zigushen schrieb:Was meinst Du mit "Macht" in dem Zusammenhang? Im Moment haben ja insbesondere die christlichen Kirchen Macht - im Sinne von gesellschaftlichem Einfluss - z.B. durch Posten in den Rundfunkräten und ein eigenes Arbeitsrecht. Inwiefern wird ihr Machstreben durch Art 4 hier eingeschränkt und warum wäre es ohne noch leichter? Ich würde das Gegenteil erwarten.Was die Gewaltanwendung betrifft, ist das durch die allgemeinen Gesetze geregelt und Sache der Polizei. Und hast du für die juristischen Tricks vielleicht ein konkretes Beispiel? Darunter kann ich mir jetzt nichts vorstellen. Rao schrieb:Der Paragraph ist den Lektionen der deutschen Geschichte geschuldet, insbesondere dem Dreißigjährigen Krieg und seinen Folgen, wo es nicht zuletzt um die Herrschaftsansprüche von christlichen Konfessionen ging.D'accord, es gab gute Gründe. Allerdings wurden mit dem Grundgesetz ja auch weitere Rechte und Freiheiten und ein gänzlich anderes Staatssystem eingeführt. Deswegen meine These: Die Religionsfreiheit hat nur noch zur Durchsetzung von Privilegien Bedeutung und sowohl Gläubige als auch Ungläubige sind durch andere Artikel hinreichend geschützt.
Wenn Politiker, Richter, Vorsitzende und jeder andere der was im Land zu sagen hat, in mehr oder weniger großem Umfang immer noch Mitglieder irgendwelcher Religionsgemeinschaften sind, kannst Du sicher sein, daß die des Öfteren auch mal mit Bischöfen oder anderen hohen Tieren ihrer jeweiligen Richtung zusammenkommen und dezent darauf hingewiesen werden, wie die Ansichten "ihrer" Religionsversion zu bestimmten Themen aussieht. Macht läuft nicht nur über Rundfunkräte und Arbeitsrecht, sondern geht häufig subtilere und sehr private Wege. Über Familie oder übers Wahlvolk, wo auch immer Menschen beeinflußt und manipuliert werden können. Und Religionen bestehen nun mal aus Menschen, genauso wie Regierungen und "der Staat" an sich.
Außerdem gehen die Mitschreiber hier von heutigen Verhältnissen aus, in denen die Kirchen schon lange nicht mehr so viel Macht haben wie etwa in den 80er Jahren, und da hatten sie schon lange nicht mehr so viel Macht wie in den 50ern. (Wann wurde das GG eingeführt?) Ich brauche nur an das Affentheater denken, das die katholischen "Behörden" jedesmal veranstalteten, wenn etwa ein Katholik und ein Protestant (hetero) heiraten wollten, weil die Katholen auf keinen Fall ein Mitglied - und schon gar nicht die Kinder aus dieser Verbindung - an die "Gegenseite" verlieren wollten.
Oder dieser Zwang zur Aufteilung in konfessionsgebundene Schulstunden fürs Fach Religion, in den ganz normalen staatlich-öffentlichen Schulen wohlgemerkt, nicht den kirchlichen Privatinstitutionen. Ethik gab es damals (80er Jahre) noch gar nicht, das schwappte erst nach der Wende quasi aus dem Osten herüber, weil es dort einfach zu wenige Kinder mit Religionszugehörigkeit gab und eine (von den Kirchen prompt bekämpfte) Notwendigkeit darstellte.
Schon das sind Verhältnisse, die sich diejenigen, die zu jung sind um das mitbekommen zu haben, gar nicht mehr vorstellen können.
Der Paragraph 4 war deshalb damals, als er eingeführt wurde, absolut wichtig, um den Kirchen wenigstens einen Minimal-Maulkorb umzuhängen, und sie duldeten ihn, vermutlich mit viel Würgen und Zähneknirschen, weil nämlich die garantierte Glaubensfreiheit in gleichem Maß auch gegen andere Ideologien wie den gerade überwundenen aber noch lange nicht verdauten Faschismus wirkte, oder gegen den nach wie vor drohenden Kommunismus (denn die Sowjetunion mit ihren Träumen, die ganze Welt sozialistisch zu "beglücken", ob freiwillig oder zwangsweise, gab es damals auch noch.)
Und schon aus früheren Zeiten, noch vor der Hitlerei, kannte man das Phänomen, daß die Zeiten gefährlich wurden wenn Lieder wie "Die Gedanken sind frei" zum verbotenen Tun erklärt wurden. Der § 4 (1) ist sowas wie eine Umsetzung des Liedes - entstanden als hochpolitische Schlagwaffe - zum gültigen Gesetz und beruft sich damit auf deutsche Freiheitsvorstellungen lange vor den beiden Weltkriegen.