@fortylicks@MrSmithVielen Dank für den Link zur Analyse des Urteils durch den Strafrechtsprofessor James Grant, der sehr anschaulich verdeutlicht, wie unsorgfältig die Entscheidung durch das Gericht offenbar vorbereitet wurde. Das ist angesichts der üppig zur Verfügung stehenden Zeit mehr als verwunderlich.
Im Unterschied zu anderen Stellungnahmen von Rechtsexperten geht die Analyse von Grant ins Detail und orientiert sich insbesondere exakt an dem, was die Richterin vorgetragen hat. Vereinzelt findet man nun Meinungen von Experten, die das Urteil für richtig halten – diese lassen jedoch regelmäßig eine tiefergreifende Auseinandersetzung mit diesem vermissen und beschränken sich auf die Frage, ob das Ergebnis (die Bewertung der Tat als fahrlässige Tötung) vertretbar ist. Verschiedene Konzepte werden nicht sauber getrennt und schon gar nicht wird auf die konkreten Aussagen Masipas eingegangen.
Es wäre zwar in der Tat grundsätzlich möglich gewesen, auf rechtlich zulässigem Wege eine fahrlässige Tötung zu begründen. Wie in der Mathematik ist auch bei juristischen Bewertungen allerdings nicht nur das Ergebnis entscheidend, sondern insbesondere der Lösungsweg, also die Herleitung und Begründung – und genau diese sind im Fall von Masipa falsch. Wenn Masipa den Error in persona für unbeachtlich erklärt hätte oder wenn sie die Defence der Putativnotwehr akzeptiert hätte, dann wäre das nun gefundene Ergebnis kaum angreifbar gewesen. Beides hat Masipa jedoch nicht getan.
Insbesondere die Putativnotwehr konnte nicht mehr als Entschuldigungsgrund dienen, da Masipa deren Anwendungsbereich – in Übereinstimmung mit der Argumentation der Anklage – nicht für eröffnet hielt: OP hatte dieser Defence mit seinen Aussagen explizit widersprochen, indem er bestritt, die Absicht gehabt zu haben, durch die Schüsse den vermeintlichen Angriff abzuwehren. Dies ist aber die zentrale Voraussetzung für eine Anwendung der Putativnotwehr (Grant macht im Übrigen auch hins. der Putativnotwehr deutlich, dass Masipa mit deren Auseinandersetzung ebenfalls die gebotene Genauigkeit vermissen lässt). Viele, die nun das Urteil verteidigen, vermischen in unzulässiger Weise verschiedene Rechtskonzepte und gehen nicht präzise auf das konkrete Vorgehen von Masipa ein. Genau das ist aber entscheidend. Wer sich ihre Argumentation anhört, muss feststellen, dass sie eine richtige Frage stellt, dann aber eine Antwort gibt, die nicht zu dieser Frage passt. Es sollte nachvollziehbar sein, dass so etwas auf der Ebene eines Obersten Gerichtshofes nicht passieren darf.
Man benötigt insoweit keine juristischen Vorkenntnisse, um in diesem Fall zu erkennen, dass Masipa die von ihr beschriebenen Rechtsgrundsätze nicht richtig angewendet hat.
Dabei ist sie sehr detailliert auf die Frage eingegangen, wie in diesem Fall der Umstand zu bewerten ist, dass OP nach seiner Version nicht auf Reeva, sondern auf den Einbrecher schießen wollte.
Wie auch Grant deutlich macht, ist es hier wichtig, 2 Fälle zu differenzieren, die unterschiedlich rechtlich bewertet werden.
Zu unterscheiden sind die Konstellationen: aberratio ictus und error in persona (bzw. in objecto)
Dazu z.B. Prof. James Grant:
http://criminallawza.net/2013/02/28/what-if-you-shoot-the-wrong-person/ (Archiv-Version vom 13.09.2014)Als aberratio ictus (lat. für „Fehlgehen des Schlages“) wird im Strafrecht der Fehlschlag der Tat bezeichnet, wenn der Täter ein Objekt anvisiert und individualisiert, aber aufgrund einer Abweichung in der Außenwelt (und nicht aufgrund einer Fehlidentifizierung) ein anderes Objekt trifft.
Beispiel: A will B töten und schießt; B bückt sich in dem Moment, sodass die Kugel die dahinter stehende C trifft.
Demgegenüber beschreibt der error in persona im Strafrecht Fälle, in denen der Täter ein Objekt anvisiert und trifft, aber eine Identitätsverwechslung vorliegt: Der Täter trifft das Objekt, auf das er zielt, irrt sich jedoch in der Identität seines Opfers. Es liegt also eine Fehlidentifizierung vor, so dass deshalb die Tat fehlgeht, und nicht wegen äußerer Umstände (aberratio ictus).
Zur strafrechtlichen Bewertung dieser Fälle, wenn es um die Frage geht (die ja auch im Fall von OP entscheidend war), ob der Täter mit Tötungsabsicht handelte:
Aberratio ictus: Während nach früherer südafrikanischer Rechtslage der Irrtum irrelevant war (also auch dann, wenn A versehentlich C traf, obwohl er B treffen wollte, war A wegen einer vorsätzlichen Tötung an C schuldig), stellt die aktuelle Rechtslage darauf ab, ob der Täter (A) vorhergesehen hat, dass er evtl. statt B die C treffen könnte. Wenn dies der Fall ist, ist A der vorsätzlichen Tötung an C schuldig. Wenn dies nicht der Fall ist, A aber hätte vorhersehen müssen, dass evtl. C getroffen wird, dann ist A der fahrlässigen Tötung von C sowie des versuchten Mordes an B schuldig.
Der Error in persona ist im Unterschied dazu immer unbeachtlich: Hier ist A also ohne Frage des Mordes an C schuldig. Es spielt keine Rolle, dass A eigentlich B töten wollte. Er hatte die Absicht, die konkrete Person zu töten. Der Irrtum über die Identität spielt keine Rolle, da der Täter das anvisierte Objekt getroffen hat.
Masipa stellt zutreffend fest, dass hier ein error in persona vorliegt und es daher keine Rolle spielt, dass OP Reeva eigentlich nicht treffen wollte.
Dementsprechend wäre bei der Frage, ob OP mit Eventualvorsatz handelte, darauf abzustellen gewesen, ob OP vorhersah, dass er durch das Abfeuern der 4 Schüsse möglicher Weise den Einbrecher töten könnte. Diese entscheidende Frage hat Masipa aber nicht beantwortet. Sie hat den Eventualvorsatz abgelehnt, weil OP nicht vorhersah, dass sich Reeva in der Toilette aufhielt – schließlich vermutete er sie ja angeblich im Schlafzimmer. Erkennbar passt diese Feststellung nicht zu der eigentlich relevanten Frage.
Es wäre kaum nachvollziehbar, zu argumentieren, dass OP nicht vorhersah, dass er durch 4 Schüsse auf die Tür, hinter der er einen Menschen vermutete, jemanden töten konnte. Einen klareren Fall von Eventualvorsatz kann es kaum geben (oder hätte er nach den Schüssen erst noch eine Handgranate werfen und das Haus in Brand setzen sollen, damit er nicht mehr glaubhaft bestreiten kann, dass er nicht damit gerechnet hat, dass unter Umständen jemand zu Schaden kommt..??).
OP waren die möglichen Wirkungen der Schüsse sehr wohl bewusst – das räumt er selbst ein, indem er angab, dass er auf einen Warnschuss verzichtete, um sich nicht selbst durch einen Querschläger zu gefährden.
Grundsätzlich gilt (wie Masipa auch zutreffend ausführt), dass bei der Bewertung der Tötungsabsicht nicht nur die Aussage des Angeklagten relevant ist (dessen Angaben sie insoweit ja sogar als verlogen bewertet hat), sondern die Tötungsabsicht wird anhand der Gesamtumstände, insbesondere anhand des äußeren Tatgeschehens bewertet. Dabei bieten die äußeren Tatumstände hier Einiges, um die Tötungsabsicht zu begründen: die gezielte Bewaffnung und das Aufsuchen des Opfers, 4maliges Schießen auf einen Menschen ohne Flucht- oder Abwehrmöglichkeit, Verwendung von auf tödliche Verletzungen ausgelegte Munition.
Eine verkürzte, aber eindeutige Aussage von Judge Greenland auf seiner Facebook-Seite am 9.8. zu dieser Frage lautet: „when you point a gun in the direction of another human being, pull the trigger four times, you are intending to kill that person…You are a murderer.”
Die für diesen Fall alles entscheidende Frage nach der Tötungsabsicht OPs (bei Zugrundelegung seiner Version) wurde durch die Richterin aufgrund einer fehlerhaften Rechtsanwendung nicht beantwortet. Ich kann nur hoffen, dass die Staatsanwaltschaft diesen Fehler so nicht hinnimmt.
Hier noch 2 Links, die hoffentlich noch nicht eingestellt wurden:
http://www.telegraph.co.uk/news/11091142/Oscar-Pistorius-could-yet-be-convicted-of-murder-if-state-appeals-legal-experts-claim.html (Archiv-Version vom 12.09.2014)http://www.dailymail.co.uk/news/article-2753095/Oscar-Pistorius-manslaughter-verdict-dramatically-cleared-murdering-lover-Reeva-Steenkamp.htmlAus dem obigen Link:
A 2008 paper by KwaZulu Natal law professor Shannon Hoctor explained 'dolus eventualis' as when a person 'foresaw the possibility that the act in question.... would have fatal consequences, and was reckless whether death resulted or not'.
Masipa said the state had not proven that Pistorius had foreseen such a possibility.
She did, however, find on Thursday that: 'A reasonable person would have foreseen if he fired shots at the door, the person inside the toilet might be struck and might die as a result.'
Chris Greenland, a retired South African high court judge, said this was a serious inconsistency.
He told MailOnline: 'I am utterly bemused that this mistake was made.
'I can't wrap my head around it. I have never seen a judge make such a big mistake especially when she had so much time to arrive at a judgement.
'It's inexplicable.
'She has misinterpreted herself with regard to the law because she herself said previously that Oscar Pistorius's defence was that he was not guilty of murder because he killed her by mistake thinking that
'Now, during her verdict, she made a statement that was inconsistent because she found that he had not foreseen that he would kill the human being on the other side of the door.
'That was erroneous - she had already set out the law.
'It was a fundamental mistake.'
Absurden Charakter hat für mich insbesondere auch die Begründung Masipas zur Akzeptanz von OPs Version, wonach es sehr unwahrscheinlich sei, dass er sich im Falle der gezielten Tötung von Reeva so schnell die Variante mit dem Einbrecher hätte einfallen lassen. Bei der Bewertung aller anderen Vorgänge spielte die Wahrscheinlichkeit dann offenbar keine Rolle mehr…
@RabenfederWenn Nel doch wusste, dass Frank für ihn kein verwertbarer Zeuge ist, warum stand Frank dann trotzdem auf Nels (potentieller) Zeugenliste ?
Es macht für die Staatsanwaltschaft grds. Sinn, möglichst viele Zeugen auf die eigene Liste zu setzen – damit sichern sie sich die Vorrang, diese ggf. aufrufen zu können. Zudem darf von Seiten der Verteidigung erst dann auf diese Zeugen zugegangen werden, wenn klar ist, dass die Anklage sie nicht aufruft. (Diesbzgl. gab es ja auch das taktische Spielchen zwischen Nel und Roux bzgl. der Psychiaterin Kotze). Es ist damit eine Möglichkeit, Zeugen zumindest zeitweise von der Verteidigung abzuschirmen. Für mich ist die Angelegenheit mit Frank zum jetzigen Zeitpunkt noch kein Hinweis darauf, dass die Anklage in einen Deal verwickelt ist. Ich hallte es für realistisch, dass Frank aufgrund seiner engen Verbundenheit mit OP und dem bestehenden Abhängigkeitsverhältnis gegenüber der Polizei keine verwertbaren, OP belastenden Angaben gemacht hat. Durch die nicht ganz korrekte Angabe, dass sich nur 2 Personen zum Tatzeitpunkt im Haus aufhielten, sollte mMn auf möglichst einfache, prägnante Weise deutlich gemacht werden, dass es nur die beiden Tatbeteiligten (Täter und Opfer) und keine weiteren direkten Zeugen der Tat gibt. Ich sehe das weniger kritisch.
Sollte sich Nel jedoch mit einem milden Urteil zufrieden geben, müsste ich einiges noch mal in einem anderen Licht betrachten.