Der Exorzismus von Emily Rose
25.11.2005 um 17:42
Hier noch ein Ausschnitt aus der Bewertung des Films durch die Deutsche Bischofskonferenz:
"Der Film ist ein handwerklich akzeptabler Unterhaltungsfilm, der weitergehende Fragen anstoßen will. Er enthält zwar auch typischeHorrorelemente, ist aber nicht effekthascherisch. Im Vergleich zu „Der Exorzist“ (1974) ist dieser Film eher dezent in der Darstellung der Präsenz des Bösen. Die klassischen darstellerischen Mittel des Horrorfilms (Nachtszenerie, Blitz und Donner, bedrohliche Geräusche, schlagende Türen, Gegenstände, die sich bewegen, zu Fratzen verzerrte Gesichter) werden eingesetzt, aber sie stehen nicht im Vordergrund. Die Szenen der Besessenheit sind erschreckend, bleiben aber im Rahmen des Genres erkennbar zurückhaltend. Emily Rose zeigt Verrenkungen der Gliedmaßen, sie isst Insekten und Ungeziefer, sie spricht mit anderer Stimme und in anderen Sprachen, aber diese Szenen bleiben auf Rückblenden beschränkt und sind nicht vergleichbar mit den spektakulären Szenen in „Der Exorzist“.
Auch wenn sich der Film auf einen historisch belegten Fall beruft, ohne diesen im Vorspann konkret zu benennen, bleibt er doch in erster Linie ein Unterhaltungsfilm. Er enthält zwar Realitätselemente, gibt aber ebenso viel Erfundenes dazu und übernimmt – trotz aller Bemühungen, anders sein zu wollen als gängige Horrorfilme – viele Klischees und Darstellungselemente des Genres. Niemand wird ernsthaft unterstellen, dass ein Kriminalfilm die Wirklichkeit der Polizeiarbeit getreu darstellt und sei es nur, weil jeder Zuschauer weiß, dass in der Realität nicht jeder Täter gefasst wird. So ist auch nicht zu erwarten, dass der Film das Thema Besessenheit und den Umgang der Kirche mit dem Thema Exorzismus in jeder Hinsicht realitätsnah und erschöpfend darstellt.
Die Parallelen zum Fall der Studentin Anneliese Michel sind für den mit dem Fall vertrauten Zuschauer erkennbar, aber nicht so weitgehend, dass man dem Film auch nur ansatzweise einen dokumentarischen Zugriff zusprechen könnte. Eine wichtige Quelle war zweifellos das Buch der Anthropologin Felicitas Goodman, die ein Buch über den Fall Klingenberg veröffentlicht hat und im Vorspann des Films als Beraterin genannt wird. Im Film selbst ist ihre Position in der Figur der Anthropologin vertreten. Allein die Verlagerung der Geschichte nach Amerika und viele Änderungen sind ein Indiz für die freie Bearbeitung: Emily Rose ist mit 19 Jahren jünger als das historische Vorbild, nur ein Priester führt den Exorzismus durch, beim Exorzismus ist ein Arzt anwesend usw. Eine gravierende Abweichung zum Fall Anneliese Michel besteht darin, dass der Exorzismus nicht über Monate hinweg mehrfach durchgeführt wird. Vielmehr wird im Film von dem Pfarrer nur ein Versuch unternommen, der zudem noch abgebrochen wird. Danach gibt es keine weiteren Exorzismen mehr, weil
der Pfarrer sagt, Emily Rose habe dies verweigert und er habe nicht gegen ihren Willen handeln können. Reine Erfindung sind die Spukphänomene, die die Verteidigerin bedrängen oder der mysteriöse, offenbar von Dämonenhand verursachte Tod eines Zeugen. Es geht nie um Faktentreue, sondern um eine effektvoll erzählte Geschichte.
Thematisch geht es zentral um die Frage, was an dem Phänomen der Besessenheit dran ist. Dabei ist die Strategie des Films nicht eine Anklage des Kirchenvertreters. Vielmehr wird mit dem Verlauf des Films zunehmend die Option gestützt, dass es übernatürliche Phänomene tatsächlich geben kann. Den Standpunkt, den der Film einnimmt, kennzeichnete der Kritiker der New York Times zutreffend als „unwahrscheinliche Verbindung von postmodernem Relativismus und absolutem Glauben gegen die angebliche Tyrannei eines wissenschaftlichen Empirismus, der als engstirnig und dogmatisch dargestellt wird“. Die Vertreter einer Position, die allein auf wissenschaftliche Erklärung setzt, kommen im Film am schlechtesten weg. Perspektiventrägerin und Identifikationsfigur für den Zuschauer ist eindeutig die Verteidigerin, die sich zu Beginn als Agnostikerin bezeichnet, sich im Verlauf des Films aber immer mehr der Position des Pfarrers annähert, ohne sie am Ende voll zu teilen. Immerhin setzt sie sich dafür ein, die Position des Glaubens unter Umständen auch gegen die Wissenschaft zumindest als denkbare Option offenzuhalten. Auch das Urteil der Richterin unterstreicht die Offenheit. Der Pfarrer ist schuldig im Sinne der Anklage, aber er darf den Gerichtssaal als freier Mann verlassen, weil seine Schuld letztlich als gering eingestuft wurde. Für den Zuschauer bleibt es offen, wie er sich entscheidet. Allerdings wird durch die Sympathielenkung und die prägenden Eindrücke der Besessenheitsszenen eine Position, die sich auf eine rein wissenschaftliche Erklärung stützt, nicht als gleichwertige Option dargestellt. Nur an einer Stelle gibt es eine Irritation, die sich auch über das Bild vermittelt. Wenn der Pfarrer von den Stigmata erzählt, sind die Hände Emilys mit den Wundmalen im Bild sichtbar. Wenn der Staatsanwalt die Gegenhypothese aufstellt, sie habe sich nur am Stacheldraht verletzt, wird auch diese Deutung im Bild dargestellt. Ein Hauptproblem des Films besteht darin, dass er einen Anspruch erhebt, den er letztlich aber nur unzulänglich einlösen kann. Eigentlich ist schon der Titel des Films irreführend, denn letztlich spielt der Exorzismus als Ritual eine untergeordnete Rolle.
Es wird zwar viel darüber diskutiert, aber als das Tondokument vorgelegt wird, stellt sich heraus, dass es nur einen gescheiterten Exorzismus gab. Dieser wurde von einem Arzt, den der Pfarrer hinzugezogen hatte, überwacht. Weitere Versuche gab es nicht, da Emily dies ablehnte. Die eigentliche Frage ist also nicht, ob der Exorzismus für den Tod verantwortlich ist, sondern ob der Pfarrer Schuld auf sich geladen hat, als er Emily empfahl, die Medikamente abzusetzen. Offen bleibt, ob darin die Ursache für ihren Tod zu sehen ist, weil selbst der Arzt, der ihr das Präparat verschrieb, keine eindeutige Diagnose stellen konnte. Die Lösung, die der Film anbietet, liegt darin, dass Emily selbst eine weitere Behandlung und weitere Exorzismen verweigert hat, weil sie nach der Marienerscheinung ihr Schicksal angenommen hatte: sie war davon überzeugt, dass sie mit den Dämonen kämpfen muss, um der Welt ein Zeugnis zu geben, dass ein „spirituelles Reich“ existiert. Warum aber Menschen, die Gott für tot halten, ausgerechnet dadurch zur Umkehr bewegt werden sollen, dass man ihnen – wie es Emily in ihrem Brief schreibt – den Teufel zeigt, bleibt letztlich nicht nachvollziehbar. Außerdem unterläuft der Film diese Argumentation selbst. Einerseits will er Emily zu einer Heiligen hochstilisieren, die ihr Martyrium angenommen hat, um ein Zeichen zu setzen, und wertet damit den Fall zu einem außergewöhnlichen Ereignis auf. Andererseits macht er die Einmaligkeit des Falles zunichte, weil die Dämonen des Films fast jeden angreifen, der in den Fall involviert ist. Der Pfarrer hat nächtliche Spukerscheinungen um drei Uhr ebenso wie die Verteidigerin. Der Arzt, der Zeuge des gescheiterten Exorzismus war, wird nicht nur von Dämonen verfolgt, sondern von ihnen umgebracht. Damit konzentriert sich der Film aber nicht mehr auf die Frage nach der Wahrheit in dem ungewöhnlichen Fall der Emily Rose, sondern bedient sich gängiger Klischees aus dem Horrorfilm-Genre. In diesem sind einfache dualistische Weltbilder an der Tagesordnung und die Armeen des Bösen – ob Dämonen oder gefallene Engel – sind die stets präsente dunkle Gegenwelt, die sich an allen möglichen Stellen in die Alltagsrealität einmischt.
Bonn, den 16.11.2005/ Dr. Peter Hasenberg"