Kobane
24.10.2014 um 23:31Sehr interessanter und lesenswerter Beitrag von der Seite "Perspektive Kurdistan":
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Peshmerga und FSA nach #Kobanê?Quelle:
Ein genauerer Blick auf die letzten Entwicklungen.
Während die Freude über die Anfang der Woche über Kobanê abgeworfenen Waffen groß ist, ist von Begeisterung über die nach letzten Informationen 150 #Peshmerga-Kräfte aus dem #Irak, die nach einer, anscheinend auch von der #Türkei akzeptierten Vereinbarung nun über türkisches Gebiet in die Stadt gebracht werden sollen, nicht viel zu spüren.
Gestern gab es zudem Medienberichte sowie #FSA-Statements, dass sich bis zu 1.500 weitere FSA-Kämpfer aus #Aleppo auf den Weg in die umzingelte Stadt machen wollten. Der türkische Präsident #Erdoğan und sein Premier Davutoğlu hatten wochenlang dafür geworben, die internationale Koalition möge doch die FSA unterstützen anstatt der #YPG.
Vor dem Hintergrund ist es wohl eine weitere Niederlage für Erdoğan, dass der Revolutionäre Militärrat der oppositionellen Kräfte in Aleppo dies nun ausdrücklich dementiert. Angesichts der massiv verschärften Bombardements des #Assad-Regimes gegen Oppositionelle seien die Kräfte unabkömmlich. Die #ISIS-treuen Kräfte werden wohl ihr Veto eingelegt haben.
Während bereits die am Mittwoch bei einem Treffen aller kurdischen Seiten in #Dohuk getroffene Vereinbarung über die Einreise von Peshmerga-Kämpfern gemischte Reaktionen hervorrief, ist die Ablehnung einer noch stärkeren FSA-Präsenz unübersehbar. YPG-Kommandantin Meysa Ebdo sagte gestern überdeutlich:
»Die FSA hat diese Entscheidung ohne Absprache mit uns getroffen. Wenn die FSA gegen ISIS kämpfen will, sollte sie an Stellen außerhalb Kobanês damit anfangen. Die größte Unterstützung, die die FSA uns geben könnte, wäre eine neue Front mit ISIS in Tel Abyad zu eröffnen.
Wenn die FSA Teil der Koalition sein will, die wir mit einigen FSA-Gruppen unter dem Titel "Euphrates Volcano" (bzw. Burkan al-Firat) geschlossen haben, dann würden wir darüber freuen. Ohne gemeinsames Kommando wäre es für die FSA nicht machbar, Kobanê zu betreten.«
Nun fürchten die einen schlimmste Machenschaften gegen die kurdische Selbstbestimmung, während sich andere wundern, warum man sich in einer derartigen Notsituation nicht über jede Verstärkung freut.
Die Irritationen seitens der YPG sind zumindest gut nachvollziehbar:
Warum tun die Peshmerga nicht an naheliegenderen Stellen mehr, zum Beispiel im offen zugänglichen Kanton #Cizîr? Warum helfen sie nicht entschlossener den Êzîden rund um #Shengal?
Und die FSA-Kräfte: warum wollen sie unbedingt in die Stadt hinein statt der eingekreisten Stadt zu einem Korridor zu verhelfen, im Westen nach Afrîn oder im Osten Richtung Serêkaniyê?
Und die Türkei: warum gibt sie sich bereit, Peshmergakämpfer durchs Land zu lassen, aber nicht auf ihren Einsatz wartende YPG-Angehörige aus den anderen Kantonen?
Gutes hat das alles gewiss nicht zu bedeuten. Sicher wollen sie alle unmittelbar an der symbolisch aufgeladenen Schlacht um Kobanê teilhaben. Sich aber auch eine Stellung sichern, um danach in der befreiten Stadt ein Wörtchen mitreden zu können.
Eine solche schleichende Unterwanderung ist offensichtlich Erdoğans Plan B, nachdem die ursprünglichen Pläne einer "Pufferzone" am massiven Widerstand auch der internationalen Öffentlichkeit vorerst scheiterten. Erdoğan hatte schon in den vergangenen Wochen immer wieder eine Unterordnung der YPG unter das Generalkommando der FSA gefordert. Auch gestern wiederholte er wieder, dass in erster Linie die FSA für den Kampf in Syrien legitimiert sei und in zweiter Linie ausgerechnet die irakische Peshmerga. Von seinem Kurs, die YPG niederringen zu wollen, hat er sich offensichtlich keinen Millimeter entfernt.
Umso mehr stecken die Kräfte in Kobanê selbst in einem Dilemma. 150 Peshmergakräfte, vor allem, wenn sie schwere Waffen mitbringen, können durchaus eine Verstärkung sein und vielleicht nur ein begrenztes Risiko.
Über die FSA-Einheiten aus Aleppo ist hingegen eins bekannt: dass sie in der Vergangenheit auf Seiten von Al Nusra standen, mit ihnen auch gegen die YPG kämpften. Und dass ihr damaliger Generalkommandeur al-Aquidi (auch al-Oqaidi geschrieben) alles andere als Berührungsängste zu ISIS hatte, zeigen Fotos wie Interviews (siehe am Ende verlinktes Video). Zwischenzeitlich mag sich manches bewegt haben, aber eine Mission ausgerechnet unter seinem Kommando anzustreben, zumal unabgesprochen, ist eine Provokation ohnegleichen.
Dass es nun ganz anders kam, und die FSA-Truppen gar nicht kommen wollen, ist für Erdoğan erfreulicherweise eine weitere Schlappe.
Ähnlichen Dilemmata wird die YPG nun jedoch immer und immer wieder ausgesetzt sein. Sich dem einfach zu entziehen, ist für die kurdische Bewegung allerdings keine Option, denn ganz ohne Freunde, ganz ohne Unterstützung, gegen alle regionalen und internationalen Mächte wird sie weder den Kampf um Kobanê noch alles weitere überstehen. Immer wieder wird man das geringere Übel wählen müssen. Man kann den Führungskräften und Räten dabei nur ein glückliches Händchen wünschen.
Auch die #USA spielen bei diesen problematischen Entwicklungen immer wieder eine Rolle, denn einen klaren pro-YPG-Kurs verfolgen sie noch lange nicht. Auch wenn die schrittweise Annäherung unübersehbar ist, ist der Westen zu einem vollständigen Bündnisbruch mit der Türkei noch lange nicht bereit – die Bundesregierung traut sich ja noch nicht einmal anzuecken.
Die Stadt Kobanê für die NATO-Harmonie zu opfern, sind die Amerikaner mittlerweile zwar wohl genausowenig bereit, da dies den Gesamterfolg ihres Einsatzes in Gefahr brächte. Die Selbstverwaltung Rojavas ist den USA hingegen nicht so wichtig. Im Gegensatz zu den regionalen Akteuren scheint sie ihnen zwar kein größerer Dorn im Auge zu sein, aber für eine Kompromisslösung mit der Türkei würden sie sie wohl auch opfern.
Damit sind die USA zwar das geringste Übel. Bei aller Dankbarkeit für die Unterstützung aus der Luft darf der klare Blick auf ihre Interessenslagen aber nicht verloren gehen.
In diesem Gestrüpp der unterschiedlichsten Vereinnahmungs- und Unterwanderungsstrategien bleibt es also außerordentlich wichtig, die Eigenständigkeit Rojavas zu unterstützen. Auch daher führen wir die spektrenübergreifende Kampagne Waffen für Rojava - Solidarität mit der YPG & YPJ unbeirrt fort.
einige Quellen:
– YPG-Kommandeurin Meysa Abdo im Interview:http://kurdishquestion.com/kurdistan/west-kurdistan/ypg-if-fsa-want-to-help-kobane-they-should-attack-tel-abyad
– ehem. FSA-Generalkommandeur al-Aquidi im Interview:
http://www.liveleak.com/view?i=c52_1384950531
– Erdoğan über FSA-Entsendung:
http://www.dailysabah.com/politics/2014/10/24/erdogan-attends-press-statement-with-estonian-president
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