuerst mal eine Definition vonTerrorismus!“
Nun ist
es wieder so weit, denn Pakistan ist wegenProliferation, also wegen der Weitergabe von
Kernwaffentechnik, ins Scheinwerferlichtgeraten. Sein Nationalheld Qadir Khan steht am
Pranger, und General Gul sitzt inseinem frühlingswarmen Garten und wartet darauf, dass
er interviewt wird. Seine Wortesind von Gewicht, immerhin war er von 1987 bis 1989 Chef
des allmächtigenGeheimdienstes ISI. „Keine Bombe ist eine gute Bombe!“, sagt Gul, fügt
dann jedochetwas hinzu, das wie ein Gruß aus der Hölle klingt: „Aber es gibt auch den
Willen zuüberleben. Wer überleben will, der folgt dem Gesetz der Notwendigkeit.“
Diesem Gesetz hat Pakistan nach Auffassung Guls gehorcht, als es in densiebziger
Jahren begann, sich illegal die Technik und das Wissen zum Bau der Atombombezu
beschaffen. Damals kehrte ein Metallurg namens Qadir Khan aus Holland zurück undbrachte
Unterlagen der Firma Urenco mit, die er hatte mitgehen lassen: Design fürGaszentrifugen,
mit denen sich die Zusammensetzung von Uran so verändern lässt, dasses zum
Kernsprengstoff wird. „Er bot uns diese Möglichkeit an“, erinnert sich einehemaliger
hoher Beamter des Außenministeriums, der nicht mit Namen genannt werdenwill. Die
Regierung griff zu.
Mehr als 20 Jahre später, am 28. Mai 1998,zündete Pakistan
seine erste Atombombe. Ein Feiertag für die Nation – und der Tag derGeburt des
Nationalhelden Doktor Qadir Khan. Er schien ein für alle Mal dieExistenzangst der
pakistanischen Nation beseitigt zu haben. Nun mochte derübermächtige Gegner Indien ruhig
drohen, Krieg führen konnte er nicht mehr. Das wardas Ziel gewesen.
Pakistan
hatte drei Kriege mit Indien ausgefochten, derletzte endete 1971 mit der Abtrennung des
östlichen Pakistans, des heutigenBangladesch. Unter den Pakistanern hielt sich das
Gefühl, dass Indien die Existenzihres Staates nicht akzeptieren wollte. Pakistans
Herrscher waren daher überzeugt,dass sie über Atomwaffen verfügen mussten, wenn sie
nicht von Indien in Stückezerrissen werden wollten. Also wurde ein weltweites
Beziehungsnetz geknüpft, umKerntechnik einzukaufen.
Doch das Netz, um das es
dieser Tage geht, hat mehrgetan: Es hat jahrzehntelang Atomwaffentechnik auf dem
internationalen Marktumhergeschoben. Mit Entsetzen mussten die Pakistaner im Fernsehen
mit ansehen, wie derVater ihrer Bombe dafür Abbitte leistete. Der Präsident, General
Pervez Musharraf,stellte Qadir Khan unter Hausarrest – und begnadigte ihn zugleich.Der
Weltöffentlichkeit versprach er Aufklärung.
Viel Erhellendes war ausIslamabad
seither nicht zu hören. Doch es lässt sich ein Puzzle zusammensetzen. Inseiner Mitte
sitzt Qadir Khan, ein „Netzwerker“ ersten Ranges. Lieferanten undNachfrager trafen sich
unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Konferenzen inIslamabad oder – in privater Runde
– in Karatschi. Musste es konspirativer zugehen,boten sich Kuala Lumpur und Dubai als
Treffpunkte an. Wer die Kunden waren, ist nichtvollständig bekannt. Als gewiss gilt,
dass Iran mit Technik zur Urananreicherungausgestattet wurde. Identische Ware dürfte
auch Nordkorea im Austausch fürRaketentechnik erhalten haben, außerdem Blaupausen für
Atomsprengköpfe. Libyen erhieltebenfalls einen Teil der begehrten Hardware, zusammen mit
Informationen über denWaffenbau. Wer noch? Saudi-Arabien vielleicht.
Oder bin
Laden. Das istzumindest denkbar. Die Weisheit von einst, Terroristen hättenan
Massenvernichtungswaffen kein Interesse, wird heutzutage von den Experten nichtmehr
verbreitet. In Zusammenarbeit mit einem staatlichen Labor könnte eswohlorganisierten
Terroristen gelingen, einen Atomsprengkopf zu zimmern; nicht seinDesign ist die größte
Hürde, sondern der Atomsprengstoff selbst – angesichts derTatsache, dass spaltbares
Material in der Ex-UdSSR äußerst schlecht gesichert ist,kein allzu beruhigender Befund.
Über die Zulieferer wird ebenfalls nurstückchenweise etwas bekannt. Den
Experten der Internationalen Atomenergiebehörde inWien (IAEA) hat ihr Direktor
Schweigegebot auferlegt; die Nervosität lässt daraufschließen, dass einiges im Busch
ist. Immerhin ist von Lieferanten nicht nur ausTaiwan, Malaysia und den Vereinigten
Arabischen Emiraten die Rede, sondern auch ausSpanien, Japan, Südafrika und Deutschland.
Am Montag dieser Woche nannte dieWashington Post drei Namen mittlerweile älterer Herren
aus Hessen, die ampakistanischen Atomprogramm der achtziger und neunziger Jahre
beteiligt gewesen seinsollen. Einer von ihnen ist bereits verstorben, die anderen beiden
leugnen jedeVerwicklung. Es gab freilich weitere deutsche Fälle, die vor wenigen Jahren
mitVerurteilungen endeten, was den Schluss nahe legt, dass Khan noch mehrHelfershelfer
aus dem Land der Werkzeugmaschinen und Spezialmetalle hatte. Man hörtsogar, dass
Deutsche kleine Mengen Tritiums verkauft hätten, diesmal nicht, wie schoneinmal
geschehen, an Pakistan, sondern an Dritte. Das wäre schlimm; Tritium dientzur
Konstruktion von Atombomben, sein Einsatz bewirkt eine Kombination vonKernspaltung und
Kernfusion und erhöht die freigesetzte Energie.
Aber wiesoan Dritte? Wer in
Pakistan soll daran ein Interesse gehabt haben? Darüber wird inIslamabad spekuliert. Der
offiziellen Version zufolge war Khan ein geldgierigerKrimineller. Malik Aziz
widerspricht: „Er hatte doch Geld genug, er hatte alles!“ Azizist Journalist und ein
Freund Khans. Er hat eine Biografie über den Wissenschaftlergeschrieben und an der
Legende vom genialen Doktor Khan mitgestrickt. Doch wenn nichtGeldgier, was war es dann?
Die Frage wirft weitere auf, allesamt beunruhigend. Wer hatvon Khans Aktivitäten
gewusst? Genoss er Unterstützung innerhalb des Staatsapparates?Präsident Musharraf
behauptet, dass bis vor drei Jahren niemand über die AktivitätenKhans im Bilde war, erst
dann habe er Verdacht geschöpft. Kaum einer glaubt dies inPakistan, denn immerhin ist
das Militär der alles beherrschende Faktor im Land. Wasimmer sich rührt, die Militärs
sollten es wissen.
IslamischeWaffenbrüderschaft als Motiv der Militärs? Kaum
plausibel
Freilich verfügtenKhan und seine Khan Research Laboratories (KRL)
über ein außergewöhnliches Maß anAutonomie, die es erlaubte, illegalen Aktivitäten
nachzugehen: Das ist die mildeVersion, der General a.D. Massud Talat zustimmt. Talat ist
ein Mann, dessen Meinungman im Westen ernst nehmen sollte. Seit geraumer Zeit
befürwortet er öffentlich dieDemokratisierung Pakistans und ist gewissermaßen das
Gegenstück zu demGeheimdienstgeneral Hamid Gul. Ob die Militärs über die Proliferation
informiertwaren? „Etwas konnte man vielleicht wissen, aber das Ausmaß und die Details,
davonwusste das Militär mit Sicherheit nichts!“ Außerdem: Was hätte das Militärdazu
bewegen können, Khans Treiben zu tolerieren oder gar zu fördern? An dieser Stellekommt
der ehemalige Generalstabschef Mirza Aslam Beg ins Spiel. Der Mann zog nach demersten
Golfkrieg 1991 den Schluss, dass die muslimischen Staaten ein Gegengewicht zuden USA
bilden sollten. Gemeint waren Pakistan, Afghanistan, Iran, der Irak und wohlauch Libyen.
Aber – als nukleare Gegenmacht? Könnte dies das Motiv Khans gewesen sein,und gab es im
Militär Gleichgesinnte? Vielleicht sah er die Chance, vom NationalheldenPakistans zu
einem Idol der islamischen Welt zu werden? „Kann schon sein“, sagt seinBiograf Malik
Aziz.
Einem Strategen wie Aslam Beg dürfte indes nichtentgangen sein, dass die
Beziehungen der muslimischen Staaten zueinander instabilwaren. Das Verhältnis zwischen
Pakistan und Iran etwa hatte sich 1999 extremverschlechtert. Pakistan unterstützte die
Taliban, und Iran war damals nahe daran, denTaliban den Krieg zu erklären. „Die Iraner
haben uns klipp und klar gesagt: Entwederdie Taliban oder wir!“, erzählt der
Sicherheitsexperte Rifaat Hussein von derQaid-i-Azam Universität in Islamabad. „Würden
sie einen solchen Staat mit Atomtechnikbeliefern?“ Natürlich nicht. Unwahrscheinlich,
dass die Führung der pakistanischenArmee zu einem anderen Schluss kam.
War das
Militär also vielleicht dochnicht im Bilde? Im Bilde war jedenfalls der Westen. Das
bestätigte in der vergangenenWoche der CIA-Chef George Tenet, der auf die Arbeit von
CIA-Agenten in Khans Atomringhinwies. Der ehemalige Resident des
Bundesnachrichtendienstes (BND) in Islamabad, JanKleffel, lässt gleichfalls keinen
Zweifel daran, dass das Proliferationsnetz schonlange aktenkundig war. Auch die
Machenschaften deutscher Unternehmer seien dem BNDseit Jahren bekannt gewesen, sagt
Kleffel. Der Dienst habe dieses Wissen aus der„strategischen Telefonüberwachung“
gewonnen. Warum haben die westlichen Regierungendem Treiben tatenlos zugesehen? Zum
einen, erinnert sich der BND-Mann Kleffel, habeder Westen Pakistan in den Achtzigern als
Verbündeten gebraucht, um Waffen gegen dieSowjets nach Afghanistan zu verfrachten. Zum
anderen versuchten die USA damals, einenKranz aus Militärbündnissen um die Sowjetunion
zu legen – folglich hätten auch die mitAmerika befreundeten Regierungen ein Auge
zugedrückt. „Es wird da nicht die reineLehre verfolgt“, sagt Kleffel. „Das ganze
Geschäft ist verlogen.“
DerAtomwaffensperrvertrag muss dringend reformiert
werden
Dass der Fall Pakistanjetzt auf einmal Gegenstand der Politik ist,
könnte daran liegen, dass die von derIAEA in Iran und Libyen gefundenen Beweise nicht
unter Verschluss zu halten waren,weshalb der Westen um seiner Glaubwürdigkeit willen
handeln musste. Aber mitgebremstem Schaum: Auf Musharraf wird zurzeit wenig Druck
ausgeübt. Und anders als inden Fällen Iran und Irak gibt es in Washington keine –
zumindest keine einflussreiche– Fraktion von Politikern, die einen Regimewechsel in
Islamabad herbeizwingen will.Nicht nur, weil Musharraf als innenpolitisch kleineres Übel
gesehen wird, und nichtnur, weil seine Indien-Politik eher entspannend als verschärfend
wirkt, sondern auch,weil er immer noch als Verbündeter im Kampf gegen den Terror
angesehen wird.