Vampire
13.08.2008 um 12:07
VAMPIRE
Fahndung im Reich der Finsternis
Ein Gerichtsmediziner enthüllt die Ursachen einer „Vampirseuche“, die um 1700 in Serbien wütete
Von Luise Wagner-Roos und Martin Papirowski
Wege aus der Finsternis In einer Frühlingsnacht des Jahres 1725 kommt es zu einer rätselhaften Begegnung. Erstmals nach zehn Wochen besucht Peter Plogojowiz seine verlassene Frau, er verlangt seine Schuhe. Die Frau gerät in Panik. Denn ihr Mann ist ein Toter, bestattet auf dem Friedhof des serbischen Dorfes Kisolova.
Neun Männer und Frauen werden in den nächsten acht Tagen im Schlaf von dem seltsamen Wanderer heimgesucht. Er legt sich auf sie, drückt ihren Hals, saugt ihnen begierig das Blut aus den Leibern – kaum ein Tag bleibt den Ausgezehrten zum Sterben. Sie sind Opfer eines toten Mörders.
Das ganze Dorf könnte von dem Blutsauger ausgerottet werden, fürchten die Leute, und sie zwingen die zuständigen Behörden, das verdächtige Grab zu öffnen. Der österreichische Staatsapotheker Frombald, der zu jener Zeit in dem serbischen Grenzdistrikt tätig ist, überwacht die Leichenschau und protokolliert, daß von dem Körper kein Verwesungsgeruch ausging. Haare, Bart und Nägel schienen an dem Leichnam gewachsen zu sein, die alte Haut schälte sich ab, und darunter kam eine neue hervor. „Das Gesicht und der ganze Leib waren beschaffen, daß sie in seinen Lebzeiten nicht hätten vollkommener sein können“, notierte Frombald. Nicht ohne Erstaunen habe er im Mund des Untoten hellrotes Blut erblickt.
Und als der Pöbel immer ergrimmter wurde, habe man „in schneller Eil einen Pfeil gespitzet“ und dem blutrünstigen Mörder das Herz durchstochen. Bei dem Gepfählten sei nicht nur frisches Blut aus Ohren und Mund geflossen. Erst recht das „wilde Zeichen“ (das aufgerichtete Glied) des Peter Plogojowiz schürte den Zorn der selbsternannten Richter.
Gab es Vampire? Existieren sie noch? Noch immer ist der Mythos so mächtig, daß sich auch heutzutage einige Menschen für Vampire halten (siehe Kasten S. 204). In New York gründete der Soziologe Stephen Kaplan gar ein Vampire Research Centre, 615 menschliche Blutsauger will er in den USA ausgemacht haben, „echte“, wie er betont.
Das alles ist jedoch nichts im Vergleich zu jenem Gelehrtenstreit, den die legendären Blutsauger zwischen 1730 und 1770 an den Akademien in ganz Europa entfachten. Mit Schrecken mußte die Fachwelt damals zur Kenntnis nehmen, daß der Schatten des Vampirs immer mehr Regionen in Südosteuropa verdunkelte.
Zwar waren die Zeichen der Unverwesbarkeit den Pionieren der Blutsaugerkunde nicht gänzlich unbekannt. Nun aber unternahmen angesehene Mediziner, Theologen und Philosophen den aus heutiger Sicht hanebüchenen Versuch, diese „miracula mortuorum“ mit den Krankheitsmerkmalen der Lebenden in Einklang zu bringen. Doch eine medizinisch haltbare Erklärung für das Phänomen fand sich nicht.
Bis zum Herbst vergangenen Jahres, als Christian Reiter vom renommierten Institut für Gerichtsmedizin in der Wiener Sensengasse im Reich der Finsternis zu fahnden begann. Um der wahren Natur der Seuche in den ehemaligen Garnisonsdörfern auf die Spur zu kommen, studierte der Hobby-Vampirologe die vergilbten Dokumente der Regimentsärzte. Und er enträtselte – rund 270 Jahre nach den Ereignissen von Kisolova – ein Geheimnis, das in den verschnürten Akten des Wiener Hofkammerarchivs verborgen war.
Sorgfältig sind in den Schriften die Krankheitsmerkmale notiert, Bevölkerungsschichten vermerkt, die anfälliger als andere zu sein schienen, ja sogar Risikofaktoren aufgelistet. Schon im 16. Jahrhundert war die Lehre vom Kontagiösen (von den „ansteckenden“ Krankheiten) verbreitet, verschiedene Übertragungswege waren bekannt. Aber die Mediziner der damaligen Epochen ahnten noch nichts von Viren und Bakterien.
In Medwegya an der Morava wütete 1732 eine Epidemie, die in sechs Wochen 13 Opfer dahinraffte. Der österreichische Amtsarzt Glaser wurde in das Gebiet entsandt, um den merkwürdigen Seuchenpfad zu ergründen. Er bestätigte die aus Kisolova bekannten Symptome: Schreie, heftiges Zittern, Angst, höllisches Stechen in der Brust – endlich den Alptraum, der das Bild des wiederkehrenden Toten mit sich bringt. Der Puls wird schwächer, unstillbarer Durst plagt die Sterbenden, an Brust und Unterleib zeigen sich blaurote Flecken. Daß sie nach ihrem Tod selbst zu Vampiren würden, fürchteten die Opfer in ihrem Delirium.
Ursache der seltsamen Epidemie könnte nach der Theorie von Christian Reiter ein Bazillus gewesen sein, das die auf den Menschen übertragbare Tierseuche Milzbrand verursacht. Es wurde 1876 im Blut infizierter Schafe entdeckt. Die Indizien:
„Nur Viehzüchter und Bergleute, die in den ständig vom Krieg bedrohten Dörfern an der Grenze zur Türkei lebten, wurden von der Krankheit befallen – dort stationierte Soldaten hingegen nicht“, hat Reiter in den alten Berichten recherchiert.
Die Seuche trat in den Wintermonaten auf, wenn die Lebensmittel knapp wurden. „Die hungerleidende Bevölkerung war sogar auf den Verzehr von verendeten Tieren angewiesen“, fährt der Gerichtsmediziner fort. Auch auf die Kadaver von Schafen, die vermutlich das Milzbrandbazillus in sich trugen.
Hohes Fieber, rasanter Kräfteverfall, Krämpfe in Brust und Magen, Herzbeschwerden – eben jene Folgen der vermeintlichen Vampirattacke – zählen zu den Symptomen, wenn Milzbrandkeime verschluckt werden. Gelangen die Erreger zusätzlich in die Lunge, nimmt die Krankheit stets einen akuten Verlauf und endet unbehandelt nach kurzer Dauer tödlich.
Sind die Wahnvorstellungen der „Vampiropfer“ ebenfalls mit der Milzbrandhypothese zu vereinbaren? „Bei Atemwegserkrankungen kommt es durch die mangelnde Versorgung mit Sauerstoff zu einer Umnachtung des Geistes“, erklärt Reiter. „Die Opfer haben Beklemmungsgefühle, die den Eindruck vermitteln, jemand würde ihnen an den Hals gehen und sie würgen.“
Daß die nächtlichen Attacken damals nicht sofort als Aberglaube entlarvt wurden, ist wohl darauf zurückzuführen, daß die blutrünstigen Wiedergänger von ihren Opfern namentlich identifiziert wurden. Und was noch schwerer wog: Die Exhumierung strafte die Fiebernden nicht Lügen.
Christian Reiter ist Experte in Sachen Verwesung. Für ihn ist das Phänomen, daß Personen, die zu Lebzeiten mager waren, sich bei der Exhumierung als wohlgenährt oder fettleibig darstellen, eine geradezu klassische Verwesungserscheinung. Doch davon wußten die Mediziner in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch nichts.
Die „Leichenwunder“ sind durch Fäulnisgase zu erklären, die den Körper aufblähen. Auch das „wilde Zeichen“, der aufgerichtete Penis, beruht auf der Gärung. „Er wird ballonartig vergrößert und imponiert unerfahrenen Personen als Erektion“, fachsimpelt Reiter. Bei der Pfählung der „Vampire“ wurde blutfarbene Fäulnisflüssigkeit durch Nase und Mund aus der Lunge herausgepreßt.
Der Mythos von den Untoten in Serbien kennzeichnet die Geburtsstunde des blutsüchtigen Monsters Dracula. Denn auch dessen Schöpfer, der Schriftsteller Bram Stoker, studierte die Überlieferungen. Und er dichtete den Vampiren jene Attribute an, die sich für immer in die Köpfe der Menschen einbrennen sollten: Kein Spiegel vermag die Untoten zu reflektieren, sie mutieren zu Fledermäusen, die schwarz wie die Nacht vor den Fenstern ihrer Opfer flattern. (Quelle Focus)
Ansonsten bekommt man in Bibliotheken schon alte Bücher darüber, ebenso wenn man in Antiquariaten und in den Listen der Buchläden nachforscht...
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Auszüge aus dem „Terra X“-Buch „Schatzsucher, Ritter und Vampire“ (Heyne Verlag)