Falun Gong, Harmlose Glaubensgemeinschaft/Sekte
10.03.2005 um 16:12Hierzu ein Text der Zeit.
Ein Guru bedroht das System
Die Sekte Falun Gong hat China in die tiefste Krise seit dem Studentenprotest vor zehn Jahren gestürzt
Henrik Bork
China will kein Platz des himmlischen Friedens sein. Die mächtige Kommunistische Partei hat einen zum Guru gewandelten Extrompeter der nordchinesischen Waldpolizei namens Li Hongzhi zum Staatsfeind Nummer eins erklärt. Seine Sekte Falun Gong wurde verboten, führende Mitglieder wurden mit Lastwagen und Bussen in Sportstadien gekarrt. Es gehe, so vermeldet die Volkszeitung in einem aufgeregten Leitartikel, um einen "ernsten ideologischen und politischen Kampf", ja um "die Zukunft von Partei und Staat".
Wer nach Erklärungen für diese auf den ersten Blick maßlos übertriebene Reaktion der KP-Führer sucht, wird sie kaum in der wirren und mit rassistischen Ideen durchsetzten Heilslehre Falun Gong finden. Li Hongzhi, alias Meister Li, verbreitet sie seit 1992 in China, seit 1995 aus dem New Yorker Exil. In Falun Gong verbinden sich Teile der traditionellen asiatischen Religionen Taoismus und Buddhismus mit pseudowissenschaftlichem Mumpitz und straffer Organisation zu einer ebenso lukrativen wie effizienten Mischung. Durch traditionelle Atem- und Bewegungsübungen, Qigong genannt, und fleißiges Studium der Schriften ihres verehrten Meisters Li versuchen dessen Jünger Gesundheit und "übernatürliche Fähigkeiten" zu erlangen. In Büchern und auf teuren Videokassetten, bisweilen auch persönlich in trotz saftiger Eintrittspreise überfüllten chinesischen Sportstadien schwadroniert der Meister vom "himmlischen" dritten Auge und spielt den Wunderheiler.
Zugleich geht Falun Gong aggressiv gegen Kritiker vor und scheut nicht einmal den Konflikt mit der Staatsmacht, ja sucht ihn sogar. Die Sekte hat sich in den vergangenen Monaten als eine überaus schlagkräftige Organisation erwiesen, auch wenn die Zahl von 70 Millionen Jüngern, die Meister Li allein in China zu haben behauptet, erheblich übertrieben sein dürfte. Realistischer ist wohl die Schätzung des Informationszentrums für Demokratie und Menschenrechte in Hongkong, das die Zahl der chinesischen Falun-Gong-Anhänger mit 20 Millionen angibt, während die KP (die selbst 58 Millionen Mitglieder hat) von zwei Millionen Li-Jüngern spricht - offenbar will sie das Phänomen kleinreden.
Immerhin 39 Studienzentren mit 1900 Unterzentren und insgesamt 28 000 Gebetszirkeln zählte die Staatssicherheit landesweit. Und nach dem Wenigen, was unabhängige Beobachter in Erfahrung bringen konnten, scheint die Sekte das Leben ihrer Mitglieder fest in den Griff zu nehmen: Von stundenlangen täglichen Übungen ist die Rede und von einer strikt hierarchischen Organisation.
Westliche Sektenbeauftragte würden eine solche Organisation wohl mit Argwohn beobachten. Die kommunistische Führung in Peking jedoch, die ihren eigenen Bürgern seit jeher mit großem Misstrauen begegnet, fühlt sich offenbar in ihrer Existenz bedroht. Die KP sieht in jeder neuen Organisation, und sei sie noch so unpolitisch, schon den Kristallisationskern einer Erhebung der Unzufriedenen. "Die chinesische Führung geht hart gegen jede Gruppe vor, die sich zu organisieren versteht. Es spielt keine Rolle, ob das Demokraten, Untergrundgewerkschafter oder Falun-Gong-Anhänger sind", sagt der im New Yorker Exil lebende chinesische Demokrat Wei Jingsheng.
Religionsgemeinschaften freilich wurden in den letzten Jahren immer seltener behelligt, solange sie unpolitisch blieben und sich der Kontrolle der Partei unterwarfen. Wer gegen diese Gebote verstößt, wird hart verfolgt - eine Lehre aus der zentralen Rolle der Kirchen beim Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa, den die chinesischen Kommunisten aufmerksam beobachtet haben. Peking sperrt demonstrierende Nonnen und Mönche in Tibet ebenso gnadenlos ins Gefängnis wie 80-jährige, Rom-treue Bischöfe. Falun Gong könnte der Parteiführung besonders gefährlich erscheinen, weil die Sekte zwei Schwachstellen des chinesischen Sozialismus ausnutzt, die auf den ersten Blick nicht viel miteinander gemein haben: das spirituelle Vakuum und die Krise der medizinischen Versorgung im heutigen China.
Sie treffen auf eine Gesellschaft in der Krise. Der "Sozialismus chinesischer Prägung" erinnert in der Ära nach Deng Xiaoping bisweilen an den Manchesterkapitalismus der Jahrhundertwende. Arbeitslosigkeit, Korruption und Sorge um die Ausbildung ihrer Kinder stürzen plötzlich auf die Chinesen ein. "Viele Anhänger der Falun Gong sind Städter aus den unteren Einkommensklassen. Diese Menschen sind zutiefst verunsichert, was ihre Zukunft angeht", sagt die regimekritische Autorin Dai Qing. Wie verführerisch muss da ein Guru wie Meister Li sein, der die "gesammelte Weisheit des Kosmos" häppchenweise verabreicht!
Selbst Parteikader studieren statt der Mao-Bibel die Werke des Sektenführers
Die älteren Parteikader, die früher selbst in blinder Gefolgschaft dem roten Gott Mao Tse-tung nachliefen, verstehen instinktiv die politische Sprengkraft der Lehren eines Meister Li. Viele, die heute dessen Standardwerk Zhuan Falun (Der Gebotsweg) auswendig lernen, haben in ihrer Jugend noch die rote Mao-Bibel studiert. "Der einzige Unterschied zwischen Li Hongzhi und Mao Tse-tung ist, dass Mao sich selbst nie als Heiligen bezeichnet hat", sagt Wei Jingsheng.
Auch der Nachwuchs der Partei ist gegen die neue Lehre nicht gefeit. Wer heute in die KP eintritt, tut dies nur noch um seiner Karriere willen. Den Sinn ihres Daseins suchen die Kader längst anderswo. Schon wurden in Pekinger Ministerien Beamte gesichtet, die, im Schneidersitz auf ihren Stühlen sitzend, die Sutras des Meisters Li rezitierten. "Es gibt auch eine Schar von hochgebildeten Falun-Gong-Bewunderern. Dazu zählen der Sportminister Wu Shaozu und der prominente Wissenschaftler Qian Xue Sen. Sie sind von der nationalistischen Propaganda der Partei beeinflusst, dem ganzen Gerede vom kommenden chinesischen oder pazifischen Zeitalter. Falun Gong gefällt ihnen, weil sie es für eine traditionell chinesische Lehre halten", sagt Dai Qing. Die Unterwanderung der KP - und damit der Regierung, der Armee und der Polizei - hat die Führungsspitze alarmiert.
Neben spiritueller Erfüllung hat Meister Li freilich auch handfeste Nutzwerte zu bieten. Falun Gong ist Heilslehre und Heil-Lehre zugleich. Der große Meister pflanzt seinen Jüngern angeblich aus der Ferne das "Falun" (Gebotsrad) in den Unterleib, das dann 24 Stunden am Tag "kosmische Energie" in deren Körper schaufele. So soll Li ohne den zusätzlichen Einsatz von Pillen oder Skalpellen (Spenden hingegen waren stets willkommen) unter anderem folgende Krankheiten und Zipperlein geheilt haben: die Herzleiden eines 50-jährigen Liedermachers und das Leberleiden einer 60-jährigeFrau, die dicken Pickel einer 20-jährigen Studentin und den bösartigen Gehirntumor eines 42-jährigen Militäringenieurs, ferner Tuberkulose, Verdauungsstörungen, Gehirnschläge, hohen Blutdruck, Menstruationsbeschwerden, Schlaflosigkeit und die Spätfolgen von Gehirnschlägen.
Solche Erfolgsmeldungen beeindrucken eine städtische Unter- und Mittelschicht, deren medizinische Versorgung immer unsicherer geworden ist. Zu Maos Zeiten standen vielen Genossen am Arbeitsplatz Arzneimittel und Ärzte kostenlos zur Verfügung. Die Versorgung war nach den Maßstäben von Entwicklungsländern vorbildlich. Vor allem war sie allgemein zugänglich. Doch seit Beginn der Reformpolitik haben immer mehr Fabriken ihre Lazarette geschlossen. Behandelt wird in den stets überfüllten öffentlichen Krankenhäusern nur noch gegen Vorkasse - in bar. Und nur eine Minderheit der Chinesen ist krankenversichert.
Jeder Chinese kennt haarsträubende Geschichten über abgeschaltete Dialysegeräte von Nierenpatienten oder schwer verletzte Unfallopfer, die an der Krankenhauspforte abgewiesen wurden, weil sie die Behandlung nicht bezahlen konnten. "Falun Gong sagt den Leuten, ihre Krankheiten stammten von bösen Taten in ihrem vorherigen Leben und sie brauchten bloß Sutras zu rezitieren, um sich von den bösen Elementen zu reinigen. Das fasziniert viele Menschen, die nicht genug Geld für die Krankenkosten haben", sagt Dai Qing.
Doch es wäre falsch, in Falun Gong nichts als eine harmlose Gesundheitsbewegung zu sehen, deren Anhänger vor allem tief durchatmen wollen. Neben der schieren Masse ihrer Anhänger, die Falun Gong aus der großen Zahl der verbotenen Untergrundkirchen, widerstrebend geduldeten Religionsgemeinschaften und verfolgten Sekten weit hervorhebt, haben vor allem zwei Besonderheiten den Zorn der KP erregt: die straffe, effektive Organisation der Sekte und ihre Intoleranz gegenüber Kritikern. Beides demonstrierten Meister Lis Jünger im April dieses Jahres in der Hafenstadt Tianjin. Dort hatte der Wissenschaftler He Zuoxiu die Ansicht vertreten, junge Menschen sollten nicht Qigong lernen, sondern lieber Sport treiben. Falun Gong reagierte auf diese durchaus moderate Kritik mit heftigen Gegenattacken; schließlich belagerten Kultanhänger das Erziehungsinstitut in Tianjin, dessen Zeitschrift den kritischen Artikel veröffentlicht hatte. Das Sit-in dauerte sechs Tage. Später demonstrierten die Sektenjünger sogar vor den Toren des örtlichen KP-Hauptquartiers der Hafenstadt. Als die Polizei die Demonstrationen gewaltsam beendete und einige Dutzend Sektenmitglieder festnahm, antwortete Falun Gong nur zwei Tage darauf mit der inzwischen berühmten Belagerung von Zhongnanhai in Peking.
Das von roten Mauern und Überwachungskameras gesicherte Zhongnanhai-Areal ist das Allerheiligste der KP. Einen Steinwurf vom Tiananmen-Platz entfernt, stehen dort in einem parkähnlichen Gelände die Villen von Partei- und Staatschef Jiang Zemin und anderen Spitzenkadern. Kein Chinese bleibt länger als wenige Minuten vor dem Eingang zu diesem Gral des Sozialismus stehen, ohne sofort von misstrauischen Sicherheitskräften gemustert zu werden. Nur während der Studentenproteste von 1989 mussten die Spitzenkader kurz die Schmach einer Belagerung ihrer Burg hinnehmen. Und nun tauchten am Morgen des 25. April wie aus heiterem Himmel rund 10 000 Falun-Gong-Jünger vor den Toren von Zhongnanhai auf und zogen erst am Abend wieder ab. Ihre Gruppenführer hatten, welche Ironie, die Parole ausgegeben, der Partei müsse die Harmlosigkeit von Falun Gong "erklärt" werden.
Derweil versichert Li Hongzhi via Internet weltweit, Falun Gong hege keinerlei politische Ambitionen. Doch in der chinesischen Geschichte waren es oft Rebellionen religiöser Sekten, die das Ende kränkelnder Dynastien einleiteten. Und so ist es womöglich nicht ganz abwegig, dass viele Pekinger Intellektuelle Meister Li in diesen Tagen mit Hong Xiuquan vergleichen, dem selbsternannten "Sohn Gottes und jüngeren Bruder von Jesus Christus", dessen Sektenanhänger Mitte des vergangenen Jahrhunderts Nanking überrannt und für elf Jahre ein "himmlisches Königreich" errichtet hatten. Auch andere Sekten werden genannt wie die berüchtigte Sekte Weißer Lotos (Bailian), die gleich mehrere Dynastien heimsuchte. Viele dieser Sekten hatten, ähnlich wie Falun Gong, eine hausgemachte pseudoreligiöse Lehre, und ihre Anhänger fühlten sich durch Qigong unverwundbar.
Noch ist offen, wie die jüngste Schlacht um die Herzen der Chinesen ausgehen wird. "Sie haben diesem Meister Li einen großen Gefallen getan", sagt die Autorin Dai Qing über die Behörden. "Wir haben ihn bisher nur für einen Strolch gehalten. Jetzt ist er eine internationale Berühmtheit. Sie haben ihn nur noch stärker gemacht."
で、遅い平静深い、
容易さの微笑は、
現在の時、すばらしい時を解放する。
Ein Guru bedroht das System
Die Sekte Falun Gong hat China in die tiefste Krise seit dem Studentenprotest vor zehn Jahren gestürzt
Henrik Bork
China will kein Platz des himmlischen Friedens sein. Die mächtige Kommunistische Partei hat einen zum Guru gewandelten Extrompeter der nordchinesischen Waldpolizei namens Li Hongzhi zum Staatsfeind Nummer eins erklärt. Seine Sekte Falun Gong wurde verboten, führende Mitglieder wurden mit Lastwagen und Bussen in Sportstadien gekarrt. Es gehe, so vermeldet die Volkszeitung in einem aufgeregten Leitartikel, um einen "ernsten ideologischen und politischen Kampf", ja um "die Zukunft von Partei und Staat".
Wer nach Erklärungen für diese auf den ersten Blick maßlos übertriebene Reaktion der KP-Führer sucht, wird sie kaum in der wirren und mit rassistischen Ideen durchsetzten Heilslehre Falun Gong finden. Li Hongzhi, alias Meister Li, verbreitet sie seit 1992 in China, seit 1995 aus dem New Yorker Exil. In Falun Gong verbinden sich Teile der traditionellen asiatischen Religionen Taoismus und Buddhismus mit pseudowissenschaftlichem Mumpitz und straffer Organisation zu einer ebenso lukrativen wie effizienten Mischung. Durch traditionelle Atem- und Bewegungsübungen, Qigong genannt, und fleißiges Studium der Schriften ihres verehrten Meisters Li versuchen dessen Jünger Gesundheit und "übernatürliche Fähigkeiten" zu erlangen. In Büchern und auf teuren Videokassetten, bisweilen auch persönlich in trotz saftiger Eintrittspreise überfüllten chinesischen Sportstadien schwadroniert der Meister vom "himmlischen" dritten Auge und spielt den Wunderheiler.
Zugleich geht Falun Gong aggressiv gegen Kritiker vor und scheut nicht einmal den Konflikt mit der Staatsmacht, ja sucht ihn sogar. Die Sekte hat sich in den vergangenen Monaten als eine überaus schlagkräftige Organisation erwiesen, auch wenn die Zahl von 70 Millionen Jüngern, die Meister Li allein in China zu haben behauptet, erheblich übertrieben sein dürfte. Realistischer ist wohl die Schätzung des Informationszentrums für Demokratie und Menschenrechte in Hongkong, das die Zahl der chinesischen Falun-Gong-Anhänger mit 20 Millionen angibt, während die KP (die selbst 58 Millionen Mitglieder hat) von zwei Millionen Li-Jüngern spricht - offenbar will sie das Phänomen kleinreden.
Immerhin 39 Studienzentren mit 1900 Unterzentren und insgesamt 28 000 Gebetszirkeln zählte die Staatssicherheit landesweit. Und nach dem Wenigen, was unabhängige Beobachter in Erfahrung bringen konnten, scheint die Sekte das Leben ihrer Mitglieder fest in den Griff zu nehmen: Von stundenlangen täglichen Übungen ist die Rede und von einer strikt hierarchischen Organisation.
Westliche Sektenbeauftragte würden eine solche Organisation wohl mit Argwohn beobachten. Die kommunistische Führung in Peking jedoch, die ihren eigenen Bürgern seit jeher mit großem Misstrauen begegnet, fühlt sich offenbar in ihrer Existenz bedroht. Die KP sieht in jeder neuen Organisation, und sei sie noch so unpolitisch, schon den Kristallisationskern einer Erhebung der Unzufriedenen. "Die chinesische Führung geht hart gegen jede Gruppe vor, die sich zu organisieren versteht. Es spielt keine Rolle, ob das Demokraten, Untergrundgewerkschafter oder Falun-Gong-Anhänger sind", sagt der im New Yorker Exil lebende chinesische Demokrat Wei Jingsheng.
Religionsgemeinschaften freilich wurden in den letzten Jahren immer seltener behelligt, solange sie unpolitisch blieben und sich der Kontrolle der Partei unterwarfen. Wer gegen diese Gebote verstößt, wird hart verfolgt - eine Lehre aus der zentralen Rolle der Kirchen beim Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa, den die chinesischen Kommunisten aufmerksam beobachtet haben. Peking sperrt demonstrierende Nonnen und Mönche in Tibet ebenso gnadenlos ins Gefängnis wie 80-jährige, Rom-treue Bischöfe. Falun Gong könnte der Parteiführung besonders gefährlich erscheinen, weil die Sekte zwei Schwachstellen des chinesischen Sozialismus ausnutzt, die auf den ersten Blick nicht viel miteinander gemein haben: das spirituelle Vakuum und die Krise der medizinischen Versorgung im heutigen China.
Sie treffen auf eine Gesellschaft in der Krise. Der "Sozialismus chinesischer Prägung" erinnert in der Ära nach Deng Xiaoping bisweilen an den Manchesterkapitalismus der Jahrhundertwende. Arbeitslosigkeit, Korruption und Sorge um die Ausbildung ihrer Kinder stürzen plötzlich auf die Chinesen ein. "Viele Anhänger der Falun Gong sind Städter aus den unteren Einkommensklassen. Diese Menschen sind zutiefst verunsichert, was ihre Zukunft angeht", sagt die regimekritische Autorin Dai Qing. Wie verführerisch muss da ein Guru wie Meister Li sein, der die "gesammelte Weisheit des Kosmos" häppchenweise verabreicht!
Selbst Parteikader studieren statt der Mao-Bibel die Werke des Sektenführers
Die älteren Parteikader, die früher selbst in blinder Gefolgschaft dem roten Gott Mao Tse-tung nachliefen, verstehen instinktiv die politische Sprengkraft der Lehren eines Meister Li. Viele, die heute dessen Standardwerk Zhuan Falun (Der Gebotsweg) auswendig lernen, haben in ihrer Jugend noch die rote Mao-Bibel studiert. "Der einzige Unterschied zwischen Li Hongzhi und Mao Tse-tung ist, dass Mao sich selbst nie als Heiligen bezeichnet hat", sagt Wei Jingsheng.
Auch der Nachwuchs der Partei ist gegen die neue Lehre nicht gefeit. Wer heute in die KP eintritt, tut dies nur noch um seiner Karriere willen. Den Sinn ihres Daseins suchen die Kader längst anderswo. Schon wurden in Pekinger Ministerien Beamte gesichtet, die, im Schneidersitz auf ihren Stühlen sitzend, die Sutras des Meisters Li rezitierten. "Es gibt auch eine Schar von hochgebildeten Falun-Gong-Bewunderern. Dazu zählen der Sportminister Wu Shaozu und der prominente Wissenschaftler Qian Xue Sen. Sie sind von der nationalistischen Propaganda der Partei beeinflusst, dem ganzen Gerede vom kommenden chinesischen oder pazifischen Zeitalter. Falun Gong gefällt ihnen, weil sie es für eine traditionell chinesische Lehre halten", sagt Dai Qing. Die Unterwanderung der KP - und damit der Regierung, der Armee und der Polizei - hat die Führungsspitze alarmiert.
Neben spiritueller Erfüllung hat Meister Li freilich auch handfeste Nutzwerte zu bieten. Falun Gong ist Heilslehre und Heil-Lehre zugleich. Der große Meister pflanzt seinen Jüngern angeblich aus der Ferne das "Falun" (Gebotsrad) in den Unterleib, das dann 24 Stunden am Tag "kosmische Energie" in deren Körper schaufele. So soll Li ohne den zusätzlichen Einsatz von Pillen oder Skalpellen (Spenden hingegen waren stets willkommen) unter anderem folgende Krankheiten und Zipperlein geheilt haben: die Herzleiden eines 50-jährigen Liedermachers und das Leberleiden einer 60-jährigeFrau, die dicken Pickel einer 20-jährigen Studentin und den bösartigen Gehirntumor eines 42-jährigen Militäringenieurs, ferner Tuberkulose, Verdauungsstörungen, Gehirnschläge, hohen Blutdruck, Menstruationsbeschwerden, Schlaflosigkeit und die Spätfolgen von Gehirnschlägen.
Solche Erfolgsmeldungen beeindrucken eine städtische Unter- und Mittelschicht, deren medizinische Versorgung immer unsicherer geworden ist. Zu Maos Zeiten standen vielen Genossen am Arbeitsplatz Arzneimittel und Ärzte kostenlos zur Verfügung. Die Versorgung war nach den Maßstäben von Entwicklungsländern vorbildlich. Vor allem war sie allgemein zugänglich. Doch seit Beginn der Reformpolitik haben immer mehr Fabriken ihre Lazarette geschlossen. Behandelt wird in den stets überfüllten öffentlichen Krankenhäusern nur noch gegen Vorkasse - in bar. Und nur eine Minderheit der Chinesen ist krankenversichert.
Jeder Chinese kennt haarsträubende Geschichten über abgeschaltete Dialysegeräte von Nierenpatienten oder schwer verletzte Unfallopfer, die an der Krankenhauspforte abgewiesen wurden, weil sie die Behandlung nicht bezahlen konnten. "Falun Gong sagt den Leuten, ihre Krankheiten stammten von bösen Taten in ihrem vorherigen Leben und sie brauchten bloß Sutras zu rezitieren, um sich von den bösen Elementen zu reinigen. Das fasziniert viele Menschen, die nicht genug Geld für die Krankenkosten haben", sagt Dai Qing.
Doch es wäre falsch, in Falun Gong nichts als eine harmlose Gesundheitsbewegung zu sehen, deren Anhänger vor allem tief durchatmen wollen. Neben der schieren Masse ihrer Anhänger, die Falun Gong aus der großen Zahl der verbotenen Untergrundkirchen, widerstrebend geduldeten Religionsgemeinschaften und verfolgten Sekten weit hervorhebt, haben vor allem zwei Besonderheiten den Zorn der KP erregt: die straffe, effektive Organisation der Sekte und ihre Intoleranz gegenüber Kritikern. Beides demonstrierten Meister Lis Jünger im April dieses Jahres in der Hafenstadt Tianjin. Dort hatte der Wissenschaftler He Zuoxiu die Ansicht vertreten, junge Menschen sollten nicht Qigong lernen, sondern lieber Sport treiben. Falun Gong reagierte auf diese durchaus moderate Kritik mit heftigen Gegenattacken; schließlich belagerten Kultanhänger das Erziehungsinstitut in Tianjin, dessen Zeitschrift den kritischen Artikel veröffentlicht hatte. Das Sit-in dauerte sechs Tage. Später demonstrierten die Sektenjünger sogar vor den Toren des örtlichen KP-Hauptquartiers der Hafenstadt. Als die Polizei die Demonstrationen gewaltsam beendete und einige Dutzend Sektenmitglieder festnahm, antwortete Falun Gong nur zwei Tage darauf mit der inzwischen berühmten Belagerung von Zhongnanhai in Peking.
Das von roten Mauern und Überwachungskameras gesicherte Zhongnanhai-Areal ist das Allerheiligste der KP. Einen Steinwurf vom Tiananmen-Platz entfernt, stehen dort in einem parkähnlichen Gelände die Villen von Partei- und Staatschef Jiang Zemin und anderen Spitzenkadern. Kein Chinese bleibt länger als wenige Minuten vor dem Eingang zu diesem Gral des Sozialismus stehen, ohne sofort von misstrauischen Sicherheitskräften gemustert zu werden. Nur während der Studentenproteste von 1989 mussten die Spitzenkader kurz die Schmach einer Belagerung ihrer Burg hinnehmen. Und nun tauchten am Morgen des 25. April wie aus heiterem Himmel rund 10 000 Falun-Gong-Jünger vor den Toren von Zhongnanhai auf und zogen erst am Abend wieder ab. Ihre Gruppenführer hatten, welche Ironie, die Parole ausgegeben, der Partei müsse die Harmlosigkeit von Falun Gong "erklärt" werden.
Derweil versichert Li Hongzhi via Internet weltweit, Falun Gong hege keinerlei politische Ambitionen. Doch in der chinesischen Geschichte waren es oft Rebellionen religiöser Sekten, die das Ende kränkelnder Dynastien einleiteten. Und so ist es womöglich nicht ganz abwegig, dass viele Pekinger Intellektuelle Meister Li in diesen Tagen mit Hong Xiuquan vergleichen, dem selbsternannten "Sohn Gottes und jüngeren Bruder von Jesus Christus", dessen Sektenanhänger Mitte des vergangenen Jahrhunderts Nanking überrannt und für elf Jahre ein "himmlisches Königreich" errichtet hatten. Auch andere Sekten werden genannt wie die berüchtigte Sekte Weißer Lotos (Bailian), die gleich mehrere Dynastien heimsuchte. Viele dieser Sekten hatten, ähnlich wie Falun Gong, eine hausgemachte pseudoreligiöse Lehre, und ihre Anhänger fühlten sich durch Qigong unverwundbar.
Noch ist offen, wie die jüngste Schlacht um die Herzen der Chinesen ausgehen wird. "Sie haben diesem Meister Li einen großen Gefallen getan", sagt die Autorin Dai Qing über die Behörden. "Wir haben ihn bisher nur für einen Strolch gehalten. Jetzt ist er eine internationale Berühmtheit. Sie haben ihn nur noch stärker gemacht."
で、遅い平静深い、
容易さの微笑は、
現在の時、すばらしい時を解放する。