Kann man da Mitleid haben?
30.09.2012 um 11:20
Es gibt auch noch eine Reihe Gründe, warum man sich gegen in manchen US-Gefängnissen vorhandene, mehr als schlimme Behandlung aussprechen sollte.
Ich gebe zu bedenken:
1. Immer wieder stellt sich heraus, dass Menschen unschuldig einsaßen, teils Jahrzehnte lang. Für Verbrechen wie Mord, Kindesmissbrauch etc., welche sie niemals begangen haben. Trotzdem mussten sie auch als Unschuldige unter den teils verdammt brutalen Knastbedingungen leiden.
Diejenigen, welche Zustände in Gefängnissen, die schon der Folter und Verletzung der Menschenwürde gleichen, diejenigen, welche solche Zustände befürworten, sollten sich ganz genau fragen, inwieweit es gerechtfertigt ist, auch unschuldige Menschen so leiden zu lassen, da sie alle gemeinsam in einen Topf geworfen werden.
Sie sollten sich fragen, wie sie selbst sich fühlen würden, wenn sie wegen Kindesmissbrauch, obwohl unschuldig, im Knast landen und dort von den anderen Insassen halb tot geschlagen, gefickt oder erpresst werden.
Weil sie ja angeblich ,,Kinderschänder" sind.
Welch ein Gefühl muss das sein, wenn man unschuldig ist?
2. Eine andere Sache - vielleicht ist man nicht unschuldig. Aber welches Verhältnis von Straftat und Strafe ist denn gerechtfertigt? Ist es gerechtfertigt, einen einfachen Dieb oder einen wegen einfacher Körperverletzung verurteilten Menschen lebenslang hinter Gitter zu werfen, zusammen mit Dealern, Schlägern, Mördern und Vergewaltigern?
Nein?
Nun, in gut 25 Bundesstaaten der USA, in denen einige der härtesten und schlimmsten Gefängnisse der Vereinigten Staaten stehen, beispielsweise das Pelican Bay State Prison in Kalifornien, gilt das so genannte ,,Three strikes law".
Was heisst das? Es heisst, dass nach der dritten Straftat lebenslange oder mindestens jahrzehntelange Haft verhängt werden kann und oft auch wird.
Es heisst, dass man auch dann, wenn man 3 Mal etwas geklaut hat, aber nie gewalttätig war, nie jemandem ernsthaft geschadet hat, für Jahrzehnte mit Mördern, Großdealern und skrupellosen Schlägern zusammen in Haft kommt. Die einen möglicherweise auch fertigmachen.
Ist das gerechtfertigt? Sollen auch solche im Prinzip ,,kleinen Fische" unter härtesten Haftbedingungen leiden?
3. Entscheidet man sich zu einem Bekenntnis für die Menschenrechte, dann muss man diese entweder ganz oder gar nicht annehmen.
Menschenrechte nur für die, welche sich ,,korrekt" verhalten, sind wertlos, sie sind schöne Illusion und Bauchpinselei. Dann sind das Schönwetterrechte und man kann sich das Bekenntnis oder die Hochhaltung komplett schenken. Mit den Folgen, dass wieder das gute, alte Recht des Stärkeren überall gilt und der moralische Entwicklungsstand um ein paar Jahrhunderte zurück fällt.
Auch ich habe keine Sympathie für möglicherweise sogar mehrfache, tatsächliche Mörder.
Aber ich finde, wer sich als zivilisierten Menschen bezeichnen und sich zu Menschenrechten bekennen will, der muss auch akzeptieren, dass diese IMMER und bei ALLEN Menschen gelten.
Spricht man den Straftätern das Menschsein ab (,,die sind schlimmer als Tiere und verdienen es also noch schlechter"), dann begibt man sich übrigens auf die Schiene, welche im Laufe der Geschichte immer wieder Gewaltherrscher für die Vernichtung oder Versklavung anderer Menschen benutzten.
,,Die Juden sind keine Menschen, deshalb dürfen und müssen sie vernichtet werden...";
,,Die Nigger sind keine Menschen, deshalb dürfen sie versklavt und verkauft und geschlagen werden...";
,,Das Volk XY besteht nur aus Wilden, das sind keine Menschen, also dürfen wir sie auch ausrotten...";
Will man sich wirklich auf diese Schiene begeben? Man mag mir jetzt vielleicht entgegenhalten, dass ich übertreiben würde, schließlich ginge es ja nicht um industrielle Vernichtung oder Versklavung und überhaupt, dies beträfe doch nur ganz, ganz schlimme Menschen, wenn man dafür ist, dass diese es im Knast so schwer, wie möglich, haben.
Dem muss ich widersprechen: Doch, es ist genau das gleiche Prinzip der Entmenschlichung, um unmenschliches Verhalten und den Entzug von Menschenrechten wie z.B. körperlicher Unversehrtheit zu legitimieren.
4. Vielleicht möchten manche nicht die rechtlich-moralische Seite bemühen, sondern die religiöse?
Gerade in den USA hat das Christentum in vielen Facetten einen hohen Stellenwert. Die Leute gehen häufiger in die Kirche, beten, feiern Gottesdienste, messen ,,christlichen Werten" eine hohe Bedeutung bei.
Im Christentum ist es nicht an den Menschen, zu verurteilen, Rache zu nehmen, gar zu foltern und zu erniedrigen.
Das Christentum begann mit den Lehren Jesu. Zu diesen Werten gehört ganz elementar Gerechtigkeit, aber auch Mitleid und Vergebung.
Die Gerechtigkeit, die in den Händen der Menschen liegt, ist jene, dass sie andere Menschen zu deren und zum Schutz Unschuldiger von diesen fern halten dürfen. Wer eine Straftat begeht, kann und darf eine angemessene Sanktion erhalten.
Was darüber ist, ist die Angelegenheit Gottes. Ich denke, Menschen, die sich wirklich als Christen bezeichnen möchten, sollten die Entscheidung über Leben und Tod und besonders harte Strafen Gott überlassen.
Zum Thema Mitleid und Vergebung bleibt zu sagen, dass ohne diese Fähigkeiten aus meiner Sicht kein wahrer Christ auskommt. Denn Mitleid und Vergebung befreien von den Gefühlen des Hasses, der Rache und der Angst, unter denen man sonst bewusst oder unbewusst leidet und von denen man gehindert wird in seinem Leben und seiner Entwicklung.
Keine noch so schlimme Behandlung eines Kriminellen kann dessen Verbrechen ungeschehen machen. Wohl aber kann sie dazu führen, dass wir unsere eigene Menschlichkeit verlieren.
Deshalb denke ich, dass auch aus christlich-religiöser Perspektive sich wirkliche Christen gegen Todesstrafe oder Behandlungen von Straftätern aussprechen sollten, die schon an Folter und unmenschliche Zustände grenzen.
5. Auch rein von der praktischen Seite aus betrachtet ist es sehr kontraproduktiv, Menschen möglichst brutal im Knast zu behandeln, indem man sie 23 Stunden am Tag in Einzelzellen sperrt, ihnen jegliche Kontaktmöglichkeit mit anderen Menschen vorenthält, jede Beschäftigungsmöglichkeit nimmt, das Licht dauernd brennen lässt.
Denn dies macht die Betreffenden verrückt. Menschen kommen ohne sinnlichen Input nicht klar, sie können dabei wahnsinnig werden.
Und sie neigen mit der Zeit häufiger dazu, irgendwas zu tun, nur um etwas Rückmeldung und Aufmerksamkeit zu bekommen.
Wenn sie zum Duschen aus der Zelle geholt werden oder zu einem Gespräch mit der Gefängnisleitung, ist die Gefahr deutlich höher, dass sie die Wärter angreifen. Oder bei einem kurzen Kontakt mit dem Wärter, der das Essen bringt, bewerfen sie ihn mit Fäkalien oder greifen mit selbst gebastelten Waffen durch den Türschlitz an.
Vielleicht begehen sie auch scheinbare Selbstmordversuche, essen Klingen oder machen sonstwas, um in ärztliche Behandlung zu kommen.
Nicht etwa, weil sie schon vorher besonders gewalttätig waren, die Wärter hassen würden, krank im Kopf sind oder wirklich sterben wollen.
Sondern sie tun es allein deshalb, damit mal wieder irgendwas in ihrem Leben geschieht.
Damit sie sinnliche Wahrnehmungen haben, statt nur die eine Armlänge entfernte Mauer anstarren zu können.
Durch den Gedanken von besonders harter Behandlung, der von blinder Rache getrieben ist, macht man die Leute nicht zu besseren, sondern zu schlimmeren Menschen, man zerstört sie und erhöht ihre Gefahr immens für das Gefängnispersonal, aber auch für Mithäftlinge, sollten die Betreffenden mal wieder in gemeinschaftlichere Räume kommen. Auch die Gefahr für unschuldige Menschen, wenn die besonders hart behandelten Häftlinge doch einmal wieder entlassen werden nach meinetwegen 10 Jahren, steigt enorm.
Mit solchen Methoden wie Reizentzug und Einzelhaft nimmt man den Leuten häufig letzte, moralische und menschliche Skrupel, es ist ein geistiger Tod.
Ohne jede positive Folge.
Entweder macht man reinen Tisch und führt gleich die Todesstrafe aus (wohlgemerkt: gleich ausführen und nicht erst 15 Jahre später) oder aber man realisiert, dass es falsch ist, Menschen unter folterartigen Haftbedingungen zu halten.
Das sind meine Hauptgründe, die ich anführen würde gegen gewollt besonders brutale, folterartige, unmenschliche Haftbedingungen.