@RabenfederIch stimme mit dir grundsätzlich überein, dass es noch eine Vielzahl offener Punkte gegeben hätte, die man von Seiten der Anklage hätte (näher) einbeziehen können. Bei vielen Aspekten bin ich allerdings überzeugt, dass sie den Fall im Sinne der Anklage nicht vorangebracht, evtl. sogar diesem eher geschadet hätten.
Was Sam Taylor anbelangt, konnten wir heute von der Richterin erfahren, welche Aussagekraft sie ihren Angaben zumisst: Keine. Sie ist nur die frustrierte, rachsüchtige Ex-Freundin.
Eine Befragung von Sam durch den Staatsanwalt zu ihrer Beziehung mit Oscar Pistorius wäre überdies als Beweismittel im Wesentlichen nicht zulässig gewesen. Die Staatsanwaltschaft hat nur in zwei eng begrenzten Ausnahmefällen die Möglichkeit, Beweise über den schlechten Charakter des Angeklagten einzubringen: Unter bestimmten Bedingungen darf während des Kreuzverhörs des Angeklagten darauf eingegangen werden. Zudem ist es zulässig, einen Zeugen der Verteidigung, der den guten Charakter des Angeklagten belegen soll, im Kreuzverhör auch hinsichtlich negativer Eigenschaften zu befragen (diese Option ergab sich im Prozess z.B. als der Manager OPs aussagte). Ansonsten ist bad character evidence unzulässig, wird also vom Gericht nicht in die Entscheidung miteinbezogen, da solche Beweismittel für die Bewertung der Tat keine Aussagekraft haben. Auch gute Menschen können schlechte Dinge tun bzw. umgekehrt können auch Menschen mit schlechtem Charakter Gutes tun. Stereotypes Denken soll vermieden werden, daher bestehen die Restriktionen hinsichtlich der Zulässigkeit solcher Beweismittel.
Dazu z.B.:
http://criminallawza.net/tag/criminal-law-2/ (Archiv-Version vom 09.09.2014)Wenn es um die Frage geht, welche Zeugen vorgeladen werden, ist in erster Linie entscheidend, ob sie zur Untermauerung des eigenen Falles etwas beitragen können. Dafür werden von Seiten der Polizei und Staatsanwaltschaft (und auch von Seiten der Verteidigung) vorab Befragungen durchgeführt. Im Fall von Gärtner Frank war z.B. erkennbar, dass er zum Tatgeschehen keine Angaben machen konnte (bzw. wollte). Es machte daher keinen Sinn, ihn vorzuladen – auch, wenn man den Verdacht hat, dass er nicht die Wahrheit sagt. Letztlich hat man keine Handhabe, ihm das Gegenteil zu beweisen und ihn zu einer Aussage zu zwingen. Befragungen durch den Staatsanwalt zu OPs Character und seinen Gewohnheiten sind, ohne dass der Zeuge zudem tatrelevante Angaben machen kann, auch in diesem Fall grundsätzlich kein zulässiges Beweismittel. Es war auch kaum zu erwarten, dass der Angestellte Oscars über diesen vor Gericht etwas Negatives aussagen wird. Frank dennoch vorzuführen, obwohl bereits zuvor bekannt war, dass er zu den tatrelevanten Fragen keine Angabe machen wird, wäre möglicher Weise auf den Unmut der Richterin gestoßen.
Im Übrigen kann Nel grds. nur mit den Ergebnissen arbeiten, die ihm seine Experten liefern. Wenn diese z.B. nicht nachweisen konnten, dass das Handy bzw. die Anruflisten manipuliert wurden, muss er das so hinnehmen. Dasselbe gilt, wenn der Blutspurexperte und der Gerichtsmediziner nicht beweisen können, dass es vor den Schüssen Gewalteinwirkungen gegen Reeve gab. Auch konnte nicht festgestellt werden, auf welche Weise die Beschädigungen am Badezimmerblech entstanden sind – selbst wenn man die Ursache hätte ergründen können, wäre damit nicht nachgewiesen, wann genau der Schaden entstanden ist. Das wird in gleicher Weise für das beschädigte Fenster gelten. Hier gab OP an, es sei beim Ballspielen mit den Hunden zerbrochen, eine neue Scheibe war besorgt, aber noch nicht eingebaut. Diese Angaben ließen sich offenbar nicht widerlegen. Irgendwelche Vermutungen oder weitreichende Spekulationen, die nicht durch ein Expertengutachten belegbar sind, würden keinen professionellen Eindruck vermitteln und wären auch unnötig, da sie den eigenen Fall nicht wirklich voranbringen. Insbesondere bei solchen Aspekte, bei denen weder die genaue Ursache noch der direkte (zumindest zeitliche) Bezug zur Tat hergestellt werden kann, halte ich es grds. für die richtige Herangehensweise, dass der Staatsanwalt diese nicht in allzu weitreichende Spekulationen einbaut. Ich halte es für sinnvoll, -wie geschehen- diese Aspekte grds. im Rahmen der Beweisführung zu benennen bzw. zu zeigen, damit das Gericht die Möglichkeit hat, sie zur Kenntnis zu nehmen. Letztlich wird das Gericht jedoch diesen Punkten keinen allzu großen Wert beimessen. Es gilt hier das rechtliche Prinzip (auf das Masina sich ja auch einige Male berufen hat), wonach Schlussfolgerungen aus Fakten und Indizien, die den Angeklagten belasten, nur gezogen werden dürfen, wenn realistischer Weise keine anderen Deutungen in Betracht kommen. Insbesondere dann, wenn sich nicht belegen lässt, dass z.B. die Beschädigungen an der Schlafzimmertür, am Badezimmerblech, dem Fenster im EG, zeitlich am Tatabend im Rahmen des Tatgeschehens entstanden sind, kann das Gericht dem keine Bedeutung für die Urteilsfindung beimessen. Die entsprechenden Fotos wurden gezeigt und es bestand so zumindest die Chance, das sie einen entsprechenden Eindruck hinterlassen. Wäre Nel jedoch darauf z.B. im Schlussplädoyer, das ohnehin zeitlich stark limitiert war, näher eingegangen, hätte er mMn die Schwerpunkte falsch gesetzt. Es hätte Diskussionen mit der Richterin gegeben, die die Aussagekraft dieser Punkte für die rechtliche Bewertung des Mordgeschehens hinterfragt hätte – so wie es ja z.B. auch bei der Bewertung der Wats App-Nachrichten Reeves geschehen ist. Letztlich hätte sie diese Punkte genauso unter den Tisch fallen lassen wie eben die genannten Messages.
Der entscheidende Punkt war in diesem Fall die Tötungsabsicht. Genau daran ist auch letztlich die Bewertung des Falles als Mord (meiner Überzeugung nach zu Unrecht) gescheitert. Was diesen entscheidenden Aspekt anbelangt, kann ich keine groben Versäumnisse der Anklage erkennen. Nel hat hier sowohl für den Fall, dass OPs Version verworfen wird, als auch für den Fall, dass seine Geschichte akzeptiert wird, dargelegt, warum eine Tötungsabsicht vorliegt – dabei ist er auf beide Varianten, nämlich Dolus directus und Dolus eventuales, eingegangen. Er hat den error in persona definiert – dies alles wurde leider von der Richterin nicht angenommen.
Wenn jemand unbedingt OPs Version akzeptieren möchte, ist es äußerst schwierig, ihn –egal mit welchen Fakten, Beweisen, Indizien und Argumenten - vom Gegenteil zu überzeugen. Ich denke daher, dass Nel auch bei einer besseren Aufbereitung seines Falles keine Chance gehabt hätte…
Es wird nun erwartet, dass eine Entscheidung über die Einlegung von Rechtsmitteln gegen das Urteil durch die Staatsanwaltschaft nach Bekanntgabe des Strafmaßes getroffen wird.
Dazu eine interessante Einschätzung von Ulrich Roux, der davon ausgeht, dass die Verteidigung auch bei einer relativ hohen Haftstrafe wohl eher keine Rechtsmittel einlegen wird, da das Risiko zu hoch ist, dass das Berufungsgericht OP dann doch wegen Mordes verurteilt…
http://www.theguardian.com/world/2014/sep/12/pistorius-verdict-questioned-as-state-prepares-appeal?CMP=twt_gu