Gibt es Menschen die verflucht sind?
20.11.2015 um 18:20
Ich sehe in der Geschichte weder einen Fluch, noch sonderlich Ungewöhnliches.
Diese Tante verlor frühzeitig ihren Vater. Das ist zwar traurig, aber nicht ungewöhnlich. Und es passiert Millionen von Menschen.
Manche verlieren beide Eltern, gleichzeitig. Kommt leider bei Unfällen vor.
Habe ich selbst bei Bekannten miterlebt. Sehr, sehr traurig und traumatisch, aber keine Hexerei.
Dann heiratet sie, wird schwanger und hat einen Stromunfall. Nichts Ungewöhnliches. Die meisten Unfälle passieren zu Hause. Jeder von uns hatte bestimmt schon mal ungewollten schmerzhaften Stromkontakt, auch wenn nicht jeder von uns dabei schwanger war.
Aber Schwangerschaften und Unfälle aller Art gibt es haufenweise, weltweit garantiert millionenfach. Es ist daher nichts Außergewöhnliches, wenn beide Vorkommnisse auch einmal gemeinsam vorkommen.
Im Gegenteil, es wäre verwunderlich, wenn das nie passieren würde.
Es gibt durchaus Bedingungen, die den Zufall, bestimmte Unfälle zu erleiden, gerade zu vervielfachen.
Je mehr Autofahrer, umso höher die Wahrscheinlichkeit eines Autounfalles.
Je mehr Flugzeuge, umso höher die Wahrscheinlichkeit eines Flugzeugunglücks.
Ohne Autos und Flugzeuge keine Autounfälle oder Flugzeugunglücke.
Deswegen sind wir wegen dieser Neuerungen aber auch nicht verflucht.
Usw.
Als in früheren Zeiten Menschen noch ihre Wäsche an ungesicherten Bach- und Flussufern in allen Jahreszeiten wuschen, sind sie in erstaunlicher hoher Anzahl ausgerutscht, ins Wasser gefallen, und dort, weil sie noch Kleidung aus Wolle oder Leinen anhatten, die sich ganz schnell vollsogen und sehr, sehr schwer wurden, untergegangen und ertrunken.
Waren die alle verflucht? Oder Opfer ihrer Umstände?
Usw.
Ja, es gibt Frauen, die verlieren ihr Kind bereits während der Schwangerschaft durch einen Unfall.
Es wäre möglich, dass das Ungeborene durch den Unfall geschädigt worden wäre, aber auch das ist kein Fluch, sondern eben eine Konsequenz des Unfalls. Unfälle können gut, glimpflich, schlimm oder tödlich ausgehen.
Als nächstes verlässt sie ihr Mann, uns wird nicht verraten, warum. Bleiben mir also eigene Überlegungen. Eine davon ist, dass in den meisten Fällen, in denen Ehen/Beziehungen durch schwere Probleme wie früher Kindstod oder ein behindertes Kind außerordentlich belastet werden, zerbrechen diese Ehen daran. Und in den allermeisten Fällen ist es der Mann, der sich aus der Misere schleicht und seine Familie im Stich lässt.
Der Eindruck, man sei persönlich verflucht, entsteht auch, weil man die eigene individuelle Situation nicht im größeren statistischen Zusammenhang sieht. Wenn einem nicht bewusst wird, dass man eben nicht die einzige Person ist, der Pech widerfährt. Es gibt sogar Menschen, die haben noch viel mehr Probleme. Sind obendrein arm, verkrüppelt, Flüchtlinge, ja, denkt nur mal an die Flüchtlinge - sind die alle "verflucht"?
Wenn man sich als ein sieben Milliardstel unter sieben Milliarden Menschen auf dieser Welt sieht, und noch die Vergangenheit bedenkt, dann relativiert sich das eigene Unglück doch sehr schnell.
Ja, man möchte eigentlich meinen, dass man als Lebender, dem es obendrein hierzulande einigermaßen bis richtig gut geht, doch wohl eher gesegnet wäre.
Ist zwar kein Trost, sollte aber den dummen, angsteinjagende Gedanken an einen Fluch vertreiben.
Ich sage jetzt nicht, diese Menschen nehmen sich zu wichtig, aber ich sage, sie sehen die Ereignisse, die ihnen unterkommen, in einem viel zu engen Rahmen. Und sie befürchten hinter jeder Handlung ein gegen sie gerichtete Absicht.
Und das nur pessimistisch, dh, sie sehen nicht auch die guten Dinge ihn ihrem Leben. Die nehmen sie eher für selbstverständlich.
Ich bin mir sicher, die Tante war glücklich, als sie heiratete und als sie schwanger war. Ich bin mir auch sicher, sie hat viele andere gute Dinge und nette Menschen in ihrem Leben, die sie aber vor lauter Konzentration auf die negativen nicht sieht.
Das ist ein durchaus auch paranoid, panisch, depressiv, wenn auch in unterschiedlich starker oder bescheidener Ausprägung. Was zum Glauben, verflucht zu sein, oder zu erhöhten Ängsten, führt, ist kein Fluch, sondern auf der einen Seite das eigene Temperament, die eigene Gemütslage, das eigene Bewusstsein, das eigene mehr oder minder schwache Selbstwertgefühl.
Und auf der anderen Seite die Folge von "Denkfehlern" unseres Gehirns, bekannt als selektive Wahrnehmung, die kombiniert mit überhöhter Erwartungshaltung, dann zu einer total verzerrten Wahrnehmung oder gar Paranoia führt.