Wie fühlt sich ein Delinquent kurz vor der Exekution?
20.07.2011 um 17:24
Kann man sich ja mal durchlesen ;)
Warten auf die Hinrichtung
Die Grausamkeit der Todesstrafe beschränkt sich nicht auf den tatsächlichen Moment der Hinrichtung. Schon die Erfahrung, in der Todeszelle auf die eigene Hinrichtung warten zu müssen, ist grausam und unmenschlich und kann nicht durch die Entwicklung humanerer Exekutionsmethoden aufgewogen werden. Der Verurteilte wird lange vor der Hinrichtung gezwungen, mit der Vorstellung zu leben, an einem festgesetzten Tag exekutiert zu werden. Im Laufe des gesamten Berufungsverfahrens steht er vor der quälenden Zerreißprobe zwischen Lebenswillen und Hoffnung einerseits und der Notwendigkeit andererseits, sich auf den möglicherweise drohenden Tod vorzubereiten. Dieser Konflikt kann dazu führen, daß Gefangene eine Einstellung ihres Berufungsverfahrens und -- als eine Art von Selbstmord -- die Vollstreckung des Todesurteils fordern.
Zum Tode verurteilte Gefangene werden wie Menschen ohne Zukunft behandelt. Oft hält man sie von den übrigen Gefängnisinsassen isoliert in besonderen Zellen fest, die in einigen Ländern Todestrakt genannt werden. Die lange Isolation und erzwungene Einsamkeit machen das Warten auf die Hinrichtung nur noch quälender.
Ein Kriminologe, der 1978 mit 35 Todeskandidaten im US-Bundesstaat Alabama ausführliche Gespräche Kihrte, fand heraus, daß sich viele sehr intensiv mit dem Gedanken der Hinrichtung befaßten. Sie malten sich in allen Details die Funktionsweise des elektrischen Stuhls und die Auswirkungen der Stromstöße auf ihren Körper aus. Sie fragten sich, wie sie sich auf dem Weg zum Hinrichtungsraum verhalten würden, ob sie zusammenbrechen, ob die Stromstöße Schmerzen verursachen oder welche Erinnerungen die Hinrichtung bei ihren Familienangehörigen auslösen würde. Viele Gefangene waren von diesen Gedanken besessen, einige hatten immer wiederkehrende Alpträume, in denen sie ihre eigene Hinrichtung in allen Einzelheiten durchlebten.
Nach den Erfahrungen des Wissenschaftlers verschlechterte sich der Kontakt des Gefangenen zu seiner Familie und zu seinen Freunden angesichts der zu erwartenden endgültigen Trennung und aus dem Gefühl heraus, daß weitere Kontakte sinnlos seien. Dieser Kontaktverlust zur Außenwelt und die Isolation in den Todestrakten verursachten bei den Verurteilten ausgeprägte Gefühle der Ausgrenzung, was schließlich zum Tod der Persönlichkeit führt. In einigen Fällen vollzog sich dieser Prozeß lange vor der Hinrichtung. Der Zustand war durch schwere Depressionen, Apathie, Realitätsverlust sowie durch eine Verschlechterung sowohl der körperlichen als auch der seelischen Verfassung gekennzeichnet.
Ähnliche Berichte wurden auch aus anderen Ländern bekannt, so beispielsweise aus Jamaika, wo normalerweise viele Jahre zwischen der Urteilsverkündung und der Ausschöpfung aller Rechtsmittel vergehen. Dort sollen zahlreiche Todestraktinsassen schwer geisteskrank oder depressiv geworden sein, einige sogar Selbstmord verübt haben. Im November 1986 fand man kurz hintereinander zwei Männer, die beide bereits mehr als fünf Jahre im Todestrakt inhaftiert gewesen waren, in ihren Zellen erhängt auf.
Am 30. April 1988 verübte der 1981 zum Tode verurteilte Ronald Holmes offensichtlich Selbstmord. Nach der Ausstellung eines Hinrichtungsbefehls im Februar 1987 soll er schwer depressiv geworden sein. Damals hatte er neun Tage in einer besonderen Todeszelle verbracht und auf seine Hinrichtung gewartet, bevor ihm einen Tag vor der geplanten Exekution Vollstreckungsaufschub gewährt wurde.
Die Haftbedingungen im Todestrakt können die in sich grausame, unmenschliche und erniedrigende Erfahrung, unter einem Todesurteil zu stehen, noch verstärken. Der Oberste Gerichtshof von Trinidad und Tobago bezeichnete 1987 die Haftbedingungen, unter denen die beiden Kläger -- zwei zum Tode verurteilte Häftlinge -- seit mehr als zehn Jahren festgehalten worden waren, als erschreckend barbarisch.
Der Todestrakt im Gefängnis von Port-of-Spain bestand aus zwei Reihen einander gegenüberliegender schmaler Zellen -- unmittelbar in der Nähe des Galgens. Offensichtlich sollten dort Gefangene untergebracht werden, deren Hinrichtung kurz bevorstand. Infolge der langen Dauer der Berufungsverfahren blieben dort viele Insassen jedoch jahrelang inhaftiert. Die einzelnen Zellen maßeri nur etwa drei Meter mal zwei Meter und waren durch das Bett, einen Tisch und einen Toilettenkübel bereits weitgehend ausgefüllt. Ein Gefangener klagte, er könne in seiner Zelle nur jeweils zwei Schritte machen. Die Häftlinge verbringen etwa 23 Stunden pro Tag in ihren Zellen und dürfen sich nur für eine Stunde mit angelegten Handschellen in einem kleinen Hof im Freien bewegen.
Ein Psychiater, der Gefangene im Todestrakt in Trinidad und Tobago behandelt hat, erklärte in einer beeidigten Aussage vor Gericht, er sei der Meinung, daß die langjährige Inhaftierung unter solchen Bedingungen psychologische Veränderungen depressiver und euphorischer Art verursacht. Die Inhaftierung auf so engem Raum führt unvermeidbar zur Klaustrophobie und oft zu chronischen Angstzuständen und Depressionen. Die Gefangenen werden teilnahmslos und verlieren möglicherweise ihren Lebenswillen. Eine langjährige Unterbringung in einer kleinen Zelle, die auch in der Nacht beleuchtet ist, kann als eine Form seelischer Folter angesehen werden.
Aber auch dort, wo die Haftbedingungen keinerlei Anlaß zur Beanstandung geben, steigert eine lange Wartezeit die Qualen und das Leiden der zum Tode Verurteilten. So legte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Folter der Menschenrechtskommission 1988 einen Bericht vor, in dem es hieß: Wenn zum Tode verurteilte Menschen lange Zeit in der Ungewißheit leben müssen, ob das Urteil vollstreckt wird... so kann das seelische Leiden zu ernsten mentalen Schäden führen, was wiederum oft schwere körperliche Schäden zur Folge hat... Es ist zu fragen, ob eine solche Situation mit der Achtung vor der Würde des Menschen und seiner körperlichen und geistigen Unversehrtheit vereinbar ist.
Einige Gefangene befanden sich viele Jahre in der Todeszelle, bevor sie hingerichtet wurden. Der im Juli 1986 inhaftierte Mohammad Munir war früher Mitglied des Parlaments und Vorsitzender einer der verbotenen Kommunistischen Partei Indonesiens (Partai Komunis Indonesia -- PKI) nahestehenden Gewerkschaft. Die Regierung hatte die PKI für einen Putschversuch im Jahre 1965 verantwortlich gemacht. Mohammad Munir wurde der Rebellion beschuldigt und 1973 zum Tode verurteilt. 1981 bestätigte das Obere Gericht in Indonesien und 1983 der Oberste Gerichtshof das Urteil. Im Oktober 1984 wies Präsident Suharto ein Gnadengesuch ab, und so wurde der inzwischen 68jährige Gefangene am 15. Mai 1985, nach fast 17 Jahren Haft, heimlich auf einer einsamen Insel in der Nähe der Hauptstadt Jakarta von einem Exekutionskommando erschossen. Ihm und seiner Familie hatte man den Vollstreckungsbeschluß erst vier Tage vor dem Termin mitgeteilt.
1985 und 1986 wurden 13 weitere Gefangene, die mit der PKI oder mit Militäreinheiten in Verbindung standen, die den der PKI angelasteten Putschversuch von 1965 unterstützt hatten, hingerichtet. Auch sie hatten ausnahmslos mehr als zehn Jahre in der Todeszelle verbracht. 1987 wurden zwei des Mordes an einer jungen Frau für schuldig befundene Männer 25 Jahre nach der Urteilsverkündung hingerichtet.
Die Grausamkeit langer Haftzeiten von zum Tode Verurteilten hat bereits Gerichte in mehreren Ländern beschäftigt. Noel Riley und vier weitere Gefangene aus Jamaika waren 1975 bzw. 1976 zum Tode verurteilt worden, zu einer Zeit, als dort ein inoffizielles Hinrichtungsmoratorium in Kraft war. 1979 wurden dann Vollstreckungsbefehle ausgestellt, gegen die die fünf Männer Berufung beim Obersten Gerichtshof von Jamaika einlegten, so daß die Hinrichtungen ausgesetzt wurden. Im Jahre 1982 lehnte der Rechtsausschuß des Kronrats in Großbritannien, die für Jamaika zuständige letzte Rechtsmittelinstanz, die Berufungsanträge mit einer knappen Mehrheit von drei gegen zwei Stimmen ab. Die beiden Richter, die das Minderheitsvotum abgegeben hatten, erklärten, die fünf Männer haben nachgewiesen, daß sie einer grausamen und unmenschlichen Behandlung ausgesetzt waren; nach einer derart langen Verschleppung des Verfahrens würde ihre Hinrichtung gegen die Verfassung von Jamaika verstoßen. Die fünf wurden drei Monate nach der Entscheidung des Rechtsausschusses hingerichtet.
Für diejenigen Gefangenen, die die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben, ist die Zeit zwischen der Urteilsverkündung und der Hinrichtung qualvoll. Wie viele Zeugenaussagen von Folteropfern zeigen, die amnesty international erhalten hat, ist die Androhung einer Hinrichtung eine der schrecklichsten Formen der Folter.
Die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen 1984 verabschiedete Anti-Folter-Konvention definiert Folter als das Zufügen starker körperlicher oder geistig-seelischer Schmerzen durch einen öffentlichen Bediensteten oder auf dessen Veranlassung hin. Auch die Todesstrafe muß als Form der Folter bezeichnet werden, da sie im Sinne obiger Definition starke seelische und körperliche Schmerzen hervorruft.
Für viele erreicht dieser seelische Schmerz seinen Höhepunkt, wenn ihnen die nahende Hinrichtung bewußt wird. Nathan Forster, ein Gefangener, der in Jamaika siebeneinhalb Jahre auf seine Hinrichtung gewartet hatte, geriet völlig in Panik, als ein Beamter ihm im Februar 1988 den Vollstreckungsbefehl verlas. In dem anschließenden Handgemenge mit den Gefängniswärtern wurde ihm ein Arm gebrochen. Als man den Gefangenen zehn Tage später die Stufen zum Galgen hochführte, hatte man ihm den Arm auf dem Rücken festgebunden.
Der Vorsteher eines buddhistischen Klosters in Thailand, der zwischen 1967 und 1985 mehr als 200 zum Tode verurteilten Gefangenen letzten Beistand geleistet hat, beschrieb die Qualen vieler Todeskandidaten: Wenn der Zeitpunkt ihrer Hinrichtung gekommen war, konnten sie sich nicht länger auf den Beinen halten und mußten auf dem Weg zum Hinrichtungsort gestützt werden. Ähnlich war es auch bei den wegen Rauschgiftdelikten verurteilten Chinesen. Meist verloren sie die Selbstbeherrschung und fingen an, laut zu schreien."
Der Zeitpunkt, an dem verurteilte Gefangene von ihrer bevorstehenden Hinrichtung in Kenntnis gesetzt werden, ist von Land zu Land verschieden. In Japan wird ein Häftling höchstens ein oder zwei Tage vorher unterrichtet und in einigen Fällen überhaupt nicht. Ein Gefangener, der alle Rechtsmittel ausgeschöpft hat, lebt ständig in der Furcht, daß man ihn aus der Zelle holen und zur Hinrichtung führen wird.
In mehreren karibischen Ländern ist die Praxis die, daß ein Gefangener an einem Donnerstag davon Kenntnis erhält, daß seine Hinrichtung am darauffolgenden Dienstag stattfinden wird. Ein australischer Rechtsanwalt, der Erfahrung mit Fällen aus der Karibik hat, beschrieb die Praxis in Trinidad und Tobago folgendermaßen: Die Entscheidung wird ohne Vorwarnung an einem Donnerstagnachmittag zwischen 13.00 und 16.00 Uhr mitgeteilt. Die Insassen der Todeszellen verbringen jeden Donnerstag in einem schrecklichen Zustand und warten angespannt auf das Quietschen einer Tür, die nur dann geöffnet wird, wenn ein Hinrichtungsbefehl zu verlesen ist. Der mit dieser Aufgabe betraute Gefängnisbeamte schreitet die Reihe der gequälten Männer auf und ab, stoppt dann plötzlich vor der Zelle des Opfers, räuspert sich und verliest den Hinrichtungsbefehl."