Lafontaine vs BamS
02.09.2005 um 16:21
Ein wohlgelaunter Gysi predigt Wein
Sie meint es ehrlich, sagt ihr Vorsitzender Bisky: Die PDS ist in der deutschen Einheit angekommen und will mit Hilfe der WASG endgültig im Westen Fuß fassen. Was sind das für Leute in Baden-Württemberg, die der früheren DDR-Staatspartei dabei zur Hand gehen?
Sie sehen sich als einzige Opposition gegen alle anderen, gegen die "Neoliberalen": So definierten die Spitzenkandidaten Gregor Gysi und Oskar Lafontaine auf dem Parteitag am Samstag ihre Linkspartei, die um die westdeutsche "Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit" (WASG) bereicherte PDS. SPD, Union, Grüne und FDP - das ist "rechts", wenigstens "Mitte rechts", sagt Lafontaine. Und weil die PDS als SED-Nachfolgerin kommunistische Wurzeln hat, erlebten lange ungehörte Kampfbegriffe 30 Meter vom alten Berliner Mauerverlauf entfernt eine Wiederbelebung: "Klassenkampf", "150 Jahre aggressiver Antisozialismus" (PDS-Ehrenvorsitzender Hans Modrow) und "Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!" (Lafontaine). Es war der neunte Parteitag der PDS, denn noch sind die Parteien nicht vereinigt. Aber nun wird eine neue Zählung beginnen, sagte Modrow dieser Zeitung. Und der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky versicherte, es sei nichts dran an der Behauptung der Ex-Verfassungsrichter Karin Graßhof und Hans Klein, beim Zusammengehen handele es sich um den unzulässigen Vorgang, eine Partei nehme eine andere, die sonst keine Chancen hätte, "Huckepack" in den Bundestag: "Wir wollen uns wirklich vereinigen. Die PDS ist endgültig in der Wiedervereinigung angekommen." Modrow zählte unter den 16 Landes-Spitzenkandidaten "vier aus der SED, vier aus der SPD und einen aus der DKP", der Rest war zuvor nicht gebunden. Der Ex-SPD-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg, Ulrich Maurer (56), käme in den Bundestag, wenn die Linkspartei bundesweit 5 und in Baden-Württemberg etwa 1,3 Prozent erhält. Die WASG im Land habe sich seit Juni von 500 auf 1060 Mitglieder mehr als verdoppelt, sagte er. Das Wählerpotenzial ergebe sich aus den 0,9 Prozent PDS-Wählern von 2002, enttäuschten Gewerkschaftern und Sozialdemokraten sowie bisherigen Nichtwählern, die nun eine Alternative sähen. Er tippt: "5 plus in Baden-Württemberg." Die Karlsruher Ernährungswissenschaftlerin Heike Hänsel (39, "ledig, ohne Kinder") auf Listenplatz 2 braucht etwa 2,6 Prozent Zweitstimmen für ein Bundestagsmandat. Sie entstammt dem Anti-Globalisierungsbund Attac, der ihrer Ansicht nach durch ihre Kandidatur seine Überparteilichkeit nicht aufgibt. Sie saß mit einer Friedenstaube auf der Brust auf dem Podium und fasste Lafontaines und Gysis Reden gut zusammen auf die Frage, unter welchen Umständen sie einen SPD-Kanzler wählen würde: "Wenn er den ganzen Sozialabbau zurücknimmt, alle Soldaten aus dem Ausland zurückholt und die EU-Verfassung wegen ihrer Militarisierung ablehnt." Lafontaine wurde noch deutlicher: Deutschland sei nicht souverän, weil die USA von hier aus Krieg im Irak führten, deshalb müssten diese Truppenstationierungen ein Ende haben und Deutschland aus der Nato austreten. Hänsel hofft, im September in Berlin eine "nette WG zu finden". Mit knapp 4 Prozent Stimmen im Lande käme Karin Binder (40, Platz 3) in den Bundestag. Die Karlsruherin ist DGB-Vorsitzende in Mittelbaden und nach langjähriger Mitgliedschaft wegen des Kosovo-Krieges aus der SPD ausgetreten. Vierter auf der Liste (er braucht etwa 5,2 Prozent) ist der Stuttgarter Caritas-Rechtsberater Manfred Hammel (45), der bisher schon in der PDS engagiert war. Fünfte ist die nach der Wende aus der DDR nach Sontheim an der Brenz gezogene Ökonomin Andrea Kunz. Aufschluss über die Linkspartei in Baden-Württemberg gibt auch die Herkunft ihrer vier Delegierten auf dem PDS-Parteitag am Samstag: Das waren die Tübinger Stadträtin für die "Liste Linke/PDS", Gerlinde Strasdeit, die Verwaltungsfrau Simone Stein, der Soziologie-Student Frederico Elming ("Ich war mal kurzfristig grün") und die Stuttgarter PDS-Stadträtin Ulrike Küstler. Sie alle fühlten sich wohl auf dem Parteitag, der nicht nur den Frustrierten Zucker gab. "Wir predigen Wein", rief ein wohlgelaunter Gysi in den Saal, während Lafontaine versuchte, die um ihn entbrannte Luxusdebatte zu entschärfen: "Ein Linker darf sich selbst etwas gönnen, dann kann er auch anderen etwas gönnen." Sein Gehabe hatte etwas Pfauenhaftes. Er war dort, wo er seiner Ansicht nach hingehört: im Mittelpunkt und bei einem "historischen Datum" der "freiwilligen Vereinigung einer demokratisch sozialistischen Linken in Deutschland". Und was will die Linkspartei außer dem bereits Erwähnten? Einen gesetzlichen Mindestlohn von 1400 Euro, eine Grundsicherung von 750 Euro für Alleinstehende, einen Spitzensteuersatz von 50 Prozent ab 60 000 Euro Jahreseinkommen, die Abschaffung aller Abschreibungen außer der Pendlerpauschale und dem Nacht- und Wochenendzuschlag, eine Krankenpflichtversicherung für alle, eine Mindestrente von 800 Euro und eine Gemeinschaftsschule bis zur zehnten Klasse. Doch kamen bei den vielen bunten Kurzbeiträgen der Delegierten noch andere Forderungen zur Sprache: Endlich einmal solle die sich neu formierende Linke nicht den alten Fehler wiederholen, "die Frauen als Objekte revolutionärer Fürsorge" zu behandeln. Nun gut, jetzt weiß man es: Revolution!
netzzeitung.de
Free Tibet!
Die Mods müssen GEWÄHLT werden!