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Nordische Mythen

104 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Götter, Mythen, Nordisch ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Nordische Mythen

11.12.2004 um 19:01
Hi all

Wie die Langobarden zu ihrem Namen kamen

Paulus Diaconus erzählt in seiner bereits im 8. Jahrhundert auf lateinisch geschriebenen Geschichte der Langobarden einen Mythos von Wodan und seiner Gemahlin Frea. Darin heißt es, die Göttin Frea habe beschlossen, dass Wodan an Stelle der Wandalen, die er zuvor unterstützt hatte, den Stamm der Winnilen in der Schlacht begünstigen sollte. Sie riet den Winnilen, bei Sonnenaufgang hervorzutreten und ihrer Frauen langen Haare vor das Gesicht zu binden, sodass sie wie bärtige Männer aussahen. Dann drehte sie Wodans Bett gen Osten, sodass er beim Erwachen die Winnilen statt der Vandalen sah. Als er ausrief: "Wer sind diese Langbärtigen?", sagte sie, nun habe er ihnen einen Namen gegeben und müsse sie also siegen lassen. So erhielten sie als Zeichen für die Gunst des Gottes den Namen Langobarden

Die Gewinnung des Zaubermet

Odin sollte den inspirierende Zaubermet in den Besitz der Götter bringen. Als die Asen und Wanen, die beiden Göttergeschlechter, Frieden schlossen, spuckten alle in eine Schüssel und schufen so den weisen Riesen Kvasir. Dieser wurde später von zwei Zwergen getötet, die sein Blut mit Honig vermischten und so den Zaubermet der Inspiration herstellten. Doch der Riese Suttung, dessen Eltern ebenfalls von den Zwergen getötet worden waren, raubte aus Rache den Met und versteckte ihn im Innern eines Berges. Odin brach auf, um ihn für die Götter zurückzuerobern. Zunächst löste er zwischen den neun Männern, die für Suttungs Bruder Baugi arbeiteten, einen tödlichen Streit aus. Dann nahm er ihren Platz ein und erbat sich als Lohn einen Becher voll Met. Suttung verwehrte ihm dies, doch Baugi half Odin, in Schlangengestalt in den Berg hineinzukriechen, wo er drei Nächte mit der Tochter des Riesen schlief und sie überredete, ihn drei Mal von dem Met trinken zu lassen. Er leerte alle drei Becher in einem Zug aus, flog in Gestalt eines Adlers nach Asgard zurück und spuckte dort den Met in die von den Göttern bereitgestellte Gefäßen

Der Wolf Fenrir

Eins der Ungeheuer, die Loki zeugte, war der Wolf Fenrir. Er wuchs unter den Göttern auf, und nur Tyr, der wohl dem früheren Teiwas entspricht, wagte es, ihn zu füttern. Der Wolf riss sich von jeder Kette los, bis Odin von den Zwergen ein Zauberband anfertigen ließ, das weich wie Seide, jedoch zugleich ungeheuer fest war; es bestand aus so unfassbaren Dingen wie dem Fuß eines Berges und dem Geräusch einer laufenden Katze. Der Wolf aber schöpfte Verdacht und wollte nicht zulassen, dass man ihm das Band um den Hals legte, solange nicht einer der Götter zum Zeichen guter Absicht die Hand in sein Maul steckte. Der einzige, der dazu bereit war, war Tyr. Als das Band festgezogen wurde und den Wolf fest hielt, lachten die Götter - bis auf Tyr, der seine rechte Hand verlor. Der Wolf wurde mit einem Schwert, das man ihm ins Maul schob, unschädlich gemacht und an einen riesigen Felsen gebunden, wo er bis zum Ragnarök verharrte.

Thor und die Riesen

In einem frühen Text wird von einem Besuch im Reich des Riesen Geirröd erzählt, zu dem ihn Loki in böser Absicht überredet hatte. Thor musste seine ganze göttliche Stärke aufbieten, um einen wilden Fluss zu überqueren und zu verhindern, dass ihn die beiden Töchter des Riesen zermalmten; er tötete sie und ihren Vater. Ein anderer Mythos erzählt von einem berühmten Duell mit dem Riesen Hrungnir, dem es gelungen war, in Asgard einzudringen. Als der Riese einen Wetzstein gegen Thor schleuderte, drang ein Splitter davon in dessen Kopf, doch Thor vernichtete seinen Feind mit seinem Hammer. Seine Todfeindin war die Weltschlange, die er einst vom Meeresboden heraufgezogen hatte. In einer älteren Version dieses Mythos wurde Thor wohl als der Himmelsgott dargestellt, der bei der Schöpfung das Ungeheuer des Chaos überwältigte; im Zeitalter der Wikinger hingegen hieß es, Thor habe die Schlange beim Ragnarök, der Götterdämmerung, besiegt und sei dabei durch ihr Gift getötet worden.

Thors Stärke erwies sich nur dann als unzureichend, wenn man ihn durch Zauber zu täuschen vermochte. Bei einer Reise in das geheimnisvolle Reich Ut-gard begegnete er einem Riesen, der so groß war, dass Thor in seinen Handschuh hineingehen konnte, als beträte er eine Halle. Der Riese befahl ihm, ein Hörn voll Bier zu leeren, das sich immer wieder aus dem Meer auffüllte, und mit dem Alter zu kämpfen, das selbst den Stärksten töten kann; und schließlich sollte er eine graue Katze vom Boden aufheben, die in Wirklichkeit die Weltenschlange war. All dies waren unmöglich zu bewältigende Aufgaben, doch Thor erschreckte den hinterlistigen Riesen durch seine Kraft: Bei der Trinkprüfung sank der Meeresspiegel, und als Thor eine Pfote der Katze hochhob, wurde beinahe die Welt vernichtet (hierbei handelt es sich möglicherweise um eine andere Version jenes Mythos, in dem Thor die Schlange vom Grund des Meeres hochzieht).

Thor fischt nach der Weltenschlange

Ein weit verbreiteter Mythos der Wikingerzeit ist der vom Besuch Thors bei dem Meerriesen Hymir. Diese Begegnung wird in einigen der ältesten erhaltenen Dichtungen beschrieben und ist auf drei Steinreliefs des Wikinger Zeitalters dargestellt. Ein aus dem 8. Jahrhundert stammender Stein aus Gotland zeigt offenbar Thor mit dem Ochsenkopf, der in dem Boot eines Riesen rudert.

Thor ging als jugendlicher Mann verkleidet zum Meer und fragte den Riesen Hymir, ob er mit ihm fischen dürfe. Hymir war zunächst nicht bereit, ihn mitzunehmen, und sagte ihm, er solle selbst einen Köder finden; daraufhin ging Thor zur Ochsenherde des Riesen, tötete das größte Tier und brachte dessen Kopf mit.

Nun brachen die beiden in dem Boot auf, und Thor ruderte mit heftigen Schlägen, bis sie die Fischgründe des Riesen erreicht hatten. Dort hängte Thor den Ochsenkopf an den Angelhaken und warf ihn ins Wasser. Die Weltenschlange in den Tiefen des Ozeans schnappte ihn, und Thor zerrte die Kreatur hinauf, bis ihr schrecklicher Kopf über den Wellen auftauchte. Thors erstaunliche Kraft nahm noch zu, als er zog; seine Füße durchbohrten das Boot, und er stammte sich gegen den Meeresboden. Als die Schlange Gift spuckte, erhob Thor seinen Hammer, doch der von Panik ergriffene Riese schnitt die Angelschnur durch.

Snorris Edda zufolge waren sich die Erzähler nicht einig, ob Thor die Schlange erschlug. Einige glaubten daher sie sei entkommen und ins Meer zurückgefallen, während Thor den Riesen über Bord warf und zurück an Land watete.

Und noch zu schluss

Die Drachentöter - Beowulf und Sigurd

Sigurd

Der Mythos eines Helden, der einen großen Drachen tötete, war fester Bestandteil der Tradition des Nordens. Von besonderer Bedeutung ist die Erzählung von dem Drachen Fafnir, der von dem jugendlichen Helden Sigurd aus dem Geschlecht der Völsungen getötet wurde. Sie war seit dem 10. Jahrhundert verbreitet.

Sigurds Vater Sigmund war einer der größten Helden Odins (vielleicht war er sogar der ursprüngliche Drachentöter, da Sigurd in den frühen Quellen nicht erwähnt wird). Als Sigmund in einer Schlacht fiel, zerschmetterte Odin das wunderbare Schwert, das er ihm einst geschenkt hatte. Sigmunds Witwe Hjördis bewahrte jedoch die Teile für ihren Sohn Sigurd auf, erzählte ihm, sein Ziehvater Regin, der ein berühmter Waffenschmied war,von einem großen Schatz der von dem Drachen Fafnir Sigrud Bruder, bewacht wurde.

Regin drängte Sigurd nun Fafnir zu töten, um in den Besitz des Schatzes zu kommen. Zu diesem Zweck setzte er das von Odin zerbrochene Schwert Gram wieder zusammen und schmiedete daraus eine neue Waffe mit einer scharfen Schneide. Dann riet er Sigurd, eine Grube zu graben, sich hineinzusetzen und den Drachen von unten zu erstechen, wenn er auf dem Weg zum Wasser darüberkroch. Doch nun erschien Odin in Gestalt eines alten Mannes und warnte Sigurd, er werde in dem Blut ertrinken, wenn er nicht mehrere Löcher grübe - ein Rat, der dem Helden das Leben rettete. Nachdem Sigurd Fafnir an der Schulter tödlich getroffen hatte, bat Regin Sigurd, das Herz des Drachen für ihn zu braten. Dabei verbrannte sich Sigurd den Finger und steckte ihn in den Mund. Als das Blut mit seiner Zunge in Berührung kam, konnte er die Sprache der Vögel verstehen. So erfuhr er, dass Regin die Absicht hatte, ihn zu töten. Nun schlug Sigurd Regin mit dem Schwert den Kopf ab, lud den Schatz auf Rücken seines Pferdes Granis und ritt davon. Der Besitz des sagenhaften Rings, der Reichtum vervielfältigen konnte, führte jedoch schließlich durch die Machenschaften Brunhilds, die eifersüchtig auf Sigurds Frau Gudrun war, zu Sigurds Tod.

Dieselbe Geschichte wird in der späteren mittelalterlichen Erzählung von Siegfried und dem Schatz der Nibelungen wieder aufgenommen, wobei allerdings die Tötung des Drachen in den Hintergrund tritt.

Beowulf

In dem angelsächsischen Heldenlied Beowulf, das meist auf das 8. Jahrhundert datiert wird, findet sich die lebendige Schilderung eines femigen Drachen. Trotz des christlichen Hintergrunds der Dichtung erinnert die Darstellung der Ungeheuer, die von dem Helden Beowulf getötet werden, an vorchristliche Legenden.

Als junger Mann kam Beowulf aus dem Land der Gauten an den dänischen Hof, um dem alten König Hrothgar beizustehen, und tötete in einem Zweikampf das menschenfressende Ungeheuer Grendel, das nachts in die königliche Halle eindrang. Als Grendels Mutter ihr Kind rächen wollte, verfolgte Beowulf sie bis zu ihrem Versteck an einem See und tötete sie.

Beowulf regierte noch weitere fünfzig Jahre über die Gauten, bis sein Königreich durch einen Drachen bedroht wurde, der seit Jahrhunderten einen großen Schatz in einem Höhlengrab bewachte. Als ein Flüchtling einen wertvollen Trinkbecher daraus stahl, wurde er so zornig, dass er noch in derselben Nacht losflog, um das Königreich zu verwüsten.

Mit einem großen Schild aus Eisen - als Schutz gegen das Feuer des Drachen - und einer Reihe auserwählter Krieger trat Beowulf dem Tier entgegen. Doch die Klinge seines Schwertes konnte nicht in die dicke Hornhaut des Ungeheuers eindringen, und als der Drache näher rückte, flohen alle seine Begleiter vor Schrecken, bis auf einen Getreuen, den jungen Stammeshäuptling Wiglaf. Als der Drache mit seinen Zähnen Beowulfs Hals packte, durchbohrte Wiglaf mit seinem Schwert den Bauch des Drachen. Beowulf zog nun sein Messer heraus, und beide attackierten den Drachen, bis er tot war. Doch Beowulf war durch den giftigen Atem des Ungeheuers geschwächt worden. Sterbend vermachte er Wiglaf den Schatz, seinen Halsreif und seine Rüstung.

Der Feuer speiende Drache in Schlangengestalt und ausgestattet mit Flügeln, sodass er durch die Nacht fliegen konnte, erinnert an die Schlangenungeheuer der frühen Mythen und Legenden. Beowulf stirbt auf ähnliche Weise wie Thor, der in der letzten Schlacht beim Ragnarök die Weltenschlange tötete, dann jedoch an deren Gift zu Grunde ging.

@Palin

Ich hoffe ich konnte dir helfen mit diesen mhyten der germanen.Wenn du mehr willst sag bescheid...


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Nordische Mythen

11.12.2004 um 20:53
Target ich danke dir tausendmal und wenn du mehr weisst bitte schreibs.

Ich finde diese geschichten total spannend bitte erzählt mir mehr davon.

Danke

Hier sollte eigentlich was geisreiches stehen wie bei den anderen aber ich weiss nichts und deshalb schreib ichh das hier.


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Nordische Mythen

11.12.2004 um 22:26
@Palin
Du schreibst:
<"@target des heisst arisch und nich arianisch nur mal so ">

Target meint aber die Christliche Gruppierung der Arianer. Im Gegensatz zu den Katholiken verneinte diese Richtung der Frühchristen die Gleichsetzung von Jesus mit Gott.

Arisch ist etwas anderes und das meinte Target in diesem Zusammenhang nicht. Im Übrigen haben die "Aria" - der Name stammt aus dem persisch-indischen Kulturraum - nix mit Germanen zu tun. Auch wenn gewisse rechtsorientierte Kreise diese Mär auch heute noch kolportieren.

Das dem so sei ist eine "Erfindung" einiger mehr oder weniger Gelehrter des 19. Jahrhunderts.

Auch das gehört zu den Nordischen Mythen - allerdings der neueren Art -gg*

Welches Muster verbindet den Krebs mit dem Hummer und die Orchidee mit der Primel und diese vier mit mir? Und mich mit Ihnen? (Gregory Bateson)


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Nordische Mythen

12.12.2004 um 00:17
@ Palin

>>seit wann is Robin Hood eine germanische Sage?
>>nur mal so erklär mir des mal bitte

Ich hab doch nix von germanischen Sagen erzählt. Du hast lediglich
nach "Mythen" gefragt. Nicht nach germanischen oder so. ;)

Also hab ich einfach mal so eine kleine Auflistung gemacht über verschieden
Mythen. Und Robin Hood ist eigentlich keine Sage, sondern eher ein Mythos.

Einer meiner absoluten Lieblingszitate aus Herr der Ringe ist:

"Geschichte wurde Legende, Legende wurde Mythos".

Der Begriff "Sage" ist dann der nächste Schritt in dieser Reihenfolge.
"Mythos wurde zur Sage". Der noch nächste Schritt wäre dann "Märchen".
Also:

Geschichte -> Legende -> Mythos -> Sage -> Märchen

Und dies variiert Je nach Wissens- und Erinnerungsstand der Menschen
versteht sich.

Die Wahrheit schmerzt manchmal, aber die Luege dahinter noch viel mehr.


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Nordische Mythen

12.12.2004 um 01:58
@Palin

Mach ich doch gern. ;)

Der Raub der goldenen Äpfel

Eines Tages waren Odin, Loki und Hönir gemeinsam unterwegs und brieten einen Ochsen, doch das Fleisch wollte nicht richtig gar werden. Ein großer Adler (in Wirklichkeit der Riese Thiassi), der über ihnen in einer Eiche hockte, bot ihnen unter der Bedingung seine Hilfe an, dass er an dem Mahl teilhaben dürfe. Als der Ochse endlich fertig war, schnappte sich der Vogel den größten Teil des Fleisches. Wütend schlug Loki mit einem Stock nach ihm, doch der Adler flog mit dem Stock an seinem Körper, an dessen anderen Ende Loki hing, davon. Loki wurde über den Boden gezogen, und Thiassi erklärte, er werde ihn erst dann loslassen, wenn er schwöre, ihm die Göttin Idun und die goldenen Äpfel der Unsterblichkeit zu bringen. Als Loki nach Asgard kam, gelang es ihm, die Göttin mit ihren goldenen Äpfeln - unter dem Vorwand, er könne ihr noch schönere Äpfel zeigen - in den Wald hinauszulocken. Dann stieß Thiassi in Adlergestalt herab und trug die goldenen Äpfel nach Jotunheim, in das Land der Riesen. Die Götter, die nun der Äpfel beraubt waren, wurden alt und runzelig, und als sie entdeckten, dass Loki an dem Diebstahl beteiligt war, drohten sie, ihn zu töten, wenn er Idun nicht zurückbrächte. So nahm Loki die Falkengestalt Freyjas an und flog zu Thiassis Halle, verwandelte Idun in eine Nuss und trug sie in seinen Klauen davon. Bald darauf verfolgte ihn der Riese in seiner Adlergestalt erneut, doch als Loki Asgard erreichte, steckten die Götter einen Haufen Holzspäne in Brand, sodass Thiassis Flügel angesengt wurden, sobald der Riese die Grenze nach Asgard überflog. Er fiel zu Boden, und die Götter töteten ihn. So blieben die wertvollen Äpfel in Asgard und garantierten weiterhin die ewige Jugend der Götter.

Der Raub des Hammers

Eines Tages verlegte Thor seinen Hammer, die Einzige wirksame Waffe gegen die Riesen. Loki nahm die Falkengestalt Freyjas an und flog überallhin, um ihn zu suchen, bis er schließlich mit der Nachricht zurückkehrte, dass der Hammer sich im Besitz des Riesen Thrym befinde und tief unter der Erde vergraben liege. Der Riese weigerte sich, den Hammer zurückzugeben, wenn er die Göttin Freyja nicht als Braut bekäme. Als Freyja dies hört zerriss sie rasend vor Zorn ihren berühmten Halsschmuck. Der weise Heimdali riet Thor, er solle einen Brautschleier anlegen, sich als Freyja verkleiden und mit Loki nach Jotunheim, dem Reich der Riesen, reisen. Widerstrebend willigte Thor ein und machte sich mit Loki in seinem Wagen auf, begleitet von Donner und Blitz. Die Riesen begrüßten die Braut voller Freude, waren jedoch erstaunt über ihren enormen Appetit beim Hochzeitsfest; und als sie durch den Schleier die glühenden Augen sahen, erfasste sie Unruhe. Der clevere Loki aber, der als Dienerin der Braut verkleidet war, beschwichtigte sie und versicherte ihnen, Freyjas ungewöhnliches Verhalten sei damit zu erklären, dass sie acht Tage und Nächte nicht geschlafen und nichts gegessen habe, so sehr habe sie sich nach der Hochzeit gesehnt. Schließlich wurde der Hammer hereingebracht und in den Schoß der Braut gelegt, um sie zu segnen. Da ergriff Thor den Hammer, zerschmetterte den Bräutigam und die Hochzeitsgäste und kehrte im Triumph mit Loki nach Asgard zurück.

Hermods Helfahrt zur Rettung Balders

Als Frigg nach dem Tode Balders bat, jemand möge nach Hel, ins Reich der Toten, fahren und versuchen, ihren Sohn zurückzuholen, meldete sich Hermod der Kühne, Balders Bruder, freiwillig. Neun Tage und Nächte ritt er auf Odins Pferd Sieipnir durch tiefe, dunkle Täler, bis er zur goldenen Brücke über den Widerhallenden Fluss kam, der das Totenreich begrenzte. Die Wächterin der Brücke erklärte, er könne nicht zu den Toten gehören, da die Brücke unter den Hufen seines Pferdes widerhallte, was nicht geschehen sei, als vor kurzem fünfhundert Tote sie überquert hätten. Als Hermod ihr sagte, er suche Balder, wies sie ihm den Weg nach Norden zum Tor Hels, das Sieipnir mit einem mächtigen Satz übersprang. Hermod betrat die Halle und blieb drei Nächte dort. Er bat Hel, die Herrscherin über das Reich, das ihren Namen trug, Balder mitnehmen zu dürfen, doch sie erwiderte, nur wenn alle Menschen und alle Dinge auf der Welt weinen würden, könne dies geschehen.

Hermod kehrte mit dem Ring Draupnir nach Asgard zurück, der auf dem Scheiterhaufen Balders verbrannt war, um zu beweisen, dass er seine Mission erfüllte hatte. Daraufhin wurden Boten in allen Richtungen ausgesandt, die alle baten, ihre Liebe zu Balder zu zeigen, indem sie ihn aus Hel herausweinten. So weinten nicht nur Männer und Frauen, sondern auch Steine, Bäume und Metalle - gleichsam, als ob es nach dem Frost getaut hätte. Doch schließlich stießen sie in einer Höhle auf eine Riesin, die sich weigerte zu weinen, weil Balder ihr nicht von Nutzen gewesen sei. Man glaubte, diese Riesin sei Loki in anderer Gestalt, der aus Bösartigkeit Balders Rückkehr verhinderte.

So blieb Balder in Hel, und als Lokis Schuld daran entdeckt wurde, floh er vor dem Zorn der Götter und versteckte sich als Lachs in einem Fluss. Doch er wurde in einem von ihm selbst geschaffenen Zaubernetz gefangen, und die Götter fesselten ihn über drei Steine, wobei Schlangen Gift auf sein Gesicht träufelten. Seine treue Frau Sigyn saß mit einer Schale neben ihm und versuchte, die Gifttropfen aufzufangen, da sich Loki bei jedem Tropfen so krümmte, dass er ein Erdbeben verursachte. Er blieb angebunden, bis er sich beim Ragnarök, der Götterdämmerung, losreißen konnte und die Riesen gegen Asgard anführte.


Thors Kampf mit Hrungnir

Der gewaltige Hrungir war der stärkste aller Riesen, mit steinernem Herzen und Schädel und einem steinernem Schild. Er besaß ein prächtiges Pferd namens Gullfaxi. Einmal begegnet er bei einem Ausritt den Gott Odin, der auf seinem Hengst Sleipnir einherritt. Einander forderte man zu einem Pferderennen heraus.
Rasend schnell ritten sie Seite an Seite, aber schließlich war Odins achtbeiniges Roß doch schneller und flugs war man in Asgard. Edel lud Odin den unterlegenen Hrungir zum Gastmahl. In der Götterburg trank Hrungir mehr vom Met, als ihm gut tat und begann übermütig, die Götter zu reizen. So drohte er damit, ganz Walhall auf seinem Rücken nach Jötunheim zu tragen und alle Bewohner Asgards zu töten, mit Ausnahme der Göttinnen Freyja und Sif, die er für sich verlangte. Endlich erschien Thor und drohte dem wütendem mit seinem Hammer Mjöllnir.
Hrungir war unbewaffnet nach Asgard gekommen. So forderte er Thor zu einem Duell im Grenzland zwischen Götterwelt und Riesenland. Begierig auf den Kampf willigt Thor freudig ein, war er doch bislang niemals herausgefordert worden.
Am Kampfplatz hatten die Riesen Vorbereitungen getroffen. Aus Lehm hatten sie Mökkurkalfi („Nebelkalb”) geformt, einen gigantischen Lehmriesen, der bis in die Wolken ragte. Dieses Ungetüm belebten sie mit dem Herz einer Stute. Mökkurkalfi konnte sich mit dieser schwachen Pumpe aber nur sehr langsam bewegen. Dennoch genügten die ungeheuren Ausmaße, Thor in gewaltigen Schrecken zu versetzen. Doch war Mökkurkalfi nicht besonders tapfer, er soll gar das Wasser gelassen haben, als Thor herannahte und unter Blitz und Donner den Miöllnir warf.
Thors menschlicher Knecht Thialfi stand dem Donnerer zur Seite, indem er den Mökkurkalfi fällte.
Mit einem gewaltigen Wetzstein hatte Hrungnir Thors Hammer abzuwehren versucht. In der Luft trafen sich die Waffen und Mjöllnir erwies sich als der Stärkere. Im Fluge zerschmetterte er Hrungirs Stein und sauste weiter gegen den Riesen, der gefällt zu Boden sank. Aber auch Thor selbst blieb nicht unversehrt. Ein Gesteinssplitter traf ihn und blieb in seinem Schädel stecken. Überdies lag ein Bein des Hrungir über dem Donnergott und klemmte den verwundeten am Kampfplatz.
Aber Thor blieb das Glück weiter hold. Sein Sohn Magni, der erst drei Jahre alte Riese, den Thor einer Verbindung mit der Riesin Jarnsaxe verdankt, kam vorbei und hob das Bein von seinem Vater. Fröhlich verkündete er, daß er selbst auch gern den Hrungir herausgefordert hätte, allerdings mit bloßen Fäusten.
Stolz auf solchen Sohn schenkt ihm Thor Hrungir hinterbliebenes Roß Gullfaxi, zum Mißfallen des Odin, der Magni seine riesische Herkunft ankreidete.
Thors Wunde versorgte die Heilerin Groa. Aber auch ihr gelang es nicht, die Gesteinssplitter restlos aus Thors Wunde zu entfernen, weshalb den fortan ein Stein im Schädel steckte.
Seiner Heldentat wegen nennt man Thor fortan ehrfurchtsvoll „Hrungnirs Schädelspalter”


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Nordische Mythen

12.12.2004 um 02:15
Ja feeein hat Du dat gemach Pappi....

gaaanz dolle Gute-Nacht-Geschichten.....


:) :) :) :)

*LOL*


Neein, just a joke, Target. ;)

Die Wahrheit schmerzt manchmal, aber die Luege dahinter noch viel mehr.


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Nordische Mythen

12.12.2004 um 02:53
Starlord , das war nicht nett ...

ne jetzt mal ohne scheiss....

so nen interesannten und lehrreichen Thread hab ich schon lange nicht mehr gelesen ...

lob an alle beteiligten ...

Rechtschreibfehler könnt ihr behalten !!



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Nordische Mythen

13.12.2004 um 18:00
Danke

Hier sollte eigentlich was geisreiches stehen wie bei den anderen aber ich weiss nichts und deshalb schreib ichh das hier.


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Nordische Mythen

15.12.2004 um 17:18
@Palin, nachdenken, kommt alles von selber, wie besprochen<<
komm erst Abends rein cü Flowers ;-)

Diesser, mein Leib - ist nicht mein wahres ICH...


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Nordische Mythen

15.12.2004 um 17:38
Ja ich bin fast immer da wenn ich nich in der Schule bin.

Aber erstmal:

TARGET IST WIEDER DA WILLKOMMEN ZURÜCK HOFFENTLICH HAST DU NOCH MEHR GESCHICHTEN :)

cu

Hier sollte eigentlich was geisreiches stehen wie bei den anderen aber ich weiss nichts und deshalb schreib ichh das hier.


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Nordische Mythen

17.12.2004 um 23:07
@ Hi all

Sagen um Wolfdietrich

Die Sage von Wolfdietrich und seinem Geschlecht ist fränkischer Herkunft. Der Vater des Wolfdietrich heißt in der Sage Hugdietrich. Hugo Theodoricus, d.i. Hugdietrich, ist aber als Name von Chlodwigs Sohn überliefert. Es ist der gleiche Dietrich, den wir als Überwinder Irminfrieds aus der germanischen Heldendichtung kennen. Wir hörten damals auch, welcher Vorwurf ihn zum Haß und Kampf gegen Irminfried antrieb: der Vorwurf unehelicher Geburt. Seine Brüder, erzählen uns die Geschichtsschreiber, mißgönnten ihm, dem Bastard, die Ansprüche auf sein Reich, und er hatte manchen Kampf zu bestehen, bis er sich durchsetzte. Diese Streitigkeiten der Geschichte klingen in den Kämpfen nach, die der Wolfdietrich der Sage führt. Die Sage verschmolz aber, wie so oft, die Schicksale des Vaters, des Hugo Theodoricus, und die seines Sohnes, des Theodebert. Dieser mußte in der Wirklichkeit Ähnliches erleben wie der Vater, und darum begreift es sich leicht, daß sie in der Erinnerung späterer Geschlechter zusammenfielen. Nicht nur dem Bruder, auch dem Sohne des Bruders machten nämlich Chlodwigs echte Söhne das Reich streitig. Theodebert aber behauptete sich durch die Treue und Standhaftigkeit seiner Dienstmannen.

Der Hergang des alten Liedes über die Kämpfe des Wolfdietrich war demnach wohl der: Die Brüder überfallen und vertreiben den Bastard, dem sie das Reich nicht gönnen, im Elend halten ihm seine Recken die Treue, er gewinnt sich Anhänger, bekämpft mit ihnen wieder die Brüder und besiegt sie. Ein Lied dieser Art entspräche ungefähr den uns bekannten Liedern von den Schildungen und von dem Kampf um Finnsburg.

Dem treuen Ratgeber stellte das Lied den bösen gegenüber. Dieser entwickelte sich wieder aus der Geschichte und zwar aus der fränkischen Geschichte. Die allmächtige Stellung des fränkischen major domus, des königlichen Hausmeisters, gab ihm seine Besonderheit und seine Gewalt, die er dann in unserer Sage mißbraucht, um den Bastard zu verdrängen und um seine Mutter zu verleumden. Dieser böse Ratgeber hieß Sabene; schon der Widsith kennt und nennt ihn, bei ihm heißt er Seofola.

Es hatte nun die Sage vom Wolfdietrich eine große Ähnlichkeit mit der des gotischen Theoderich. Wie dieser wurde der fränkische Theoderich von seinem Erbe vertrieben, lebte nur von wenigen Getreuen begleitet in der Verbannung und eroberte sich schließlich sein Reich zurück. Sogar die Namen beider Herrscher waren die gleichen. Es ist darum kein Wunder, wenn eine Sage die andere beeinflußte, und wenn aus der Sage Dietrichs von Bern der treue Berchter von Meran in die Sage von Wolfdietrich herüberwanderte.

In den deutschen Geschichten des dreizehnten Jahrhunderts von Wolfdietrich hat Berchter sechzehn Söhne; sechs fallen im Kampf mit den Brüdern Wolfdietrichs, und Berchter sieht jedesmal, wenn
einer den Todesstreich empfängt, lachend zu seinem Herrn herüber und sucht ihn zu trösten. Als dann Wolfdietrich seinem wilden Schmerz um den Verlust der Jugendgespielen sich hingibt, fährt ihn der Alte rauh an, ihm und seinem Weib sollte er die Tränen überlassen, er müsse jetzt an die Flucht denken. Mit den lebenden Söhnen deckt Berchter dem Herrn den Rückzug und ermöglicht ihm die Flucht. Dann harren sie alle auf Wolfdietrichs Wiederkehr. Sie werden von den Brüdern Wolfdietrichs gefangen genommen und müssen in Jammer und Not ihr Leben hinbringen, je zwei zusammengeschmiedet, werden sie auf die Burgmauer als Wache gesetzt. Berchter stirbt vor Herzeleid, als Wolfdietrich nicht zurückkehrt. Als der König endlich, als Pilger verkleidet, zu den Söhnen kommt, sagen sie ihm, den Tod des Vaters wollten sie wohl verschmerzen; den Tod ihres Herrn würden sie niemals verwinden. Mit den Worten: "Lebtest du, Wolfdietrich, du ließest uns nicht in solcher Armut", sei Berchter dahingegangen. Um ihres Herrn willen bieten sie dem Pilger ihren Panzer an, als er sie um Gottes Willen um ein Stück Brot bittet. Das sei ihre einzige Habe, und von dem Erlös könne er sich Brot und Wein kaufen. Wolfdietrich gibt sich nun zu erkennen. Berchters Söhne flehen Gott an, er möge ihre Bande lösen, wenn der Pilger wahr gesprochen. Da springen ihre Fesseln, sie eilen von der Mauer, öffnen das Tor, erobern die Stadt und besiegen Wolfdietrichs Brüder. Mitternachts bemerkt Wolfdietrich einen Sarg neben dem Sarg seines Vaters; es ist der Berchters. Der König reißt die Steine vom Sarg und umarmt und küßt den Toten, dessen Leichnam noch unzerstört ist. Die Söhne entschädigt er durch reichen Lohn für alle Leiden, die sie um seinetwillen erduldet.

Die Treue des Gefolgsmannes gegen den Herrn ist die gemanische Grundlage dieser Erzählung. Aber wie weichlich und sentimental, wie unnatürlich und romanhaft überspannt, wie unwahr erscheint uns diese versechzehnfachte Treue und dieser Jammer, wenn man sie etwa mit der vergleicht, die der Hildebrand des alten Liedes für seinen Dietrich hatte, und mit dem Weheruf, der seinem gequälten Vaterherzen entringt, als er den Sohn verlieren soll. Den stumpfen Hörern, auf die der Dichter des Wolfdietrich wirken wollte, mußte er wohl solche Übertreibungen vorsetzen, damit sie die Treue des Lehensmannes überhaupt fühlen und annehmen und darüber die gebührenden Tränen vergießen sollten. Spielleute und Christentum haben hier zu gleichen Teilen die alte Heldendichtung verweichlicht und ihre hohe und große Hingebung, ihre Überwindung des Todes herabgezogen. Nichts war dem Wesen des germanischen Helden entgegengesetzter als unerwartete und wunderbare Erlösungen, als weinerliche Rührung und als Lächeln in Tränen. Und gerade damit hat der Spielmann die Geschichte von Berchter und seinen Söhnen angefüllt.

Wenn nun die Dichtungen von Wolfdietrich vom dreizehnten bis zum sechzehnten Jahrhundert immer von neuem gelesen und umgedichtet wurden und sich einer besonderen Beliebtheit erfreuten, so kann, wie uns die Geschichte von Berchter zeigt, der Grund dieser Beliebtheit nicht der Geist und die Kunst der alten großen Lieder gewesen sein. Die Heldensage, aus der der Wolfdietrich hervorging, war in den späteren deutschen Gedichten auch nur der Rahmen, und nicht nur den Berchter und das Ende der alten Dichtung haben die Spielleute des dreizehnten Jahrhunderts auf ihre Art umgebildet. Die Gestalt des bösen Ratgebers hat sich zum Beispiel in ihren Händen auch verwandelt, in den bösen Ratgeber, den wir aus Märchen und Legende kennen. Nachdem er die Königin verleumdet hat und in die Verbannung geschickt ist, weiß er nach dem Tode des Hugdietrich die Huld seiner Witwe wiederzugewinnen, verdrängt den treuen Berchter und reizt die beiden älteren Brüder gegen den Jungen auf, ja er bringt sie dazu, daß sie die Mutter, seine Wohltäterin, vertreiben.

Der eigentliche Inhalt und das Anziehende für die wundersüchtigen und unterhaltungslüsternen Zeitgenossen waren in den Dichtungen des späten Mittelalters die Abenteuer, die Wolfdietrich während seiner Verbannung erlebte, die sich fortwährend vermehrten, veränderten und durcheinanderschoben und derentwegen auch sein Vater und seine Geburt mit sonderbaren Erfindungen umgeben wurden.

Wie Wolfdietrich selbst, ist sein Vater Hugdietrich aus einer Vermischung von Vater und Sohn hervorgegangen. Den Namen hat er von Chlodwigs Sohn, die Werbungsgeschichte, die auf ihn die Dichtung des dreizehnten Jahrhunderts überträgt, hat sich aus der alten Sage von Chlodwigs Werbung gestaltet.

Das Heroische dieser alten Sage: Crothilds Rache hat unser Dichter abgestreift. Manches in ihr klang aber auch nach Novelle und Abenteuer: Von Crothilds Schönheit waren die Boten Chlodwigs erfüllt. Ihr Onkel hielt das Mädchen in strengem Gewahrsam und versagte sie dem Werber. Der Bote des Königs mußte sich verkleiden, die Christin wollte dem Heiden nicht folgen. Diese Bestandteile hat der Dichter des dreizehnten Jahrhunderts verstärkt: Walgunt von Salneck (Salonichi) hat eine Tochter Hildburg, deren wunderbare Schönheit der treue Berchter dem Herrn rühmt. Doch der Vater hält sie in einen Turm eingesperrt und will sie keinem Mann geben. Hugdietrichs gelbes Haar reicht ihm bis zu den Hüften, wir erkennen darin den stolzen Schmuck der fränkischen Könige. Dem Spielmann aber war das lange Haar das Zeichen des Weibes, so gab er dem Jüngling ein rosenfarbenes Antlitz zu den goldenen Locken und berichtete, er habe sich als Mädchen verkleidet und sich mit großem Gefolge nach Salneck begeben. Der Griechenkönig, sein Bruder, sagte er dort, habe ihn vertrieben. Hildburg fand solches Gefallen an der lieblichen Jungfrau, daß sie bat, man möge sie ihr zur Gespielin geben. Wirklich wurde sie mit ihr in den Turm eingeschlossen und beschämte die Königstochter und ihre Gespielinnen durch ihre Kunstfertigkeit in weiblichen Handarbeiten. Nach länger als einem halben Jahr erschien der alte Berchter, wie es vorher verabredet war, und brachte die Meldung, nun sei der Zorn des Bruders verraucht. Hugdietrich kehrte also zurück. Nach kurzer Zeit genas Hildburg eines Sohnes, und als Hugdietrich das hörte, kam er noch einmal, aber als Mann, zur Geliebten, küßte sein Kind, versprach ihm Konstantinopel als Erbe, nahm Hildburg zur Frau und führte sie heim.

Die Erfindung, daß sich der Werber als vertrieben ausgibt, brachte uns schon der Rother, und die Geschichte von Hetel und Hilde wird sie uns noch einmal bringen. Sie gehörte, wenn man so sagen darf, zum Inventar der Werbungsgeschichten, die uns die Spielleute erzählen, auch die Idee, daß der Mann, als Frau verkleidet, zur Geliebten dringt, ist uns nicht fremd, die Sage von Hagbard und Signe kannte sie. Dort aber, im dänischen Heldenlied, erschraken die Dienerinnen der Königstochter über die männliche Rauheit des Wesens, das sich als Mädchen ausgab, und sie nannte sich stolz und trotzig eine Walküre. In der deutschen Spielmannsdichtung ist Hugdietrich weiblicher noch als ein Weib, und die Geschichte seiner Werbung wird nicht ohne versteckte Lüsternheit vorgetragen. Mit der alten Heldenart hat sie wieder nichts gemein, und es ist sehr möglich, daß unser Spielmann die ganze Erfindung nicht aus der germanischen Überlieferung, sondern aus einer der spätgriechischen Geschichten holte, die das Mittelalter seiner Zeit kannte und liebte.

Von Wolfdietrichs Geburt erzählt die Geschichte von Hugdietrich noch weiter, daß Hildburg das Kind vor ihren Eltern verbarg. Einmal trat ihre Mutter unerwartet in den Turm, da ließ sie das Kind in das Gebüsch am Fuß des Turmes herab. Dort fand es ein Wolf und trug es als Speise zu seinen Jungen in die Höhle, doch die waren noch blind und taten dem Kleinen kein Leid. Am nächsten Tag, während Hildburg verzweifelt und umsonst nach ihrem Knäblein suchte, fand es ihr Vater bei den Wölfen, entzückte sich über seine Schönheit, trug es zu seiner Frau und ließ es taufen. Nun begibt sich eine Familienszene. Als die Mutter ihrer Tochter das Wunder erzählte, da offenbarte sich ihr Hildburg und erhielt ihre Verzeihung. Die Mutter aber brachte des Nachts im ehelichen Bette das Geheimnis ihrem Manne bei. Der war zuerst sehr ungebärdig und stellte dann nach Art der Männer durch eine genaue Untersuchung den Hergang der Dinge noch einmal fest. Als ihm dabei klar wurde, daß er eine gewisse Schuld daran habe, ließ er den Vater seines Enkelchens holen, der denn auch gern den Sohn anerkannte.

Viel hübscher und kindlicher erzählt eine andere Fassung des Wölfdietrich die Geburt unseres Helden. Wir geben sie mit Ludwig Uhlands Worten wieder:

Zu Konstantinopel herrschte ein gewaltiger König namens Hugdietrich; zwei Söhne hat ihm seine Gemahlin geboren, beide hießen Dietrich. Einst mußte er zum Kriege ausziehen. Reich und Gemahlin empfahl er dem Schütze des Herzogs Sabene. Dieser aber suchte die Königin zu unerlaubter Liebe zu verleiten; als sie ihn zürnend abwies, verredete er seine schmähliche Zumutung, es sei nur eine List gewesen, um ihre Treue zu erproben. Die Königin glaubte ihm und versprach, darüber zu schweigen. Noch in Abwesenheit des Königs genas sie eines dritten Sohnes, den sie bei seiner Abreise im Schöße getragen. Der König freut sich bei seiner Heimkehr des neugeborenen Kindes. Sabene aber verleumdet die Königin, sie habe dem König die Treue gebrochen, und der junge Sohn sei eines teuflischen Unholds Kind.

Der König hat einen treuen Mann, Herzog Berchter von Meran; diesem befiehlt er, das Kind zu töten. Lange weigert sich der Treue, erst die schrecklichsten Drohungen bringen ihn zum Nachgeben. Er empfängt das Kind und reitet mit ihm in den Wald; aber wie das unschuldige Kind mit seinen Panzerringen lachend spielt, bringt er den Mord nicht übers Herz, und doch schämt er sich wieder, um eines Kindes willen so zage zu sein, da er doch in heißer Schlacht schon gar manchen Mann gefällt. So kommt er, schwankenden Sinnes weiterreitend, zu einem Gewässer, in dem Seerosen blühen. Hier legt er das Kind an den Rand und überläßt es seinem Geschick; er meint, es werde nach Kinderart nach den Wasserrosen haschen, und so werde sich des Königs Wille erfüllen, ohne daß ihn Blutschuld belaste. Aber das Kind spielt auf der Wiese bis in die Nacht hinein. Da kommen Wölfe aus dem Wald und schnobern es an; das Kind greift nach ihren Augen, die in der Dunkelheit wie Lichter glänzen, aber keines der Tiere tut ihm etwas zuleide. Darüber staunt Berchter und beschließt, den Knaben zu retten; einem Wildhüter gibt er es zur Erziehung und nennt es Wolfdietrich.

Die Königin, der das Kind, während sie schlief, weggenommen worden war, bricht beim Erwachen in lautes Wehklagen über den Raub aus, der König schiebt, nach des bösen Sabene Rat, alle Schuld auf Berchter. Berchter wird gefangen genommen und vor Gericht gestellt; niemand wagt für ihn einzutreten, da der König auf den Rat des tückischen Sabene allen seinen Mannen es verboten. Schon soll das Urteil gesprochen werden, da tritt Berchters Schwager, Baltram, in den Ring und verlangt ein Gottesurteil; wer Berchter des Mordes bezichtige, der solle mit dem Angeklagten kämpfen. Sabene weigert sich, und als ein Schriftstück eröffnet wird, worin Berchter den ihm gewordenen Auftrag und die Schicksale Wolfdietrichs berichtet, ist seine Schuld offenbar. Sabene soll gehängt werden, aber eingedenk der früheren Freundschaft schenkt ihm auf seine flehentlichen Bitten Berchter das Leben. Doch muß er als Verbannter das Land verlassen. Wolfdietrich aber wird aus dem Walde geholt und von Berchter in Gemeinschaft mit den eigenen Söhnen erzogen.

In dieser Erzählung lebt die Unschuld und Einfalt unserer Legenden und Märchen, und wir entzücken uns daran wie an den Geschichten, nach deren Vorbild sie wohl geschaffen wurde, wie an der von der armen Genovefa und dem bösen Golo oder an dem Märchen von der verleumdeten unschuldigen Königin oder an dem von dem armen Kind, das eine grausame Stiefmutter töten lassen wollte, und das zu töten der Diener doch nicht über das Herz brachte.

Dem ganzen Bericht von Wolfdietrichs Geburt hat das Märchen und die Legende einer alten Sage eine Lieblichkeit und Anmut geschenkt, die vorher ihrem Wesen fremd war und an der wir uns dankbar erquicken, wenn sie auch nicht heroisch ist.

Die alte Sage, der die beiden Berichte von Wolfdietrichs Geburt entsprangen, ist, wie wir vermuteten, eine Sage, wie sie gerade die alten Franken liebten: Daß ein Held darum so kräftig und unbändig war, weil er von Wölfen abstammt. Von Krafttaten und Unbändigkeiten des Knaben Wolfdietrich wissen auch die Spielleute manches zu melden, sie gleichen denen des starken Hans im Märchen und denen des jungen Siegfried in späterer Überlieferung.

Von den Heldentaten des vertriebenen Wolfdietrich wurde sehr gefeiert die, daß er einen Drachen und seine Brut besiegte, der einem mächtigen König Ortnit das Leben genommen. Es war ein schwerer Kampf, das eigene Schwert sprang dem Helden in Stücke, und er siegte erst, als er in der Höhle, in die ihn der Drache geschleppt, Ortnits Schwert fand. Nach Art des Märchens erwies er sich als der Sieger, indem er als Wahrzeichen einem lügnerischen Nebenbuhler, der die Köpfe brachte, die Zungen des Untiers entgegenhielt. Der Königin gab er sich dann durch einen Ring zu erkennen. Dann wurde Wolfdietrich der trotzigen Vasallen der Königin Herr, und sie reichte ihm ihre Hand und die Krone. Nun erst konnte er ausziehen, um Berchter und seine Söhne zu befreien.
Den Inhalt des Gedichtes von Ortnit erzählt uns Ludwig Uhland so:

Ortnit, der junge König in Lamparten (Lombardei) auf der Burg zu Garden (Garda), findet keine kronwürdige Braut, weil alle Könige diesseits des Meeres ihm dienen. Darum will er nach der Tochter des Heidenkönigs Machorel zu Muntabur fahren, obgleich schon viele Häupter der Werber um sie auf den Zinnen der Burg stecken. Zuvor reitet er in die Wildnis am Gartensee (Gardasee), von dem wunderkräftigen Stein eines Ringes geleitet, den ihm die Mutter gegeben. Vor einer Felswand, aus der ein Quell fließt, sieht er auf blumigem Anger eine Linde stehen, die fünfhundert Rittern Schatten gäbe. Unter der Linde liegt ein schönes Kind im Grase, köstlich gekleidet, mit Gold und Gesteinen reich geschmückt. Es ist der Zwergkönig Alberich, dem Berge und Tale dienen. Lange neckt und prüft der starke Zwerg den Jüngling: Zuletzt entdeckt er sich als dessen Vater. Dann geht er in den Berg und holt für Ortnit eine leuchtende Rüstung samt dem herrlichen Schwert Rose. Zum Abschied verspricht er, dem Sohne stets gewärtig zu sein, solange dieser den Ring habe.

Die Zeit der Meerfahrt ist herangekommen. Zu Messina eingeschifft, fahren sie erst nach Suders, der Heiden Hauptstadt, wo vor allem Iljas, König aller Reußen, Ortnits Oheim, als Heidenvertilger wütet. Von da ziehen sie vor die Königsburg Muntabur, auf des Gebirges Höhe. Alberich hat seines Wortes nicht vergessen; er saß die ganze Fahrt über auf dem Mastbaume, keinem sichtbar, als wer den Ring am Finger hatte. Überall schafft er Rat und Hilfe. Jetzt weist er die Straße nach Muntabur, dem Heere mit dem Banner vorreitend; aber nur Roß und Fahne sind sichtbar, der Träger nicht. Er neckt den Heidenkönig, wenn dieser nachts, sich zu kühlen, an die Zinne tritt, rauft ihm den Bart, wirft das Wurfgeschütz und die Särge der Heidengötter in den Graben. Er zeigt der Königstochter von der Zinne den Helden Ortnit, wie er herrlich im Streite geht, sein Harnisch leuchtend, blutig das Schwert. Da spricht sie: "Er ist eines hohen Weibes wert." Alberich führt sie heimlich zur Burg hinaus, wo Ortnit sie vor sich zu Rosse gebt und mit ihr davonrennt. Mit den verfolgenden Heiden besteht der Held siegreichen Kampf; des Heidenkönigs schont er um der Tochter willen. Auf dem Meere wird sie getauft und erhält den Namen Liebgart (Sidrat nach anderen Fassungen), nach der Heimkunst aber wird ihre Krönung zu Garten gefeiert.

Der alte Heidenkönig, Versöhnung heuchelnd, sendet reiche Geschenke. Zugleich aber bringt sein Jäger zwei junge Lindwürmer mit, die er im Gebirg oberhalb Trient in einer Felsenhöhle großzieht. Nach Jahresfrist kommen sie heraus und schweifen gierig umher. Ihr Pfleger selbst ist ihnen kaum entronnen. Niemand wagt mehr die Straße zu ziehen; die Äcker werden nicht eingesät, die Wiesen nicht gemäht. Bis vor die Burg von Garten wird das Land verwüstet. Tod droht dem Helden, der sie zu bestehen wagt.

Da beschießt Ortnit, der Not des Landes zu steuern. Umsonst fleht ihn die Unheil ahnende besorgte Gattin, von dem Unternehmen abzustehen; er reißt sich aus ihren Armen und heißt sie, wenn er fallen solle, dereinst seinem Rächer ihre Hand zu reichen. Ohne Gefolge reitet er in den wilden Wald, um den Lindwurm aufzusuchen und zu bestehen. Fahrtmüde rastet er unter einem Baume und versinkt in tiefen Schlaf. Da wälzt sich der Lindwurm heran; vergeblich sucht der treue Hund durch Bellen und Scharren seinen Herrn zu wecken, zu tief ist sein Schlaf. So findet Ortnit von dem Lindwurm, der ihn verschlingt, den Tod.

Die Spielleute haben in diesem Gedicht die Neckereien des Alberich gewiß mit besonderer Freude und mit drastischen Gebärden vorgetragen. Als alten Bekannten begrüßen wir sonst darin die Werbungssage. Mit ihr ist aber eine andere Geschichte verschmolzen. Der überirdische Helfer, der unsichtbar machende Stein, die Rüstung und das Schwert gehören nämlich in das Märchen von dem Helden, der in die Hölle fährt, oder der eine Jungfrau aus der Gewalt eines Unholdes oder Behausung eines Riesen befreit und dabei die Hilfe eines gütigen Wesens von überirdischer Kraft genießt. Auf diesem Märchen beruht wohl das französische Heldengedicht von Hüon von Bordeaux. Darin hilft Oberon dem Hüon, wie Alberich dem Ortnit, eine schöne Sultanstochter zu entführen. Den Hüon wiederum wird unser deutscher Spielmann gekannt und verwertet haben. Auch der Wolfdietrich der Spielleute glich, gerade in seinem Zusammenhang mit Ortnit, einer altfranzösischen Heldendichtung, dem Karlmeinet. Dieser berichtet, wie ein Thronerbe von seinen neidischen Verwandten vertrieben wird, sich in der Ferne die Gunst eines anderen Königs erwirbt und mit dessen Hilfe sein mächtiges Reich zurückerobert. Die Lieblingsgeschichte der französischen Epen, daß der alternde Held ins Kloster geht, wird ja auf den deutschen Wolfdietrich übertragen und dort hat er außerdem mit den Seelen derer zu kämpfen, die er im Leben erschlug.

Germanisch an dem Gedicht von Ortnit ist der Name Alberich. Auch das mag, wie wir schon andeuteten, eine germanische Vorstellung sein, daß Alberich sich als den Vater des Helden enthüllt. Ursprünglich war er wohl die Seele des verstorbenen Vaters oder eines anderen Vorfahren und lieh ihm, unsichtbar wie die Seelen der Verstorbenen wirken, seine mächtige Hilfe. Die Schönheit des Alberich und sein Aussehen, daß er einem Kinde gleicht, wird in der deutschen Sage gerade den Seelengeistern, z.B. den mit den Eiben verwandten Kobolden, beigelegt.

Sehr verwunderlich scheint uns der Schluß des Gedichtes: Daß der heidnische König dem Ortnit gleich zwei Lindwürmer ins Land schickt, daß der Held vor dem Kampf einschläft, daß ihm Alberich nicht hilft und daß der treue Hund sich vergeblich müht, ihn zu wecken. Germanisch klingt diese Erfindung nicht - welcher germanische Held wäre wohl vor einem Kampfe eingeschlafen? -, doch gleicht sie persischen Erzählungen. Da der Ortnit in seinen Namen (Machorel und Muntabur) und auch sonst sehr deutliche Erinnerungen an Kreuzzüge (die von 1212, 1217 und 1218) zeigt, ist es wahrscheinlich, daß mit diesen Erinnerungen auch der Schluß des Gedichtes aus dem Orient in das deutsche Gedicht wanderte.

Wolfdietrich selbst zeigt ebenfalls manche Einflüsse von der Fabulierfreude des Orients, von Geschichten, die als Erinnerungen von den Kreuzzügen nach dem Abendlande zogen. Die Kämpfe zwischen Löwen, Drachen und Elefanten oder die zwischen den Löwen und einem Serpant, die sich darin begeben, sind wohl orientalischer Herkunft, und ebenso scheint das Messerwerfen eine orientalische Kunst, Wolfdietrich übertrifft darin einen Heiden, der sich auf seine Götter verläßt. Die Tochter des Heiden liebt unseren Helden. Doch weil sie nicht getauft ist, widersteht er ihr, trotzdem ihre Reize und ihre Zärtlichkeiten ihn verwirren. Wolfdietrich zeigt hier die gleiche übernatürliche Keuschheit, durch die manche Heilige der Legende sich hervortun. Der Erzähler übertreibt sie absichtlich und sogar in das Komische hinein, denn seine Hörer hätten sonst kaum aufgemerkt, sie verlangen grobe Reize. Deshalb malte der Spielmann auch die Schönheit und die Verführungsversuche der Heidin recht derb und lüstern aus. Zornig, daß er sie verschmähte, bringt die Schöne am nächsten Morgen den Helden in Not, indem sie, als er fortreiten will, vor ihn einen See und einen Wald zaubert, doch dieser und anderer Spuk verschwindet, als Wolfdietrich Gott anruft.

Die anderen Abenteuer der Gedichte führen uns zu den Zwergen, Riesen, wilden Leuten, Wassergeistern und ihresgleichen. In einer Fassung gelangt Wolfdietrich nach mühseliger Wanderung an das Meer, schön und anschaulich schildert der Dichter den Weg, den der Held zwischen Geröll und umgestürzten Bäumen hinabgeht, und die See, deren Wogen sich tosend an hohen Felswänden brechen. Als er, zu Tode erschöpft, eingeschlafen, entstiegt ein Meerweib den Fluten, weckt den Helden, wirft ihre Hülle ab und steht in leuchtender Schönheit als Herrin aller Wassergeister vor ihm. Wolfdietrich weist ihre Werbung zurück, trotzdem erquickt sie ihn und sein Pferd mit einer Zauberwurzel und weist ihm den Weg.

In einer anderen Fassung sind die Erlebnisse des Wolfdietrich noch bunter und vielfältiger. Als er nachts im Walde Wache hält, naht sich ihm, liebebegehrend, auf allen Vieren kriechend, ungeschlacht wie ein Bär, ein Waldweib, die rauhe Elfe; er weist sie entsetzt zurück, da schlägt sie ihn mit Sinnenverwirrung, so daß er noch in der Nacht zwölf Meilen hin und her läuft und schließlich unter einem Baum das liebegierige Ungestüm wiederfindet. Als er sich ihr voller Widerwillen nochmals versagt, wirft sie einen noch stärkeren Zauber auf ihn, er sinkt betäubt nieder, und sie schneidet ihm zwei Haarlocken vom Kopf und die Nägelspitzen von den Fingern. Nun ist ihm alle Kraft genommen, und der Arme läuft, verzaubert wie ein Tor, im Wald umher und nährt sich von den Krautern der Erde; endlich erbarmt sich Gott seiner und befiehlt durch einen Engel dem Weib, den Zauber aufzuheben. Nun will Wolfdietrich sich mit der rauhen Elfe vermählen, wenn sie sich taufen lasse. Da führt sie ihn zu Schiff in das Land Troja, wo sie Königin ist, läßt sich dort in einem Jungbrunnen taufen, steigt daraus als Schönste der Frauen hervor, heißt Sigeminne, und Wolfdietrich vermählt sich nur zu gern mit ihr.

Später - das ist wieder eines der Anhängsel und eine Stoffvermehrung, wie die Spielleute sie lieben - verliert Wolfdietrich die Frau, als er zur Jagd ausreitet. Als Pilger verkleidet eilt er ihr nach, und nach langer Wanderung findet er sie endlich wieder. Ein wilder Mann hatte sie verschleppt, er wollte die Widerstrebende zum Weib. Wolfdietrich besiegte ihn und die Scharen der ihm gehorchenden Zwerge. Dann entraffte ihm doch der Tod die kaum wiedergewonnene Frau. Der Held war nun wieder frei und konnte den Kampf mit dem Drachen bestehen, dem Ortnit erlag.

Das Abenteuer mit der Meerfrau und das mit der rauhen Elfe sind im Geschmack der höfischen Epen, die von Artus und seinen Rittern erzählen, von Iwein und von Erec, von Wigalois,. von Lanzelot und den anderen. Diese Helden treffen auf ihren Fahrten wunderbare überirdische Frauen, sie werden verzaubert und mit Sinnenverwirrung geschlagen, oder sie erlösen durch ihren Mut ein Wesen, das zuerst als häßliches Ungetüm sie erschreckt und sich dann, als der Ritter seine Tapferkeit behält und das Erlösungswerk auf sich nimmt, in die schönste Frau verwandelt. Unser Erzähler fügt in seinem Bericht den Herrn und einen Engel hinzu und macht ihn dadurch gottgefälliger. Durch die wilden Leute und Zwerge erhöht er andererseits seine Volkstümlichkeit. Uns wäre die Geschichte der rauhen Elfe in der einfachen Gestalt lieber, die sie vielleicht in einer früheren Form unsres Gedichtes besaß; daß die Frau den Wolfdietrich verzaubert, sich seiner erbarmt, nachdem sie ihn genug gestraft und ihm dann, als Ersatz für seine Leiden, ihre ganze liebliche Schönheit enthüllt und schenkt.

Die wirre Abenteuermasse der Wolfdietrichdichtungen ist noch reicher. Wir wollen sie hier nicht ganz ausbreiten und wollen noch weniger, da auch die Forschung noch nicht zur Klarheit gelangte, uns in Vermutungen ergehen, von wem die einzelnen Geschichten stammen und in welcher Folge und in welcher Art sie sich an und in die Gedichte von Wolfdietrich setzten. Daß verschiedene Dichter sich an diesen Epen versuchten, ging auch aus unseren Angaben hervor, wir fanden neben der Einfalt und Anmut der Legende freche Spielmannserfindungen, neben frischer, lebendiger und humorvoller Erzählung endlose Breiten und Stoffanhäufung.

Nacheinander sind bei dieser Betrachtung des einen Epos von Wolfdietrich alle Gattungen an uns vorübergezogen, die für die deutsche erzählende Dichtung im Mittelalter Bedeutung gewannen: Legenden und Märchen, Novellen und Fabeleien aus dem Orient, französische Heldendichtung und das höfische Epos. Unserem Gedicht haben diese Zusätze einen ganz ungewöhnlichen Stoffreichtum gegeben, aber sie machten es auch immer zusammenhangloser und wirrer. Statt der Heldendichtung steht in Wolfdietrich schließlich ein nicht enden wollender abenteuerreicher und formloser Roman vor uns, recht von der Art, wie sie das Volk immer will; seine Grundlage, das Heldenlied, ist von dem Erzähler unter der Fülle der späteren Erfindungen ganz verdeckt worden. Gegen den Reichtum der Ereignisse im Wolfdietrich war die späte Form der Wielandsage fast arm. Wir genießen es aber bei dem deutschen mittelalterlichen Gedicht dankbar, daß, wenn auch dunkle oder aufgebauschte, so doch Erinnerungen an die Treue und die Wildheit der alten Heldensagen in diesem Gewirre der Abenteuer erklingen, und daß unter den vielen Geschichten so liebliche und anmutige, so zarte und so kindliche auftauchen.


Dietrich von Bern

Die Entwicklung der Sage von Theoderich ist uns bekannt. Im Gegensatz zur Geschichte galt er als verbannter König. Odoaker hatte ihn vertrieben, und nachdem er lange die Gastfreundschaft Attilas genossen, eroberte er sich endlich die Heimat zurück. So erzählte uns im achten Jahrhundert das Hildebrandslied. Außer dem Theoderich galten nun noch einem anderen gotischen König oft erzählte Sagen, dem Ermanarich. Dieser Ermanarich drängte sich dann in die Sage von Dietrich von Bern ein, davon wissen zuerst Zeugnisse des elften und zwölften Jahrhunderts. Er wurde darin der Oheim des Dietrich, und auf Anstiften des Odoaker, der auch sein Neffe war, vertrieb Ermanarich den Dietrich. Dann verschwand Odoaker, dem keine besondere Sage galt, ganz aus der Überlieferung. An seine Stelle trat der böse Ratgeber Sibiche, dessen Aufstachelung bewog den Ermanarich zur Grausamkeit und Heimtücke gegen den Neffen, bis dieser vor seiner Übermacht fliehen mußte und bei Etzel Schutz und Hilfe fand. Die deutschen Gedichte des dreizehnten Jahrhunderts ziehen die Geschichte von Dietrichs Verbannung in die Länge. Dem Dietrich gelingt die Eroberung Italiens erst beim zweiten Versuch, beim ersten wird er zurückgetrieben. Bevor er in sein Elend ziehen mußte, lassen sie den Dietrich den Ermanarich einmal besiegen, und dazu erfanden die Dichter noch allerhand andere Kämpfe und Siege; in ihren Epen verwandelt sich die Sage in ein wirres, zielloses und endloses Hin und Her.

Den Inhalt der beiden großen Gedichte, die uns von der Verbannung und Heimkehr Dietrichs derart breit und weitschweifig erzählen - es sind das Gedicht von Dietrichs Flucht (besser das Buch von Bern) und das von der Rabenschlacht -, faßt Ludwig Uhland so zusammen.

Sibiche reizt den Ermenrich, seinen Neffen, den Dietrich von Bern zu verraten und sein Erbe an sich zu ziehen. Randolf von Ancona wird, unter Verheißung reichen Lohnes, als Bote nach Bern abgefertigt; der König wolle über Meer fahren, der Harlungen Tod zu büßen. Dietrich möge kommen und so lange des Reiches Pfleger sein. Als Randolf die Straße reitet, trocknen ihm die Augen nicht, wenn er des Mordes denkt, den er werben soll. Zu Bern richtet er die Botschaft aus, wie er geheißen ist, warnt aber den jungen Fürsten, er solle die Reise lassen und seine Festen besetzen. Dann reitet er zurück und meldet, daß Dietrich nicht komme. Fürder will Randolf nicht mehr zu dem Könige stehen, sondern alles für Dietrich wagen. Ermenrich rüstet nun große Heerfahrt und wütet mit Mord und Brand, bis Dietrich in nächtlichem Überfall das feindliche Heer vertilgt. Ehrlos entflieht Ermenrich und läßt seinen Sohn mit achtzehnhundert Helden in Dietrichs Hände fallen.

Dietrich hätte nun gerne den Recken gelohnt, die ihm Land und Ehre gerettet. Aber leer sind die Kammern, die sein Vater Dietmar voll Schatzes hatte. Hildebrand trat ihm sein und der Seinigen Gut an, und Bertram von Pola bietet so viel, als fünfhundert Säumer tragen können. Sieben Recken werden mit Bertram nach dem Golde gen Pola gesendet: Hildebrand, Sigeband, Wolfhart, Helmschart, Amelolt, Eindolt und Dietleib von Steier. Da legt Ermenrich an die Straße fünfhundert Mann unter Witege; sie überfallen Dietrichs Recken auf der Heimkehr und führen sie samt dem Schatze gefangen nach Mantua. Dietleib allein entrinnt und sagt die Märe zu Bern. Dietrich, nur um seine Recken, nicht um das Gold klagend, erbietet sich, für die Lösung der Sieben den Sohn Ermenrichs und die Achtzehnhundert, die mit ihm gefangen wurden, freizulassen. Ermenrich aber droht, die Recken Dietrichs aufzuhängen, wenn dieser nicht all seine Städte und Lande für sie hingebe. Man rät dem Berner, um die Sieben nicht alles zu verlieren, aber er ließe lieber alle Reiche der Welt als eine getreuen Mannen; so willigt er in Ermenrichs Begehren.

Ermenrich zieht nun mit Heereskraft vor Bern. Dietrich aber reitet aus der Stadt zu des Königs Zelt, steigt ab und beugt mit nassen Augen das Haupt ihm zu Füßen. "Gedenke", spricht er, "daß ich bin deines Bruders Kind, daß meine Einsicht noch schwach ist! Nimmer will ich deine Huld verwirken; laß ab von deinem Zorne!" Lange schweigt Ermenrich, dann heißt er drohend den Jüngling aus seinen Augen gehen. Um die eine Stadt Bern fleht Dietrich, nur bis er zum Manne gewachsen. Umsonst; Ermenrich droht nur grimmiger. Da bittet Dietrich nur noch um seine sieben Mannen und will mit ihnen von hinnen reiten. Auch diese Ehre wird ihm nicht gelassen, zu Fuß soll er seines Weges ziehen. Mehr denn tausend Frauen kommen aus dem Tore, für ihren Herrn bitten. Zuvorderst geht Frau Ute mit vierzig Jungfrauen; sie fallen vor Ermenrich nieder und mahnen ihn bei aller Frauen Ehre, an seinem Neffen königlich zu handeln. Er stößt sie von sich und gestattet auch ihnen nicht, in der Stadt zu bleiben. Da scheiden Männer und Frauen zu Fuß von Hab und Gut, Hildebrand hat Frau Ute an der Hand, der anderen Recken jeder die seinige. Jammervoll ob all der Schmach geht Dietrich von seinem Erbe, nimmer soll man ihn lachen sehen bis zum Tage, da er sein Leid rächen könne. Die Frauen werden nach Garda geführt, das der treue Amelolt besetzt hält. Ein Stein hätte weinen mögen, wie jetzt Frau und Mann, Mutter und Kind sich zum Abschied küssen. Fünfzig Getreue gehen mit Dietrich ins Elend, durch Isterreich in das Land der Hunnen. Dietrich wird von Etzel gütig aufgenommen und weilt an seinem Hofe. Er wird dort hochgehalten, aber er kann den Schmerz um sein verlorenes Erbe und seine gefallenen Helden nicht verwinden. Die milde Königin Helche bemerkt seine beständige Trauer; ihn zu trösten, vermählt sie ihm die schöne Herrad, ihre Nichte, und Etzel verspricht, zum Frühjahr ein Heer auszurüsten, mit dem Dietrich Italien wieder erobern soll. Das Frühjahr kommt, zu Etzelnburg sammelt sich ein Heer, zahlreich wie keines zuvor. König Etzel hat zwei herrliche junge Söhne, Scharpf und Ort. Diese wünschen sehnlichst, mit Dietrich zu reiten und seine gute Stadt Bern zu sehen. Sie wenden sich erst an die Mutter. Frau Helche sieht ihre Kinder traurig an, ihr hat geträumt, ein Drache sei durch ihrer Kammer Dach geflogen, habe vor ihren Augen die beiden Söhne hinweggeführt und sie auf weiter Heide zerrissen. Als aber die Jünglinge nicht ablassen, legt die Mutter selbst Fürbitte bei Etzel ein. Ungerne gewährt er. Dietrich verheißt, sie treulich zu behüten und nicht über Bern hinaus reiten zu lassen. Mit viel Tränen werden sie entlassen. Das Heer zieht durch Isterreich gegen Bern (Berona). Hier sollen Etzels Söhne zugleich zurückbleiben. Dietrich befiehlt sie auf Leben und Ehre dem alten Helden Elsan. Niemals sollen sie auch nur vor das Tor kommen; er droht, den Pfleger mit eigener Hand zu töten, wenn ihnen irgend Leides geschehe. Er bricht nun mit dem Heere gen Raben auf, wo Ermenrichs Kriegsmacht liegt. Den Jünglingen aber ist herzlich leid, daß man sie nicht mitgenommen. Sie knien vor ihrem Meister Elsan nieder und küssen ihm die Hände, daß er sie nur vor die Stadt reiten lasse, all den herrlichen Bau zu sehen. Er widersteht ihren Bitten nicht, und ehe er noch sich gerichtet, sie zu begleiten, sind sie schon zur Stadt hinaus. Es naht schon dem Herbste, wo die Nebel stark sind; so kommen die drei Jünglinge auf einen unrechten Weg, der sie über die weite Heide gegen Raben (Ravenna) führt. Elfan reitet ihnen nach und findet sie nirgends um die Stadt; laut ruft und jammert er, niemand antwortet ihm. Vor dichtem Nebel kann er sie auch auf der Heide nicht erschauen. Den ganzen Tag streichen sie hin und übernachten im Freien. Am Morgen reiten sie weiter, nach dem Meere zu. Diether fängt an, diese Irrfahrten zu bereuen. Als aber der Nebel weicht und die Sonne heiter scheint, da bewundern Etzels Söhne die Herrlichkeit des Landes, darin der Berner immer mit Freuden wohnen sollte.

Da erblicken sie den Recken Witege, der mannlich unter seinem Schilde hält. Sie wollen diesen Verräter an Diether und seinem Bruder sogleich angreifen, obschon sie, statt Harnischen, nur Sommerkleider anhaben. Umsonst warnt Witege mehrmals. Scharpf reitet zuerst ihn an und schlägt ihm starke Wunden: Da zuckt Witege mit Grimm das Schwert Mimung, mit gespaltenem Haupte schießt der Jüngling vom Rosse. Wäre er zum Mann erwachsen, ihm hätten alle Reiche dienen müssen. Ort will den Bruder rächen und erleidet gleichen Tod, obschon Diether ihm beigestanden. Dieser kämpft noch bis zum Abend zu Fuße; seine Gewandtheit, darin ihm niemand gleich ist, fristet ihn so lange; zuletzt fällt auch er, durch das Achselbein bis auf den Gürtel gehauen. Ihn betrauert Witege, Dietrichs Zorn fürchtend; er will zu Rosse steigen, aber die Kraft versagt ihm, und er muß sich auf der Heide niederlegen.

All das geschah um die Zeit der zwölftägigen Schlacht, worin Ermenrich bei Raben von dem Berner besiegt wurde. Er entflieht zur Stadt; den Verräter Sibiche fängt der treue Eckhart und führt ihn, quer auf das Roß gebunden, durch das Heer. Dietrich freut sich auf der Walstatt des Sieges, da kommt Elfan und meldet, daß er die jungen Könige verloren. Mit eigenen Händen, wie gedroht war, schlägt Dietrich ihm das Haupt ab. Die drei Erschlagenen werden auf der Heide gefunden. Dietrich küßt ihre Wunden, verflucht den Tag seiner Geburt und weint vor Jammer Blut. "Armes Herz", spricht er, "daß du so fest bist!" An der Größe der Wunden erkennt er, daß sie mit dem Schwert Mimung geschlagen sind.

Da sieht man Witege rasch über die Heide reiten. Grimmig springt der Berner auf und reitet so hastig nach, daß keiner der Seinigen ihm folgen kann; Feuer sprüht von den Hufschlägen. Speer, Helm und Schild hat er auf der Walstatt zurückgelassen, nur das Schwert führt er mit sich. Er ruft Witege an, mahnt, fleht ihn bei Heldenruhm und Frauenehre, zum Kampfe zu halten, verheißt Bern und Mailand, verheißt sein ganzes Reich, wenn Witege obliege. Aber Witege jagt nur stärker voran. Rienold, sein Neffe, der mit ihm reitet, schämt sich der Flucht und will auch ihn zum Kampfe bewegen: Zu zweien würden sie den Berner bezwingen. Witege will nicht hören, befiehlt den Neffen in Gottes Schutz und jagt weiter. Rienold sticht seinen Speer auf den Berner, dieser haut ihn vom Rosse, reitet Witege nach und reizt ihn, Rienolds Tod zu rächen. Je länger, je mehr eilt Witege, mahnt unablässig seinen Schemming, verspricht ihm Gras und lindes Heu in Fülle. Schemming macht weite Sprünge. Dietrich klagt, daß Schemming, einst ihm gehörig, seinen Feind von hinnen trage; er treibt sein jetziges Roß Falke, daß es von Blute trieft; vor Zorn glüht er, daß sein Harnisch weich wird. Kaum eines Roßlaufs Weite ist noch zwischen den beiden, Witege ist bis an das Meer getrieben, er gibt sich verloren. Da kommt die Meerfrau Waghild, seine Ahnmutter, und nimmt ihn samt dem Roß auf den Grund des Meeres. Der Berner reitet bis zum Sattelbogen in das Meer nach; er muß umkehren und wartet vergeblich, ob Witege wieder erscheine.

Noch erstürmt Dietrich die Stadt Raben, daraus Ermenrich, die Seinen verlassend, um Mitternacht entweicht, während die Stadt in Flammen aufgeht. Doch der Sieg führt zu keiner dauernden Behauptung Italiens, Dietrich muß zu den Hunnen zurückkehren und sendet Rüdiger voraus, daß er ihn bei Etzel und Helche entschuldige; er selbst wagt noch nicht, ihnen vor die Augen zu treten. Als der Markgraf mit seinen Helden zu Gran ankommt, laufen die herrenlosen Rosse der zwei jungen Könige mit blutigen Sätteln auf den Hof. Die Königin will eben mit ihren Frauen in einen Garten gehen, an den Blumen ihr Auge zu weiden, da sieht sie die blutigen Rosse ihrer Kinder stehen. Im ersten Schmerz verwünscht sie den Berner: Doch sie wird versöhnt, als Rüdiger meldet, daß Dietrich mit ihnen den eigenen Bruder verloren. Sie ist selbst Dietrichs Fürsprecherin bei Etzel. Der Berner kommt nach Etzelnburg, geht in den Saal, neigt sein Haupt auf Etzels Fuß und bietet sein Leben zur Sühne. Die Königin weint, und Etzel richtet mit neuer Huld ihn auf.

Der schmerzliche und tränenreiche Ton in dieser Geschichte, der breite und weitschweifige Vortrag und die mühselige und unbeholfene Diktion sind nicht in der Art und dem Geschmack der alten Heldendichtung. Freilich ermüden und verdrießen sie in den Gedichten selbst den Leser viel mehr als in Uhlands gedrängter Wiedergabe. Ebensowenig war das Auftreten Dietrichs in den alten Gedichten des siebenten Jahrhunderts so sanft und so demütig. Trotzdem wittern wir in diesen Epen sofort eine ganz andere Kunst als in den Gedichten von Wolfdietrich. Wir fühlen, daß ihnen alte heroische Lieder und Szenen zugrunde liegen oder Dichtungen, die mit ganz eigener und eindringlicher Kraft alte heroische Themen verwerten.

Der Bote Randolf, der den Dietrich verräterisch einladen soll, und der den jungen Helden doch warnt, erlebt einen Konflikt, wie ihn germanische Helden erleben. Wir erinnern an den Regin der nordischen Sage, der die Söhne Halfdans warnte, obwohl er dem Frodi Treue geschworen. Eine ähnliche verzweifelte Lage wie dem Randolf war auch einem sächsischen Sänger beschieden. Er sollte im Auftrag des Königs Magnus den Herzog Canut einladen. Magnus aber wollte Canut hinterrücks ermorden. Der Sänger wußte das, hatte jedoch vorher dem Magnus geschworen, daß er es nicht verraten werde. Doch die Ahnungslosigkeit des Canut, der nicht einmal ein Schwert nahm, rührte ihn, und da sang er ihm das berühmte Lied der Treulosgkeit der Kriemhild gegen ihre Brüder. Canut aber überhörte die Warnung und ritt in sein Verderben.

Die Dichtung vom Tode der Etzelsöhne reicht wohl auch in die Zeit der Völkerwanderung zurück. Um die Mitte des fünften Jahrhunderts besiegten die germansichen Stämme das Heer der Söhne Attilas und Ellak, der bedeutendste von ihnen, fand dabei den Tod. Die Erinnerung an diesen Sieg wird in der Sage nachgeklungen sein und das Lied von dem Sohn des mächtigen Königs geschaffen haben, der einen grausamen Tod starb.Vielleicht ist der Bericht im Nibelungenlied, in dem ja Hagen den Sohn von Etzel und Kriemhild tötet, auch ein Nachklang eines Liedes dieser Art.

In unserem mittelalterlichen Gedicht von der Rabenschlacht überraschen uns zwei Szenen, weil sie der alten germanischen Kunst entsprechen. Die erste ist die Gegenüberstellung von Etzels Söhnen und ihrem jugendlichen ungestümen Tatendurst und Heldensinn gegen den harten, unbeweglichen Witege. Die andere ist die Verfolgung des Witege durch Dietrich. Sie erscheint uns wie eine Umkehrung des alten Liedes von Chlothars Sieg über die Sachsen. Dort war der Verfolgte der Beredte und Heimtückische, der Verfolger still. Hier scheint der Verfolgte immer noch stiller und verstockter zu werden, und der Verfolger ergeht sich in den leidenschaftlichsten Beschwörungen, Bitten und Klagen. Diese beiden Szenen mögen dem germanischen Lied gehört haben, indem er sie in das Traumhafte und Visionäre steigerte und die gleiche düstere Stimmung des Traumes über das ganze Gedicht breitete, schuf dann ein deutscher Dichter aus der alten germanischen eine mittelalterliche Dichtung von seltsamer rührender und phantastischer Kraft. Wäre sie uns doch selbst erhalten, wie sie der Dichter des Meier Helmbrecht noch kannte, und müßten wir sie doch nicht aus der allzubreiten Umschreibung des Epos von der Rabenschlacht herausholen!

Der bange Traum der Helche leitet das Gedicht ahnungsschwer ein. Nebel verwirrt die Helden und raubt die Jünglinge das erste Mal ihrem alten Erzieher Elsan. Wie ein Traumgesicht von wunderbarer und beseeligender Schönheit taucht Ravenna vor ihnen auf. Unwirklich, wie eine finstere Erscheinung, steht dann plötzlich Witege vor den jungen Helden und tötet einen nach dem anderen. Grausam und ganz gegen die eigene Natur erschlägt Dietrich den Elsan. Die Stummheit und die rasende Flucht des verfolgten Witege wächst immer mehr in das Unheimliche und Traumhafte, so daß wir uns kaum noch wundern, als seine Ahnmutter den Fluten entsteigt und den Sohn rettend zu sich zieht. Die herrenlosen Rosse, die mit blutigen Sätteln auf den Hof der Königsburg laufen, sehen wir wieder vor uns wie die jammervollen Bilder, die ein quälender Traum uns zeigt, und sie sind doch der schmerzliche und milde Nachklang des Gedichtes und geben ihm zugleich durch die Klage der Mutter die rührendste und menschlichste Trauer.

Das alte Gedicht von der Rabenschlacht mag um die Wende des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts entstanden sein. Die Umschreibung, in der wir es besitzen, gehört dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts. Wie stark der Eindruck des alten Gedichtes war, erkennt man auch daraus, daß es einem anderen zum Vorbild diente, dem Gedicht von Alpharts Tod. Dies ist seinerseits wohl durch manche Zusätze entstellt, aber auch wenn man es sich davon gereinigt denkt, so steht nur ein Werk der Epigonenkunst vor uns. Besonders in seinem ersten Teil ist es eindrucksvoll und lebendig vorgetragen, und man erkennt darin gute künstlerische Muster und Meister, freilich hält es sich von Übertreibungen, Breiten und Weinerlichkeiten nicht frei. Aus der alten heroischen Überlieferung hat es nirgends geschöpft.

Das Lied schildert, wie der junge Alphart, Hildebrands Neffe, allein auf der Warte gegen Ermenrich reiten will und seinen Willen durchsetzt, obwohl alle Helden der Jugend Alpharts wegen es widerraten. Frau Ute waffnet ihn selbst und läßt ihn dann weinend ziehen, seine junge Frau bittet ihn kniefällig, er möge doch nicht allein ausreiten, aber er küßt sie nur und jagt sie dann davon. Hildebrand will die Kraft des Jünglings prüfen und reitet ihm nach, mißt sich mit ihm, ohne daß er sich zu erkennen gibt, und bereut es bitter; denn der junge Held richtet den Oheim übel zu. Dann begegnet Alphart der Vorhut des Feindes, achtzig Rittern, die er besiegt und tötet, nur acht entfliehen blutend und verbreiten Schrecken in Ermenrichs Lager. Ermenrich verspricht den höchsten Lohn dem Helden, der gegen Alphart kämpfen wolle. Keiner wagt es. Endlich ruft er den Witege und Heime auf. Als Witege kommt, verweist ihm Alphart den Verrat an Dietrich, schleudert ihn aus dem Sattel und streckt ihn auch im Schwertkampf nieder. Wie tot liegt er unter dem Schild. Heime bietet dem Alphart an, er solle zurückkehren, sie wollten sagen, daß sie ihn nicht angetroffen, doch der junge Held verschmäht den Vorschlag, er will Witege zum Pfand. Der hat sich wieder erhoben, erinnert nun den Heime an die Treue, die er ihm geschworen, und beide dringen auf Alphart ein. Als der auch den Heime schwer trifft, brechen die beiden Angreifer das Versprechen, das sie vorher dem Gegner gegeben, Witege fällt ihn von hinten an, Heime von vorne, der junge Held, nach tapferster Gegenwehr, muß sein Leben lassen und verwünscht sterbend die ehrlosen Mörder.

Witege und Heime gehören schon in die germanische Heldensage, denn der altenglische Widsith nennt ihre Namen. Der Held der Geschichte, aus dem der Witege der Dichtung entsprossen, ist einmal der König der Ostgoten Witgis. Wenn man sich erinnert, wie Prokop diesen König schildert, seine Treue, sein tapferes Ausharren in allen Wechselfällen des Kampfes, sein mannhaftes Heldentum und sein Unglück - er mußte sich in Ravenna ergeben -, so versteht man wohl, daß die germanische Heldendichtung diesen König gern besang. Außerdem meint man, daß der tapfere Gotenheld Widigoia, der durch die Hinterlist der Hunnen fiel und nach dem Zeugnis des Jorclanes im Liede gefeiert wurde, in Witege fortlebe. Doch kennen deutsche Heldengedichte des Mittelalters einen eigenen Helden Witegouwe. Ob Heime einem Helden der Geschichte sein Dasein verdankt, wissen wir nicht.

Die beiden, Witege und Heime, waren in den alten Liedern andere als in den deutschen Epen des dreizehnten Jahrhunderts. Selbst in diesen ist die Erinnerung an ihr starres aufrechtes und vorbildliches Heldentum nicht ganz gewichen, und darin muß früher ihr eigentliches Wesen bestanden haben. Wohl durch eine Verwirrung der Sagenerzähler wurden sie aus Helden Dietrichs zu Helden Ermanarichs, und diese Verwirrung hat vielleicht die Vorstellung von ihrer Untreue geschaffen und sie endlich, wie Ludwig Uhland das ausdrückt, in finstere und kalte Mordrecken verwandelt. Das Gedicht von Dietrichs Flucht schiebt den Witege gewissermaßen zwischen Dietrich und Ermanarich hin und her. Witege geht von Ermanarich zu Dietrich über und übergibt dann wieder verräterisch an Ermanarich die Stadt Ravenna, die Dietrich in seiner Hut gelassen. Einen ähnlichen Verrat beging in der Geschichte Odoakers Feldherr Tufa, und es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß auch eine Erinnerung daran das Wesen von Witege befleckt hat.

Am ehesten vergleicht sich Witege in seiner Entwicklung wohl dem nordischen Starkad. Beide Helden werden aus Vorbildern der Treue und des Heldentums zu Verrätern. Die wilde Kampflust des Starkad zeigt der Witege der Thidreksaga, und wie Starkad zu einem Wasserriesen, wird Witege zum Sohn einer Meerfrau; auch er steigert sich also in das Mythische.

Die seltene Beliebtheit, die Dietrich von Bern während des ganzen Mittelalters genoß, verdankt er zu einem Teil der heroischen Überlieferung, mit der er verwachsen war und außerdem seiner Persönlichkeit, in der Volk und Helden ihr eigenes Wesen wiederfanden. Denn dem Dietrich blieb seine Langmut und seine Geduld erhalten, ja sie verklärte sich im Lauf der Jahrhunderte und dazu trug wohl das Christentum das Seine bei. Aber auch die Kraft des Dietrich blieb die alte, und wenn er sich zum Kampfe entschloß, war sein Angriff stärker und unwiderstehlicher als der irgendeines anderen Helden, es hieß sogar, daß er mit seinem Feueratem den Gegner versengte.

Das Volk liebte den Dietrich und sang von ihm auch noch aus anderen Ursachen. Es gab ihm nämlich die Freude am Kampf und die Siege, die vorher der alte Gott Donar besaß und die im altenglischen Epos der Beowulf besitzt. Dietrich zeigte sie wie jene im unablässigen, übermächtigen Wirken gegen die Mächte, die die Arbeit des Bauern bedrohen, gegen die Riesen von Wind und Wetter und die anderen Unholde alle. Von diesen Kämpfen erzählen uns eine Fülle von Gedichten aus dem dreizehnten Jahrhundert, von denen einige das Mittelalter überlebten. Leider ist das Volkstümliche und das im germanischen Sinn Mythische aus diesen Liedern fast ganz verdrängt; nur der Riese Fasolt und die böse, Steine und Lawinen schleudernde Riesin Runze entstammen dem alten Volksglauben. Sonst sind die alten Sagen durch Erfindungen und Erzählungen im höfischen Geschmack und nach den höfischen Vorbildern der Artusdichtung ersetzt oder überwuchert.

Die Kunst der Spielleute drang natürlich auch in sie hinein. Dabei wurde auch die alte schwere Bedeutung der Kämpfe vergessen; so wie die Dichter des dreizehnten Jahrhunderts sie erzählen, sollen sie nur unterhalten, wie eben die höfischen Romane unterhielten. Da besiegt der Riese Sigenot den Berner, und Hildebrand befreit ihn nach schwerem Kampf, oder Dietrich hilft der Bergkönigin Virginal vor den Riesen, die sie bedrängen, oder es dringen Dietrich und seine Helden in das Reich des Laurin, das mit einem Seidenfaden umgeben ist und das kein Irdischer betreten darf; sie wollen aber den Zwerg strafen, weil er die Künhilt, die Schwester eines ihrer Helden, entführt.

Laurin wird erst besiegt, als sie ihm seinen Gürtel abreißen, der ihm die Stärke von zwölf Männern verlieh. In dem Reich des Zwergkönigs werden die Helden herrlich bewirtet und weiden sich an dem funkelnden Glanz und der Pracht, die sie überall umgibt. Dann aber bezaubert und fesselt der tückische Zwerg die Helden und nur durch die Hilfe der entführten Künhilt werden sie wieder sehend und überwinden noch einmal ihren hinterlistigen Wirt.

Den Inhalt des hübschesten und beliebtesten dieser Gedichte, den Inhalt des Eckenliedes, teilen wir wieder mit Ludwig Uhlands Worten mit:

Auf Jochgrimm sitzen drei königliche Jungfrauen. Sie haben Dietrichs Lob vernommen und wünschen sehnlich, ihn zu sehen. Drei riesenhafte Brüder, Ecke, Fasolt und Ebenrot, werben um die Jungfrauen. Ecke, kaum achtzehn Jahre alt, hat schon manchen niedergeworfen; sein größter Kummer ist, daß er nichts zu fechten hat. Ihn verdrießt, daß der Berner vor allen Helden gerühmt wird, und er gelobt, ihn gutlich oder mit Gewalt, lebend oder tot herzubringen. Zum Lohne wird ihm die Minne einer der Königinnen zugesagt. Seeburg, die schönste, schenkt ihm eine herrliche Rüstung, womit sie selbst ihn wappnet. Auch ein treffliches Roß läßt sie ihm vorziehen, aber ihn trägt kein Pferd, und er braucht auch keines, vierzehn Tage und Nächte kann er gehen ohne Müdigkeit und Hunger. Zu Fuß eilt er von dannen über das Gefild, in weiten Sprüngen, wie ein Leopard; fern aus dem Walde noch, wie eine Glocke, klingt sein Helm, wenn ihn die Äst rühren. Durch Gebirg und Wälder rennend, schreckt er das Wild auf; es flieht vor ihm oder sieht ihm staunend nach, und die Vögel verstummen. So läuft er bis nach Bern und, als er dort vernimmt, daß Dietrich ins Gebirg geritten, wieder an der Etsch hinauf in einem Tage bis Trient.

Den Tag darauf findet er im Walde den Ritter Helfrich mit Wunden, die man mit Händen messen kann: Kein Schwert, ein Donnerstrahl scheint sie geschlagen zu haben. Drei Genossen Helfrichs liegen tot. Der Wunde rät Ecken, den Berner zu scheuen, der all den Schaden getan. Ecke läßt nicht ab, Dietrichs Spuren zu verfolgen. Kaum sieht er ihn im Walde reiten, als er ihn zum Kampfe fordert. Dietrich zeigt keine Lust, mit dem zu streiten, der über die Bäume ragt. Ecke rühmt seine köstlichen Waffen, von den besten Meistern geschmiedet, Stück für Stück, um durch Hoffnung dieser Beute den Helden zu reizen. Aber Dietrich meint, er wäre töricht, sich an solchen Waffen zu versuchen. So ziehen sie lange hin, der Berner ruhig zu Roß, Ecke nebenher schreitend und inständig um Kampf flehend. Er droht, Dietrichs Zagheit überall zu verkünden, er mahnt ihn bei aller Frauen Ehre, er gibt dem Gegner alle Himmelsmächte vor.

Endlich willigt der Berner ein, am Morgen zu steilen. Doch Ecke will nicht warten, er wird nur dringender. Schon ist die Sonne zu Rast, als Dietrich vom Rosse steigt. Sie kämpfen noch in der Nacht; das Feuer, das sie aus den Helmen schlagen, leuchtet ihnen. Das Gras wird vertilgt von ihren Tritten, der Wald versengt von ihren Schlägen. Sie schlagen sich tiefe Wunden, sie ringen und reißen sich die Wunden auf. Zuletzt unterliegt Ecke. Vergeblich bietet Dietrich Schonung und Genossenschaft, wenn jener das Schwert abgebe. Ecke trotzt und zeigt selbst die Fuge, wo sein Harnisch zu durchbohren ist. Dietrich beklagt den Tod des Jünglings, nimmt dessen Rüstung und Schwert Eckesachs, das er seitdem führt, und bedeckt den Toten mit grünem Laube.

Dann reitet er hinweg, blutend und voll Sorge, man möchte glauben, er habe Ecke im Schlaf erstochen. Schwere Kämpfe besteht er noch mit Eckes Bruder Fasolt, der mit wilden Hunden eine Jungfrau durch den Wald hetzt, und mit dem übrigen riesenhaften Geschlechte, namentlich der wilden Runze, die lawinengleich eine Berglehne herabsaust und mit einer Hand eine ganze Burg wegfegt. Das Haupt Eckes führt er am Sattelbogen mit sich und bringt es den drei Königinnen, die den Jüngling in den Tod gesandt.

Die Dichtungen von Wolfdietrich und Dietrich von Bern sind sich auch darin verwandt, daß sie Abenteuer und Fabeleien nach Art der höfischen und Spielmannsdichtung auf einen alten Helden und auf seine heroischen Kämpfe übertragen. Die Gedichte über Dietrich von Berns wunderbare Kämpfe und Erlebnisse stehen aber frei und locker nebeneinander, sie verschlingen sich nicht wie bei Wolfdietrich zu einer Einheit, die dann doch keine Einheit ist. Darum wird das Wesen des Dietrich von Bern auch von diesen Abenteuern nicht erdrückt, es hat sich auch hier alles in allem in großer Reinheit erhalten.

Die Frömmigkeit und Einfalt der Legende fehlt den mythischen Gedichten von Dietrich von Bern, und vom Märchen lebt mehr das Phantastische, wunderbar Verwirrende als das Kindliche in ihnen. Am meisten aber entzückt in ihrer Kunst die Schilderung der Natur. Im Ortnit und im Wolfdietrich fanden wir auch Szenen von einer Freude an der Natur und von einer Gabe, ihre Lieblichkeit und Größe wiederzugeben, die wir vorher in der Heldendichtung noch nicht endeckten, wir erinnern uns etwa an die Szene, in der Ortnit unter der Linde auf blühendem Anger den Albrich entdeckt, oder an die Geschichte vom Knäblein Wolfdietrich, das an dem von Seerosen bewachsenen Teich sitzt und den Wölfen in ihre glühenden Augen faßt, oder an den Weg Wolfdietrichs, den Abhang o herunter zum Meer. Anschaulicher und großartiger noch ist die Natur in den Gedichten von den Abenteuern Dietrichs erfaßt, und wir können die Art dieser Schilderungen wieder nicht besser erzählen als mit den Worten Ludwig Uhlands.

"Im Eckenliede rauscht noch immer der unbändige Sturmgeist, zum Schrecken der Vöglein und alles Getieres, durch die krachenden Bergwälder. Selbst in dem späten Dichtwerke Virginal waltete noch immer, mitten unter dem geziertesten Hofwesen, ein reger Sinn für die großartige Gebirgswelt, deren gewaltsamtste Erscheinungen als Riesenvolk und Drachenbrut dargestellt sind. Die Abenteuer bewegen sich im wilden Lande Tirol, im finsteren Walde, darin man den hellen Tag nicht spürt, wo nur enge Pfade durch tiefe Tobel, Täler und Klingen führen, zu hochragenden Burgfesten, deren Grundfels in den Lüften zu hängen scheint; wo der Verirrende ein verlorener Mann ist, der einsam Reitende sich selbst den Tod gibt. Dort, wo ein Bach vom hohen Fels her bricht, da springt der grimmige Drache, Schaum vor dem Rachen, fort und fort auf den Gegner los und sucht ihn zu verschlingen; wieder ,bei eines Brunnen Flusse' vor dem Gebirg, das sich hoch in die Lüfte zieht, schießen große Würmer her und hin und trachten, die Helden zu verbrennen; bei der Herankunft eines solchen, der Roß und Mann zu verschlingen droht, wird ein Schall gehört, recht wie ein Donnerschlag, davon das ganze Gebirg ertost. Leicht erkennbar sind diese Ungestüme gleichbedeutend mit den siedenden donnernden Wasserstürzen selbst. Dazwischen ertönt, ebenso donnerartig, das gräßliche Schreien der Riesen; als Dietrich mit tödlichem Steinwurf einen jungen Riesen getroffen hatte, stößt dieser einen so grimmen Schrei aus, als bräche der Himmel entzwei, und seine Genossen erheben eine Wehklage, die man vier Meilen weit über Berg und Tann vernimmt, die stärksten Tiere fliehen aus der Wildnis, es ist, als wären die Lüfte erzürnt, der Grimm Gottes im Kommen, der Teufel herausgelassen, die Welt verloren, der jüngste Tag angebrochen; ein starker Riese ,Felsenstoß' läßt seine Stimme gleich einer Orgel erdröhnen, man hört sie über Berg und Tal, überall erschrecken die Leute, und selbst der sonst unersättliche Kämpe Wolfhart meint, die Berge seien entzwei, die Hölle aufgeweckt, alle Recken sollen flüchtig werden; auch die Riesen hausen am betäubenden Lärm eines Bergwassers, bei einer Mühle und zunächst einer tiefen Höhle."

Die Kirche war dem Dietrich von Bern von jeher abhold; sie hat ihn zuerst gehaßt, weil er ein Ketzer war, und dann, weil das Volk so leidenschaftlich an ihm hing. Es gab von dem König eine Sage, daß er nicht gestorben, sondern in einen Berg entführt sei, wo er nun schlafe. Diese verwandelte die Kirche: Den Dietrich habe ein schwarzes Roß, und das war niemand anderes als der Teufel selbst, entführt und ihn in den Ätna getragen, in dessen Feuergluten er seine Sünden noch immer büßen müsse. Aber wie oft diese alte Erzählung auch wiederholt und dem Volke vorgehalten wurde, aus seinem Herzen hat sie diesen König nie reißen können. Und so vermehrt gerade sie unser Staunen und unsere Rührung darüber, daß Jahrhunderte diesem treuesten König die Treue hielten und ihn als das verklärte Abbild des eigenen Wesens liebten. Zum Schluß führen alle Sagen von Dietrich von


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Nordische Mythen

17.12.2004 um 23:07
@ Hi all

Sagen um Wolfdietrich

Die Sage von Wolfdietrich und seinem Geschlecht ist fränkischer Herkunft. Der Vater des Wolfdietrich heißt in der Sage Hugdietrich. Hugo Theodoricus, d.i. Hugdietrich, ist aber als Name von Chlodwigs Sohn überliefert. Es ist der gleiche Dietrich, den wir als Überwinder Irminfrieds aus der germanischen Heldendichtung kennen. Wir hörten damals auch, welcher Vorwurf ihn zum Haß und Kampf gegen Irminfried antrieb: der Vorwurf unehelicher Geburt. Seine Brüder, erzählen uns die Geschichtsschreiber, mißgönnten ihm, dem Bastard, die Ansprüche auf sein Reich, und er hatte manchen Kampf zu bestehen, bis er sich durchsetzte. Diese Streitigkeiten der Geschichte klingen in den Kämpfen nach, die der Wolfdietrich der Sage führt. Die Sage verschmolz aber, wie so oft, die Schicksale des Vaters, des Hugo Theodoricus, und die seines Sohnes, des Theodebert. Dieser mußte in der Wirklichkeit Ähnliches erleben wie der Vater, und darum begreift es sich leicht, daß sie in der Erinnerung späterer Geschlechter zusammenfielen. Nicht nur dem Bruder, auch dem Sohne des Bruders machten nämlich Chlodwigs echte Söhne das Reich streitig. Theodebert aber behauptete sich durch die Treue und Standhaftigkeit seiner Dienstmannen.

Der Hergang des alten Liedes über die Kämpfe des Wolfdietrich war demnach wohl der: Die Brüder überfallen und vertreiben den Bastard, dem sie das Reich nicht gönnen, im Elend halten ihm seine Recken die Treue, er gewinnt sich Anhänger, bekämpft mit ihnen wieder die Brüder und besiegt sie. Ein Lied dieser Art entspräche ungefähr den uns bekannten Liedern von den Schildungen und von dem Kampf um Finnsburg.

Dem treuen Ratgeber stellte das Lied den bösen gegenüber. Dieser entwickelte sich wieder aus der Geschichte und zwar aus der fränkischen Geschichte. Die allmächtige Stellung des fränkischen major domus, des königlichen Hausmeisters, gab ihm seine Besonderheit und seine Gewalt, die er dann in unserer Sage mißbraucht, um den Bastard zu verdrängen und um seine Mutter zu verleumden. Dieser böse Ratgeber hieß Sabene; schon der Widsith kennt und nennt ihn, bei ihm heißt er Seofola.

Es hatte nun die Sage vom Wolfdietrich eine große Ähnlichkeit mit der des gotischen Theoderich. Wie dieser wurde der fränkische Theoderich von seinem Erbe vertrieben, lebte nur von wenigen Getreuen begleitet in der Verbannung und eroberte sich schließlich sein Reich zurück. Sogar die Namen beider Herrscher waren die gleichen. Es ist darum kein Wunder, wenn eine Sage die andere beeinflußte, und wenn aus der Sage Dietrichs von Bern der treue Berchter von Meran in die Sage von Wolfdietrich herüberwanderte.

In den deutschen Geschichten des dreizehnten Jahrhunderts von Wolfdietrich hat Berchter sechzehn Söhne; sechs fallen im Kampf mit den Brüdern Wolfdietrichs, und Berchter sieht jedesmal, wenn
einer den Todesstreich empfängt, lachend zu seinem Herrn herüber und sucht ihn zu trösten. Als dann Wolfdietrich seinem wilden Schmerz um den Verlust der Jugendgespielen sich hingibt, fährt ihn der Alte rauh an, ihm und seinem Weib sollte er die Tränen überlassen, er müsse jetzt an die Flucht denken. Mit den lebenden Söhnen deckt Berchter dem Herrn den Rückzug und ermöglicht ihm die Flucht. Dann harren sie alle auf Wolfdietrichs Wiederkehr. Sie werden von den Brüdern Wolfdietrichs gefangen genommen und müssen in Jammer und Not ihr Leben hinbringen, je zwei zusammengeschmiedet, werden sie auf die Burgmauer als Wache gesetzt. Berchter stirbt vor Herzeleid, als Wolfdietrich nicht zurückkehrt. Als der König endlich, als Pilger verkleidet, zu den Söhnen kommt, sagen sie ihm, den Tod des Vaters wollten sie wohl verschmerzen; den Tod ihres Herrn würden sie niemals verwinden. Mit den Worten: "Lebtest du, Wolfdietrich, du ließest uns nicht in solcher Armut", sei Berchter dahingegangen. Um ihres Herrn willen bieten sie dem Pilger ihren Panzer an, als er sie um Gottes Willen um ein Stück Brot bittet. Das sei ihre einzige Habe, und von dem Erlös könne er sich Brot und Wein kaufen. Wolfdietrich gibt sich nun zu erkennen. Berchters Söhne flehen Gott an, er möge ihre Bande lösen, wenn der Pilger wahr gesprochen. Da springen ihre Fesseln, sie eilen von der Mauer, öffnen das Tor, erobern die Stadt und besiegen Wolfdietrichs Brüder. Mitternachts bemerkt Wolfdietrich einen Sarg neben dem Sarg seines Vaters; es ist der Berchters. Der König reißt die Steine vom Sarg und umarmt und küßt den Toten, dessen Leichnam noch unzerstört ist. Die Söhne entschädigt er durch reichen Lohn für alle Leiden, die sie um seinetwillen erduldet.

Die Treue des Gefolgsmannes gegen den Herrn ist die gemanische Grundlage dieser Erzählung. Aber wie weichlich und sentimental, wie unnatürlich und romanhaft überspannt, wie unwahr erscheint uns diese versechzehnfachte Treue und dieser Jammer, wenn man sie etwa mit der vergleicht, die der Hildebrand des alten Liedes für seinen Dietrich hatte, und mit dem Weheruf, der seinem gequälten Vaterherzen entringt, als er den Sohn verlieren soll. Den stumpfen Hörern, auf die der Dichter des Wolfdietrich wirken wollte, mußte er wohl solche Übertreibungen vorsetzen, damit sie die Treue des Lehensmannes überhaupt fühlen und annehmen und darüber die gebührenden Tränen vergießen sollten. Spielleute und Christentum haben hier zu gleichen Teilen die alte Heldendichtung verweichlicht und ihre hohe und große Hingebung, ihre Überwindung des Todes herabgezogen. Nichts war dem Wesen des germanischen Helden entgegengesetzter als unerwartete und wunderbare Erlösungen, als weinerliche Rührung und als Lächeln in Tränen. Und gerade damit hat der Spielmann die Geschichte von Berchter und seinen Söhnen angefüllt.

Wenn nun die Dichtungen von Wolfdietrich vom dreizehnten bis zum sechzehnten Jahrhundert immer von neuem gelesen und umgedichtet wurden und sich einer besonderen Beliebtheit erfreuten, so kann, wie uns die Geschichte von Berchter zeigt, der Grund dieser Beliebtheit nicht der Geist und die Kunst der alten großen Lieder gewesen sein. Die Heldensage, aus der der Wolfdietrich hervorging, war in den späteren deutschen Gedichten auch nur der Rahmen, und nicht nur den Berchter und das Ende der alten Dichtung haben die Spielleute des dreizehnten Jahrhunderts auf ihre Art umgebildet. Die Gestalt des bösen Ratgebers hat sich zum Beispiel in ihren Händen auch verwandelt, in den bösen Ratgeber, den wir aus Märchen und Legende kennen. Nachdem er die Königin verleumdet hat und in die Verbannung geschickt ist, weiß er nach dem Tode des Hugdietrich die Huld seiner Witwe wiederzugewinnen, verdrängt den treuen Berchter und reizt die beiden älteren Brüder gegen den Jungen auf, ja er bringt sie dazu, daß sie die Mutter, seine Wohltäterin, vertreiben.

Der eigentliche Inhalt und das Anziehende für die wundersüchtigen und unterhaltungslüsternen Zeitgenossen waren in den Dichtungen des späten Mittelalters die Abenteuer, die Wolfdietrich während seiner Verbannung erlebte, die sich fortwährend vermehrten, veränderten und durcheinanderschoben und derentwegen auch sein Vater und seine Geburt mit sonderbaren Erfindungen umgeben wurden.

Wie Wolfdietrich selbst, ist sein Vater Hugdietrich aus einer Vermischung von Vater und Sohn hervorgegangen. Den Namen hat er von Chlodwigs Sohn, die Werbungsgeschichte, die auf ihn die Dichtung des dreizehnten Jahrhunderts überträgt, hat sich aus der alten Sage von Chlodwigs Werbung gestaltet.

Das Heroische dieser alten Sage: Crothilds Rache hat unser Dichter abgestreift. Manches in ihr klang aber auch nach Novelle und Abenteuer: Von Crothilds Schönheit waren die Boten Chlodwigs erfüllt. Ihr Onkel hielt das Mädchen in strengem Gewahrsam und versagte sie dem Werber. Der Bote des Königs mußte sich verkleiden, die Christin wollte dem Heiden nicht folgen. Diese Bestandteile hat der Dichter des dreizehnten Jahrhunderts verstärkt: Walgunt von Salneck (Salonichi) hat eine Tochter Hildburg, deren wunderbare Schönheit der treue Berchter dem Herrn rühmt. Doch der Vater hält sie in einen Turm eingesperrt und will sie keinem Mann geben. Hugdietrichs gelbes Haar reicht ihm bis zu den Hüften, wir erkennen darin den stolzen Schmuck der fränkischen Könige. Dem Spielmann aber war das lange Haar das Zeichen des Weibes, so gab er dem Jüngling ein rosenfarbenes Antlitz zu den goldenen Locken und berichtete, er habe sich als Mädchen verkleidet und sich mit großem Gefolge nach Salneck begeben. Der Griechenkönig, sein Bruder, sagte er dort, habe ihn vertrieben. Hildburg fand solches Gefallen an der lieblichen Jungfrau, daß sie bat, man möge sie ihr zur Gespielin geben. Wirklich wurde sie mit ihr in den Turm eingeschlossen und beschämte die Königstochter und ihre Gespielinnen durch ihre Kunstfertigkeit in weiblichen Handarbeiten. Nach länger als einem halben Jahr erschien der alte Berchter, wie es vorher verabredet war, und brachte die Meldung, nun sei der Zorn des Bruders verraucht. Hugdietrich kehrte also zurück. Nach kurzer Zeit genas Hildburg eines Sohnes, und als Hugdietrich das hörte, kam er noch einmal, aber als Mann, zur Geliebten, küßte sein Kind, versprach ihm Konstantinopel als Erbe, nahm Hildburg zur Frau und führte sie heim.

Die Erfindung, daß sich der Werber als vertrieben ausgibt, brachte uns schon der Rother, und die Geschichte von Hetel und Hilde wird sie uns noch einmal bringen. Sie gehörte, wenn man so sagen darf, zum Inventar der Werbungsgeschichten, die uns die Spielleute erzählen, auch die Idee, daß der Mann, als Frau verkleidet, zur Geliebten dringt, ist uns nicht fremd, die Sage von Hagbard und Signe kannte sie. Dort aber, im dänischen Heldenlied, erschraken die Dienerinnen der Königstochter über die männliche Rauheit des Wesens, das sich als Mädchen ausgab, und sie nannte sich stolz und trotzig eine Walküre. In der deutschen Spielmannsdichtung ist Hugdietrich weiblicher noch als ein Weib, und die Geschichte seiner Werbung wird nicht ohne versteckte Lüsternheit vorgetragen. Mit der alten Heldenart hat sie wieder nichts gemein, und es ist sehr möglich, daß unser Spielmann die ganze Erfindung nicht aus der germanischen Überlieferung, sondern aus einer der spätgriechischen Geschichten holte, die das Mittelalter seiner Zeit kannte und liebte.

Von Wolfdietrichs Geburt erzählt die Geschichte von Hugdietrich noch weiter, daß Hildburg das Kind vor ihren Eltern verbarg. Einmal trat ihre Mutter unerwartet in den Turm, da ließ sie das Kind in das Gebüsch am Fuß des Turmes herab. Dort fand es ein Wolf und trug es als Speise zu seinen Jungen in die Höhle, doch die waren noch blind und taten dem Kleinen kein Leid. Am nächsten Tag, während Hildburg verzweifelt und umsonst nach ihrem Knäblein suchte, fand es ihr Vater bei den Wölfen, entzückte sich über seine Schönheit, trug es zu seiner Frau und ließ es taufen. Nun begibt sich eine Familienszene. Als die Mutter ihrer Tochter das Wunder erzählte, da offenbarte sich ihr Hildburg und erhielt ihre Verzeihung. Die Mutter aber brachte des Nachts im ehelichen Bette das Geheimnis ihrem Manne bei. Der war zuerst sehr ungebärdig und stellte dann nach Art der Männer durch eine genaue Untersuchung den Hergang der Dinge noch einmal fest. Als ihm dabei klar wurde, daß er eine gewisse Schuld daran habe, ließ er den Vater seines Enkelchens holen, der denn auch gern den Sohn anerkannte.

Viel hübscher und kindlicher erzählt eine andere Fassung des Wölfdietrich die Geburt unseres Helden. Wir geben sie mit Ludwig Uhlands Worten wieder:

Zu Konstantinopel herrschte ein gewaltiger König namens Hugdietrich; zwei Söhne hat ihm seine Gemahlin geboren, beide hießen Dietrich. Einst mußte er zum Kriege ausziehen. Reich und Gemahlin empfahl er dem Schütze des Herzogs Sabene. Dieser aber suchte die Königin zu unerlaubter Liebe zu verleiten; als sie ihn zürnend abwies, verredete er seine schmähliche Zumutung, es sei nur eine List gewesen, um ihre Treue zu erproben. Die Königin glaubte ihm und versprach, darüber zu schweigen. Noch in Abwesenheit des Königs genas sie eines dritten Sohnes, den sie bei seiner Abreise im Schöße getragen. Der König freut sich bei seiner Heimkehr des neugeborenen Kindes. Sabene aber verleumdet die Königin, sie habe dem König die Treue gebrochen, und der junge Sohn sei eines teuflischen Unholds Kind.

Der König hat einen treuen Mann, Herzog Berchter von Meran; diesem befiehlt er, das Kind zu töten. Lange weigert sich der Treue, erst die schrecklichsten Drohungen bringen ihn zum Nachgeben. Er empfängt das Kind und reitet mit ihm in den Wald; aber wie das unschuldige Kind mit seinen Panzerringen lachend spielt, bringt er den Mord nicht übers Herz, und doch schämt er sich wieder, um eines Kindes willen so zage zu sein, da er doch in heißer Schlacht schon gar manchen Mann gefällt. So kommt er, schwankenden Sinnes weiterreitend, zu einem Gewässer, in dem Seerosen blühen. Hier legt er das Kind an den Rand und überläßt es seinem Geschick; er meint, es werde nach Kinderart nach den Wasserrosen haschen, und so werde sich des Königs Wille erfüllen, ohne daß ihn Blutschuld belaste. Aber das Kind spielt auf der Wiese bis in die Nacht hinein. Da kommen Wölfe aus dem Wald und schnobern es an; das Kind greift nach ihren Augen, die in der Dunkelheit wie Lichter glänzen, aber keines der Tiere tut ihm etwas zuleide. Darüber staunt Berchter und beschließt, den Knaben zu retten; einem Wildhüter gibt er es zur Erziehung und nennt es Wolfdietrich.

Die Königin, der das Kind, während sie schlief, weggenommen worden war, bricht beim Erwachen in lautes Wehklagen über den Raub aus, der König schiebt, nach des bösen Sabene Rat, alle Schuld auf Berchter. Berchter wird gefangen genommen und vor Gericht gestellt; niemand wagt für ihn einzutreten, da der König auf den Rat des tückischen Sabene allen seinen Mannen es verboten. Schon soll das Urteil gesprochen werden, da tritt Berchters Schwager, Baltram, in den Ring und verlangt ein Gottesurteil; wer Berchter des Mordes bezichtige, der solle mit dem Angeklagten kämpfen. Sabene weigert sich, und als ein Schriftstück eröffnet wird, worin Berchter den ihm gewordenen Auftrag und die Schicksale Wolfdietrichs berichtet, ist seine Schuld offenbar. Sabene soll gehängt werden, aber eingedenk der früheren Freundschaft schenkt ihm auf seine flehentlichen Bitten Berchter das Leben. Doch muß er als Verbannter das Land verlassen. Wolfdietrich aber wird aus dem Walde geholt und von Berchter in Gemeinschaft mit den eigenen Söhnen erzogen.

In dieser Erzählung lebt die Unschuld und Einfalt unserer Legenden und Märchen, und wir entzücken uns daran wie an den Geschichten, nach deren Vorbild sie wohl geschaffen wurde, wie an der von der armen Genovefa und dem bösen Golo oder an dem Märchen von der verleumdeten unschuldigen Königin oder an dem von dem armen Kind, das eine grausame Stiefmutter töten lassen wollte, und das zu töten der Diener doch nicht über das Herz brachte.

Dem ganzen Bericht von Wolfdietrichs Geburt hat das Märchen und die Legende einer alten Sage eine Lieblichkeit und Anmut geschenkt, die vorher ihrem Wesen fremd war und an der wir uns dankbar erquicken, wenn sie auch nicht heroisch ist.

Die alte Sage, der die beiden Berichte von Wolfdietrichs Geburt entsprangen, ist, wie wir vermuteten, eine Sage, wie sie gerade die alten Franken liebten: Daß ein Held darum so kräftig und unbändig war, weil er von Wölfen abstammt. Von Krafttaten und Unbändigkeiten des Knaben Wolfdietrich wissen auch die Spielleute manches zu melden, sie gleichen denen des starken Hans im Märchen und denen des jungen Siegfried in späterer Überlieferung.

Von den Heldentaten des vertriebenen Wolfdietrich wurde sehr gefeiert die, daß er einen Drachen und seine Brut besiegte, der einem mächtigen König Ortnit das Leben genommen. Es war ein schwerer Kampf, das eigene Schwert sprang dem Helden in Stücke, und er siegte erst, als er in der Höhle, in die ihn der Drache geschleppt, Ortnits Schwert fand. Nach Art des Märchens erwies er sich als der Sieger, indem er als Wahrzeichen einem lügnerischen Nebenbuhler, der die Köpfe brachte, die Zungen des Untiers entgegenhielt. Der Königin gab er sich dann durch einen Ring zu erkennen. Dann wurde Wolfdietrich der trotzigen Vasallen der Königin Herr, und sie reichte ihm ihre Hand und die Krone. Nun erst konnte er ausziehen, um Berchter und seine Söhne zu befreien.
Den Inhalt des Gedichtes von Ortnit erzählt uns Ludwig Uhland so:

Ortnit, der junge König in Lamparten (Lombardei) auf der Burg zu Garden (Garda), findet keine kronwürdige Braut, weil alle Könige diesseits des Meeres ihm dienen. Darum will er nach der Tochter des Heidenkönigs Machorel zu Muntabur fahren, obgleich schon viele Häupter der Werber um sie auf den Zinnen der Burg stecken. Zuvor reitet er in die Wildnis am Gartensee (Gardasee), von dem wunderkräftigen Stein eines Ringes geleitet, den ihm die Mutter gegeben. Vor einer Felswand, aus der ein Quell fließt, sieht er auf blumigem Anger eine Linde stehen, die fünfhundert Rittern Schatten gäbe. Unter der Linde liegt ein schönes Kind im Grase, köstlich gekleidet, mit Gold und Gesteinen reich geschmückt. Es ist der Zwergkönig Alberich, dem Berge und Tale dienen. Lange neckt und prüft der starke Zwerg den Jüngling: Zuletzt entdeckt er sich als dessen Vater. Dann geht er in den Berg und holt für Ortnit eine leuchtende Rüstung samt dem herrlichen Schwert Rose. Zum Abschied verspricht er, dem Sohne stets gewärtig zu sein, solange dieser den Ring habe.

Die Zeit der Meerfahrt ist herangekommen. Zu Messina eingeschifft, fahren sie erst nach Suders, der Heiden Hauptstadt, wo vor allem Iljas, König aller Reußen, Ortnits Oheim, als Heidenvertilger wütet. Von da ziehen sie vor die Königsburg Muntabur, auf des Gebirges Höhe. Alberich hat seines Wortes nicht vergessen; er saß die ganze Fahrt über auf dem Mastbaume, keinem sichtbar, als wer den Ring am Finger hatte. Überall schafft er Rat und Hilfe. Jetzt weist er die Straße nach Muntabur, dem Heere mit dem Banner vorreitend; aber nur Roß und Fahne sind sichtbar, der Träger nicht. Er neckt den Heidenkönig, wenn dieser nachts, sich zu kühlen, an die Zinne tritt, rauft ihm den Bart, wirft das Wurfgeschütz und die Särge der Heidengötter in den Graben. Er zeigt der Königstochter von der Zinne den Helden Ortnit, wie er herrlich im Streite geht, sein Harnisch leuchtend, blutig das Schwert. Da spricht sie: "Er ist eines hohen Weibes wert." Alberich führt sie heimlich zur Burg hinaus, wo Ortnit sie vor sich zu Rosse gebt und mit ihr davonrennt. Mit den verfolgenden Heiden besteht der Held siegreichen Kampf; des Heidenkönigs schont er um der Tochter willen. Auf dem Meere wird sie getauft und erhält den Namen Liebgart (Sidrat nach anderen Fassungen), nach der Heimkunst aber wird ihre Krönung zu Garten gefeiert.

Der alte Heidenkönig, Versöhnung heuchelnd, sendet reiche Geschenke. Zugleich aber bringt sein Jäger zwei junge Lindwürmer mit, die er im Gebirg oberhalb Trient in einer Felsenhöhle großzieht. Nach Jahresfrist kommen sie heraus und schweifen gierig umher. Ihr Pfleger selbst ist ihnen kaum entronnen. Niemand wagt mehr die Straße zu ziehen; die Äcker werden nicht eingesät, die Wiesen nicht gemäht. Bis vor die Burg von Garten wird das Land verwüstet. Tod droht dem Helden, der sie zu bestehen wagt.

Da beschießt Ortnit, der Not des Landes zu steuern. Umsonst fleht ihn die Unheil ahnende besorgte Gattin, von dem Unternehmen abzustehen; er reißt sich aus ihren Armen und heißt sie, wenn er fallen solle, dereinst seinem Rächer ihre Hand zu reichen. Ohne Gefolge reitet er in den wilden Wald, um den Lindwurm aufzusuchen und zu bestehen. Fahrtmüde rastet er unter einem Baume und versinkt in tiefen Schlaf. Da wälzt sich der Lindwurm heran; vergeblich sucht der treue Hund durch Bellen und Scharren seinen Herrn zu wecken, zu tief ist sein Schlaf. So findet Ortnit von dem Lindwurm, der ihn verschlingt, den Tod.

Die Spielleute haben in diesem Gedicht die Neckereien des Alberich gewiß mit besonderer Freude und mit drastischen Gebärden vorgetragen. Als alten Bekannten begrüßen wir sonst darin die Werbungssage. Mit ihr ist aber eine andere Geschichte verschmolzen. Der überirdische Helfer, der unsichtbar machende Stein, die Rüstung und das Schwert gehören nämlich in das Märchen von dem Helden, der in die Hölle fährt, oder der eine Jungfrau aus der Gewalt eines Unholdes oder Behausung eines Riesen befreit und dabei die Hilfe eines gütigen Wesens von überirdischer Kraft genießt. Auf diesem Märchen beruht wohl das französische Heldengedicht von Hüon von Bordeaux. Darin hilft Oberon dem Hüon, wie Alberich dem Ortnit, eine schöne Sultanstochter zu entführen. Den Hüon wiederum wird unser deutscher Spielmann gekannt und verwertet haben. Auch der Wolfdietrich der Spielleute glich, gerade in seinem Zusammenhang mit Ortnit, einer altfranzösischen Heldendichtung, dem Karlmeinet. Dieser berichtet, wie ein Thronerbe von seinen neidischen Verwandten vertrieben wird, sich in der Ferne die Gunst eines anderen Königs erwirbt und mit dessen Hilfe sein mächtiges Reich zurückerobert. Die Lieblingsgeschichte der französischen Epen, daß der alternde Held ins Kloster geht, wird ja auf den deutschen Wolfdietrich übertragen und dort hat er außerdem mit den Seelen derer zu kämpfen, die er im Leben erschlug.

Germanisch an dem Gedicht von Ortnit ist der Name Alberich. Auch das mag, wie wir schon andeuteten, eine germanische Vorstellung sein, daß Alberich sich als den Vater des Helden enthüllt. Ursprünglich war er wohl die Seele des verstorbenen Vaters oder eines anderen Vorfahren und lieh ihm, unsichtbar wie die Seelen der Verstorbenen wirken, seine mächtige Hilfe. Die Schönheit des Alberich und sein Aussehen, daß er einem Kinde gleicht, wird in der deutschen Sage gerade den Seelengeistern, z.B. den mit den Eiben verwandten Kobolden, beigelegt.

Sehr verwunderlich scheint uns der Schluß des Gedichtes: Daß der heidnische König dem Ortnit gleich zwei Lindwürmer ins Land schickt, daß der Held vor dem Kampf einschläft, daß ihm Alberich nicht hilft und daß der treue Hund sich vergeblich müht, ihn zu wecken. Germanisch klingt diese Erfindung nicht - welcher germanische Held wäre wohl vor einem Kampfe eingeschlafen? -, doch gleicht sie persischen Erzählungen. Da der Ortnit in seinen Namen (Machorel und Muntabur) und auch sonst sehr deutliche Erinnerungen an Kreuzzüge (die von 1212, 1217 und 1218) zeigt, ist es wahrscheinlich, daß mit diesen Erinnerungen auch der Schluß des Gedichtes aus dem Orient in das deutsche Gedicht wanderte.

Wolfdietrich selbst zeigt ebenfalls manche Einflüsse von der Fabulierfreude des Orients, von Geschichten, die als Erinnerungen von den Kreuzzügen nach dem Abendlande zogen. Die Kämpfe zwischen Löwen, Drachen und Elefanten oder die zwischen den Löwen und einem Serpant, die sich darin begeben, sind wohl orientalischer Herkunft, und ebenso scheint das Messerwerfen eine orientalische Kunst, Wolfdietrich übertrifft darin einen Heiden, der sich auf seine Götter verläßt. Die Tochter des Heiden liebt unseren Helden. Doch weil sie nicht getauft ist, widersteht er ihr, trotzdem ihre Reize und ihre Zärtlichkeiten ihn verwirren. Wolfdietrich zeigt hier die gleiche übernatürliche Keuschheit, durch die manche Heilige der Legende sich hervortun. Der Erzähler übertreibt sie absichtlich und sogar in das Komische hinein, denn seine Hörer hätten sonst kaum aufgemerkt, sie verlangen grobe Reize. Deshalb malte der Spielmann auch die Schönheit und die Verführungsversuche der Heidin recht derb und lüstern aus. Zornig, daß er sie verschmähte, bringt die Schöne am nächsten Morgen den Helden in Not, indem sie, als er fortreiten will, vor ihn einen See und einen Wald zaubert, doch dieser und anderer Spuk verschwindet, als Wolfdietrich Gott anruft.

Die anderen Abenteuer der Gedichte führen uns zu den Zwergen, Riesen, wilden Leuten, Wassergeistern und ihresgleichen. In einer Fassung gelangt Wolfdietrich nach mühseliger Wanderung an das Meer, schön und anschaulich schildert der Dichter den Weg, den der Held zwischen Geröll und umgestürzten Bäumen hinabgeht, und die See, deren Wogen sich tosend an hohen Felswänden brechen. Als er, zu Tode erschöpft, eingeschlafen, entstiegt ein Meerweib den Fluten, weckt den Helden, wirft ihre Hülle ab und steht in leuchtender Schönheit als Herrin aller Wassergeister vor ihm. Wolfdietrich weist ihre Werbung zurück, trotzdem erquickt sie ihn und sein Pferd mit einer Zauberwurzel und weist ihm den Weg.

In einer anderen Fassung sind die Erlebnisse des Wolfdietrich noch bunter und vielfältiger. Als er nachts im Walde Wache hält, naht sich ihm, liebebegehrend, auf allen Vieren kriechend, ungeschlacht wie ein Bär, ein Waldweib, die rauhe Elfe; er weist sie entsetzt zurück, da schlägt sie ihn mit Sinnenverwirrung, so daß er noch in der Nacht zwölf Meilen hin und her läuft und schließlich unter einem Baum das liebegierige Ungestüm wiederfindet. Als er sich ihr voller Widerwillen nochmals versagt, wirft sie einen noch stärkeren Zauber auf ihn, er sinkt betäubt nieder, und sie schneidet ihm zwei Haarlocken vom Kopf und die Nägelspitzen von den Fingern. Nun ist ihm alle Kraft genommen, und der Arme läuft, verzaubert wie ein Tor, im Wald umher und nährt sich von den Krautern der Erde; endlich erbarmt sich Gott seiner und befiehlt durch einen Engel dem Weib, den Zauber aufzuheben. Nun will Wolfdietrich sich mit der rauhen Elfe vermählen, wenn sie sich taufen lasse. Da führt sie ihn zu Schiff in das Land Troja, wo sie Königin ist, läßt sich dort in einem Jungbrunnen taufen, steigt daraus als Schönste der Frauen hervor, heißt Sigeminne, und Wolfdietrich vermählt sich nur zu gern mit ihr.

Später - das ist wieder eines der Anhängsel und eine Stoffvermehrung, wie die Spielleute sie lieben - verliert Wolfdietrich die Frau, als er zur Jagd ausreitet. Als Pilger verkleidet eilt er ihr nach, und nach langer Wanderung findet er sie endlich wieder. Ein wilder Mann hatte sie verschleppt, er wollte die Widerstrebende zum Weib. Wolfdietrich besiegte ihn und die Scharen der ihm gehorchenden Zwerge. Dann entraffte ihm doch der Tod die kaum wiedergewonnene Frau. Der Held war nun wieder frei und konnte den Kampf mit dem Drachen bestehen, dem Ortnit erlag.

Das Abenteuer mit der Meerfrau und das mit der rauhen Elfe sind im Geschmack der höfischen Epen, die von Artus und seinen Rittern erzählen, von Iwein und von Erec, von Wigalois,. von Lanzelot und den anderen. Diese Helden treffen auf ihren Fahrten wunderbare überirdische Frauen, sie werden verzaubert und mit Sinnenverwirrung geschlagen, oder sie erlösen durch ihren Mut ein Wesen, das zuerst als häßliches Ungetüm sie erschreckt und sich dann, als der Ritter seine Tapferkeit behält und das Erlösungswerk auf sich nimmt, in die schönste Frau verwandelt. Unser Erzähler fügt in seinem Bericht den Herrn und einen Engel hinzu und macht ihn dadurch gottgefälliger. Durch die wilden Leute und Zwerge erhöht er andererseits seine Volkstümlichkeit. Uns wäre die Geschichte der rauhen Elfe in der einfachen Gestalt lieber, die sie vielleicht in einer früheren Form unsres Gedichtes besaß; daß die Frau den Wolfdietrich verzaubert, sich seiner erbarmt, nachdem sie ihn genug gestraft und ihm dann, als Ersatz für seine Leiden, ihre ganze liebliche Schönheit enthüllt und schenkt.

Die wirre Abenteuermasse der Wolfdietrichdichtungen ist noch reicher. Wir wollen sie hier nicht ganz ausbreiten und wollen noch weniger, da auch die Forschung noch nicht zur Klarheit gelangte, uns in Vermutungen ergehen, von wem die einzelnen Geschichten stammen und in welcher Folge und in welcher Art sie sich an und in die Gedichte von Wolfdietrich setzten. Daß verschiedene Dichter sich an diesen Epen versuchten, ging auch aus unseren Angaben hervor, wir fanden neben der Einfalt und Anmut der Legende freche Spielmannserfindungen, neben frischer, lebendiger und humorvoller Erzählung endlose Breiten und Stoffanhäufung.

Nacheinander sind bei dieser Betrachtung des einen Epos von Wolfdietrich alle Gattungen an uns vorübergezogen, die für die deutsche erzählende Dichtung im Mittelalter Bedeutung gewannen: Legenden und Märchen, Novellen und Fabeleien aus dem Orient, französische Heldendichtung und das höfische Epos. Unserem Gedicht haben diese Zusätze einen ganz ungewöhnlichen Stoffreichtum gegeben, aber sie machten es auch immer zusammenhangloser und wirrer. Statt der Heldendichtung steht in Wolfdietrich schließlich ein nicht enden wollender abenteuerreicher und formloser Roman vor uns, recht von der Art, wie sie das Volk immer will; seine Grundlage, das Heldenlied, ist von dem Erzähler unter der Fülle der späteren Erfindungen ganz verdeckt worden. Gegen den Reichtum der Ereignisse im Wolfdietrich war die späte Form der Wielandsage fast arm. Wir genießen es aber bei dem deutschen mittelalterlichen Gedicht dankbar, daß, wenn auch dunkle oder aufgebauschte, so doch Erinnerungen an die Treue und die Wildheit der alten Heldensagen in diesem Gewirre der Abenteuer erklingen, und daß unter den vielen Geschichten so liebliche und anmutige, so zarte und so kindliche auftauchen.


Dietrich von Bern

Die Entwicklung der Sage von Theoderich ist uns bekannt. Im Gegensatz zur Geschichte galt er als verbannter König. Odoaker hatte ihn vertrieben, und nachdem er lange die Gastfreundschaft Attilas genossen, eroberte er sich endlich die Heimat zurück. So erzählte uns im achten Jahrhundert das Hildebrandslied. Außer dem Theoderich galten nun noch einem anderen gotischen König oft erzählte Sagen, dem Ermanarich. Dieser Ermanarich drängte sich dann in die Sage von Dietrich von Bern ein, davon wissen zuerst Zeugnisse des elften und zwölften Jahrhunderts. Er wurde darin der Oheim des Dietrich, und auf Anstiften des Odoaker, der auch sein Neffe war, vertrieb Ermanarich den Dietrich. Dann verschwand Odoaker, dem keine besondere Sage galt, ganz aus der Überlieferung. An seine Stelle trat der böse Ratgeber Sibiche, dessen Aufstachelung bewog den Ermanarich zur Grausamkeit und Heimtücke gegen den Neffen, bis dieser vor seiner Übermacht fliehen mußte und bei Etzel Schutz und Hilfe fand. Die deutschen Gedichte des dreizehnten Jahrhunderts ziehen die Geschichte von Dietrichs Verbannung in die Länge. Dem Dietrich gelingt die Eroberung Italiens erst beim zweiten Versuch, beim ersten wird er zurückgetrieben. Bevor er in sein Elend ziehen mußte, lassen sie den Dietrich den Ermanarich einmal besiegen, und dazu erfanden die Dichter noch allerhand andere Kämpfe und Siege; in ihren Epen verwandelt sich die Sage in ein wirres, zielloses und endloses Hin und Her.

Den Inhalt der beiden großen Gedichte, die uns von der Verbannung und Heimkehr Dietrichs derart breit und weitschweifig erzählen - es sind das Gedicht von Dietrichs Flucht (besser das Buch von Bern) und das von der Rabenschlacht -, faßt Ludwig Uhland so zusammen.

Sibiche reizt den Ermenrich, seinen Neffen, den Dietrich von Bern zu verraten und sein Erbe an sich zu ziehen. Randolf von Ancona wird, unter Verheißung reichen Lohnes, als Bote nach Bern abgefertigt; der König wolle über Meer fahren, der Harlungen Tod zu büßen. Dietrich möge kommen und so lange des Reiches Pfleger sein. Als Randolf die Straße reitet, trocknen ihm die Augen nicht, wenn er des Mordes denkt, den er werben soll. Zu Bern richtet er die Botschaft aus, wie er geheißen ist, warnt aber den jungen Fürsten, er solle die Reise lassen und seine Festen besetzen. Dann reitet er zurück und meldet, daß Dietrich nicht komme. Fürder will Randolf nicht mehr zu dem Könige stehen, sondern alles für Dietrich wagen. Ermenrich rüstet nun große Heerfahrt und wütet mit Mord und Brand, bis Dietrich in nächtlichem Überfall das feindliche Heer vertilgt. Ehrlos entflieht Ermenrich und läßt seinen Sohn mit achtzehnhundert Helden in Dietrichs Hände fallen.

Dietrich hätte nun gerne den Recken gelohnt, die ihm Land und Ehre gerettet. Aber leer sind die Kammern, die sein Vater Dietmar voll Schatzes hatte. Hildebrand trat ihm sein und der Seinigen Gut an, und Bertram von Pola bietet so viel, als fünfhundert Säumer tragen können. Sieben Recken werden mit Bertram nach dem Golde gen Pola gesendet: Hildebrand, Sigeband, Wolfhart, Helmschart, Amelolt, Eindolt und Dietleib von Steier. Da legt Ermenrich an die Straße fünfhundert Mann unter Witege; sie überfallen Dietrichs Recken auf der Heimkehr und führen sie samt dem Schatze gefangen nach Mantua. Dietleib allein entrinnt und sagt die Märe zu Bern. Dietrich, nur um seine Recken, nicht um das Gold klagend, erbietet sich, für die Lösung der Sieben den Sohn Ermenrichs und die Achtzehnhundert, die mit ihm gefangen wurden, freizulassen. Ermenrich aber droht, die Recken Dietrichs aufzuhängen, wenn dieser nicht all seine Städte und Lande für sie hingebe. Man rät dem Berner, um die Sieben nicht alles zu verlieren, aber er ließe lieber alle Reiche der Welt als eine getreuen Mannen; so willigt er in Ermenrichs Begehren.

Ermenrich zieht nun mit Heereskraft vor Bern. Dietrich aber reitet aus der Stadt zu des Königs Zelt, steigt ab und beugt mit nassen Augen das Haupt ihm zu Füßen. "Gedenke", spricht er, "daß ich bin deines Bruders Kind, daß meine Einsicht noch schwach ist! Nimmer will ich deine Huld verwirken; laß ab von deinem Zorne!" Lange schweigt Ermenrich, dann heißt er drohend den Jüngling aus seinen Augen gehen. Um die eine Stadt Bern fleht Dietrich, nur bis er zum Manne gewachsen. Umsonst; Ermenrich droht nur grimmiger. Da bittet Dietrich nur noch um seine sieben Mannen und will mit ihnen von hinnen reiten. Auch diese Ehre wird ihm nicht gelassen, zu Fuß soll er seines Weges ziehen. Mehr denn tausend Frauen kommen aus dem Tore, für ihren Herrn bitten. Zuvorderst geht Frau Ute mit vierzig Jungfrauen; sie fallen vor Ermenrich nieder und mahnen ihn bei aller Frauen Ehre, an seinem Neffen königlich zu handeln. Er stößt sie von sich und gestattet auch ihnen nicht, in der Stadt zu bleiben. Da scheiden Männer und Frauen zu Fuß von Hab und Gut, Hildebrand hat Frau Ute an der Hand, der anderen Recken jeder die seinige. Jammervoll ob all der Schmach geht Dietrich von seinem Erbe, nimmer soll man ihn lachen sehen bis zum Tage, da er sein Leid rächen könne. Die Frauen werden nach Garda geführt, das der treue Amelolt besetzt hält. Ein Stein hätte weinen mögen, wie jetzt Frau und Mann, Mutter und Kind sich zum Abschied küssen. Fünfzig Getreue gehen mit Dietrich ins Elend, durch Isterreich in das Land der Hunnen. Dietrich wird von Etzel gütig aufgenommen und weilt an seinem Hofe. Er wird dort hochgehalten, aber er kann den Schmerz um sein verlorenes Erbe und seine gefallenen Helden nicht verwinden. Die milde Königin Helche bemerkt seine beständige Trauer; ihn zu trösten, vermählt sie ihm die schöne Herrad, ihre Nichte, und Etzel verspricht, zum Frühjahr ein Heer auszurüsten, mit dem Dietrich Italien wieder erobern soll. Das Frühjahr kommt, zu Etzelnburg sammelt sich ein Heer, zahlreich wie keines zuvor. König Etzel hat zwei herrliche junge Söhne, Scharpf und Ort. Diese wünschen sehnlichst, mit Dietrich zu reiten und seine gute Stadt Bern zu sehen. Sie wenden sich erst an die Mutter. Frau Helche sieht ihre Kinder traurig an, ihr hat geträumt, ein Drache sei durch ihrer Kammer Dach geflogen, habe vor ihren Augen die beiden Söhne hinweggeführt und sie auf weiter Heide zerrissen. Als aber die Jünglinge nicht ablassen, legt die Mutter selbst Fürbitte bei Etzel ein. Ungerne gewährt er. Dietrich verheißt, sie treulich zu behüten und nicht über Bern hinaus reiten zu lassen. Mit viel Tränen werden sie entlassen. Das Heer zieht durch Isterreich gegen Bern (Berona). Hier sollen Etzels Söhne zugleich zurückbleiben. Dietrich befiehlt sie auf Leben und Ehre dem alten Helden Elsan. Niemals sollen sie auch nur vor das Tor kommen; er droht, den Pfleger mit eigener Hand zu töten, wenn ihnen irgend Leides geschehe. Er bricht nun mit dem Heere gen Raben auf, wo Ermenrichs Kriegsmacht liegt. Den Jünglingen aber ist herzlich leid, daß man sie nicht mitgenommen. Sie knien vor ihrem Meister Elsan nieder und küssen ihm die Hände, daß er sie nur vor die Stadt reiten lasse, all den herrlichen Bau zu sehen. Er widersteht ihren Bitten nicht, und ehe er noch sich gerichtet, sie zu begleiten, sind sie schon zur Stadt hinaus. Es naht schon dem Herbste, wo die Nebel stark sind; so kommen die drei Jünglinge auf einen unrechten Weg, der sie über die weite Heide gegen Raben (Ravenna) führt. Elfan reitet ihnen nach und findet sie nirgends um die Stadt; laut ruft und jammert er, niemand antwortet ihm. Vor dichtem Nebel kann er sie auch auf der Heide nicht erschauen. Den ganzen Tag streichen sie hin und übernachten im Freien. Am Morgen reiten sie weiter, nach dem Meere zu. Diether fängt an, diese Irrfahrten zu bereuen. Als aber der Nebel weicht und die Sonne heiter scheint, da bewundern Etzels Söhne die Herrlichkeit des Landes, darin der Berner immer mit Freuden wohnen sollte.

Da erblicken sie den Recken Witege, der mannlich unter seinem Schilde hält. Sie wollen diesen Verräter an Diether und seinem Bruder sogleich angreifen, obschon sie, statt Harnischen, nur Sommerkleider anhaben. Umsonst warnt Witege mehrmals. Scharpf reitet zuerst ihn an und schlägt ihm starke Wunden: Da zuckt Witege mit Grimm das Schwert Mimung, mit gespaltenem Haupte schießt der Jüngling vom Rosse. Wäre er zum Mann erwachsen, ihm hätten alle Reiche dienen müssen. Ort will den Bruder rächen und erleidet gleichen Tod, obschon Diether ihm beigestanden. Dieser kämpft noch bis zum Abend zu Fuße; seine Gewandtheit, darin ihm niemand gleich ist, fristet ihn so lange; zuletzt fällt auch er, durch das Achselbein bis auf den Gürtel gehauen. Ihn betrauert Witege, Dietrichs Zorn fürchtend; er will zu Rosse steigen, aber die Kraft versagt ihm, und er muß sich auf der Heide niederlegen.

All das geschah um die Zeit der zwölftägigen Schlacht, worin Ermenrich bei Raben von dem Berner besiegt wurde. Er entflieht zur Stadt; den Verräter Sibiche fängt der treue Eckhart und führt ihn, quer auf das Roß gebunden, durch das Heer. Dietrich freut sich auf der Walstatt des Sieges, da kommt Elfan und meldet, daß er die jungen Könige verloren. Mit eigenen Händen, wie gedroht war, schlägt Dietrich ihm das Haupt ab. Die drei Erschlagenen werden auf der Heide gefunden. Dietrich küßt ihre Wunden, verflucht den Tag seiner Geburt und weint vor Jammer Blut. "Armes Herz", spricht er, "daß du so fest bist!" An der Größe der Wunden erkennt er, daß sie mit dem Schwert Mimung geschlagen sind.

Da sieht man Witege rasch über die Heide reiten. Grimmig springt der Berner auf und reitet so hastig nach, daß keiner der Seinigen ihm folgen kann; Feuer sprüht von den Hufschlägen. Speer, Helm und Schild hat er auf der Walstatt zurückgelassen, nur das Schwert führt er mit sich. Er ruft Witege an, mahnt, fleht ihn bei Heldenruhm und Frauenehre, zum Kampfe zu halten, verheißt Bern und Mailand, verheißt sein ganzes Reich, wenn Witege obliege. Aber Witege jagt nur stärker voran. Rienold, sein Neffe, der mit ihm reitet, schämt sich der Flucht und will auch ihn zum Kampfe bewegen: Zu zweien würden sie den Berner bezwingen. Witege will nicht hören, befiehlt den Neffen in Gottes Schutz und jagt weiter. Rienold sticht seinen Speer auf den Berner, dieser haut ihn vom Rosse, reitet Witege nach und reizt ihn, Rienolds Tod zu rächen. Je länger, je mehr eilt Witege, mahnt unablässig seinen Schemming, verspricht ihm Gras und lindes Heu in Fülle. Schemming macht weite Sprünge. Dietrich klagt, daß Schemming, einst ihm gehörig, seinen Feind von hinnen trage; er treibt sein jetziges Roß Falke, daß es von Blute trieft; vor Zorn glüht er, daß sein Harnisch weich wird. Kaum eines Roßlaufs Weite ist noch zwischen den beiden, Witege ist bis an das Meer getrieben, er gibt sich verloren. Da kommt die Meerfrau Waghild, seine Ahnmutter, und nimmt ihn samt dem Roß auf den Grund des Meeres. Der Berner reitet bis zum Sattelbogen in das Meer nach; er muß umkehren und wartet vergeblich, ob Witege wieder erscheine.

Noch erstürmt Dietrich die Stadt Raben, daraus Ermenrich, die Seinen verlassend, um Mitternacht entweicht, während die Stadt in Flammen aufgeht. Doch der Sieg führt zu keiner dauernden Behauptung Italiens, Dietrich muß zu den Hunnen zurückkehren und sendet Rüdiger voraus, daß er ihn bei Etzel und Helche entschuldige; er selbst wagt noch nicht, ihnen vor die Augen zu treten. Als der Markgraf mit seinen Helden zu Gran ankommt, laufen die herrenlosen Rosse der zwei jungen Könige mit blutigen Sätteln auf den Hof. Die Königin will eben mit ihren Frauen in einen Garten gehen, an den Blumen ihr Auge zu weiden, da sieht sie die blutigen Rosse ihrer Kinder stehen. Im ersten Schmerz verwünscht sie den Berner: Doch sie wird versöhnt, als Rüdiger meldet, daß Dietrich mit ihnen den eigenen Bruder verloren. Sie ist selbst Dietrichs Fürsprecherin bei Etzel. Der Berner kommt nach Etzelnburg, geht in den Saal, neigt sein Haupt auf Etzels Fuß und bietet sein Leben zur Sühne. Die Königin weint, und Etzel richtet mit neuer Huld ihn auf.

Der schmerzliche und tränenreiche Ton in dieser Geschichte, der breite und weitschweifige Vortrag und die mühselige und unbeholfene Diktion sind nicht in der Art und dem Geschmack der alten Heldendichtung. Freilich ermüden und verdrießen sie in den Gedichten selbst den Leser viel mehr als in Uhlands gedrängter Wiedergabe. Ebensowenig war das Auftreten Dietrichs in den alten Gedichten des siebenten Jahrhunderts so sanft und so demütig. Trotzdem wittern wir in diesen Epen sofort eine ganz andere Kunst als in den Gedichten von Wolfdietrich. Wir fühlen, daß ihnen alte heroische Lieder und Szenen zugrunde liegen oder Dichtungen, die mit ganz eigener und eindringlicher Kraft alte heroische Themen verwerten.

Der Bote Randolf, der den Dietrich verräterisch einladen soll, und der den jungen Helden doch warnt, erlebt einen Konflikt, wie ihn germanische Helden erleben. Wir erinnern an den Regin der nordischen Sage, der die Söhne Halfdans warnte, obwohl er dem Frodi Treue geschworen. Eine ähnliche verzweifelte Lage wie dem Randolf war auch einem sächsischen Sänger beschieden. Er sollte im Auftrag des Königs Magnus den Herzog Canut einladen. Magnus aber wollte Canut hinterrücks ermorden. Der Sänger wußte das, hatte jedoch vorher dem Magnus geschworen, daß er es nicht verraten werde. Doch die Ahnungslosigkeit des Canut, der nicht einmal ein Schwert nahm, rührte ihn, und da sang er ihm das berühmte Lied der Treulosgkeit der Kriemhild gegen ihre Brüder. Canut aber überhörte die Warnung und ritt in sein Verderben.

Die Dichtung vom Tode der Etzelsöhne reicht wohl auch in die Zeit der Völkerwanderung zurück. Um die Mitte des fünften Jahrhunderts besiegten die germansichen Stämme das Heer der Söhne Attilas und Ellak, der bedeutendste von ihnen, fand dabei den Tod. Die Erinnerung an diesen Sieg wird in der Sage nachgeklungen sein und das Lied von dem Sohn des mächtigen Königs geschaffen haben, der einen grausamen Tod starb.Vielleicht ist der Bericht im Nibelungenlied, in dem ja Hagen den Sohn von Etzel und Kriemhild tötet, auch ein Nachklang eines Liedes dieser Art.

In unserem mittelalterlichen Gedicht von der Rabenschlacht überraschen uns zwei Szenen, weil sie der alten germanischen Kunst entsprechen. Die erste ist die Gegenüberstellung von Etzels Söhnen und ihrem jugendlichen ungestümen Tatendurst und Heldensinn gegen den harten, unbeweglichen Witege. Die andere ist die Verfolgung des Witege durch Dietrich. Sie erscheint uns wie eine Umkehrung des alten Liedes von Chlothars Sieg über die Sachsen. Dort war der Verfolgte der Beredte und Heimtückische, der Verfolger still. Hier scheint der Verfolgte immer noch stiller und verstockter zu werden, und der Verfolger ergeht sich in den leidenschaftlichsten Beschwörungen, Bitten und Klagen. Diese beiden Szenen mögen dem germanischen Lied gehört haben, indem er sie in das Traumhafte und Visionäre steigerte und die gleiche düstere Stimmung des Traumes über das ganze Gedicht breitete, schuf dann ein deutscher Dichter aus der alten germanischen eine mittelalterliche Dichtung von seltsamer rührender und phantastischer Kraft. Wäre sie uns doch selbst erhalten, wie sie der Dichter des Meier Helmbrecht noch kannte, und müßten wir sie doch nicht aus der allzubreiten Umschreibung des Epos von der Rabenschlacht herausholen!

Der bange Traum der Helche leitet das Gedicht ahnungsschwer ein. Nebel verwirrt die Helden und raubt die Jünglinge das erste Mal ihrem alten Erzieher Elsan. Wie ein Traumgesicht von wunderbarer und beseeligender Schönheit taucht Ravenna vor ihnen auf. Unwirklich, wie eine finstere Erscheinung, steht dann plötzlich Witege vor den jungen Helden und tötet einen nach dem anderen. Grausam und ganz gegen die eigene Natur erschlägt Dietrich den Elsan. Die Stummheit und die rasende Flucht des verfolgten Witege wächst immer mehr in das Unheimliche und Traumhafte, so daß wir uns kaum noch wundern, als seine Ahnmutter den Fluten entsteigt und den Sohn rettend zu sich zieht. Die herrenlosen Rosse, die mit blutigen Sätteln auf den Hof der Königsburg laufen, sehen wir wieder vor uns wie die jammervollen Bilder, die ein quälender Traum uns zeigt, und sie sind doch der schmerzliche und milde Nachklang des Gedichtes und geben ihm zugleich durch die Klage der Mutter die rührendste und menschlichste Trauer.

Das alte Gedicht von der Rabenschlacht mag um die Wende des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts entstanden sein. Die Umschreibung, in der wir es besitzen, gehört dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts. Wie stark der Eindruck des alten Gedichtes war, erkennt man auch daraus, daß es einem anderen zum Vorbild diente, dem Gedicht von Alpharts Tod. Dies ist seinerseits wohl durch manche Zusätze entstellt, aber auch wenn man es sich davon gereinigt denkt, so steht nur ein Werk der Epigonenkunst vor uns. Besonders in seinem ersten Teil ist es eindrucksvoll und lebendig vorgetragen, und man erkennt darin gute künstlerische Muster und Meister, freilich hält es sich von Übertreibungen, Breiten und Weinerlichkeiten nicht frei. Aus der alten heroischen Überlieferung hat es nirgends geschöpft.

Das Lied schildert, wie der junge Alphart, Hildebrands Neffe, allein auf der Warte gegen Ermenrich reiten will und seinen Willen durchsetzt, obwohl alle Helden der Jugend Alpharts wegen es widerraten. Frau Ute waffnet ihn selbst und läßt ihn dann weinend ziehen, seine junge Frau bittet ihn kniefällig, er möge doch nicht allein ausreiten, aber er küßt sie nur und jagt sie dann davon. Hildebrand will die Kraft des Jünglings prüfen und reitet ihm nach, mißt sich mit ihm, ohne daß er sich zu erkennen gibt, und bereut es bitter; denn der junge Held richtet den Oheim übel zu. Dann begegnet Alphart der Vorhut des Feindes, achtzig Rittern, die er besiegt und tötet, nur acht entfliehen blutend und verbreiten Schrecken in Ermenrichs Lager. Ermenrich verspricht den höchsten Lohn dem Helden, der gegen Alphart kämpfen wolle. Keiner wagt es. Endlich ruft er den Witege und Heime auf. Als Witege kommt, verweist ihm Alphart den Verrat an Dietrich, schleudert ihn aus dem Sattel und streckt ihn auch im Schwertkampf nieder. Wie tot liegt er unter dem Schild. Heime bietet dem Alphart an, er solle zurückkehren, sie wollten sagen, daß sie ihn nicht angetroffen, doch der junge Held verschmäht den Vorschlag, er will Witege zum Pfand. Der hat sich wieder erhoben, erinnert nun den Heime an die Treue, die er ihm geschworen, und beide dringen auf Alphart ein. Als der auch den Heime schwer trifft, brechen die beiden Angreifer das Versprechen, das sie vorher dem Gegner gegeben, Witege fällt ihn von hinten an, Heime von vorne, der junge Held, nach tapferster Gegenwehr, muß sein Leben lassen und verwünscht sterbend die ehrlosen Mörder.

Witege und Heime gehören schon in die germanische Heldensage, denn der altenglische Widsith nennt ihre Namen. Der Held der Geschichte, aus dem der Witege der Dichtung entsprossen, ist einmal der König der Ostgoten Witgis. Wenn man sich erinnert, wie Prokop diesen König schildert, seine Treue, sein tapferes Ausharren in allen Wechselfällen des Kampfes, sein mannhaftes Heldentum und sein Unglück - er mußte sich in Ravenna ergeben -, so versteht man wohl, daß die germanische Heldendichtung diesen König gern besang. Außerdem meint man, daß der tapfere Gotenheld Widigoia, der durch die Hinterlist der Hunnen fiel und nach dem Zeugnis des Jorclanes im Liede gefeiert wurde, in Witege fortlebe. Doch kennen deutsche Heldengedichte des Mittelalters einen eigenen Helden Witegouwe. Ob Heime einem Helden der Geschichte sein Dasein verdankt, wissen wir nicht.

Die beiden, Witege und Heime, waren in den alten Liedern andere als in den deutschen Epen des dreizehnten Jahrhunderts. Selbst in diesen ist die Erinnerung an ihr starres aufrechtes und vorbildliches Heldentum nicht ganz gewichen, und darin muß früher ihr eigentliches Wesen bestanden haben. Wohl durch eine Verwirrung der Sagenerzähler wurden sie aus Helden Dietrichs zu Helden Ermanarichs, und diese Verwirrung hat vielleicht die Vorstellung von ihrer Untreue geschaffen und sie endlich, wie Ludwig Uhland das ausdrückt, in finstere und kalte Mordrecken verwandelt. Das Gedicht von Dietrichs Flucht schiebt den Witege gewissermaßen zwischen Dietrich und Ermanarich hin und her. Witege geht von Ermanarich zu Dietrich über und übergibt dann wieder verräterisch an Ermanarich die Stadt Ravenna, die Dietrich in seiner Hut gelassen. Einen ähnlichen Verrat beging in der Geschichte Odoakers Feldherr Tufa, und es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß auch eine Erinnerung daran das Wesen von Witege befleckt hat.

Am ehesten vergleicht sich Witege in seiner Entwicklung wohl dem nordischen Starkad. Beide Helden werden aus Vorbildern der Treue und des Heldentums zu Verrätern. Die wilde Kampflust des Starkad zeigt der Witege der Thidreksaga, und wie Starkad zu einem Wasserriesen, wird Witege zum Sohn einer Meerfrau; auch er steigert sich also in das Mythische.

Die seltene Beliebtheit, die Dietrich von Bern während des ganzen Mittelalters genoß, verdankt er zu einem Teil der heroischen Überlieferung, mit der er verwachsen war und außerdem seiner Persönlichkeit, in der Volk und Helden ihr eigenes Wesen wiederfanden. Denn dem Dietrich blieb seine Langmut und seine Geduld erhalten, ja sie verklärte sich im Lauf der Jahrhunderte und dazu trug wohl das Christentum das Seine bei. Aber auch die Kraft des Dietrich blieb die alte, und wenn er sich zum Kampfe entschloß, war sein Angriff stärker und unwiderstehlicher als der irgendeines anderen Helden, es hieß sogar, daß er mit seinem Feueratem den Gegner versengte.

Das Volk liebte den Dietrich und sang von ihm auch noch aus anderen Ursachen. Es gab ihm nämlich die Freude am Kampf und die Siege, die vorher der alte Gott Donar besaß und die im altenglischen Epos der Beowulf besitzt. Dietrich zeigte sie wie jene im unablässigen, übermächtigen Wirken gegen die Mächte, die die Arbeit des Bauern bedrohen, gegen die Riesen von Wind und Wetter und die anderen Unholde alle. Von diesen Kämpfen erzählen uns eine Fülle von Gedichten aus dem dreizehnten Jahrhundert, von denen einige das Mittelalter überlebten. Leider ist das Volkstümliche und das im germanischen Sinn Mythische aus diesen Liedern fast ganz verdrängt; nur der Riese Fasolt und die böse, Steine und Lawinen schleudernde Riesin Runze entstammen dem alten Volksglauben. Sonst sind die alten Sagen durch Erfindungen und Erzählungen im höfischen Geschmack und nach den höfischen Vorbildern der Artusdichtung ersetzt oder überwuchert.

Die Kunst der Spielleute drang natürlich auch in sie hinein. Dabei wurde auch die alte schwere Bedeutung der Kämpfe vergessen; so wie die Dichter des dreizehnten Jahrhunderts sie erzählen, sollen sie nur unterhalten, wie eben die höfischen Romane unterhielten. Da besiegt der Riese Sigenot den Berner, und Hildebrand befreit ihn nach schwerem Kampf, oder Dietrich hilft der Bergkönigin Virginal vor den Riesen, die sie bedrängen, oder es dringen Dietrich und seine Helden in das Reich des Laurin, das mit einem Seidenfaden umgeben ist und das kein Irdischer betreten darf; sie wollen aber den Zwerg strafen, weil er die Künhilt, die Schwester eines ihrer Helden, entführt.

Laurin wird erst besiegt, als sie ihm seinen Gürtel abreißen, der ihm die Stärke von zwölf Männern verlieh. In dem Reich des Zwergkönigs werden die Helden herrlich bewirtet und weiden sich an dem funkelnden Glanz und der Pracht, die sie überall umgibt. Dann aber bezaubert und fesselt der tückische Zwerg die Helden und nur durch die Hilfe der entführten Künhilt werden sie wieder sehend und überwinden noch einmal ihren hinterlistigen Wirt.

Den Inhalt des hübschesten und beliebtesten dieser Gedichte, den Inhalt des Eckenliedes, teilen wir wieder mit Ludwig Uhlands Worten mit:

Auf Jochgrimm sitzen drei königliche Jungfrauen. Sie haben Dietrichs Lob vernommen und wünschen sehnlich, ihn zu sehen. Drei riesenhafte Brüder, Ecke, Fasolt und Ebenrot, werben um die Jungfrauen. Ecke, kaum achtzehn Jahre alt, hat schon manchen niedergeworfen; sein größter Kummer ist, daß er nichts zu fechten hat. Ihn verdrießt, daß der Berner vor allen Helden gerühmt wird, und er gelobt, ihn gutlich oder mit Gewalt, lebend oder tot herzubringen. Zum Lohne wird ihm die Minne einer der Königinnen zugesagt. Seeburg, die schönste, schenkt ihm eine herrliche Rüstung, womit sie selbst ihn wappnet. Auch ein treffliches Roß läßt sie ihm vorziehen, aber ihn trägt kein Pferd, und er braucht auch keines, vierzehn Tage und Nächte kann er gehen ohne Müdigkeit und Hunger. Zu Fuß eilt er von dannen über das Gefild, in weiten Sprüngen, wie ein Leopard; fern aus dem Walde noch, wie eine Glocke, klingt sein Helm, wenn ihn die Äst rühren. Durch Gebirg und Wälder rennend, schreckt er das Wild auf; es flieht vor ihm oder sieht ihm staunend nach, und die Vögel verstummen. So läuft er bis nach Bern und, als er dort vernimmt, daß Dietrich ins Gebirg geritten, wieder an der Etsch hinauf in einem Tage bis Trient.

Den Tag darauf findet er im Walde den Ritter Helfrich mit Wunden, die man mit Händen messen kann: Kein Schwert, ein Donnerstrahl scheint sie geschlagen zu haben. Drei Genossen Helfrichs liegen tot. Der Wunde rät Ecken, den Berner zu scheuen, der all den Schaden getan. Ecke läßt nicht ab, Dietrichs Spuren zu verfolgen. Kaum sieht er ihn im Walde reiten, als er ihn zum Kampfe fordert. Dietrich zeigt keine Lust, mit dem zu streiten, der über die Bäume ragt. Ecke rühmt seine köstlichen Waffen, von den besten Meistern geschmiedet, Stück für Stück, um durch Hoffnung dieser Beute den Helden zu reizen. Aber Dietrich meint, er wäre töricht, sich an solchen Waffen zu versuchen. So ziehen sie lange hin, der Berner ruhig zu Roß, Ecke nebenher schreitend und inständig um Kampf flehend. Er droht, Dietrichs Zagheit überall zu verkünden, er mahnt ihn bei aller Frauen Ehre, er gibt dem Gegner alle Himmelsmächte vor.

Endlich willigt der Berner ein, am Morgen zu steilen. Doch Ecke will nicht warten, er wird nur dringender. Schon ist die Sonne zu Rast, als Dietrich vom Rosse steigt. Sie kämpfen noch in der Nacht; das Feuer, das sie aus den Helmen schlagen, leuchtet ihnen. Das Gras wird vertilgt von ihren Tritten, der Wald versengt von ihren Schlägen. Sie schlagen sich tiefe Wunden, sie ringen und reißen sich die Wunden auf. Zuletzt unterliegt Ecke. Vergeblich bietet Dietrich Schonung und Genossenschaft, wenn jener das Schwert abgebe. Ecke trotzt und zeigt selbst die Fuge, wo sein Harnisch zu durchbohren ist. Dietrich beklagt den Tod des Jünglings, nimmt dessen Rüstung und Schwert Eckesachs, das er seitdem führt, und bedeckt den Toten mit grünem Laube.

Dann reitet er hinweg, blutend und voll Sorge, man möchte glauben, er habe Ecke im Schlaf erstochen. Schwere Kämpfe besteht er noch mit Eckes Bruder Fasolt, der mit wilden Hunden eine Jungfrau durch den Wald hetzt, und mit dem übrigen riesenhaften Geschlechte, namentlich der wilden Runze, die lawinengleich eine Berglehne herabsaust und mit einer Hand eine ganze Burg wegfegt. Das Haupt Eckes führt er am Sattelbogen mit sich und bringt es den drei Königinnen, die den Jüngling in den Tod gesandt.

Die Dichtungen von Wolfdietrich und Dietrich von Bern sind sich auch darin verwandt, daß sie Abenteuer und Fabeleien nach Art der höfischen und Spielmannsdichtung auf einen alten Helden und auf seine heroischen Kämpfe übertragen. Die Gedichte über Dietrich von Berns wunderbare Kämpfe und Erlebnisse stehen aber frei und locker nebeneinander, sie verschlingen sich nicht wie bei Wolfdietrich zu einer Einheit, die dann doch keine Einheit ist. Darum wird das Wesen des Dietrich von Bern auch von diesen Abenteuern nicht erdrückt, es hat sich auch hier alles in allem in großer Reinheit erhalten.

Die Frömmigkeit und Einfalt der Legende fehlt den mythischen Gedichten von Dietrich von Bern, und vom Märchen lebt mehr das Phantastische, wunderbar Verwirrende als das Kindliche in ihnen. Am meisten aber entzückt in ihrer Kunst die Schilderung der Natur. Im Ortnit und im Wolfdietrich fanden wir auch Szenen von einer Freude an der Natur und von einer Gabe, ihre Lieblichkeit und Größe wiederzugeben, die wir vorher in der Heldendichtung noch nicht endeckten, wir erinnern uns etwa an die Szene, in der Ortnit unter der Linde auf blühendem Anger den Albrich entdeckt, oder an die Geschichte vom Knäblein Wolfdietrich, das an dem von Seerosen bewachsenen Teich sitzt und den Wölfen in ihre glühenden Augen faßt, oder an den Weg Wolfdietrichs, den Abhang o herunter zum Meer. Anschaulicher und großartiger noch ist die Natur in den Gedichten von den Abenteuern Dietrichs erfaßt, und wir können die Art dieser Schilderungen wieder nicht besser erzählen als mit den Worten Ludwig Uhlands.

"Im Eckenliede rauscht noch immer der unbändige Sturmgeist, zum Schrecken der Vöglein und alles Getieres, durch die krachenden Bergwälder. Selbst in dem späten Dichtwerke Virginal waltete noch immer, mitten unter dem geziertesten Hofwesen, ein reger Sinn für die großartige Gebirgswelt, deren gewaltsamtste Erscheinungen als Riesenvolk und Drachenbrut dargestellt sind. Die Abenteuer bewegen sich im wilden Lande Tirol, im finsteren Walde, darin man den hellen Tag nicht spürt, wo nur enge Pfade durch tiefe Tobel, Täler und Klingen führen, zu hochragenden Burgfesten, deren Grundfels in den Lüften zu hängen scheint; wo der Verirrende ein verlorener Mann ist, der einsam Reitende sich selbst den Tod gibt. Dort, wo ein Bach vom hohen Fels her bricht, da springt der grimmige Drache, Schaum vor dem Rachen, fort und fort auf den Gegner los und sucht ihn zu verschlingen; wieder ,bei eines Brunnen Flusse' vor dem Gebirg, das sich hoch in die Lüfte zieht, schießen große Würmer her und hin und trachten, die Helden zu verbrennen; bei der Herankunft eines solchen, der Roß und Mann zu verschlingen droht, wird ein Schall gehört, recht wie ein Donnerschlag, davon das ganze Gebirg ertost. Leicht erkennbar sind diese Ungestüme gleichbedeutend mit den siedenden donnernden Wasserstürzen selbst. Dazwischen ertönt, ebenso donnerartig, das gräßliche Schreien der Riesen; als Dietrich mit tödlichem Steinwurf einen jungen Riesen getroffen hatte, stößt dieser einen so grimmen Schrei aus, als bräche der Himmel entzwei, und seine Genossen erheben eine Wehklage, die man vier Meilen weit über Berg und Tann vernimmt, die stärksten Tiere fliehen aus der Wildnis, es ist, als wären die Lüfte erzürnt, der Grimm Gottes im Kommen, der Teufel herausgelassen, die Welt verloren, der jüngste Tag angebrochen; ein starker Riese ,Felsenstoß' läßt seine Stimme gleich einer Orgel erdröhnen, man hört sie über Berg und Tal, überall erschrecken die Leute, und selbst der sonst unersättliche Kämpe Wolfhart meint, die Berge seien entzwei, die Hölle aufgeweckt, alle Recken sollen flüchtig werden; auch die Riesen hausen am betäubenden Lärm eines Bergwassers, bei einer Mühle und zunächst einer tiefen Höhle."

Die Kirche war dem Dietrich von Bern von jeher abhold; sie hat ihn zuerst gehaßt, weil er ein Ketzer war, und dann, weil das Volk so leidenschaftlich an ihm hing. Es gab von dem König eine Sage, daß er nicht gestorben, sondern in einen Berg entführt sei, wo er nun schlafe. Diese verwandelte die Kirche: Den Dietrich habe ein schwarzes Roß, und das war niemand anderes als der Teufel selbst, entführt und ihn in den Ätna getragen, in dessen Feuergluten er seine Sünden noch immer büßen müsse. Aber wie oft diese alte Erzählung auch wiederholt und dem Volke vorgehalten wurde, aus seinem Herzen hat sie diesen König nie reißen können. Und so vermehrt gerade sie unser Staunen und unsere Rührung darüber, daß Jahrhunderte diesem treuesten König die Treue hielten und ihn als das verklärte Abbild des eigenen Wesens liebten. Zum Schluß führen alle Sagen von Dietrich von


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Nordische Mythen

17.12.2004 um 23:08
@ Hi all

Sagen um Wolfdietrich

Die Sage von Wolfdietrich und seinem Geschlecht ist fränkischer Herkunft. Der Vater des Wolfdietrich heißt in der Sage Hugdietrich. Hugo Theodoricus, d.i. Hugdietrich, ist aber als Name von Chlodwigs Sohn überliefert. Es ist der gleiche Dietrich, den wir als Überwinder Irminfrieds aus der germanischen Heldendichtung kennen. Wir hörten damals auch, welcher Vorwurf ihn zum Haß und Kampf gegen Irminfried antrieb: der Vorwurf unehelicher Geburt. Seine Brüder, erzählen uns die Geschichtsschreiber, mißgönnten ihm, dem Bastard, die Ansprüche auf sein Reich, und er hatte manchen Kampf zu bestehen, bis er sich durchsetzte. Diese Streitigkeiten der Geschichte klingen in den Kämpfen nach, die der Wolfdietrich der Sage führt. Die Sage verschmolz aber, wie so oft, die Schicksale des Vaters, des Hugo Theodoricus, und die seines Sohnes, des Theodebert. Dieser mußte in der Wirklichkeit Ähnliches erleben wie der Vater, und darum begreift es sich leicht, daß sie in der Erinnerung späterer Geschlechter zusammenfielen. Nicht nur dem Bruder, auch dem Sohne des Bruders machten nämlich Chlodwigs echte Söhne das Reich streitig. Theodebert aber behauptete sich durch die Treue und Standhaftigkeit seiner Dienstmannen.

Der Hergang des alten Liedes über die Kämpfe des Wolfdietrich war demnach wohl der: Die Brüder überfallen und vertreiben den Bastard, dem sie das Reich nicht gönnen, im Elend halten ihm seine Recken die Treue, er gewinnt sich Anhänger, bekämpft mit ihnen wieder die Brüder und besiegt sie. Ein Lied dieser Art entspräche ungefähr den uns bekannten Liedern von den Schildungen und von dem Kampf um Finnsburg.

Dem treuen Ratgeber stellte das Lied den bösen gegenüber. Dieser entwickelte sich wieder aus der Geschichte und zwar aus der fränkischen Geschichte. Die allmächtige Stellung des fränkischen major domus, des königlichen Hausmeisters, gab ihm seine Besonderheit und seine Gewalt, die er dann in unserer Sage mißbraucht, um den Bastard zu verdrängen und um seine Mutter zu verleumden. Dieser böse Ratgeber hieß Sabene; schon der Widsith kennt und nennt ihn, bei ihm heißt er Seofola.

Es hatte nun die Sage vom Wolfdietrich eine große Ähnlichkeit mit der des gotischen Theoderich. Wie dieser wurde der fränkische Theoderich von seinem Erbe vertrieben, lebte nur von wenigen Getreuen begleitet in der Verbannung und eroberte sich schließlich sein Reich zurück. Sogar die Namen beider Herrscher waren die gleichen. Es ist darum kein Wunder, wenn eine Sage die andere beeinflußte, und wenn aus der Sage Dietrichs von Bern der treue Berchter von Meran in die Sage von Wolfdietrich herüberwanderte.

In den deutschen Geschichten des dreizehnten Jahrhunderts von Wolfdietrich hat Berchter sechzehn Söhne; sechs fallen im Kampf mit den Brüdern Wolfdietrichs, und Berchter sieht jedesmal, wenn
einer den Todesstreich empfängt, lachend zu seinem Herrn herüber und sucht ihn zu trösten. Als dann Wolfdietrich seinem wilden Schmerz um den Verlust der Jugendgespielen sich hingibt, fährt ihn der Alte rauh an, ihm und seinem Weib sollte er die Tränen überlassen, er müsse jetzt an die Flucht denken. Mit den lebenden Söhnen deckt Berchter dem Herrn den Rückzug und ermöglicht ihm die Flucht. Dann harren sie alle auf Wolfdietrichs Wiederkehr. Sie werden von den Brüdern Wolfdietrichs gefangen genommen und müssen in Jammer und Not ihr Leben hinbringen, je zwei zusammengeschmiedet, werden sie auf die Burgmauer als Wache gesetzt. Berchter stirbt vor Herzeleid, als Wolfdietrich nicht zurückkehrt. Als der König endlich, als Pilger verkleidet, zu den Söhnen kommt, sagen sie ihm, den Tod des Vaters wollten sie wohl verschmerzen; den Tod ihres Herrn würden sie niemals verwinden. Mit den Worten: "Lebtest du, Wolfdietrich, du ließest uns nicht in solcher Armut", sei Berchter dahingegangen. Um ihres Herrn willen bieten sie dem Pilger ihren Panzer an, als er sie um Gottes Willen um ein Stück Brot bittet. Das sei ihre einzige Habe, und von dem Erlös könne er sich Brot und Wein kaufen. Wolfdietrich gibt sich nun zu erkennen. Berchters Söhne flehen Gott an, er möge ihre Bande lösen, wenn der Pilger wahr gesprochen. Da springen ihre Fesseln, sie eilen von der Mauer, öffnen das Tor, erobern die Stadt und besiegen Wolfdietrichs Brüder. Mitternachts bemerkt Wolfdietrich einen Sarg neben dem Sarg seines Vaters; es ist der Berchters. Der König reißt die Steine vom Sarg und umarmt und küßt den Toten, dessen Leichnam noch unzerstört ist. Die Söhne entschädigt er durch reichen Lohn für alle Leiden, die sie um seinetwillen erduldet.

Die Treue des Gefolgsmannes gegen den Herrn ist die gemanische Grundlage dieser Erzählung. Aber wie weichlich und sentimental, wie unnatürlich und romanhaft überspannt, wie unwahr erscheint uns diese versechzehnfachte Treue und dieser Jammer, wenn man sie etwa mit der vergleicht, die der Hildebrand des alten Liedes für seinen Dietrich hatte, und mit dem Weheruf, der seinem gequälten Vaterherzen entringt, als er den Sohn verlieren soll. Den stumpfen Hörern, auf die der Dichter des Wolfdietrich wirken wollte, mußte er wohl solche Übertreibungen vorsetzen, damit sie die Treue des Lehensmannes überhaupt fühlen und annehmen und darüber die gebührenden Tränen vergießen sollten. Spielleute und Christentum haben hier zu gleichen Teilen die alte Heldendichtung verweichlicht und ihre hohe und große Hingebung, ihre Überwindung des Todes herabgezogen. Nichts war dem Wesen des germanischen Helden entgegengesetzter als unerwartete und wunderbare Erlösungen, als weinerliche Rührung und als Lächeln in Tränen. Und gerade damit hat der Spielmann die Geschichte von Berchter und seinen Söhnen angefüllt.

Wenn nun die Dichtungen von Wolfdietrich vom dreizehnten bis zum sechzehnten Jahrhundert immer von neuem gelesen und umgedichtet wurden und sich einer besonderen Beliebtheit erfreuten, so kann, wie uns die Geschichte von Berchter zeigt, der Grund dieser Beliebtheit nicht der Geist und die Kunst der alten großen Lieder gewesen sein. Die Heldensage, aus der der Wolfdietrich hervorging, war in den späteren deutschen Gedichten auch nur der Rahmen, und nicht nur den Berchter und das Ende der alten Dichtung haben die Spielleute des dreizehnten Jahrhunderts auf ihre Art umgebildet. Die Gestalt des bösen Ratgebers hat sich zum Beispiel in ihren Händen auch verwandelt, in den bösen Ratgeber, den wir aus Märchen und Legende kennen. Nachdem er die Königin verleumdet hat und in die Verbannung geschickt ist, weiß er nach dem Tode des Hugdietrich die Huld seiner Witwe wiederzugewinnen, verdrängt den treuen Berchter und reizt die beiden älteren Brüder gegen den Jungen auf, ja er bringt sie dazu, daß sie die Mutter, seine Wohltäterin, vertreiben.

Der eigentliche Inhalt und das Anziehende für die wundersüchtigen und unterhaltungslüsternen Zeitgenossen waren in den Dichtungen des späten Mittelalters die Abenteuer, die Wolfdietrich während seiner Verbannung erlebte, die sich fortwährend vermehrten, veränderten und durcheinanderschoben und derentwegen auch sein Vater und seine Geburt mit sonderbaren Erfindungen umgeben wurden.

Wie Wolfdietrich selbst, ist sein Vater Hugdietrich aus einer Vermischung von Vater und Sohn hervorgegangen. Den Namen hat er von Chlodwigs Sohn, die Werbungsgeschichte, die auf ihn die Dichtung des dreizehnten Jahrhunderts überträgt, hat sich aus der alten Sage von Chlodwigs Werbung gestaltet.

Das Heroische dieser alten Sage: Crothilds Rache hat unser Dichter abgestreift. Manches in ihr klang aber auch nach Novelle und Abenteuer: Von Crothilds Schönheit waren die Boten Chlodwigs erfüllt. Ihr Onkel hielt das Mädchen in strengem Gewahrsam und versagte sie dem Werber. Der Bote des Königs mußte sich verkleiden, die Christin wollte dem Heiden nicht folgen. Diese Bestandteile hat der Dichter des dreizehnten Jahrhunderts verstärkt: Walgunt von Salneck (Salonichi) hat eine Tochter Hildburg, deren wunderbare Schönheit der treue Berchter dem Herrn rühmt. Doch der Vater hält sie in einen Turm eingesperrt und will sie keinem Mann geben. Hugdietrichs gelbes Haar reicht ihm bis zu den Hüften, wir erkennen darin den stolzen Schmuck der fränkischen Könige. Dem Spielmann aber war das lange Haar das Zeichen des Weibes, so gab er dem Jüngling ein rosenfarbenes Antlitz zu den goldenen Locken und berichtete, er habe sich als Mädchen verkleidet und sich mit großem Gefolge nach Salneck begeben. Der Griechenkönig, sein Bruder, sagte er dort, habe ihn vertrieben. Hildburg fand solches Gefallen an der lieblichen Jungfrau, daß sie bat, man möge sie ihr zur Gespielin geben. Wirklich wurde sie mit ihr in den Turm eingeschlossen und beschämte die Königstochter und ihre Gespielinnen durch ihre Kunstfertigkeit in weiblichen Handarbeiten. Nach länger als einem halben Jahr erschien der alte Berchter, wie es vorher verabredet war, und brachte die Meldung, nun sei der Zorn des Bruders verraucht. Hugdietrich kehrte also zurück. Nach kurzer Zeit genas Hildburg eines Sohnes, und als Hugdietrich das hörte, kam er noch einmal, aber als Mann, zur Geliebten, küßte sein Kind, versprach ihm Konstantinopel als Erbe, nahm Hildburg zur Frau und führte sie heim.

Die Erfindung, daß sich der Werber als vertrieben ausgibt, brachte uns schon der Rother, und die Geschichte von Hetel und Hilde wird sie uns noch einmal bringen. Sie gehörte, wenn man so sagen darf, zum Inventar der Werbungsgeschichten, die uns die Spielleute erzählen, auch die Idee, daß der Mann, als Frau verkleidet, zur Geliebten dringt, ist uns nicht fremd, die Sage von Hagbard und Signe kannte sie. Dort aber, im dänischen Heldenlied, erschraken die Dienerinnen der Königstochter über die männliche Rauheit des Wesens, das sich als Mädchen ausgab, und sie nannte sich stolz und trotzig eine Walküre. In der deutschen Spielmannsdichtung ist Hugdietrich weiblicher noch als ein Weib, und die Geschichte seiner Werbung wird nicht ohne versteckte Lüsternheit vorgetragen. Mit der alten Heldenart hat sie wieder nichts gemein, und es ist sehr möglich, daß unser Spielmann die ganze Erfindung nicht aus der germanischen Überlieferung, sondern aus einer der spätgriechischen Geschichten holte, die das Mittelalter seiner Zeit kannte und liebte.

Von Wolfdietrichs Geburt erzählt die Geschichte von Hugdietrich noch weiter, daß Hildburg das Kind vor ihren Eltern verbarg. Einmal trat ihre Mutter unerwartet in den Turm, da ließ sie das Kind in das Gebüsch am Fuß des Turmes herab. Dort fand es ein Wolf und trug es als Speise zu seinen Jungen in die Höhle, doch die waren noch blind und taten dem Kleinen kein Leid. Am nächsten Tag, während Hildburg verzweifelt und umsonst nach ihrem Knäblein suchte, fand es ihr Vater bei den Wölfen, entzückte sich über seine Schönheit, trug es zu seiner Frau und ließ es taufen. Nun begibt sich eine Familienszene. Als die Mutter ihrer Tochter das Wunder erzählte, da offenbarte sich ihr Hildburg und erhielt ihre Verzeihung. Die Mutter aber brachte des Nachts im ehelichen Bette das Geheimnis ihrem Manne bei. Der war zuerst sehr ungebärdig und stellte dann nach Art der Männer durch eine genaue Untersuchung den Hergang der Dinge noch einmal fest. Als ihm dabei klar wurde, daß er eine gewisse Schuld daran habe, ließ er den Vater seines Enkelchens holen, der denn auch gern den Sohn anerkannte.

Viel hübscher und kindlicher erzählt eine andere Fassung des Wölfdietrich die Geburt unseres Helden. Wir geben sie mit Ludwig Uhlands Worten wieder:

Zu Konstantinopel herrschte ein gewaltiger König namens Hugdietrich; zwei Söhne hat ihm seine Gemahlin geboren, beide hießen Dietrich. Einst mußte er zum Kriege ausziehen. Reich und Gemahlin empfahl er dem Schütze des Herzogs Sabene. Dieser aber suchte die Königin zu unerlaubter Liebe zu verleiten; als sie ihn zürnend abwies, verredete er seine schmähliche Zumutung, es sei nur eine List gewesen, um ihre Treue zu erproben. Die Königin glaubte ihm und versprach, darüber zu schweigen. Noch in Abwesenheit des Königs genas sie eines dritten Sohnes, den sie bei seiner Abreise im Schöße getragen. Der König freut sich bei seiner Heimkehr des neugeborenen Kindes. Sabene aber verleumdet die Königin, sie habe dem König die Treue gebrochen, und der junge Sohn sei eines teuflischen Unholds Kind.

Der König hat einen treuen Mann, Herzog Berchter von Meran; diesem befiehlt er, das Kind zu töten. Lange weigert sich der Treue, erst die schrecklichsten Drohungen bringen ihn zum Nachgeben. Er empfängt das Kind und reitet mit ihm in den Wald; aber wie das unschuldige Kind mit seinen Panzerringen lachend spielt, bringt er den Mord nicht übers Herz, und doch schämt er sich wieder, um eines Kindes willen so zage zu sein, da er doch in heißer Schlacht schon gar manchen Mann gefällt. So kommt er, schwankenden Sinnes weiterreitend, zu einem Gewässer, in dem Seerosen blühen. Hier legt er das Kind an den Rand und überläßt es seinem Geschick; er meint, es werde nach Kinderart nach den Wasserrosen haschen, und so werde sich des Königs Wille erfüllen, ohne daß ihn Blutschuld belaste. Aber das Kind spielt auf der Wiese bis in die Nacht hinein. Da kommen Wölfe aus dem Wald und schnobern es an; das Kind greift nach ihren Augen, die in der Dunkelheit wie Lichter glänzen, aber keines der Tiere tut ihm etwas zuleide. Darüber staunt Berchter und beschließt, den Knaben zu retten; einem Wildhüter gibt er es zur Erziehung und nennt es Wolfdietrich.

Die Königin, der das Kind, während sie schlief, weggenommen worden war, bricht beim Erwachen in lautes Wehklagen über den Raub aus, der König schiebt, nach des bösen Sabene Rat, alle Schuld auf Berchter. Berchter wird gefangen genommen und vor Gericht gestellt; niemand wagt für ihn einzutreten, da der König auf den Rat des tückischen Sabene allen seinen Mannen es verboten. Schon soll das Urteil gesprochen werden, da tritt Berchters Schwager, Baltram, in den Ring und verlangt ein Gottesurteil; wer Berchter des Mordes bezichtige, der solle mit dem Angeklagten kämpfen. Sabene weigert sich, und als ein Schriftstück eröffnet wird, worin Berchter den ihm gewordenen Auftrag und die Schicksale Wolfdietrichs berichtet, ist seine Schuld offenbar. Sabene soll gehängt werden, aber eingedenk der früheren Freundschaft schenkt ihm auf seine flehentlichen Bitten Berchter das Leben. Doch muß er als Verbannter das Land verlassen. Wolfdietrich aber wird aus dem Walde geholt und von Berchter in Gemeinschaft mit den eigenen Söhnen erzogen.

In dieser Erzählung lebt die Unschuld und Einfalt unserer Legenden und Märchen, und wir entzücken uns daran wie an den Geschichten, nach deren Vorbild sie wohl geschaffen wurde, wie an der von der armen Genovefa und dem bösen Golo oder an dem Märchen von der verleumdeten unschuldigen Königin oder an dem von dem armen Kind, das eine grausame Stiefmutter töten lassen wollte, und das zu töten der Diener doch nicht über das Herz brachte.

Dem ganzen Bericht von Wolfdietrichs Geburt hat das Märchen und die Legende einer alten Sage eine Lieblichkeit und Anmut geschenkt, die vorher ihrem Wesen fremd war und an der wir uns dankbar erquicken, wenn sie auch nicht heroisch ist.

Die alte Sage, der die beiden Berichte von Wolfdietrichs Geburt entsprangen, ist, wie wir vermuteten, eine Sage, wie sie gerade die alten Franken liebten: Daß ein Held darum so kräftig und unbändig war, weil er von Wölfen abstammt. Von Krafttaten und Unbändigkeiten des Knaben Wolfdietrich wissen auch die Spielleute manches zu melden, sie gleichen denen des starken Hans im Märchen und denen des jungen Siegfried in späterer Überlieferung.

Von den Heldentaten des vertriebenen Wolfdietrich wurde sehr gefeiert die, daß er einen Drachen und seine Brut besiegte, der einem mächtigen König Ortnit das Leben genommen. Es war ein schwerer Kampf, das eigene Schwert sprang dem Helden in Stücke, und er siegte erst, als er in der Höhle, in die ihn der Drache geschleppt, Ortnits Schwert fand. Nach Art des Märchens erwies er sich als der Sieger, indem er als Wahrzeichen einem lügnerischen Nebenbuhler, der die Köpfe brachte, die Zungen des Untiers entgegenhielt. Der Königin gab er sich dann durch einen Ring zu erkennen. Dann wurde Wolfdietrich der trotzigen Vasallen der Königin Herr, und sie reichte ihm ihre Hand und die Krone. Nun erst konnte er ausziehen, um Berchter und seine Söhne zu befreien.
Den Inhalt des Gedichtes von Ortnit erzählt uns Ludwig Uhland so:

Ortnit, der junge König in Lamparten (Lombardei) auf der Burg zu Garden (Garda), findet keine kronwürdige Braut, weil alle Könige diesseits des Meeres ihm dienen. Darum will er nach der Tochter des Heidenkönigs Machorel zu Muntabur fahren, obgleich schon viele Häupter der Werber um sie auf den Zinnen der Burg stecken. Zuvor reitet er in die Wildnis am Gartensee (Gardasee), von dem wunderkräftigen Stein eines Ringes geleitet, den ihm die Mutter gegeben. Vor einer Felswand, aus der ein Quell fließt, sieht er auf blumigem Anger eine Linde stehen, die fünfhundert Rittern Schatten gäbe. Unter der Linde liegt ein schönes Kind im Grase, köstlich gekleidet, mit Gold und Gesteinen reich geschmückt. Es ist der Zwergkönig Alberich, dem Berge und Tale dienen. Lange neckt und prüft der starke Zwerg den Jüngling: Zuletzt entdeckt er sich als dessen Vater. Dann geht er in den Berg und holt für Ortnit eine leuchtende Rüstung samt dem herrlichen Schwert Rose. Zum Abschied verspricht er, dem Sohne stets gewärtig zu sein, solange dieser den Ring habe.

Die Zeit der Meerfahrt ist herangekommen. Zu Messina eingeschifft, fahren sie erst nach Suders, der Heiden Hauptstadt, wo vor allem Iljas, König aller Reußen, Ortnits Oheim, als Heidenvertilger wütet. Von da ziehen sie vor die Königsburg Muntabur, auf des Gebirges Höhe. Alberich hat seines Wortes nicht vergessen; er saß die ganze Fahrt über auf dem Mastbaume, keinem sichtbar, als wer den Ring am Finger hatte. Überall schafft er Rat und Hilfe. Jetzt weist er die Straße nach Muntabur, dem Heere mit dem Banner vorreitend; aber nur Roß und Fahne sind sichtbar, der Träger nicht. Er neckt den Heidenkönig, wenn dieser nachts, sich zu kühlen, an die Zinne tritt, rauft ihm den Bart, wirft das Wurfgeschütz und die Särge der Heidengötter in den Graben. Er zeigt der Königstochter von der Zinne den Helden Ortnit, wie er herrlich im Streite geht, sein Harnisch leuchtend, blutig das Schwert. Da spricht sie: "Er ist eines hohen Weibes wert." Alberich führt sie heimlich zur Burg hinaus, wo Ortnit sie vor sich zu Rosse gebt und mit ihr davonrennt. Mit den verfolgenden Heiden besteht der Held siegreichen Kampf; des Heidenkönigs schont er um der Tochter willen. Auf dem Meere wird sie getauft und erhält den Namen Liebgart (Sidrat nach anderen Fassungen), nach der Heimkunst aber wird ihre Krönung zu Garten gefeiert.

Der alte Heidenkönig, Versöhnung heuchelnd, sendet reiche Geschenke. Zugleich aber bringt sein Jäger zwei junge Lindwürmer mit, die er im Gebirg oberhalb Trient in einer Felsenhöhle großzieht. Nach Jahresfrist kommen sie heraus und schweifen gierig umher. Ihr Pfleger selbst ist ihnen kaum entronnen. Niemand wagt mehr die Straße zu ziehen; die Äcker werden nicht eingesät, die Wiesen nicht gemäht. Bis vor die Burg von Garten wird das Land verwüstet. Tod droht dem Helden, der sie zu bestehen wagt.

Da beschießt Ortnit, der Not des Landes zu steuern. Umsonst fleht ihn die Unheil ahnende besorgte Gattin, von dem Unternehmen abzustehen; er reißt sich aus ihren Armen und heißt sie, wenn er fallen solle, dereinst seinem Rächer ihre Hand zu reichen. Ohne Gefolge reitet er in den wilden Wald, um den Lindwurm aufzusuchen und zu bestehen. Fahrtmüde rastet er unter einem Baume und versinkt in tiefen Schlaf. Da wälzt sich der Lindwurm heran; vergeblich sucht der treue Hund durch Bellen und Scharren seinen Herrn zu wecken, zu tief ist sein Schlaf. So findet Ortnit von dem Lindwurm, der ihn verschlingt, den Tod.

Die Spielleute haben in diesem Gedicht die Neckereien des Alberich gewiß mit besonderer Freude und mit drastischen Gebärden vorgetragen. Als alten Bekannten begrüßen wir sonst darin die Werbungssage. Mit ihr ist aber eine andere Geschichte verschmolzen. Der überirdische Helfer, der unsichtbar machende Stein, die Rüstung und das Schwert gehören nämlich in das Märchen von dem Helden, der in die Hölle fährt, oder der eine Jungfrau aus der Gewalt eines Unholdes oder Behausung eines Riesen befreit und dabei die Hilfe eines gütigen Wesens von überirdischer Kraft genießt. Auf diesem Märchen beruht wohl das französische Heldengedicht von Hüon von Bordeaux. Darin hilft Oberon dem Hüon, wie Alberich dem Ortnit, eine schöne Sultanstochter zu entführen. Den Hüon wiederum wird unser deutscher Spielmann gekannt und verwertet haben. Auch der Wolfdietrich der Spielleute glich, gerade in seinem Zusammenhang mit Ortnit, einer altfranzösischen Heldendichtung, dem Karlmeinet. Dieser berichtet, wie ein Thronerbe von seinen neidischen Verwandten vertrieben wird, sich in der Ferne die Gunst eines anderen Königs erwirbt und mit dessen Hilfe sein mächtiges Reich zurückerobert. Die Lieblingsgeschichte der französischen Epen, daß der alternde Held ins Kloster geht, wird ja auf den deutschen Wolfdietrich übertragen und dort hat er außerdem mit den Seelen derer zu kämpfen, die er im Leben erschlug.

Germanisch an dem Gedicht von Ortnit ist der Name Alberich. Auch das mag, wie wir schon andeuteten, eine germanische Vorstellung sein, daß Alberich sich als den Vater des Helden enthüllt. Ursprünglich war er wohl die Seele des verstorbenen Vaters oder eines anderen Vorfahren und lieh ihm, unsichtbar wie die Seelen der Verstorbenen wirken, seine mächtige Hilfe. Die Schönheit des Alberich und sein Aussehen, daß er einem Kinde gleicht, wird in der deutschen Sage gerade den Seelengeistern, z.B. den mit den Eiben verwandten Kobolden, beigelegt.

Sehr verwunderlich scheint uns der Schluß des Gedichtes: Daß der heidnische König dem Ortnit gleich zwei Lindwürmer ins Land schickt, daß der Held vor dem Kampf einschläft, daß ihm Alberich nicht hilft und daß der treue Hund sich vergeblich müht, ihn zu wecken. Germanisch klingt diese Erfindung nicht - welcher germanische Held wäre wohl vor einem Kampfe eingeschlafen? -, doch gleicht sie persischen Erzählungen. Da der Ortnit in seinen Namen (Machorel und Muntabur) und auch sonst sehr deutliche Erinnerungen an Kreuzzüge (die von 1212, 1217 und 1218) zeigt, ist es wahrscheinlich, daß mit diesen Erinnerungen auch der Schluß des Gedichtes aus dem Orient in das deutsche Gedicht wanderte.

Wolfdietrich selbst zeigt ebenfalls manche Einflüsse von der Fabulierfreude des Orients, von Geschichten, die als Erinnerungen von den Kreuzzügen nach dem Abendlande zogen. Die Kämpfe zwischen Löwen, Drachen und Elefanten oder die zwischen den Löwen und einem Serpant, die sich darin begeben, sind wohl orientalischer Herkunft, und ebenso scheint das Messerwerfen eine orientalische Kunst, Wolfdietrich übertrifft darin einen Heiden, der sich auf seine Götter verläßt. Die Tochter des Heiden liebt unseren Helden. Doch weil sie nicht getauft ist, widersteht er ihr, trotzdem ihre Reize und ihre Zärtlichkeiten ihn verwirren. Wolfdietrich zeigt hier die gleiche übernatürliche Keuschheit, durch die manche Heilige der Legende sich hervortun. Der Erzähler übertreibt sie absichtlich und sogar in das Komische hinein, denn seine Hörer hätten sonst kaum aufgemerkt, sie verlangen grobe Reize. Deshalb malte der Spielmann auch die Schönheit und die Verführungsversuche der Heidin recht derb und lüstern aus. Zornig, daß er sie verschmähte, bringt die Schöne am nächsten Morgen den Helden in Not, indem sie, als er fortreiten will, vor ihn einen See und einen Wald zaubert, doch dieser und anderer Spuk verschwindet, als Wolfdietrich Gott anruft.

Die anderen Abenteuer der Gedichte führen uns zu den Zwergen, Riesen, wilden Leuten, Wassergeistern und ihresgleichen. In einer Fassung gelangt Wolfdietrich nach mühseliger Wanderung an das Meer, schön und anschaulich schildert der Dichter den Weg, den der Held zwischen Geröll und umgestürzten Bäumen hinabgeht, und die See, deren Wogen sich tosend an hohen Felswänden brechen. Als er, zu Tode erschöpft, eingeschlafen, entstiegt ein Meerweib den Fluten, weckt den Helden, wirft ihre Hülle ab und steht in leuchtender Schönheit als Herrin aller Wassergeister vor ihm. Wolfdietrich weist ihre Werbung zurück, trotzdem erquickt sie ihn und sein Pferd mit einer Zauberwurzel und weist ihm den Weg.

In einer anderen Fassung sind die Erlebnisse des Wolfdietrich noch bunter und vielfältiger. Als er nachts im Walde Wache hält, naht sich ihm, liebebegehrend, auf allen Vieren kriechend, ungeschlacht wie ein Bär, ein Waldweib, die rauhe Elfe; er weist sie entsetzt zurück, da schlägt sie ihn mit Sinnenverwirrung, so daß er noch in der Nacht zwölf Meilen hin und her läuft und schließlich unter einem Baum das liebegierige Ungestüm wiederfindet. Als er sich ihr voller Widerwillen nochmals versagt, wirft sie einen noch stärkeren Zauber auf ihn, er sinkt betäubt nieder, und sie schneidet ihm zwei Haarlocken vom Kopf und die Nägelspitzen von den Fingern. Nun ist ihm alle Kraft genommen, und der Arme läuft, verzaubert wie ein Tor, im Wald umher und nährt sich von den Krautern der Erde; endlich erbarmt sich Gott seiner und befiehlt durch einen Engel dem Weib, den Zauber aufzuheben. Nun will Wolfdietrich sich mit der rauhen Elfe vermählen, wenn sie sich taufen lasse. Da führt sie ihn zu Schiff in das Land Troja, wo sie Königin ist, läßt sich dort in einem Jungbrunnen taufen, steigt daraus als Schönste der Frauen hervor, heißt Sigeminne, und Wolfdietrich vermählt sich nur zu gern mit ihr.

Später - das ist wieder eines der Anhängsel und eine Stoffvermehrung, wie die Spielleute sie lieben - verliert Wolfdietrich die Frau, als er zur Jagd ausreitet. Als Pilger verkleidet eilt er ihr nach, und nach langer Wanderung findet er sie endlich wieder. Ein wilder Mann hatte sie verschleppt, er wollte die Widerstrebende zum Weib. Wolfdietrich besiegte ihn und die Scharen der ihm gehorchenden Zwerge. Dann entraffte ihm doch der Tod die kaum wiedergewonnene Frau. Der Held war nun wieder frei und konnte den Kampf mit dem Drachen bestehen, dem Ortnit erlag.

Das Abenteuer mit der Meerfrau und das mit der rauhen Elfe sind im Geschmack der höfischen Epen, die von Artus und seinen Rittern erzählen, von Iwein und von Erec, von Wigalois,. von Lanzelot und den anderen. Diese Helden treffen auf ihren Fahrten wunderbare überirdische Frauen, sie werden verzaubert und mit Sinnenverwirrung geschlagen, oder sie erlösen durch ihren Mut ein Wesen, das zuerst als häßliches Ungetüm sie erschreckt und sich dann, als der Ritter seine Tapferkeit behält und das Erlösungswerk auf sich nimmt, in die schönste Frau verwandelt. Unser Erzähler fügt in seinem Bericht den Herrn und einen Engel hinzu und macht ihn dadurch gottgefälliger. Durch die wilden Leute und Zwerge erhöht er andererseits seine Volkstümlichkeit. Uns wäre die Geschichte der rauhen Elfe in der einfachen Gestalt lieber, die sie vielleicht in einer früheren Form unsres Gedichtes besaß; daß die Frau den Wolfdietrich verzaubert, sich seiner erbarmt, nachdem sie ihn genug gestraft und ihm dann, als Ersatz für seine Leiden, ihre ganze liebliche Schönheit enthüllt und schenkt.

Die wirre Abenteuermasse der Wolfdietrichdichtungen ist noch reicher. Wir wollen sie hier nicht ganz ausbreiten und wollen noch weniger, da auch die Forschung noch nicht zur Klarheit gelangte, uns in Vermutungen ergehen, von wem die einzelnen Geschichten stammen und in welcher Folge und in welcher Art sie sich an und in die Gedichte von Wolfdietrich setzten. Daß verschiedene Dichter sich an diesen Epen versuchten, ging auch aus unseren Angaben hervor, wir fanden neben der Einfalt und Anmut der Legende freche Spielmannserfindungen, neben frischer, lebendiger und humorvoller Erzählung endlose Breiten und Stoffanhäufung.

Nacheinander sind bei dieser Betrachtung des einen Epos von Wolfdietrich alle Gattungen an uns vorübergezogen, die für die deutsche erzählende Dichtung im Mittelalter Bedeutung gewannen: Legenden und Märchen, Novellen und Fabeleien aus dem Orient, französische Heldendichtung und das höfische Epos. Unserem Gedicht haben diese Zusätze einen ganz ungewöhnlichen Stoffreichtum gegeben, aber sie machten es auch immer zusammenhangloser und wirrer. Statt der Heldendichtung steht in Wolfdietrich schließlich ein nicht enden wollender abenteuerreicher und formloser Roman vor uns, recht von der Art, wie sie das Volk immer will; seine Grundlage, das Heldenlied, ist von dem Erzähler unter der Fülle der späteren Erfindungen ganz verdeckt worden. Gegen den Reichtum der Ereignisse im Wolfdietrich war die späte Form der Wielandsage fast arm. Wir genießen es aber bei dem deutschen mittelalterlichen Gedicht dankbar, daß, wenn auch dunkle oder aufgebauschte, so doch Erinnerungen an die Treue und die Wildheit der alten Heldensagen in diesem Gewirre der Abenteuer erklingen, und daß unter den vielen Geschichten so liebliche und anmutige, so zarte und so kindliche auftauchen.


Dietrich von Bern

Die Entwicklung der Sage von Theoderich ist uns bekannt. Im Gegensatz zur Geschichte galt er als verbannter König. Odoaker hatte ihn vertrieben, und nachdem er lange die Gastfreundschaft Attilas genossen, eroberte er sich endlich die Heimat zurück. So erzählte uns im achten Jahrhundert das Hildebrandslied. Außer dem Theoderich galten nun noch einem anderen gotischen König oft erzählte Sagen, dem Ermanarich. Dieser Ermanarich drängte sich dann in die Sage von Dietrich von Bern ein, davon wissen zuerst Zeugnisse des elften und zwölften Jahrhunderts. Er wurde darin der Oheim des Dietrich, und auf Anstiften des Odoaker, der auch sein Neffe war, vertrieb Ermanarich den Dietrich. Dann verschwand Odoaker, dem keine besondere Sage galt, ganz aus der Überlieferung. An seine Stelle trat der böse Ratgeber Sibiche, dessen Aufstachelung bewog den Ermanarich zur Grausamkeit und Heimtücke gegen den Neffen, bis dieser vor seiner Übermacht fliehen mußte und bei Etzel Schutz und Hilfe fand. Die deutschen Gedichte des dreizehnten Jahrhunderts ziehen die Geschichte von Dietrichs Verbannung in die Länge. Dem Dietrich gelingt die Eroberung Italiens erst beim zweiten Versuch, beim ersten wird er zurückgetrieben. Bevor er in sein Elend ziehen mußte, lassen sie den Dietrich den Ermanarich einmal besiegen, und dazu erfanden die Dichter noch allerhand andere Kämpfe und Siege; in ihren Epen verwandelt sich die Sage in ein wirres, zielloses und endloses Hin und Her.

Den Inhalt der beiden großen Gedichte, die uns von der Verbannung und Heimkehr Dietrichs derart breit und weitschweifig erzählen - es sind das Gedicht von Dietrichs Flucht (besser das Buch von Bern) und das von der Rabenschlacht -, faßt Ludwig Uhland so zusammen.

Sibiche reizt den Ermenrich, seinen Neffen, den Dietrich von Bern zu verraten und sein Erbe an sich zu ziehen. Randolf von Ancona wird, unter Verheißung reichen Lohnes, als Bote nach Bern abgefertigt; der König wolle über Meer fahren, der Harlungen Tod zu büßen. Dietrich möge kommen und so lange des Reiches Pfleger sein. Als Randolf die Straße reitet, trocknen ihm die Augen nicht, wenn er des Mordes denkt, den er werben soll. Zu Bern richtet er die Botschaft aus, wie er geheißen ist, warnt aber den jungen Fürsten, er solle die Reise lassen und seine Festen besetzen. Dann reitet er zurück und meldet, daß Dietrich nicht komme. Fürder will Randolf nicht mehr zu dem Könige stehen, sondern alles für Dietrich wagen. Ermenrich rüstet nun große Heerfahrt und wütet mit Mord und Brand, bis Dietrich in nächtlichem Überfall das feindliche Heer vertilgt. Ehrlos entflieht Ermenrich und läßt seinen Sohn mit achtzehnhundert Helden in Dietrichs Hände fallen.

Dietrich hätte nun gerne den Recken gelohnt, die ihm Land und Ehre gerettet. Aber leer sind die Kammern, die sein Vater Dietmar voll Schatzes hatte. Hildebrand trat ihm sein und der Seinigen Gut an, und Bertram von Pola bietet so viel, als fünfhundert Säumer tragen können. Sieben Recken werden mit Bertram nach dem Golde gen Pola gesendet: Hildebrand, Sigeband, Wolfhart, Helmschart, Amelolt, Eindolt und Dietleib von Steier. Da legt Ermenrich an die Straße fünfhundert Mann unter Witege; sie überfallen Dietrichs Recken auf der Heimkehr und führen sie samt dem Schatze gefangen nach Mantua. Dietleib allein entrinnt und sagt die Märe zu Bern. Dietrich, nur um seine Recken, nicht um das Gold klagend, erbietet sich, für die Lösung der Sieben den Sohn Ermenrichs und die Achtzehnhundert, die mit ihm gefangen wurden, freizulassen. Ermenrich aber droht, die Recken Dietrichs aufzuhängen, wenn dieser nicht all seine Städte und Lande für sie hingebe. Man rät dem Berner, um die Sieben nicht alles zu verlieren, aber er ließe lieber alle Reiche der Welt als eine getreuen Mannen; so willigt er in Ermenrichs Begehren.

Ermenrich zieht nun mit Heereskraft vor Bern. Dietrich aber reitet aus der Stadt zu des Königs Zelt, steigt ab und beugt mit nassen Augen das Haupt ihm zu Füßen. "Gedenke", spricht er, "daß ich bin deines Bruders Kind, daß meine Einsicht noch schwach ist! Nimmer will ich deine Huld verwirken; laß ab von deinem Zorne!" Lange schweigt Ermenrich, dann heißt er drohend den Jüngling aus seinen Augen gehen. Um die eine Stadt Bern fleht Dietrich, nur bis er zum Manne gewachsen. Umsonst; Ermenrich droht nur grimmiger. Da bittet Dietrich nur noch um seine sieben Mannen und will mit ihnen von hinnen reiten. Auch diese Ehre wird ihm nicht gelassen, zu Fuß soll er seines Weges ziehen. Mehr denn tausend Frauen kommen aus dem Tore, für ihren Herrn bitten. Zuvorderst geht Frau Ute mit vierzig Jungfrauen; sie fallen vor Ermenrich nieder und mahnen ihn bei aller Frauen Ehre, an seinem Neffen königlich zu handeln. Er stößt sie von sich und gestattet auch ihnen nicht, in der Stadt zu bleiben. Da scheiden Männer und Frauen zu Fuß von Hab und Gut, Hildebrand hat Frau Ute an der Hand, der anderen Recken jeder die seinige. Jammervoll ob all der Schmach geht Dietrich von seinem Erbe, nimmer soll man ihn lachen sehen bis zum Tage, da er sein Leid rächen könne. Die Frauen werden nach Garda geführt, das der treue Amelolt besetzt hält. Ein Stein hätte weinen mögen, wie jetzt Frau und Mann, Mutter und Kind sich zum Abschied küssen. Fünfzig Getreue gehen mit Dietrich ins Elend, durch Isterreich in das Land der Hunnen. Dietrich wird von Etzel gütig aufgenommen und weilt an seinem Hofe. Er wird dort hochgehalten, aber er kann den Schmerz um sein verlorenes Erbe und seine gefallenen Helden nicht verwinden. Die milde Königin Helche bemerkt seine beständige Trauer; ihn zu trösten, vermählt sie ihm die schöne Herrad, ihre Nichte, und Etzel verspricht, zum Frühjahr ein Heer auszurüsten, mit dem Dietrich Italien wieder erobern soll. Das Frühjahr kommt, zu Etzelnburg sammelt sich ein Heer, zahlreich wie keines zuvor. König Etzel hat zwei herrliche junge Söhne, Scharpf und Ort. Diese wünschen sehnlichst, mit Dietrich zu reiten und seine gute Stadt Bern zu sehen. Sie wenden sich erst an die Mutter. Frau Helche sieht ihre Kinder traurig an, ihr hat geträumt, ein Drache sei durch ihrer Kammer Dach geflogen, habe vor ihren Augen die beiden Söhne hinweggeführt und sie auf weiter Heide zerrissen. Als aber die Jünglinge nicht ablassen, legt die Mutter selbst Fürbitte bei Etzel ein. Ungerne gewährt er. Dietrich verheißt, sie treulich zu behüten und nicht über Bern hinaus reiten zu lassen. Mit viel Tränen werden sie entlassen. Das Heer zieht durch Isterreich gegen Bern (Berona). Hier sollen Etzels Söhne zugleich zurückbleiben. Dietrich befiehlt sie auf Leben und Ehre dem alten Helden Elsan. Niemals sollen sie auch nur vor das Tor kommen; er droht, den Pfleger mit eigener Hand zu töten, wenn ihnen irgend Leides geschehe. Er bricht nun mit dem Heere gen Raben auf, wo Ermenrichs Kriegsmacht liegt. Den Jünglingen aber ist herzlich leid, daß man sie nicht mitgenommen. Sie knien vor ihrem Meister Elsan nieder und küssen ihm die Hände, daß er sie nur vor die Stadt reiten lasse, all den herrlichen Bau zu sehen. Er widersteht ihren Bitten nicht, und ehe er noch sich gerichtet, sie zu begleiten, sind sie schon zur Stadt hinaus. Es naht schon dem Herbste, wo die Nebel stark sind; so kommen die drei Jünglinge auf einen unrechten Weg, der sie über die weite Heide gegen Raben (Ravenna) führt. Elfan reitet ihnen nach und findet sie nirgends um die Stadt; laut ruft und jammert er, niemand antwortet ihm. Vor dichtem Nebel kann er sie auch auf der Heide nicht erschauen. Den ganzen Tag streichen sie hin und übernachten im Freien. Am Morgen reiten sie weiter, nach dem Meere zu. Diether fängt an, diese Irrfahrten zu bereuen. Als aber der Nebel weicht und die Sonne heiter scheint, da bewundern Etzels Söhne die Herrlichkeit des Landes, darin der Berner immer mit Freuden wohnen sollte.

Da erblicken sie den Recken Witege, der mannlich unter seinem Schilde hält. Sie wollen diesen Verräter an Diether und seinem Bruder sogleich angreifen, obschon sie, statt Harnischen, nur Sommerkleider anhaben. Umsonst warnt Witege mehrmals. Scharpf reitet zuerst ihn an und schlägt ihm starke Wunden: Da zuckt Witege mit Grimm das Schwert Mimung, mit gespaltenem Haupte schießt der Jüngling vom Rosse. Wäre er zum Mann erwachsen, ihm hätten alle Reiche dienen müssen. Ort will den Bruder rächen und erleidet gleichen Tod, obschon Diether ihm beigestanden. Dieser kämpft noch bis zum Abend zu Fuße; seine Gewandtheit, darin ihm niemand gleich ist, fristet ihn so lange; zuletzt fällt auch er, durch das Achselbein bis auf den Gürtel gehauen. Ihn betrauert Witege, Dietrichs Zorn fürchtend; er will zu Rosse steigen, aber die Kraft versagt ihm, und er muß sich auf der Heide niederlegen.

All das geschah um die Zeit der zwölftägigen Schlacht, worin Ermenrich bei Raben von dem Berner besiegt wurde. Er entflieht zur Stadt; den Verräter Sibiche fängt der treue Eckhart und führt ihn, quer auf das Roß gebunden, durch das Heer. Dietrich freut sich auf der Walstatt des Sieges, da kommt Elfan und meldet, daß er die jungen Könige verloren. Mit eigenen Händen, wie gedroht war, schlägt Dietrich ihm das Haupt ab. Die drei Erschlagenen werden auf der Heide gefunden. Dietrich küßt ihre Wunden, verflucht den Tag seiner Geburt und weint vor Jammer Blut. "Armes Herz", spricht er, "daß du so fest bist!" An der Größe der Wunden erkennt er, daß sie mit dem Schwert Mimung geschlagen sind.

Da sieht man Witege rasch über die Heide reiten. Grimmig springt der Berner auf und reitet so hastig nach, daß keiner der Seinigen ihm folgen kann; Feuer sprüht von den Hufschlägen. Speer, Helm und Schild hat er auf der Walstatt zurückgelassen, nur das Schwert führt er mit sich. Er ruft Witege an, mahnt, fleht ihn bei Heldenruhm und Frauenehre, zum Kampfe zu halten, verheißt Bern und Mailand, verheißt sein ganzes Reich, wenn Witege obliege. Aber Witege jagt nur stärker voran. Rienold, sein Neffe, der mit ihm reitet, schämt sich der Flucht und will auch ihn zum Kampfe bewegen: Zu zweien würden sie den Berner bezwingen. Witege will nicht hören, befiehlt den Neffen in Gottes Schutz und jagt weiter. Rienold sticht seinen Speer auf den Berner, dieser haut ihn vom Rosse, reitet Witege nach und reizt ihn, Rienolds Tod zu rächen. Je länger, je mehr eilt Witege, mahnt unablässig seinen Schemming, verspricht ihm Gras und lindes Heu in Fülle. Schemming macht weite Sprünge. Dietrich klagt, daß Schemming, einst ihm gehörig, seinen Feind von hinnen trage; er treibt sein jetziges Roß Falke, daß es von Blute trieft; vor Zorn glüht er, daß sein Harnisch weich wird. Kaum eines Roßlaufs Weite ist noch zwischen den beiden, Witege ist bis an das Meer getrieben, er gibt sich verloren. Da kommt die Meerfrau Waghild, seine Ahnmutter, und nimmt ihn samt dem Roß auf den Grund des Meeres. Der Berner reitet bis zum Sattelbogen in das Meer nach; er muß umkehren und wartet vergeblich, ob Witege wieder erscheine.

Noch erstürmt Dietrich die Stadt Raben, daraus Ermenrich, die Seinen verlassend, um Mitternacht entweicht, während die Stadt in Flammen aufgeht. Doch der Sieg führt zu keiner dauernden Behauptung Italiens, Dietrich muß zu den Hunnen zurückkehren und sendet Rüdiger voraus, daß er ihn bei Etzel und Helche entschuldige; er selbst wagt noch nicht, ihnen vor die Augen zu treten. Als der Markgraf mit seinen Helden zu Gran ankommt, laufen die herrenlosen Rosse der zwei jungen Könige mit blutigen Sätteln auf den Hof. Die Königin will eben mit ihren Frauen in einen Garten gehen, an den Blumen ihr Auge zu weiden, da sieht sie die blutigen Rosse ihrer Kinder stehen. Im ersten Schmerz verwünscht sie den Berner: Doch sie wird versöhnt, als Rüdiger meldet, daß Dietrich mit ihnen den eigenen Bruder verloren. Sie ist selbst Dietrichs Fürsprecherin bei Etzel. Der Berner kommt nach Etzelnburg, geht in den Saal, neigt sein Haupt auf Etzels Fuß und bietet sein Leben zur Sühne. Die Königin weint, und Etzel richtet mit neuer Huld ihn auf.

Der schmerzliche und tränenreiche Ton in dieser Geschichte, der breite und weitschweifige Vortrag und die mühselige und unbeholfene Diktion sind nicht in der Art und dem Geschmack der alten Heldendichtung. Freilich ermüden und verdrießen sie in den Gedichten selbst den Leser viel mehr als in Uhlands gedrängter Wiedergabe. Ebensowenig war das Auftreten Dietrichs in den alten Gedichten des siebenten Jahrhunderts so sanft und so demütig. Trotzdem wittern wir in diesen Epen sofort eine ganz andere Kunst als in den Gedichten von Wolfdietrich. Wir fühlen, daß ihnen alte heroische Lieder und Szenen zugrunde liegen oder Dichtungen, die mit ganz eigener und eindringlicher Kraft alte heroische Themen verwerten.

Der Bote Randolf, der den Dietrich verräterisch einladen soll, und der den jungen Helden doch warnt, erlebt einen Konflikt, wie ihn germanische Helden erleben. Wir erinnern an den Regin der nordischen Sage, der die Söhne Halfdans warnte, obwohl er dem Frodi Treue geschworen. Eine ähnliche verzweifelte Lage wie dem Randolf war auch einem sächsischen Sänger beschieden. Er sollte im Auftrag des Königs Magnus den Herzog Canut einladen. Magnus aber wollte Canut hinterrücks ermorden. Der Sänger wußte das, hatte jedoch vorher dem Magnus geschworen, daß er es nicht verraten werde. Doch die Ahnungslosigkeit des Canut, der nicht einmal ein Schwert nahm, rührte ihn, und da sang er ihm das berühmte Lied der Treulosgkeit der Kriemhild gegen ihre Brüder. Canut aber überhörte die Warnung und ritt in sein Verderben.

Die Dichtung vom Tode der Etzelsöhne reicht wohl auch in die Zeit der Völkerwanderung zurück. Um die Mitte des fünften Jahrhunderts besiegten die germansichen Stämme das Heer der Söhne Attilas und Ellak, der bedeutendste von ihnen, fand dabei den Tod. Die Erinnerung an diesen Sieg wird in der Sage nachgeklungen sein und das Lied von dem Sohn des mächtigen Königs geschaffen haben, der einen grausamen Tod starb.Vielleicht ist der Bericht im Nibelungenlied, in dem ja Hagen den Sohn von Etzel und Kriemhild tötet, auch ein Nachklang eines Liedes dieser Art.

In unserem mittelalterlichen Gedicht von der Rabenschlacht überraschen uns zwei Szenen, weil sie der alten germanischen Kunst entsprechen. Die erste ist die Gegenüberstellung von Etzels Söhnen und ihrem jugendlichen ungestümen Tatendurst und Heldensinn gegen den harten, unbeweglichen Witege. Die andere ist die Verfolgung des Witege durch Dietrich. Sie erscheint uns wie eine Umkehrung des alten Liedes von Chlothars Sieg über die Sachsen. Dort war der Verfolgte der Beredte und Heimtückische, der Verfolger still. Hier scheint der Verfolgte immer noch stiller und verstockter zu werden, und der Verfolger ergeht sich in den leidenschaftlichsten Beschwörungen, Bitten und Klagen. Diese beiden Szenen mögen dem germanischen Lied gehört haben, indem er sie in das Traumhafte und Visionäre steigerte und die gleiche düstere Stimmung des Traumes über das ganze Gedicht breitete, schuf dann ein deutscher Dichter aus der alten germanischen eine mittelalterliche Dichtung von seltsamer rührender und phantastischer Kraft. Wäre sie uns doch selbst erhalten, wie sie der Dichter des Meier Helmbrecht noch kannte, und müßten wir sie doch nicht aus der allzubreiten Umschreibung des Epos von der Rabenschlacht herausholen!

Der bange Traum der Helche leitet das Gedicht ahnungsschwer ein. Nebel verwirrt die Helden und raubt die Jünglinge das erste Mal ihrem alten Erzieher Elsan. Wie ein Traumgesicht von wunderbarer und beseeligender Schönheit taucht Ravenna vor ihnen auf. Unwirklich, wie eine finstere Erscheinung, steht dann plötzlich Witege vor den jungen Helden und tötet einen nach dem anderen. Grausam und ganz gegen die eigene Natur erschlägt Dietrich den Elsan. Die Stummheit und die rasende Flucht des verfolgten Witege wächst immer mehr in das Unheimliche und Traumhafte, so daß wir uns kaum noch wundern, als seine Ahnmutter den Fluten entsteigt und den Sohn rettend zu sich zieht. Die herrenlosen Rosse, die mit blutigen Sätteln auf den Hof der Königsburg laufen, sehen wir wieder vor uns wie die jammervollen Bilder, die ein quälender Traum uns zeigt, und sie sind doch der schmerzliche und milde Nachklang des Gedichtes und geben ihm zugleich durch die Klage der Mutter die rührendste und menschlichste Trauer.

Das alte Gedicht von der Rabenschlacht mag um die Wende des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts entstanden sein. Die Umschreibung, in der wir es besitzen, gehört dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts. Wie stark der Eindruck des alten Gedichtes war, erkennt man auch daraus, daß es einem anderen zum Vorbild diente, dem Gedicht von Alpharts Tod. Dies ist seinerseits wohl durch manche Zusätze entstellt, aber auch wenn man es sich davon gereinigt denkt, so steht nur ein Werk der Epigonenkunst vor uns. Besonders in seinem ersten Teil ist es eindrucksvoll und lebendig vorgetragen, und man erkennt darin gute künstlerische Muster und Meister, freilich hält es sich von Übertreibungen, Breiten und Weinerlichkeiten nicht frei. Aus der alten heroischen Überlieferung hat es nirgends geschöpft.

Das Lied schildert, wie der junge Alphart, Hildebrands Neffe, allein auf der Warte gegen Ermenrich reiten will und seinen Willen durchsetzt, obwohl alle Helden der Jugend Alpharts wegen es widerraten. Frau Ute waffnet ihn selbst und läßt ihn dann weinend ziehen, seine junge Frau bittet ihn kniefällig, er möge doch nicht allein ausreiten, aber er küßt sie nur und jagt sie dann davon. Hildebrand will die Kraft des Jünglings prüfen und reitet ihm nach, mißt sich mit ihm, ohne daß er sich zu erkennen gibt, und bereut es bitter; denn der junge Held richtet den Oheim übel zu. Dann begegnet Alphart der Vorhut des Feindes, achtzig Rittern, die er besiegt und tötet, nur acht entfliehen blutend und verbreiten Schrecken in Ermenrichs Lager. Ermenrich verspricht den höchsten Lohn dem Helden, der gegen Alphart kämpfen wolle. Keiner wagt es. Endlich ruft er den Witege und Heime auf. Als Witege kommt, verweist ihm Alphart den Verrat an Dietrich, schleudert ihn aus dem Sattel und streckt ihn auch im Schwertkampf nieder. Wie tot liegt er unter dem Schild. Heime bietet dem Alphart an, er solle zurückkehren, sie wollten sagen, daß sie ihn nicht angetroffen, doch der junge Held verschmäht den Vorschlag, er will Witege zum Pfand. Der hat sich wieder erhoben, erinnert nun den Heime an die Treue, die er ihm geschworen, und beide dringen auf Alphart ein. Als der auch den Heime schwer trifft, brechen die beiden Angreifer das Versprechen, das sie vorher dem Gegner gegeben, Witege fällt ihn von hinten an, Heime von vorne, der junge Held, nach tapferster Gegenwehr, muß sein Leben lassen und verwünscht sterbend die ehrlosen Mörder.

Witege und Heime gehören schon in die germanische Heldensage, denn der altenglische Widsith nennt ihre Namen. Der Held der Geschichte, aus dem der Witege der Dichtung entsprossen, ist einmal der König der Ostgoten Witgis. Wenn man sich erinnert, wie Prokop diesen König schildert, seine Treue, sein tapferes Ausharren in allen Wechselfällen des Kampfes, sein mannhaftes Heldentum und sein Unglück - er mußte sich in Ravenna ergeben -, so versteht man wohl, daß die germanische Heldendichtung diesen König gern besang. Außerdem meint man, daß der tapfere Gotenheld Widigoia, der durch die Hinterlist der Hunnen fiel und nach dem Zeugnis des Jorclanes im Liede gefeiert wurde, in Witege fortlebe. Doch kennen deutsche Heldengedichte des Mittelalters einen eigenen Helden Witegouwe. Ob Heime einem Helden der Geschichte sein Dasein verdankt, wissen wir nicht.

Die beiden, Witege und Heime, waren in den alten Liedern andere als in den deutschen Epen des dreizehnten Jahrhunderts. Selbst in diesen ist die Erinnerung an ihr starres aufrechtes und vorbildliches Heldentum nicht ganz gewichen, und darin muß früher ihr eigentliches Wesen bestanden haben. Wohl durch eine Verwirrung der Sagenerzähler wurden sie aus Helden Dietrichs zu Helden Ermanarichs, und diese Verwirrung hat vielleicht die Vorstellung von ihrer Untreue geschaffen und sie endlich, wie Ludwig Uhland das ausdrückt, in finstere und kalte Mordrecken verwandelt. Das Gedicht von Dietrichs Flucht schiebt den Witege gewissermaßen zwischen Dietrich und Ermanarich hin und her. Witege geht von Ermanarich zu Dietrich über und übergibt dann wieder verräterisch an Ermanarich die Stadt Ravenna, die Dietrich in seiner Hut gelassen. Einen ähnlichen Verrat beging in der Geschichte Odoakers Feldherr Tufa, und es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß auch eine Erinnerung daran das Wesen von Witege befleckt hat.

Am ehesten vergleicht sich Witege in seiner Entwicklung wohl dem nordischen Starkad. Beide Helden werden aus Vorbildern der Treue und des Heldentums zu Verrätern. Die wilde Kampflust des Starkad zeigt der Witege der Thidreksaga, und wie Starkad zu einem Wasserriesen, wird Witege zum Sohn einer Meerfrau; auch er steigert sich also in das Mythische.

Die seltene Beliebtheit, die Dietrich von Bern während des ganzen Mittelalters genoß, verdankt er zu einem Teil der heroischen Überlieferung, mit der er verwachsen war und außerdem seiner Persönlichkeit, in der Volk und Helden ihr eigenes Wesen wiederfanden. Denn dem Dietrich blieb seine Langmut und seine Geduld erhalten, ja sie verklärte sich im Lauf der Jahrhunderte und dazu trug wohl das Christentum das Seine bei. Aber auch die Kraft des Dietrich blieb die alte, und wenn er sich zum Kampfe entschloß, war sein Angriff stärker und unwiderstehlicher als der irgendeines anderen Helden, es hieß sogar, daß er mit seinem Feueratem den Gegner versengte.

Das Volk liebte den Dietrich und sang von ihm auch noch aus anderen Ursachen. Es gab ihm nämlich die Freude am Kampf und die Siege, die vorher der alte Gott Donar besaß und die im altenglischen Epos der Beowulf besitzt. Dietrich zeigte sie wie jene im unablässigen, übermächtigen Wirken gegen die Mächte, die die Arbeit des Bauern bedrohen, gegen die Riesen von Wind und Wetter und die anderen Unholde alle. Von diesen Kämpfen erzählen uns eine Fülle von Gedichten aus dem dreizehnten Jahrhundert, von denen einige das Mittelalter überlebten. Leider ist das Volkstümliche und das im germanischen Sinn Mythische aus diesen Liedern fast ganz verdrängt; nur der Riese Fasolt und die böse, Steine und Lawinen schleudernde Riesin Runze entstammen dem alten Volksglauben. Sonst sind die alten Sagen durch Erfindungen und Erzählungen im höfischen Geschmack und nach den höfischen Vorbildern der Artusdichtung ersetzt oder überwuchert.

Die Kunst der Spielleute drang natürlich auch in sie hinein. Dabei wurde auch die alte schwere Bedeutung der Kämpfe vergessen; so wie die Dichter des dreizehnten Jahrhunderts sie erzählen, sollen sie nur unterhalten, wie eben die höfischen Romane unterhielten. Da besiegt der Riese Sigenot den Berner, und Hildebrand befreit ihn nach schwerem Kampf, oder Dietrich hilft der Bergkönigin Virginal vor den Riesen, die sie bedrängen, oder es dringen Dietrich und seine Helden in das Reich des Laurin, das mit einem Seidenfaden umgeben ist und das kein Irdischer betreten darf; sie wollen aber den Zwerg strafen, weil er die Künhilt, die Schwester eines ihrer Helden, entführt.

Laurin wird erst besiegt, als sie ihm seinen Gürtel abreißen, der ihm die Stärke von zwölf Männern verlieh. In dem Reich des Zwergkönigs werden die Helden herrlich bewirtet und weiden sich an dem funkelnden Glanz und der Pracht, die sie überall umgibt. Dann aber bezaubert und fesselt der tückische Zwerg die Helden und nur durch die Hilfe der entführten Künhilt werden sie wieder sehend und überwinden noch einmal ihren hinterlistigen Wirt.

Den Inhalt des hübschesten und beliebtesten dieser Gedichte, den Inhalt des Eckenliedes, teilen wir wieder mit Ludwig Uhlands Worten mit:

Auf Jochgrimm sitzen drei königliche Jungfrauen. Sie haben Dietrichs Lob vernommen und wünschen sehnlich, ihn zu sehen. Drei riesenhafte Brüder, Ecke, Fasolt und Ebenrot, werben um die Jungfrauen. Ecke, kaum achtzehn Jahre alt, hat schon manchen niedergeworfen; sein größter Kummer ist, daß er nichts zu fechten hat. Ihn verdrießt, daß der Berner vor allen Helden gerühmt wird, und er gelobt, ihn gutlich oder mit Gewalt, lebend oder tot herzubringen. Zum Lohne wird ihm die Minne einer der Königinnen zugesagt. Seeburg, die schönste, schenkt ihm eine herrliche Rüstung, womit sie selbst ihn wappnet. Auch ein treffliches Roß läßt sie ihm vorziehen, aber ihn trägt kein Pferd, und er braucht auch keines, vierzehn Tage und Nächte kann er gehen ohne Müdigkeit und Hunger. Zu Fuß eilt er von dannen über das Gefild, in weiten Sprüngen, wie ein Leopard; fern aus dem Walde noch, wie eine Glocke, klingt sein Helm, wenn ihn die Äst rühren. Durch Gebirg und Wälder rennend, schreckt er das Wild auf; es flieht vor ihm oder sieht ihm staunend nach, und die Vögel verstummen. So läuft er bis nach Bern und, als er dort vernimmt, daß Dietrich ins Gebirg geritten, wieder an der Etsch hinauf in einem Tage bis Trient.

Den Tag darauf findet er im Walde den Ritter Helfrich mit Wunden, die man mit Händen messen kann: Kein Schwert, ein Donnerstrahl scheint sie geschlagen zu haben. Drei Genossen Helfrichs liegen tot. Der Wunde rät Ecken, den Berner zu scheuen, der all den Schaden getan. Ecke läßt nicht ab, Dietrichs Spuren zu verfolgen. Kaum sieht er ihn im Walde reiten, als er ihn zum Kampfe fordert. Dietrich zeigt keine Lust, mit dem zu streiten, der über die Bäume ragt. Ecke rühmt seine köstlichen Waffen, von den besten Meistern geschmiedet, Stück für Stück, um durch Hoffnung dieser Beute den Helden zu reizen. Aber Dietrich meint, er wäre töricht, sich an solchen Waffen zu versuchen. So ziehen sie lange hin, der Berner ruhig zu Roß, Ecke nebenher schreitend und inständig um Kampf flehend. Er droht, Dietrichs Zagheit überall zu verkünden, er mahnt ihn bei aller Frauen Ehre, er gibt dem Gegner alle Himmelsmächte vor.

Endlich willigt der Berner ein, am Morgen zu steilen. Doch Ecke will nicht warten, er wird nur dringender. Schon ist die Sonne zu Rast, als Dietrich vom Rosse steigt. Sie kämpfen noch in der Nacht; das Feuer, das sie aus den Helmen schlagen, leuchtet ihnen. Das Gras wird vertilgt von ihren Tritten, der Wald versengt von ihren Schlägen. Sie schlagen sich tiefe Wunden, sie ringen und reißen sich die Wunden auf. Zuletzt unterliegt Ecke. Vergeblich bietet Dietrich Schonung und Genossenschaft, wenn jener das Schwert abgebe. Ecke trotzt und zeigt selbst die Fuge, wo sein Harnisch zu durchbohren ist. Dietrich beklagt den Tod des Jünglings, nimmt dessen Rüstung und Schwert Eckesachs, das er seitdem führt, und bedeckt den Toten mit grünem Laube.

Dann reitet er hinweg, blutend und voll Sorge, man möchte glauben, er habe Ecke im Schlaf erstochen. Schwere Kämpfe besteht er noch mit Eckes Bruder Fasolt, der mit wilden Hunden eine Jungfrau durch den Wald hetzt, und mit dem übrigen riesenhaften Geschlechte, namentlich der wilden Runze, die lawinengleich eine Berglehne herabsaust und mit einer Hand eine ganze Burg wegfegt. Das Haupt Eckes führt er am Sattelbogen mit sich und bringt es den drei Königinnen, die den Jüngling in den Tod gesandt.

Die Dichtungen von Wolfdietrich und Dietrich von Bern sind sich auch darin verwandt, daß sie Abenteuer und Fabeleien nach Art der höfischen und Spielmannsdichtung auf einen alten Helden und auf seine heroischen Kämpfe übertragen. Die Gedichte über Dietrich von Berns wunderbare Kämpfe und Erlebnisse stehen aber frei und locker nebeneinander, sie verschlingen sich nicht wie bei Wolfdietrich zu einer Einheit, die dann doch keine Einheit ist. Darum wird das Wesen des Dietrich von Bern auch von diesen Abenteuern nicht erdrückt, es hat sich auch hier alles in allem in großer Reinheit erhalten.

Die Frömmigkeit und Einfalt der Legende fehlt den mythischen Gedichten von Dietrich von Bern, und vom Märchen lebt mehr das Phantastische, wunderbar Verwirrende als das Kindliche in ihnen. Am meisten aber entzückt in ihrer Kunst die Schilderung der Natur. Im Ortnit und im Wolfdietrich fanden wir auch Szenen von einer Freude an der Natur und von einer Gabe, ihre Lieblichkeit und Größe wiederzugeben, die wir vorher in der Heldendichtung noch nicht endeckten, wir erinnern uns etwa an die Szene, in der Ortnit unter der Linde auf blühendem Anger den Albrich entdeckt, oder an die Geschichte vom Knäblein Wolfdietrich, das an dem von Seerosen bewachsenen Teich sitzt und den Wölfen in ihre glühenden Augen faßt, oder an den Weg Wolfdietrichs, den Abhang o herunter zum Meer. Anschaulicher und großartiger noch ist die Natur in den Gedichten von den Abenteuern Dietrichs erfaßt, und wir können die Art dieser Schilderungen wieder nicht besser erzählen als mit den Worten Ludwig Uhlands.

"Im Eckenliede rauscht noch immer der unbändige Sturmgeist, zum Schrecken der Vöglein und alles Getieres, durch die krachenden Bergwälder. Selbst in dem späten Dichtwerke Virginal waltete noch immer, mitten unter dem geziertesten Hofwesen, ein reger Sinn für die großartige Gebirgswelt, deren gewaltsamtste Erscheinungen als Riesenvolk und Drachenbrut dargestellt sind. Die Abenteuer bewegen sich im wilden Lande Tirol, im finsteren Walde, darin man den hellen Tag nicht spürt, wo nur enge Pfade durch tiefe Tobel, Täler und Klingen führen, zu hochragenden Burgfesten, deren Grundfels in den Lüften zu hängen scheint; wo der Verirrende ein verlorener Mann ist, der einsam Reitende sich selbst den Tod gibt. Dort, wo ein Bach vom hohen Fels her bricht, da springt der grimmige Drache, Schaum vor dem Rachen, fort und fort auf den Gegner los und sucht ihn zu verschlingen; wieder ,bei eines Brunnen Flusse' vor dem Gebirg, das sich hoch in die Lüfte zieht, schießen große Würmer her und hin und trachten, die Helden zu verbrennen; bei der Herankunft eines solchen, der Roß und Mann zu verschlingen droht, wird ein Schall gehört, recht wie ein Donnerschlag, davon das ganze Gebirg ertost. Leicht erkennbar sind diese Ungestüme gleichbedeutend mit den siedenden donnernden Wasserstürzen selbst. Dazwischen ertönt, ebenso donnerartig, das gräßliche Schreien der Riesen; als Dietrich mit tödlichem Steinwurf einen jungen Riesen getroffen hatte, stößt dieser einen so grimmen Schrei aus, als bräche der Himmel entzwei, und seine Genossen erheben eine Wehklage, die man vier Meilen weit über Berg und Tann vernimmt, die stärksten Tiere fliehen aus der Wildnis, es ist, als wären die Lüfte erzürnt, der Grimm Gottes im Kommen, der Teufel herausgelassen, die Welt verloren, der jüngste Tag angebrochen; ein starker Riese ,Felsenstoß' läßt seine Stimme gleich einer Orgel erdröhnen, man hört sie über Berg und Tal, überall erschrecken die Leute, und selbst der sonst unersättliche Kämpe Wolfhart meint, die Berge seien entzwei, die Hölle aufgeweckt, alle Recken sollen flüchtig werden; auch die Riesen hausen am betäubenden Lärm eines Bergwassers, bei einer Mühle und zunächst einer tiefen Höhle."

Die Kirche war dem Dietrich von Bern von jeher abhold; sie hat ihn zuerst gehaßt, weil er ein Ketzer war, und dann, weil das Volk so leidenschaftlich an ihm hing. Es gab von dem König eine Sage, daß er nicht gestorben, sondern in einen Berg entführt sei, wo er nun schlafe. Diese verwandelte die Kirche: Den Dietrich habe ein schwarzes Roß, und das war niemand anderes als der Teufel selbst, entführt und ihn in den Ätna getragen, in dessen Feuergluten er seine Sünden noch immer büßen müsse. Aber wie oft diese alte Erzählung auch wiederholt und dem Volke vorgehalten wurde, aus seinem Herzen hat sie diesen König nie reißen können. Und so vermehrt gerade sie unser Staunen und unsere Rührung darüber, daß Jahrhunderte diesem treuesten König die Treue hielten und ihn als das verklärte Abbild des eigenen Wesens liebten. Zum Schluß führen alle Sagen von Dietrich von


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Nordische Mythen

30.03.2005 um 04:17
Die germanische Mythologie
Die nordische Mythologie, so wie sie uns in der Edda (Sammlung germanischer Götter- und Heldenlieder) überliefert ist, entstand zum Großteil in den noch heidnischen skandinavischen Ländern, überwiegend auf Island. Es gibt allerdings auch einige Hinweise, auf christliche Einflüsse (z. B. Hel als höllenähnliche Unterwelt). Diese wurden zur Zeit der Niederschrift (um 1200 n. Chr.) von den bereits missionierten Dichtern eingestreut bzw. entstanden während der Zeit der Christianisierung.
Leider gingen durch den „Eifer christlicher Missionare“ so gut wie alle mündlichen Überlieferungen der südgermanischen Mythologie verloren. Im großen und ganzen kann man aber davon ausgehen, daß die verschiedensten germanischen Stämme mehr oder weniger identische Mythen ihr Eigen nannten. Gerade die germanischen Schöpfungsmythen dürften die ältesten Überlieferungen darstellen, weil das Szenario von der Entstehung der Welt stark an die Vorkommnisse während der letzten Eiszeit erinnern. Womöglich entstanden aus den Erinnerungen der Urahnen der germanischen Völker an diese schlimme Zeit die ersten Fragmente der heutigen germanischen Schöpfungsmythologie.



Die nordgermanische Schöpfungsmythologie
Über die Entstehung der Welten wird in der Völuspa der Älteren Edda und im Gylfaginning der Jüngeren Edda berichtet:


Einst war das Alter, da Ymir lebte:
Da war nicht Sand nicht See, nicht salz’ge Wellen,
Nicht Erde fand sich noch Überhimmel,
Gähnender Abgrund und Gras nirgend.
Bis Börs Söhne den Boden erhoben,
Sie, die das mächtige Midgard schufen.
Die Sonne von Süden schien auf die Felsen
Und dem Grund entgrünte grüner Lauch.

(aus der Völuspa - Der Seherin Weissagung)

Am Anfang gab es nur Ginnungagap (AN mit Kräften/Magie erfüllter Raum), das man sich als Schlucht des Nichts und der Windstille vorstellte.
Im Süden von Ginunngagap entstand später Muspelheim (AN Reich des Muspel => Der Feuerriese Muspel (=Surtur) herrschte über diese Welt.), die Welt des Feuers und der Hitze.
Nach Muspelheim entstand nördlich von Ginnungagap Niflheim (AN Nebelwelt), die Welt des Nebels und des Eises, wo Finsternis und Kälte herrschten.
Im Zentrum von Niflheim befindet sich der Brunnen Hvergelmir (AN brodelnder Kessel). Aus dieser Quelle entsprangen 12 Flüsse, die alle zusammen Elivagar genannt werden. In der Urzeit überfluteten diese Wassermassen Niflheim bis sie zu Eis erstarrten. Dabei legte sich eine Eisschicht über die andere, bis sogar Ginnungagap erreicht wurde (Hinweise auf Eiszeit?!). Seitdem lagen im Norden von Ginnungagap große Eis- und Schneemassen, wo Stürme wüteten. Der südliche Teil von Ginnungagap wurde von den Feuerfunken, die von Muspelheim herüberflogen, erwärmt, wodurch das Eis im Norden zu schmelzen begann. Aus den Tropfen des geschmolzenen Reifs bildete sich der Urriese Ymir (AN Zwitter ?!) und die Urkuh Audhumbla (AN die Milchreiche) taute aus dem Eis auf. Ymir ernährte sich von Audhumla’s Milchströmen. Danach fiel er in einen tiefen Schlaf. Während Ymir schlief, entstand aus dem Schweiß seiner linken Achselhöhle ein männliches und ein weibliches Riesenwesen und durch das Aneinanderreiben seiner Füße entstand ein Sohn. Dieser, genannt Vafthrudnir, galt als Stammvater des Geschlechts der Hrimthursar (AN Frost- oder Reifriesen).
Audhumbla schleckte das salzige Eis als Nahrung, weil es noch kein Gras zum Fressen gab. Durch das Lecken setzte sie den Urriesen und Stammvater der Götter Buri (AN Erzeuger, Vater) aus dem Eis frei. Buri zeugte aus sich selbst den Riesen Bör (AN Sohn, Geborener). Bör wiederrum zeugte mit der Riesin Bestla (AN Baumrinde) drei Söhne - Odin, Vili und Ve, die ersten göttlichen Asen. Bör und Bestla sind folglich Urvater und Urmutter der Götter. Bestla, Tochter des Hrimthursen Bölthorn, war aus dem Geschlecht der Reifriesen, das aus Ymir hervorging. Sie galt jedoch als besonders friedliebend, ganz im Gegensatz zu den sonst bösen, zerstörerischen Reifriesen.

Die drei Brüder Odin, Vili und Ve erschlugen den Urriesen Ymir und in den Fluten seines Blutes ertranken alle Reifriesen bis auf Bergelmir und seine Gemahlin, die sich in einem Boot retten konnten (christl. Einfluß -> Arche Noah ?). Aus dem Riesenpaar ging später das neue Reifriesengeschlecht hervor.
Die drei Brüder legten Ymir ins Zentrum von Ginnungagap und schufen aus seinem Körper die Welt: Aus seinem Blut machten sie das Weltmeer, aus seinem Körper die Erde, aus seinen Knochen die Berge, aus seinen Haaren die Bäume und aus den Zähnen und Knochensplittern Steine und Felsen. Aus den Maden in Ymir’s verrottendem Körper schufen sie die Zwerge. (Nach einer anderen Version wurden sie aus Brimirs Blut und Blains Gliedern geschaffen.) Aus seinem Schädel machten sie das Himmelsgewölbe mit Hörnern an den vier Ecken. Sie hoben ihn hoch und setzten je einen Zwerg unter jedes Horn, damit diese das Gewölbe halten konnten. Die vier Zwerge sind nach den vier Himmelsrichtungen benannt worden: Austri (Osten), Westri (Westen), Nordri (Norden) und Sudri (Süden). Anschließend nahmen die drei Brüder Feuerfunken aus Muspelheim und hefteten sie als Gestirne an den Himmel - anderen wurde erlaubt, sich am Himmel frei zu bewegen.

Um die Tag- und Nachtphase festzulegen erhielt der Gott Dag (AN Tag) und seine Mutter, die Jötun-Riesin Nótt (AN Nacht), jeweils einen mit Pferden bespannten Wagen von den Göttern. Mit diesen fahren sie im Abstand von einem Tag um die ganze Welt. Dadurch bestimmen sie den Beginn bzw. das Ende von Tag und Nacht.
Der Riese Mundilföri wagte es, seine Tochter Sol1) (AN Sonne) und seinen Sohn Mani (AN Mond) mit den Göttern gleichzusetzen. Als Strafe wurden die beiden von Odin in den Himmel versetzt, wo seitdem Sol den Sonnenwagen und Mani den Mondwagen über das Himmelsgewölbe lenken, um die Erde zu erhellen. Die beiden Wagen schufen die Götter aus zwei größeren glühenden Brocken aus Muspelheim. Mani wird vom Wolf Hati (AN Verächter) verfolgt. Immer wenn er dem Mondwagen zu nahe kommt, entsteht eine Mondfinsternis. Analog dazu wird Sol vom Wolf Sköll (AN Spott) verfolgt, wobei sich die Sonne verdunkelt, wenn er ihrem Wagen zu nahe kommt.

Die Erde war kreisrund und vom Meer umgeben. Das Land an den Küsten im Osten wird Jötunheim genannt und ist das Reich der Riesen. Zum Schutz vor den zerstörerischen Kräften der Thursen2) bauten die Götter einen Wall aus Ymirs Augenbrauen kreisrund um Midgard (AN Mittelerde). Midgard lag im Zentrum aller anderen Welten und sollte die Wohnstätte der Menschen werden. Nachdem dies alles geschaffen war, nahmen die drei Brüder Ymirs Gehirn und warfen es in den Himmel, woraufhin die Wolken entstanden sind.

Die ersten Menschen Ask (AN Esche) und Embla (AN Ulme) wurden von Odin, Hönir (= Vili: AN Wille) und Lodur (AN der Lodernde = Ve) aus zwei Bäumen geschaffen, die vom Meer an den Strand geschwemmt wurden. Odin gab ihnen als Luftgott Atem, Leben und Geist. Hönir gab ihnen als Wassergott klaren Verstand und Gefühl. Lodur gab ihnen als Feuergott das warme Blut, das blühende Aussehen, die Sprache und das Gehör. Ask und Embla bewohnten Midgard und aus ihnen ging das ganze Menschengeschlecht hervor. Auffallend im Vergleich zu Mythologien anderer Kulturen ist an der nordischen Version, daß die Menschen aus bereits lebendigem Material (Bäume) geschaffen worden sind.


Gingen da dreie aus der Versammlung
Mächtige, milde Asen zumal,
Fanden am Ufer unmächtig
Ask und Embla und ohne Bestimmung.

Besaßen nicht Seele und Sinn noch nicht,
Nicht Blut noch Bewegung, noch blühende Farbe.
Seele gab Odin, Hönir gab Sinn,
Blut gab Lodur und blühende Farbe.
(aus der Völuspa - Der Seherin Weissagung)


Yggdrasill - die Weltesche
Es heißt in der Edda, Yggdrasill sei „der erste der Bäume“ - über seine Entstehung steht jedoch nichts geschrieben. Yggdrasill steht im Zentrum von Midgard und verbindet alle 9 Welten. Die 9 Welten sind in der nordischen Kosmologie auf drei Ebenen verteilt vorzufinden. Hierbei handelt es sich nicht unbedingt um eine „geographische“ Aufteilung anhand der Beschreibungen in den Schöpfungsmythen, sondern vielmehr um eine Schematisierung der germanischen Vorstellung vom Zusammenspiel des Kosmos: (Die strenge Unterteilung in Himmel und Hölle ist wohl auf christliche Einflüße zurückzuführen. Ursprünglich befand sich z. B. Walhalla in der Unterwelt und die Götterburg Asgard wurde auf Midgard erbaut.)

1. Ebene („Himmel“):
Asgard: Sitz der Götter, Wohnort der Asen
Vanaheim3): Wohnort der Wanen
Ljossalfheim: Wohnort der (Licht-)Alfen4)
2. Ebene („Erde“):
Midgard: Welt der Menschen im Zentrum aller anderen Welten
Jötunheim: Reich der Riesen (im Osten)
Svartalfheim: Wohnort der Dunkel-Alfen, (Zwerge) - unterirdisch
Muspelheim: Reich des Feuers bzw. der Feuerriesen (südl. Midgard)

3. Ebene („Unterwelt“):
Hel(heim): Reich der Totengöttin Hel (Tochter Lokis)
Niflheim: Reich des Nebels, Eises


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Bei näherer Betrachtung stellt man fest, daß die Welten immer Gegensätze bilden, Muspelheim - Niflheim (Feuer - Eis), Asgard - Hel (Himmel - Hölle), Ljossalfheim - Svartalfheim (Hell - Dunkel) und Vanaheim - Jötunheim (Friede - Zerstörung) übrig bleibt einzigartig Midgard im Zentrum, wo die restlichen 8 Welten aufeinandertreffen. Folglich ist in Midgard quasi „alles möglich“.

„Diese Esche ist der größte und beste von allen Bäumen: seine Zweige breiten sich über die ganze Welt und reichen hinauf über den breiten Himmel. Drei Wurzeln halten den Baum aufrecht, die sich weit ausdehnen: die eine zu den Asen, die andere zu den Hrimthursen, wo vormals Ginnungagap war; die dritte steht über Niflheim, und unter dieser Wurzel ist Hvergelmir, und Nidhöggr nagt vonunten auf an ihr. Bei der anderen Wurzel hingegen, welche sich zu den Hrimthursen erstreckt, ist Mimirs Brunnen, worin Weisheit und Verstand verborgen sind. ..... Unter der dritten Wurzel der Esche, die zum Himmel geht, ist ein Brunnen, der sehr heilig ist, Urds Brunnen genannt: da haben die Götter ihre Gerichtsstätte, ...“

(Ausschnitt aus dem Gylfaginning)

Außerdem sitzen die drei Nornen / Schicksalsgöttinnen (AN Raunende) Urd (Vergangenheit), Verdandi (Gegenwart) und Skuld (Zukunft) an Urds Brunnen. Dort bestimmen sie das Schicksal aller Lebewesen.
Auf der Spitze des Baumes sitzt der Jötunn-Riese Hräswelgr in Gestalt eines Adlers. Wenn er mit seinen Flügel schlägt, entsteht der Wind.


Hräswelg heißt, der an Himmels Ende sitzt
In Adlerskleid ein Jote.
Mit seinen Fittichen facht er den Wind
Über alle Völker.
(aus dem Gylfaginning)

Das Eichhörchen Ratatöskr läuft ständig am Stamm des Yggdrasill entlang zwischen dem Adler und dem Drachen Nidhöggr (AN Neiddrache) hin und her. Es galt als Sinnbild der ewigen Streitigkeiten zwischen den Menschen, weil es immer Zwietracht zwischen den beiden sät, indem es jeweils dem einen erzählt, was der andere schlechtes über ihn erzählt hätte.
Wenn der immergrüne Lebensbaum zu welken beginnt, ist dies die Ankündigung von Ragnarök (AN Weltuntergang). Unter den Menschen herrscht Grausamkeit und moralischer Verfall. Darauf folgt eine Eiszeit und die alles vernichtende Endschlacht, bei der alle Götter und Menschen sterben werden. Nach einer langen Zeit wird die Welt neu entstehen. Der Lichtgott Balder wird zurückkehren und alle Wesen werden in Frieden miteinander leben.


Brüder befehden sich und fällen einander,
Geschwisterte sieht man die Sippe brechen.
...
Unerhörtes ereignet sich, großer Ehbruch.
Beilalter, Schwertalter, wo Schilde krachen,
Windzeit, Wolfszeit, eh die Welt zerstürzt.
Der eine achtet des andern nicht mehr.
...
Schwarz wird die Sonne, die Erde sinkt ins Meer,
Vom Himmel schwinden die heitern Sterne.
Glutwirbel umwühlen den allnährenden Weltbaum,
Die heiße Lohe beleckt den Himmel.
...
Da seh’ ich auftauchen zum andernmale
Aus dem Wasser die Erde und wieder grünen.
...
Alles Böse bessert sich, Baldur kehrt wieder.
(aus der Völuspa - Der Seherin Weissagung)


Der erste Krieg
Um an den Reichtum der Wanen zu gelangen, begannen die kriegerischen Asen den allerersten Krieg, der erst endete, als die beiden Göttergeschlechter ewigen Frieden schlossen, indem sie Geißeln austauschten.
Wahrscheinlich wurde hier ein geschichtlich bedeutendes Ereignis im Mythos verarbeitet: Nach der Entmythologisierung stellt man fest, daß es sich bei den Asen im Grunde um kriegerische indogermanische Stämme und bei den Wanen um die bäuerliche germanische Urbevölkerung handelt. Zwischen denen etwa 2000 v. Chr. ein realer Krieg herrschte. Auch damals wird der Friede durch Heirat zwischen Angehörigen der zuvor verfeindeten Stämme gesichert worden sein. Nach der Vermischung der germanischen Urbevölkerung mit den indogermanischen Stämmen überwog nach und nach die Verehrung der eher kriegerischen Götter der Indogermanen, eben der Asen als der friedlichen Wanen. Wahrscheinlich aus dem ganz einfachen Grund, weil sich die indogermanischen Religionsvorstellungen durchsetzten und die der Urbevölkerung mehr oder weniger in den Hintergrund drängten. So ist es z. B. auch auffallend, daß die Herkunft der Wanen in den altnordischen Quellen nicht näher beschrieben wird.
Eine andere Theorie verweist jedoch auf den sozialen Konflikt zwischen den Herrschenden und dem einfachen Volk. Erst nach dem Friedensschluß zwischen diesen beiden Gruppen war ein Leben in einer geordneten Gesellschaft möglich geworden.



Anmerkungen
1) Die Verehrung einer Licht und Wärme spendenden Sonnengöttin als Personifikation der Sonne läßt sich bis in die Bronzezeit zurückverfolgen.

2) An dieser Stelle ist es vielleicht notwendig, anzumerken, daß man die „Riesen“ eigentlich in verschiedene Arten unterteilen kann:
Die Jötunen, auch genannt Etins, stellen sich entweder auf die Seite der Götter oder wenden sich zusammen mit den Thursen gegen sie. Oft besitzen die Jötunen ein enormes Wissen und verfügen über Zauberkräfte. Die Körpergröße spielt bei den Jötunen keine entscheidende Rolle. Ein gutes Beispiel für einen Jötun wäre z. B. der bösartige, aber hochintelligente Gott Loki, Sohn des Riesen Farbauti. (Loki wird den Weltuntergang Ragnarök heraufbeschwören.)
Zusätzlich gibt es noch das Geschlecht der Thursen, die man sich als riesengroß, zerstörerisch und allgemein als dumm vorstellte. Ihre Bosheit treibt sie zu Handlungen, die den Menschen und Göttern oft schaden. Zu den Thursen zählen die Eis-, Stein-, Wasser- und Feuerriesen: Verkörperung der Naturgewalten.

3) Wahrscheinlich stellten sich die Germanen Vanaheim als Reich im Erdinneren vor, die Wanen sind ja auch Erdgottheiten. Hier ist Vanaheimr in die erste Ebene gesetzt, da es letzlich auch ein „himmlischer“ Wohnort von Göttern ist.

4) Licht-Alben (= Alfen/Elfen) sind geisterhafte, schöne Lichtwesen mit großer Weisheit. Sie sind den Menschen gegenüber freundlich und hilfsbereit und stehen den Göttern nahe. Dunkel-Alben hingegen sind pechschwarz, leben unter der Erde und sind eher bösartig gesinnt. Die Dunkel-Alben werden oft auch mit den Zwergen in Verbindung gebracht. Eine weitere Vorstellung war, daß es sich bei Elfen um die Seelen der verstorbenen Ahnen handelt.

AN: altnordische Übersetzung oder Bedeutung

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Literaturhinweise

Die Edda, (Übersetzung v. Karl Simrock), Manfred Stange (Hrsg.), Bechtermünz Verlag
Edda, (Übersetzung v. Felix Genzmer), Max Thalmann, Eugen Diederichs Verlag
Herder Lexikon / Germanische und keltische Mythologie, Herder Verlag
Lexikon der germanischen Mythologie, Rudolf Simek, Kröner Verlag
Lexikon der Mythologie, Gerhard J. Bellinger, Bechtermünz Verlag
Runenkunde, Edred Thorsson, Urania Verlag



Die Staaten blühen nur, wenn entweder Philosophen herrschen oder die Herrscher philosophieren.
Die schlimmste Art der Ungerechtigkeit ist die vorgespielte Gerechtigkeit.
- Platon -



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Nordische Mythen

17.07.2010 um 01:41
target und lesslow, ihr habt es auf jeden fall drauf^^
Hab mich bislang nur über Wikipedia informieren können, wobei ich finde, dass es auch dort ziemlich interessante Artikel gibt.


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Nordische Mythen

17.07.2010 um 02:21
WOW, das freut mich ...
VIELEN DANK
@target
@lesslow
und andere


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Nordische Mythen

19.07.2010 um 01:14
fernrir


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Nordische Mythen

19.07.2010 um 01:17
ach shit:
der ferniswolf:
ist der sohn von loki undund angrboda also bruder von hel und der midgardschlange.
er wurde von den Asen aufgezogen und wurde bald zu stark das er die hand von Tyr abbiss.
dann blieb er friedlich bis zum ragnarök und tötete in einem zweikampf odin


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Nordische Mythen

20.07.2010 um 12:42
Nordische Mythen sind teilweise an Grausamkeit nicht zu überbieten (Gudrun setzt ihrem verhassten Gatten ihren eigenen Sohn zum Fraß vor, um nur ein Beispiel zu nennen), aber trotzdem beeindruckend (Z. b. "der Seherin Lied" oder eine Mahnrede über das rechte Verhalten in der Edda).

Die literarische Fixierung enthält allerdings häufig bereits von der christlichen Kultur beeinflusste Zusätze.

Wir sind aber auf diese literarischen Werke wie die "Edda" angewiesen.

Das gilt genauso für die angelsächsischen und irischen Mythen oder jene aus dem deutschen Spachraum. Natürlich wünscht man sich, dass Finn, Fingal, Siegfried, Dietrich, die Artusritter, die Elfen, Asen, Walhall usw Ausfluss uralter Volksweisen sind, aber tatsächlich sind die uns bekannten Geschichten das Werk von Schriftstellern, welche die alten Mythen neu verarbeiteten.


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Nordische Mythen

20.07.2010 um 13:35
@DahamImIslam
willst du ablenken ??? Die Bibel ist voller Grausamkeiten und die Scharia und falsch verstandene Glaubensrichtungen sowieso !!! aber, das wirst du ja Wissen !?

Außerdem bevor man was schreibt, sollte man sich ein wenig informieren, das setze ich voraus!
Zitat von DahamImIslamDahamImIslam schrieb:Wir sind aber auf diese literarischen Werke wie die "Edda" angewiesen.
Wer hat die Edda geschrieben ???

Im Grunde hat der christliche Glauben dazu geführt das man so gut wie nichts weiß über den Glauben...... also lasse deine plumpen Versuche.

Es sind unsere Wurzeln, nicht deine ;-) oder wie machen mal eine Gegen Überstellung von Fakten ....


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