Geliebter Prophet
Edward Gibbon, Thomas Carlyle und Johann Wolfgang Goethe:Der islamische Religionsstifter Mohammed hat viele westliche Denker fasziniert
von Dietrich Alexander
Wer war der größte spirituelle Führer der Geschichte?Diese Frage versuchte Jules Masserman, amerikanischer Psychoanalytiker von derUniversität Chicago, 1974 für das amerikanische "Time"-Magazin mit Hilfe von dreiKriterien zu beantworten: Der Kandidat muß für das Wohlsein der Geführten gesorgt haben,eine soziale Organisation bereitgestellt haben, in der sich seine Leute sicher fühlenkönnen, und er muß seine Anhänger mit einem kompletten Glaubensentwurf versorgt haben.Masserman kam zu einem überraschenden Schluß: "Der vielleicht größte Führer aller Zeitenist Mohammed gewesen, der diese drei Bedingungen alle erfüllt."
Mit dieserThese reihte sich Masserman ein in die lange Reihe von Mohammeds Verehrern im Westen -sie reicht von Johann Wolfgang Goethe bis George Bernhard Shaw. Auch Michael H. Hartzählt dazu. Der Astronom, Mathematiker, Rechtsanwalt und Schachmeister befand 1978 inseiner Rangliste der 100 einflußreichsten Persönlichkeiten der Geschichte: "Es ist dieunvergleichliche Kombination von weltlichem und religiösem Einfluß, aufgrund dessen ichmeine, daß es Mohammed zukommt, als die einflußreichste Person menschlicher Geschichtebezeichnet zu werden."
Was aber ist es, das den islamischen Propheten auchin der nichtislamischen Welt zu einem Vorbild, gleichsam zu einem Superstar derPostmoderne macht? Das Faszinierende an Mohammed war und ist bis heute wohl seine bareMenschlichkeit. Er zog über Jahrhunderte Forscher, Dichter und andere Intellektuelle inseinen Bann. Dabei haftete ihm nach allen Überlieferungen und einschlägigen Quellennichts Göttliches, weder etwas Mystisches noch Wundersames an. Sein Leben verläuft inweiten Teilen unspektakulär. Mohammed, der islamische Prophet und Religionsstifter, wird570 unserer Zeitrechnung geboren in die Familie der Banu Haschim, einem unbedeutendenZweig des mächtigen Herrscherstamms der Kuraisch. Sein Vater Abdallah stirbt vor seinerGeburt, seine Mutter Amina, als er sechs Jahre alt ist. Mohammed wächst als Waisenkindauf, nicht als Wunderknabe.
Sein Erweckungserlebnis, die Herabsendung derHeiligen Schrift der Moslems, des Koran, hebt ihn schließlich um das Jahr 610 heraus ausder indifferenten Masse der Polytheisten und Götzenanbeter auf der Arabischen Halbinseldes 7. Jahrhunderts. Der Prophet mußte in seinem Umfeld sehr irdische Eigenschaftenbesitzen, um sich Respekt zu verschaffen. Er war erfolgreicher Kaufmann, Feldherr,Diplomat und Politiker in einem. Diese Attribute erst machten ihn zu einem einflußreichenMann, dessen Heilslehre zu folgen für seine ersten Anhänger kein Risiko mehr barg,sondern Schutz.
Als er 632 stirbt, hinterläßt er seiner Gemeinde einesimple Pflichtenlehre, eine totale und konkrete Ordnung aller Lebensbereiche. Er übergibteinen politisch und militärisch gefestigten theokratischen Staat, der gerade beginnt,seinen Siegeszug westwärts bis Marokko und ostwärts bis Indonesien anzutreten. Mohammedpflanzte seinen Anhängern das Gefühl moralischer Überlegenheit so tief ein, daß seineHeilslehre zu Weltgeltung gelangte. Er selbst aber blieb im Hintergrund. Man muß sichMohammeds Leben, sein Schaffen und seine Vision der vollkommenen Gottergebenheitvergegenwärtigen, um zu begreifen, warum auch viele westliche Intellektuelle zu seinenBewunderern zählen. Gerade seine in den Schriftquellen tradierte Schlichtheit, seine überalle Maßen ausgeprägte Bodenständigkeit und sein dabei hoch entwickelter Realitätssinngepaart mit großem Machtinstinkt verklären den Propheten zuweilen zu einer Mischung ausMachiavelli, Clausewitz und Bismarck.
Thomas Carlyle, schottischerHistoriker und Essayist, schrieb in "Der Held als Prophet", Mohammed sei eine "stille,großartige Seele" gewesen, die sich "nicht helfen konnte, einfach aufrichtig zu sein".Der Schriftsteller Sir George Bernhard Shaw verzeichnete über Mohammed: "Ich habe ihnstudiert, diesen wunderbaren Mann, und meiner Meinung nach war dieser weit von einemAntichristen entfernt. Man kann nicht umhin, ihn den Retter der Menschheit zu nennen."Shaw fügte 1936 in "Der wahre Islam" dunkel prophezeiend hinzu: "Wenn irgendeine Religiondie Chance hat, über England, über Europa zu herrschen in den kommenden 100 Jahren, dannist es der Islam."
Die britischen Historiker Edward Gibbon und SimonOakley schrieben in ihrer "History of the Saracen Empire" (London, 1870): "Mohammederrang seinen großen Lebenserfolg schlicht durch moralische Kraft." Nicht die Verkündung,sondern die Nachhaltigkeit seiner Glaubenslehre sei so außerordentlich erstaunlich.Mahatma Gandhi kam 1924 zu der Erkenntnis: "Es war nicht das Schwert, das dem Islamseinen Platz in der Geschichte beschert hat. Es war die rigide Einfachheit, die absoluteBescheidenheit des Propheten Mohammed. Es war seine peinlich genaue Beachtung vonVersprechen, die intensive Hingabe zu Freunden und Anhängern, seine Furchtlosigkeit undsein fester Glaube an Gott und seine eigene Mission."
Schon als 23jährigerpries Johann Wolfgang von Goethe den Propheten Mohammed. Die Faszination des Islam undseines Begründers ließ den Dichter sein ganzes Leben nicht mehr los. Noch der 70jährigeGoethe bekennt in aller Öffentlichkeit, daß er sich mit dem Gedanken trage,"ehrfurchtsvoll jene heilige Nacht zu feiern, wo der Koran vollständig dem Propheten vonobenher gebracht ward". Er setzte dem Islam mit seinem "West-östlichen Divan" einliterarisches Denkmal. Eine von ihm selbst verfaßte Ankündigung dieses Werkes enthält garden erstaunlichen Satz, der Verfasser des Buches lehne "den Verdacht nicht ab, daß erselbst ein Muselmann sei".
Yusuf Islam, der Mann, der Cat Stevens war undmit Songs wie "Moonshadow", "Morning has broken" oder "Wild World" ganzeTeenagergenerationen betörte, trat mit knapp 30 Jahren 1978 zum Islam über und istseitdem einer seiner bekanntesten Botschafter. Malcolm Little alias Malcom X geriet nacheiner kleinkriminellen Vergangenheit 1948 im Gefängnis mit dem Islam und der OrganisationNation of Islam in Berührung, der er 1949 beitrat. Als Autodidakt bildete er sich weiter,vor allem in den Bereichen Philosophie und Geschichte. Durch Debatten im Gefängnisschulte er seine Rhetorik und avancierte zum Führer schwarzer Moslems in den USA.
Cassius Marcellus Clay sollte als Muhammad Ali seine größten Erfolge feiern. Mit22 Jahren, nach seinem sensationell gewonnenen Weltmeisterschaftskampf gegen SonnyListon, legte er seinen "Sklavennamen" ab und konvertierte zum Islam, beeinflußt von den"Black Muslims" der Schwarzenführer Elijah Muhammad und Malcolm X.
Zwischen 95 000 und 110 000 gebürtige Deutsche bekennen sich inzwischen zum Islam.Der Zentralrat der Moslems in Deutschland hat Ayyub Axel Köhler, geboren 1938 in Stettinund Moslem seit 1963, zum Nachfolger von Nadeem Elyas als neuen Vorsitzenden gewählt. DerJurist und Publizist Abu Bakr Andreas Rieger gibt die "Islamische Zeitung" heraus und istVorsitzender der Muslim Lawyers. Der 1946 in Chemnitz als Paul-Gerhard Hübsch geboreneehemalige Aktivist der Kommune 1 in Berlin trat 1969 zum Islam über, nennt sich seitdemHadayatullah Hübsch und ist heute Schriftsteller, Publizist und Pressesprecher derMuslimbrüder Deutschland.
Der bekannteste deutsche Konvertit aber ist wohlMurad Wilfried Hofmann, eigentlich Wilfried Hofmann, geboren 1931 in Aschaffenburg. Erist Jurist und Diplomat, Autor von Sachbüchern zum Thema Islam und Bearbeiter einerKoranübersetzung.
Von 1961 bis 1994 war Hofmann im Diplomatischen Dienst,zuletzt als Botschafter in Algier und Rabat. Am 25. September 1980 notiert er: "Seitheute bin ich Moslem. Mein gewählter islamischer Name lautet Murad Ferid. Ich bin amZiel."
http://www.welt.de/data/2006/02/11/844055.html (Archiv-Version vom 11.04.2006)