Habt ihr als Kind auch den Hintern versohlt bekommen und wenn ja, leidet ihr heute als Erwachsener darunter bzw. was hat das aus dir gemacht?
Als Kind habe ich ständig Schläge bekommen, von meiner Mutter einmal derart heftig mit einem Kochlöffel, dass sie hinterher tagelang eine Handgelenkmanschette tragen musste. Auch mein Vater, er war selbstständiger Friseurmeister und kam abends auf die Minute genau um 18.20 Uhr nach Hause, hat mich regelmäßig geschlagen. Meist wegen schlechter Noten, ab einem „ausreichend“ knallte es und ich bin in der siebten Klasse sitzen geblieben und musste, weil es im Wiederholungsjahr auch nicht viel besser lief, das Gymnasium verlassen. Jeder Schulversager (wie ich) kann sich jetzt ja mal ausmalen, wie oft ich vermöbelt wurde. Und wie oft ich zitternd auf die Uhr gesehen habe, wie lange es noch dauerte, bis mein Vater nach Hause kam.
Meine Mutter war (und ist) im Herzen eine liebe Frau, die viel mit mir übte und es gut mit mir meinte, auch wenn sie tatsächlich glaubte, mich (auch) mit Schlägen auf den rechten Pfad bringen zu können, damit im Leben ja was aus mir wird. Mein Vater hingegen hatte einfach keine Lust sich mit meiner Entwicklung zu befassen, er glaubte wohl, dass seine Schläge das „Kümmern“ ersetzen könnten.
So habe ich ein ambivalentes Verhältnis zu meinen Eltern entwickelt.
Erstmal bin ich schnellstmöglich nach meiner Ausbildung, einer Verwaltungslehre, die stand ganz im Gegensatz zu den Plänen meines Vaters, der mich, mit Blick auf die Geschäftsnachfolge, unter Androhung von allem Möglichen bis hin zur Enterbung (prügeln konnte er mich in dem Alter nicht mehr) zwingen wollte, den Friseurberuf zu erlernen, ausgezogen.
Meine Eltern hatten ein Zweifamilienhaus mit einer freien Wohnung, nachdem die Großeltern verstorben waren, die war nach ihren Vorstellungen in so einem "Generationenvertrag" für mich „reserviert“.
Wiederum ganz entgegen ihren Erwartungen machte ich mich heimlich auf und ersteigerte ein ausgebautes Wochenendhaus, für kleines Geld, baute es mir zurecht, richtete mich ein und lebte dort eine Zeitlang. Noch heute gehe ich jedes Jahr einmal zu diesem Ort meiner ersten Freiheit, stehe vor dem inzwischen stark heruntergekommenen Häuschen, das immer noch meinen gelben Farbanstrich hat …und genieße in Gedanken eine Prise von …FREI-SEIN.
Was das Verzeihen anbelangt, habe ich meiner Mutter schnell verzeihen können, meinem Vater allerdings erst auf dem Sterbebett nach seinem zweiten, gleich darauf tödlichen Herzinfarkt, als ich mitten in der Nacht „last Minute“ zu ihm ins Krankenhaus eilte, ihn in seiner totalen Hilflosigkeit in diesem weißen Hemdchen vor mir sah, und er das erste Mal für mich spürbar herzlich meine Hand nahm …, und na klar… niemand kann aus seiner Haut, mir unter Abnahme eines Ehrenworts noch ein paar Aufgaben, meine Mutter und den Familienbesitz betreffend, übertrug.
Mein Sohn kam behindert zur Welt, er hatte körperliche und geistige Einschränkungen, lernte erst mit drei Jahren mehr recht als schlecht laufen, wurde hinsichtlich der Einschulung zweimal zurückgestellt und blieb im Rahmen seiner Schulkarriere noch zweimal „sitzen“, verlor also viel Zeit.
Geht man nach dem psychodynamischen Modell von Freud, hat er aus jeder Entwicklungsphase des Kindes mehrere unverarbeiteten Konflikte angesammelt, die sich, auch nachdem sich seine intellektuellen und körperlichen Probleme inzwischen auf geradezu wundersame Weise nahezu erledigt haben (er hat vor kurzem einen ordentlichen Berufsabschluss gemacht), in Verhaltensweisen ausdrücken, die ihn in unserer Welt zu einem Sonderling abstempeln, wenn auch in der Form eines viel zu rücksichtsvollen liebenswerten Menschen, worin er mir ein Vorbild geworden ist, was für ihn aber immer wieder auch zu Enttäuschungen führt.
Bei allem, was ich hier gelesen habe, kann ich jedem nur sagen, dass er erstmal froh und dankbar sein soll, wenn sein Kind gesund auf die Welt kommt, und dass es schlimmeres gibt, als renitenter Nachwuchs. Die Sau rauslassen und den Besuch anspucken, das gehört einfach mit dazu.
Die Moral von meiner Geschicht`: Erziehungsproblematiken beinhalten Wachstumschancen für beide Seiten, nicht nur für Kinder …auch für Eltern.