@canales Der ukrainische Unternehmer und Oligarch Rinat Achmetow gilt zwar immer noch als reichster Mann des Landes. Doch er hielt sich lange mit einem klaren Bekenntnis zur Ukraine zurück, was ihm viele sehr übel nehmen.
Die Ukraine ist innerlich zerrissen - und das liegt auch an den Fehden ihrer mächtigen Milliardäre. Sie kämpfen um eine neue Hackordnung. Dabei hat ein Mann mit Abstand die besten Karten.
Der Krieg in der Ostukraine ist nicht nur für Millionen Menschen in der Gegend eine humanitäre Katastrophe. Und er ist nicht nur gekennzeichnet dadurch, dass Russland mit dem Westen um Einflusszonen eifert.
Der Krieg schafft offenbar auch den Boden dafür, dass bislang Undenkbares im innerukrainischen ökonomischen Machtgefüge plötzlich Wirklichkeit wird. Attacken gegen den bis dato reichsten und mächtigsten Ukrainer, Rinat Achmetow, etwa.
Vor gut einer Woche nahmen bewaffnete Kräfte unbekannter Herkunft eine Fabrik des unantastbaren Herrschers über den metall- und kohlereichen Donbass in Donezk ein.
Achmetow war "Hauptsponsor" von Janukowitsch
Nicht nur in seinem ostukrainischen Hoheitsgebiet wird der 47-Jährige, dessen Vermögen von Forbes zuletzt auf 12,3 Milliarden Dollar geschätzt wurde und der damit Platz 97 weltweit einnimmt, derzeit zum Ziel von Aufständischen. Zuvor marschierten Aktivisten aus den Reihen der vorherigen Premierministerin Julia Timoschenko vor seiner Residenz in Kiew auf und drangen ins Innere des Anwesens vor. Ihre Forderung: Achmetow "soll sich entscheiden, für wen er ist".
Tatsächlich tat sich Achmetow, der zumindest bis zum Vorjahr als Hauptfinanzier des im Frühjahr geflüchteten Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch galt, in den vergangenen Monaten schwer, auf wen er setzen beziehungsweise wie hoch er pokern sollte.
Sympathisierte er anfänglich mit den ostukrainischen Separatisten, die er laut deren Aussagen auch finanzierte, und ihrer Forderung, das Land zu föderalisieren, so schwenkte er Mitte Mai um und plädierte gegen den Willen der Separatisten für die territoriale Integrität des Landes. Dies nach Meinung ukrainischer Beobachter auch deshalb, weil er sich weiterhin Privilegien wie billigere Transporttarife für seine Unternehmen sichern wollte.
Gänzlich auf die Seite der neuen ukrainischen Regierung stellte er sich allerdings dennoch nicht, weil er stets für Verhandlungen mit den Separatisten votierte. Unterm Strich hat er sich damit Feinde auf beiden Seiten geschaffen. Und weil er sich dem Aufruf der separatistischen Anführer der sogenannten Donezker Volksrepublik, Steuern an sie abzuliefern, verweigerte, haben sie schon bald dafür plädiert, Achmetows Vermögenswerte einfach zu "nationalisieren".
"Achmetow ist schon kein Oligarch mehr"
Es geht um viel, denn Achmetow ist nicht irgendwer. Mit seinem Mischkonzern "System Capital Management" (SCM) beschäftigt er 300.000 Mitarbeiter. Bergbau und Stahlerzeugung gehören dazu, Telekommunikation und Medien, außerdem Banken und Energie. Allein sein Kohle- und Stromerzeuger DTEK kontrolliert die Hälfte des ukrainischen Kohle- und ein Drittel des Strommarktes.
Bei einem Umsatz von 23,47 Milliarden Dollar wurde 2012 ein Gewinn vor Steuern von 1,8 Milliarden Dollar erwirtschaftet - neuere Daten liegen nicht vor. Doch nicht nur die Separatisten-Einheiten sägen nun an seinem Stuhl und greifen nach seinen Vermögenswerten. Auch seine Oligarchen-Konkurrenten sind im Angriffsmodus. "Achmetow ist schon kein Oligarch mehr", sagte einer von ihnen kürzlich gegenüber dem TV-Kanal "Fünfter Kanal".
Es war Igor Kolomojskyj, jener 51-jährige Multimilliardär, der sich bisher auch am lautesten mit Kremlchef Putin angelegt und ihn einen "kleinen Schizophrenen" genannt hatte. Auch Putin war wohlgemerkt um eine Definition Kolomojskyjs nicht verlegen und bezeichnete ihn als einen Gauner von solchem Format, dass er sogar Roman Abramowitsch, den Besitzer des englischen Fußballklubs Chelsea, übers Ohr gehauen habe.
Kolomojskyj hegt Rachegelüste
Kolomojskyj scheint derzeit durchzustarten wie nie zuvor. Während etwa die Regierung Steuererhöhungen für Achmetows Erzsektor durchsetzte, schlugen ähnliche Versuche für den Ölsektor, in dem Kolomojskyj tätig ist, fehl.
"Der kolossale finanzielle Einfluss von Igor Kolomojskyj auf die politische Riege der Ukraine erlaubt es ihm, der neuen Führung des Landes praktisch seine Spielregeln zu diktieren", heißt es etwa in einem internen Papier deutscher Nachrichtendienste, das der "Welt" vorliegt: Demnach stelle sich Kolomjskyj auch gegen jegliche Verhandlungen mit den Separatisten und verfolge deren Vernichtung.
Im Unterschied zu Achmetow, der sich nur Spezialsicherheitseinheiten zum Schutz der eigenen Firmen nimmt, finanziert er auch bewaffnete Verbände, die gegen die Separatisten in den Kampf geschickt werden. Und er scheint von Rachegefühlen geleitet.
Als einziger einer handvoll Großunternehmer, die sich die Einflusszonen in der ukrainischen Oligarchie aufgeteilt hatten, musste er in den vergangenen beiden Jahren das Land Richtung Schweiz verlassen, weil er sich mit Janukowitsch gänzlich überworfen hatte.
Auch Timoschenko darf man nicht abschreiben
Seit dem Umsturz ist er zurück und im Handumdrehen zum Gouverneur von Dnepropetrowsk avanciert - jener Stadt, aus der auch Julia Timoschenko kommt, die zwar die Präsidentenwahlen verloren hat, aber im Parlament über ihre Gefolgsleute noch immer ein gewichtiges Wort mitzureden hat.
Von Dnepropetrowsk aus hatte Kolomojskyj sein Industrie- und Finanzkonglomerat namens "Privat-Group", das im Banken-, Stahl-, Erz- und Lebensmittelsektor vorne mitspielt, aufgebaut. Von dort aus hat er die Jahre über mal als zweit- mal als drittreichster Ukrainer agiert.
"Jetzt will Kolomojskyj Nummer eins in der gesamten Ukraine werden", sagt Hans-Georg Heinrich, Kenner der ukrainischen Machtstrukturen und Vizechef des Osteuropa-Analysezentrums ICEUR-Vienna. Dass er Achmetow enteignen und sich einige seiner Vermögenswerte nach altbewährter Oligarchenpraxis schnappen will, sagt Kolomojskyj selbst so direkt nicht.
Aber es geht in die Richtung, wenn er einen Gesetzesantrag unterstützt, der vorsieht, die Betriebe jener Unternehmer zu nationalisieren, die die Separatisten unterstützt haben. "Das zielt offensichtlich gegen Achmetow", erklärt Wladimir Dubrowskyj vom Kiewer Wirtschaftsforschungszentrum CASE Ukraine: "Kommt es zu diesem Gesetz, wird es als Werkzeug zur Besitzumverteilung dienen".
Dnepropetrowsk gegen Donezk
Es erscheint wie ein Déjà-vu - die Neuauflage der alten Rivalität zwischen den Machtzentren Dnepropetrowsk und Donezk, die immer schon um das Sagen im ganzen Land wetteiferten und das dritte Machtzentrum Kiew abwechselnd ausschalteten.
Immer wieder hatte sich das Blatt dabei gewendet. Sehr deutlich wurde das nach der Orangenen Revolution 2004, die dem Dnepropetrowsker Clan rund um Timoschenko Flügel verlieh. Als Premierministerin nahm sie alsbald Rache und entriss Achmetow und seinem damaligen Partner Wiktor Pintschuk das landesweit drittgrößte Unternehmen, den Stahlkonzern Kryworischstal, der dann 2005 allerdings in einer Auktion für 4,8 Milliarden Dollar an den weltweit größten Stahlproduzenten Mittal Steel ging.
Achmetow ahnte damals, was ihm drohte und verließ für kurze Zeit sogar fluchtartig das Land. Schon bald aber, vor allem mit der Wahl Janukowitschs zum Präsidenten im Jahr 2010, konnte er sich wieder sicher fühlen, während Timoschenko im Gefängnis verschwand.
Der Ringen mit Timoschenko und dem Dnepropetrowsker Clan dauert bis heute an und gilt als Hauptkonfliktlinie. Bleibt also die Frage, wie sehr Timoschenko und Kolomojskyj zusammenspielen. Noch schweigt Timoschenko, obwohl im Oktober Parlamentswahlen stattfinden: "Entweder sie ist geschwächt, oder sie löst gerade ihre Angelegenheiten mit Kolomojskyj", wie ein Berater der früheren Regierung, der nicht namentlich genannt werden will, erklärt: Man dürfe Timoschenko noch nicht abschreiben.
Firtasch sucht den Schutz des Präsidenten
Eine wichtige Rolle im Krieg der Oligarchen spielt auch Staatspräsident Petro Poroschenko, der von Forbes auf 1,3 Milliarden Dollar Vermögen geschätzt wird und es vor allem in der Süßwarenproduktion gemacht hat.
Zwar wollte er sich gänzlich aus dem Geschäft zurückziehen. Aber er bleibe doch Teil des oligarchischen Systems und könne von der Schwächung Achmetows profitieren, erklärte der führende ukrainische Enthüllungs-Journalist Serhij Leschtschenko in einem Beitrag für "Foreign Policy".
Bezeichnend ist, dass Poroschenko sich im Frühjahr die Unterstützung Dmitro Firtaschs sicherte, jenes Oligarchen, der sein Geld im Gaszwischenhandel mit Russland und in der Chemieindustrie gemacht hat und wegen seiner undurchsichtigen Gasgeschäfte auf Antrag der USA dieses Jahr in Wien festgenommen wurde.
Vor wenigen Wochen nun wurde Firtasch in einer Reportage des TV-Kanals "1+1", der Kolomojskyj gehört, als Marionette des Kremls vorgeführt, weil er früher Geschäfte mit einem russischen Mafiapaten gemacht habe - eine alte Geschichte, die einst Timoschenko hochgespielt hatte, um Firtasch aus dem Gasgeschäft zu drängen, obwohl sie früher selbst mit diesem Paten zu tun gehabt hatte.
Oligarchische Doppelspiele
Firtasch, der seinerseits in seinem TV-Kanal Kolomojskyj bei jeder Gelegenheit bloßstellt, hat sich mit Poroschenko offenbar auch deshalb zusammengetan, um sich Schutz vor dem neuen Aufsteiger Kolomojskyj zu sichern.
Durchaus weitblickend, wie sich am 11. August dieses Jahres zeigte: An diesem Tag wurde Firtaschs ostukrainische Chemiefabrik "Stirol" mit Raketenwerfern beschossen, die Geheimdienstinformationen zufolge ziemlich wahrscheinlich Kolomojskyjs Einheiten zuzuordnen sind.
"Firtasch spielt sicher ein oligarchisches Doppelspiel", so Experte Heinrich: Auch die Russen dürfe er nicht vergraulen, wenn er langfristig im Energie- und Gasgeschäft bleiben wolle. Fest stehe jedoch, sagt Ökonom Dubrowskyj, dass er sich "im Krieg mit Kolomojskyj befindet."
http://www.morgenpost.de/wirtschaft/article131480672/In-der-Ukraine-tobt-der-Krieg-der-Oligarchen.html (Archiv-Version vom 18.01.2015)