@joeW25Infektionskrankheiten führten zum Vampir-Aberglauben
Rätsel um vermeintliche Blutsauger gelöst. Zwei Dutzend Vampir-Friedhöfe in Österreich, Serbien, Mexiko und den USA sind bislang gefunden worden
Von Michael Grau
Göttingen - Sie steigen nachts aus ihren Gräbern und saugen anderen das Blut aus: Vampire. Sie scheuen das Licht, gehen Kreuzen aus dem Weg und mögen keinen Knoblauch. Reine Fantasie? Nicht nur, sagen die Professoren Frank Möbus und Thomas Crozier: "Ein Mythos, der sich so lange hält, funktioniert nur, wenn er in der Realität verwurzelt ist."
Seit sechs Jahren sind der Göttinger Biologe und Mediziner Crozier und der in Oldenburg lehrende Literaturwissenschaftler Möbus fachübergreifend den Wurzeln des Vampir-Glaubens auf der Spur. "Wenn vor Jahrhunderten ein Mitglied einer Familie starb und kurz darauf andere Familienmitglieder unter ähnlichen Umständen aus dem Leben schieden, dann grub man oft denjenigen, der zuerst gestorben war, wieder aus dem Grab aus", erklärt Crozier. "Man fand den Toten dann mit einem rosigem Gesicht und blutroter Flüssigkeit im Mund."
Diese Merkmale sind natürliche Verwesungserscheinungen, doch das war damals noch nicht bekannt. Die Menschen glaubten vielmehr, dass die Person noch nicht ganz tot sei. Er käme nachts heraus und fiele die Lebenden an. "Es hieß, ihm läuft noch die letzte Mahlzeit aus den Mund", berichtet Crozier. Entweichende Leichengase wurden als "Schmatzen" des Toten aufgefasst. Rätselhafte Todesserien in einer Familie würde man heute mit ansteckenden Krankheiten erklären. "Von Infektionen hatte man damals aber noch nicht die leiseste Ahnung", sagt Möbus.
Stattdessen ging man daran, den vermeintlichen Vampir im Grab unschädlich zu machen. Man schlug ihm einen Pfahl durchs Herz, trennte ihm den Kopf ab oder verbrannte die Leiche. Rund zwei Dutzend Vampir-Friedhöfe in Österreich, Serbien, Mexiko oder den USA sind laut Crozier und Möbus bisher gefunden worden. Forscher gruben dort gepfählte und geköpfte Skelette aus. Einige fand man mit gekreuzten Oberschenkelknochen auf der Brust. An den Knochen waren vereinzelt noch Spuren der Tuberkulose erkennbar.
Die deutlichste Spur führt ins Jahr 1732. Österreichische Chirurgen und Soldaten gingen damals einer Reihe verdächtiger Todesfälle im serbischen Medvegia nahe der türkischen Grenze nach und fanden angeblich sichere Beweise für Vampirismus. Historische Rekonstruktionen ergaben, dass um 1720 in Südosteuropa eine Tollwutepidemie wütete, der zahlreiche Menschen und Tiere zum Opfer fielen. Tollwut wird unter anderem durch Bisse übertragen.
Die Berichte aus Serbien lösten eine regelrechte Flut von populären und gelehrten Schriften über die Blut saugenden Untoten aus - sehr zur Verärgerung der Kirche. Vielen einfachen Dorfgeistlichen aber kam der Vampirismus ganz recht: Sie nahmen nun Teufelsaustreibungen an vermeintlichen Vampiren und ihren Opfern vor und ließen sich dafür bezahlen. Kreuze und Hostien gehörten bald zur Standardausrüstung jedes Vampirjägers.
Im Jahr 1797 führte kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe den Vampir in die Literatur ein. In seiner kirchenkritischen Ballade "Die Braut von Korinth", in der eine Untote ihren Bräutigam verführt, würzte er den Vampir-Stoff mit einem kräftigen Schuss Erotik. Auch andere Dichter schildern den todbringenden Biss des Vampirs fortan als lustvoll. Möbus sieht darin ein Symbol für die Geschlechtskrankheit Syphilis, die sich im 18. und 19. Jahrhundert über Bordelle ausbreitete.
Erst der irische Schriftsteller Bram Stoker (1847-1912) verband 1897 den Vampirismus mit einer geschichtlichen Figur, dem rumänischen Fürsten Vlad Tepes (1431 bis etwa 1476). Er trug den Beinamen "Draculea" (Drache) und wurde als "Graf Dracula" eine der bekanntesten Figuren in Film, Literatur und Kunst. Seit 1984 beobachtet Möbus eine regelrechte Renaissance des Vampir-Stoffes. Für ihn kein Zufall: Damals wurde die Immunschwächekrankheit Aids in der Öffentlichkeit bekannt.
Quelle: welt.de