Die Legende der Spinnera (Franken)
13.07.2007 um 09:53
Allgem. Info
Bäuerliche Flurdenkmale erzählen niemals das Märchen einer heilen Weltoder guten alten Zeit, sie sind der Spiegel harter Alltagsrealität und somit ein echtesvolkskundliches Zeugnis. Vielerorts vermitteln uns die Fludenkmale eine eidriglicheBotschaft des Arbeitslebens; aus den zahlreichen Marteln, die von Arbeitsunfällenerzählen, lässt sich auf den früheren Lebenserwerb vieler Menschen schliessen.Flurdenkmale sind jedenfalls Geschichtsquellen besonderer Art: Sie geben Aufschluss überdie alltägliche Lebensweise und die guten, zumeist jedoch über die bösen und über dieNotsituationen im Leben des einzelnen oder auch der Gemeinschaft. Sie belegen vielfachaber auch Bräuche und Sitten und bringen vor allem das Glaubensleben, die Einstellung deseinfachen Menschen zu "seinem" Gott und zu "seinen" zum Ausdruck.
zB.http://www.suehnekreuz.de/nrw/doerenthe.htm (allgemein)
Vielleicht ist es daswas du suchst. @X-WomanWie schön war es da in Watzendorf, wo allabendlich das junge Volkin der Spinnstube zusammenkam. Da wurde gesungen und erzählt, geneckt und getanzt, wenndie Strickarbeit beendet oder der aufgesetzte Rocken abgesponnen war. Dorthin wollte sieauch gehen und lustig sein. Als sie einmal nach dem Abendbrot der Bäuerin den Wunschvortrug, nach dem Dorfe zu gehen, um teilzuhaben an der Freude und Geselligkeit derdortigen Jungen und Mädchen, runzelte die gute alte Frau die Stirn und verwies sie an denBauern. Nur er als der Dienstherr könne die Einwilligung dazu geben. Der Bauer war einstrenger Mann. Er war zwar sehr zufrieden mit seiner fleißigen und willigen Magd, gönnteihr auch Lust und Freude, aber in der Nacht das kleine Ding durch den dunklen Wald alleinnach Watzendorf gehen zu lassen, konnte er nicht übers Herz bringen. Zudem befürchteteer, dass die Spinnstube in der Nacht zu lange ausgedehnt werde und der verlorene Schlafder Gesundheit der Magd nicht dienlich sei. Vielleicht meinte er noch, seien dort auchböse Spießgesellen. Er habe schon gehört, dass in manchen Dörfern in den SpinnstubenUnartigkeiten vorgekommen seien. Da sei es schon besser, sie bleibe schön bei derBäuerin. Elsa sah ein, dass der Bauern in vielem recht hatte, doch lockte die Spinnstubeund ihre Freude so gewaltig, dass sie nicht aufhören konnte zu bitten, bis endlich dergestrenge Dienstherr nachgab und ihr gestattete, öfters nach Watzendorf zu laufen, wennsie hoch und heilig beschwor, jedes Mal vor Mitternacht wieder zu Hause zu sein. Schnellverrannen die Stunden in den Bauernhäusern in Watzendorf, in denen gerade die Lichtstubeabgehalten wurde. Da klapperten die Stricknadeln, surrten die Spulen der Spinnräder undknarrten die Wafn. Da lachten und kicherten die Mädchen, wenn der Jörgl die drolligeGeschichte von der Marie erzählte, die oben auf der Tiereller einen Korb Gras holte undvor dem Hofbauernhund ausgerissen ist, weil sie glaubte, es sei ein verwunschenerRäuberhauptmann. Sie saßen alle still und aufmerksam, wenn die Rede von der Otternköniginund den Krötenschatz zu Obersiemau kam. Manchmal kamen auch einigen Mädchen die Tränen,wenn neben vielen alten Volksweisen das Lied von den beiden Königskindem angestimmtwurde. Kurz vor 11 Uhr packte Elsa ihre Siebensachen zusammen und eilte heimwärts. DerWeg war eng und schmal durch die Felder und dunkel durch den Wald. Man braucht eineStunde wenn man gemächlich ging. Elsa war jung und stramm. Sie schaffte ihn in einerhalben. Schnell kroch sie unter die Decke, schlief ruhig und fest und war am nächstenMorgen beim Hahnenschrei schon wieder wach und bei der Arbeit. Der Bauer lobte seine Magdwegen ihrer Sittsamkeit, vergaß aber nicht, dann und wann eindringlich daraufhinzuweisen, dass er unnachsichtig strafe, wenn auch nur einmal die Zeit der Heimkehrüberschritten würde. Er sei nicht nur gesonnen, das Spinnstubenlaufen zu verbieten, erwürde sie sogar schimpflich von Haus und Hof jagen. Das sei dann eine große Schande undweit und breit würde sie kein ehrbarer Bauer mehr in Dienst nehmen. Ja, noch mehr, keinachtbarer Bursch würde sie dann zum Weibe nehmen. Wieder war es Winter geworden, die Zeitder langen Nächte gekommen. Elsa ging nach Watzendorf in die Spinnstube, lief rechtzeitigheim, freute sich der lustigen Possen des Jörgl und tanzte auch tüchtig mit den Jungen,wenn ihre aufgetragene Arbeit weit vor Aufbruch beendet war. Die Jungen rissen sich umdie flotte und schöne Tänzerin und sahen es ungern, wenn sie so bald schon nach Hauseeilte. Da beschlossen sie insgeheim, das nächste Mal dem schönen Mädchen ein Schnippchenzu schlagen. Sie wollten die große Standuhr eine Stunde zurückstellen und sie so zumlängeren Verweilen zwingen. Der nächste Tag war grausig. Früh schon lag ein dichter Nebelüber Feld und Flur. Mittags kam ein Westwind auf, brachte leichten Regenschauer und gegenAbend sagte die Bäuerin, es würde wohl in der Nacht ein Wetter sein, bei dem man einenHund hinausjagen würde. Das Beste sei, man verkröche sich beizeiten in sein warmes Bett.Elsa verkroch sich aber nicht in ihr warmes Bett. Kaum hatte sie den Vespertischabgeräumt, das Geschirr gespült, den Riesenknorz in den Kachelofen geschoben und dasKatzentröglein mit Milch gefüllt, erwischte sie die Wafn und den Wollbeutel und eiltenach Watzendorf Das bisschen Regen, was konnte es schon schaden? Zwar waren das Kopftuchund der Umhang nass zum Auswinden, der Kachelofen in der Lichtstube trocknete sieschnell. Heute war es anfangs recht still bei den Jungen und Mädchen. Einige waren desWetters wegen nicht gekommen, einige saßen auf der Ofenbank und schoben den kalten Rückengegen die warmen Kacheln. Als aber die Gesellschaft warm geworden war, fing der Kasparan, auf seiner Mundharmonika kleine Tanzweisen zu spielen und bald drehten sich dieersten Paare im Reigen. Als Elsa die Wolle abgehaspelt hatte, tanzte sich natürlich auchmit. Es war ja noch lange Zeit bis 11 Uhr. Wie schön das war: der Walzer, der Schottisch,der wilde Dreher! Es war ihr gerade so, als ob der heutige Tanz der schönste seit langerZeit wäre. Verstohlen schaute sie nach der Uhr. Noch ein paar Minuten! Noch ein paarMinuten! Als aber der Zeiger sich der elften Stunde näherte, riss sie sich los, legte denUmhang um und band das Kopftuch fest. Dann sagte sie allen eine Gute Nacht, nahm Wafn undWollbeutel und verließ das Haus. Was schadete es, dass der Wind mittlerweile zum Sturmgeworden, der Regen ihr ins Gesicht peitschte. Sie würde schon den Weg finden und wiealle Nächte pünktlich und wohlbehalten nach Hause kommen. Als sie gerade um die Kirchebog, fing die kleine Glocke an zu schlagen: eins, zwei, drei, vier... „0“, schon elf Uhr?Dann schlug die große Glocke die Stunden. Leise zählte sie mit: eins, zwei elf, zwölf! UmGottes willen! Mitternacht! War das möglich? Nun aber schnell, so schnell dich die Beinetragen. Wenn der strenge Dienstherr das merkt! Dann ist es aus mit der Lichtstube, ausmit dem Dienst, aus mit der Heirat! Aus, aus, aus", heulte der Wind. "Aus, aus, aus",peitschte der Regen. Wie war doch die Nacht heute finster. Kaum fand sie sich durch dieletzten Häuser. Nun ein wenig bergauf Der Weg war ja zum Bach geworden, so schoss dasWasser daher. Nur immer zu! Jetzt muss der Wald bald kommen. Ich sehe doch gar keineBäume. Ja richtig, das große Loch im Feldweg fehlt ja noch. Es kommt ja gar nicht. Ichwerde doch nicht den Weg nach links gegangen sein? Nur nicht aufhalten! Schneller, nochschneller musst du laufen." Aus, aus, aus", heulte der Wind jetzt noch lauter. 0, dieseAngst! "Der Dienstherr, der Dienstherr", peitschte der Regen. Jetzt stolpert sie übereinen Stein, fällt in ein Wasserloch, rafft sich auf und rennt weiter. Jetzt stolpert sieüber eine Wurzel, die Wafn entgleitet der klammen Hand und der Wollbeutel fehlt. Auf denKnien rutscht sie hin und her, tastet mit den Händen den schmierigen Boden ab. Nichts istzu finden. Da wird die Angst noch größer. Der Kopf wird heiß, aber die Kälte kriecht vonden Füßen die Beine hoch. Die Hände sind so klamm, dass sie kaum noch das Kopftuch haltenkann, das der Sturm immer herunterreißen will. Der Umhang ist auch nicht mehr da. DieNässe hat längst das Kleid durchweicht und Rücken und Schulter werden kalt. Die Kälteschüttelt den ganzen Körper, nur der Kopf brennt vor lauter Angst. Weiter schleift sichdie Elsa. Als sie wieder stolpert, kann sie nicht mehr aufstehen, sie hat keine Kraftmehr. "Mutter, Mutter", haucht sie noch einmal, dann nimmt sie der Tod in seine grausamenkalten Arme. In Sorghof heulte auch der Wind und peitschte der Regen. Selbst das Vieh imStall wurde unruhig und riss an den Ketten. Da stand der Bauer auf und ging in den Stall.Als er, mit der alten Sturmlaterne in der Hand, über den Flur schlurfte, fiel ihm auf,dass die Wafn nicht an ihrem gewohnten Platz stand. Er sah nach der Uhr. Drei Uhr in derFrühe zeigte sie an. Und die Elsa ist noch nicht zu Hause? Das war ihm so ungewöhnlich,dass er gleich in die Kammer zurückging, die Bäuerin weckte. "Die wird wohl bei diesemSturm in Watzendorf geblieben sein", meinte die gute Alte, ich hätte sie in diesem Wetterauch nicht nach Hause gelassen". Das beruhigte den besorgten Dienstherrn. Er ging in denStall, redete dem Vieh gut zu und legte sich wieder zu Bett. Am nächsten Morgen fütterteder Bauer selbst das Vieh und die Bäuerin melkte die Kühe. Schweigend setzten sie sich anden Tisch und bringen nur mit Mühe die Hafergrütze hinunter. Unruhig geht der Bauer durchStall und Scheune, mit zitternden Händen spült die Bäuerin das Geschirr. Unglücksdrohendpeitscht der Regen auf Dach und Haus, rüttelt der Wind an Türen und Fenstern. Da hält esden Dienstherrn nicht mehr zu Hause. Als er am Kreuzweg links nach Watzendorf abbiegenwill, sieht er neben dem Weg die Elsa liegen, steif, still und tot. Er faltet die Hände,betet ein Vaterunser und nimmt das Mädchen auf den Arm wie sein eigenes Kind und trägt esheim. Als man sie in Watzendorf zu Grub trug, folgten viele Leute den Sarg und das jungeVolk trug viele Kränze herbei zu Ehren von Elsa. Der Bauer hatte aber keine ruhige Stundemehr. Er fühlte sich schuldig am Tod seiner Magd, die nur aus Angst vor seiner Strenge indiesem Sturm nach Hause geflüchtet war. Er ließ sechs Seelenmessen lesen, gab dengebeugten Eltern eine große Summe Geld und stiftete alljährlich zum Dreikönigstag eineKerze am Altar. An dem Kreuzweg aber, an der Stelle, wo er die tote Elsa gefunden hatte,ließ er einen Sühnestein aufrichten zum Gedächtnis seiner treuen Magd. Der Stein wirdheute noch die „Spinnera" genannt. Quellenhinweis: Andreas Stubenrauch