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Schatten und Licht. Wo Oligarchen agieren, ist es generell etwas schattig. Ohnehin eilt ihnen der Ruf voraus, auf ihrem wirtschaftlichen Werdegang seit dem Zerfall der Sowjetunion nicht sauber agiert zu haben. Poroschenko seinerseits wehrte sich in letzter Zeit vehement dagegen, überhaupt als Oligarch bezeichnet zu werden. In der Tat ist die Verwendung dieses Begriffs aufgrund der westlichen Unkenntnis ökonomischer Verhältnisse im Osten inflationär und undifferenziert.
Oligarch im postsowjetischen Verständnis bedeutet, seinen Reichtum vorwiegend den Verbindungen mit den politischen Machthabern zu verdanken und vice versa Einfluss auf diese zu haben. Über weite Strecken war das im Rohstoffsektor der Fall, der autoritären Systemen in Schwellenländern sehr oft als Nährboden dient. Das ist in Russland mit seinem fetten Öl- und Gasbereich sehr ausgeprägt. Das ist aber auch der Ukraine, durch die der Großteil des russischen Gasexports nach Europa fließt und die zudem über einen starken Metallurgiesektor verfügt, nicht fremd. „Wer in der Ukraine das Sagen beim Gas hat, hat das Sagen im Land“, erklärt Michael Gontschar, Ex-Vizechef einer Tochter des staatlichen Gaskonzerns Naftogaz und heute unabhängiger Gasexperte.
Die erste Million mit Pfeffer. Poroschenko, der seine breit gestreuten Aktiva in der Mischholding Ukrprominvest bündelt, hatte nie das Sagen im Gassektor. Nicht einmal peripher mischte der verheiratete Vater vierer Kinder dort mit. Vielleicht hätte er es gerne, so Dubrowskij: „Aber selbst, wenn er es probiert hat, hat man ihm den Zutritt verwehrt.“ Ganz im Unterschied zu seiner mittlerweile unterlegenen Rivalin um das Präsidentenamt, Julia Timoschenko, die nach ihren ersten Geschäftsversuchen mit einer Videothek alsbald in den Gassektor schlitterte und dort in enger Allianz mit der damaligen Regierung rund um den später in den USA inhaftierten Ministerpräsidenten Pawlo Lasarenko Unsummen verdiente. Bezeichnend daher, dass Timoschenko ihren Wahlkampf mit dem Slogan führte, die Oligarchie im Land überwinden zu wollen.
Poroschenko musste von Anfang an einen anderen Weg gehen. Die berüchtigte erste Million verdiente er mit dem Handel von Gewürzen, indem er 1991 vier Prozent der weltweiten Produktion von schwarzem Pfeffer kaufte, so das ukrainische „Forbes“-Magazin. Gut, Poroschenko hatte keine schlechte Ausgangsposition: Sein Vater, schon zu Sowjetzeiten Funktionär, Firmendirektor und in Moldau wegen Vermögensdelikten verurteilt, hat Know-how und Netzwerke in die Familie eingebracht. Sohn Petro kapierte in den Zeiten der Wende bald, dass wegen fehlenden Kakaobohnenimports ein Mangel an Schokolade und Süßwaren in der Ukraine herrschte. Schon bald importierte er also die Zutaten aus den Benelux-Staaten und verkaufte sie an Konditoreien bis nach Ostrussland. Sukzessive kaufte er selbst alte dahinsiechende Süßwarenfabriken auf und fasste sie zum Süßwarenkonzern Roshen zusammen. Schokolade, Pralinen und Kekse sind tragende Säulen des Sortiments, das an die 200 Markennamen umfasst. 450.000 Tonnen Konfekt produziert Poroschenko im Jahr und setzt dabei etwa acht Mrd. Hrywnja (vor der Abwertung etwa eine Mrd. Dollar) um. Mehr als 40 Prozent des Umsatzes machte er dabei in Russland und den GUS-Staaten, wobei der Anteil in Europa wächst. Roshen gilt als zweitgrößter Süßwarenkonzern in der GUS und als Nummer 18 weltweit.
Politische Wendigkeit. Süßigkeiten sind das Kerngeschäft. Darüber hinaus hat sich Poroschenko in vielen Segmenten versucht. Im Autohandel, der anfänglich noch über komplexe Tauschhandelskonstruktionen abgewickelt wurde, blieb er weniger erfolgreich. Bei Finanzunternehmen schon mehr. Eine Versicherungsgesellschaft und Investmentbank nennt er sein Eigen. Und sein prowestlicher TV-Sender Fünfter Kanal spielte schon bei der Orangen Revolution 2004 eine bedeutende Rolle.
Dass man für den Aufbau eines solchen Portfolios auch ein gutes Verhältnis zur Politik braucht, steht fest. Ebenso, dass es in seiner Umgebung durchaus zur Korruption gekommen ist und auch er steuergünstige Offshore-Strukturen genützt hat. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Poroschenko im Vergleich mit anderen Tycoons „sauberer geblieben“ ist, wie Serhij Leschtschenko auf Anfrage erklärt. Leschtschenko kennt das ukrainische Establishment nicht vom Hörensagen. Als Star-Aufdeckerjournalist der „Ukrainskaja Prawda“ hatte er als Erster die bis nach Österreich führenden Firmengeflechte von Ex-Präsident Viktor Janukowitsch enthüllt, noch bevor Janukowitsch gestürzt worden ist.
Poroschenko freilich wusste als studierter Diplomat mit Schwerpunkt auf Internationale Wirtschaft nur zu genau, wann man wie mit wem verhandelt. Am Ende war er politisch nahezu überall dabei. Schon mit 32 Jahren saß er als Abgeordneter im Parlament. Vor der Orangen Revolution auf der Seite von Altpräsident Leonid Kutschma, wurde er später vom Sieger der Orangen Revolution, dem damals von einem Giftanschlag gezeichneten Viktor Juschtschenko, zum Chef des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates befördert und mit übermäßigen Vollmachten ausgestattet, um schon damals die unerbittlich aufstrebende Timoschenko in Schach zu halten. Poroschenkos Vertrauen zu Juschtschenko gründete auch auf der Tatsache, dass die beiden gegenseitig als Taufpaten ihrer Kinder fungierten.
So kam es, dass Poroschenko zwischendurch Außenminister und Direktor der Zentralbank war. Bezeichnend, dass er sich bis vor einem halben Jahr sogar auf der Seite des mittlerweile gestürzten Janukowitsch wiederfand – und zwar als Wirtschaftsminister. Ehe er wohlgemerkt Ende 2013 als erster Großunternehmer offen die Seiten wechselte und die Demonstrationen gegen Janukowitsch unterstützte. Ein Chamäleon, sagen Kritiker. Ein schlauer Fuchs, sagen die, die nicht dem Reflex jener Fraktion unterliegen, die nur einen vormaligen Dissidenten als würdigen Staatslenker sehen. Die Ukraine hat nun mal – gleich wie die meisten Länder – keine namhaften Dissidenten mit dem Charisma, den Ambitionen und dem politischen Know-how eines Vaclav Havel. Aber sie hat offenbar die Überzeugung, dass Poroschenko das Land einen kann, weshalb sie ihn gleich beim ersten Wahlgang zum Präsidenten kürte.
Von Moskau ernst genommen. Mit dem Antritt des Präsidentenamtes wolle er sein Geschäftsimperium verkaufen, um Politik und Business zu trennen, ließ er neulich verkünden. Einzig seinen TV-Kanal will er nicht hergeben, was selbst seine Anhänger irritiert. Und ob er seine Hauptaktiva wirklich verkauft oder nur auf seine Verwandten überträgt, gilt es erst zu beweisen.
Bis gestern war die Zeit der Ankündigungen. Dass gerade ihm mit seiner Wendigkeit ein Dialog mit Russland gelingen kann, ist zu erwarten. In Moskau wird er ernst genommen, obwohl man ihm zwischendurch eine Produktionsstätte für Süßigkeiten abgedreht hat. Worauf freilich Poroschenkos Überzeugung fußt, dass „die Krim wieder ihre Freiheit erlangt und ukrainisch wird“, muss er erst erklären. Am ehesten auf dem Prinzip, von dem er sich eigenen Worten zufolge seit der Schulzeit leiten lässt: „Nichts ist unmöglich.“
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