Mickey&Donald???
13.08.2004 um 07:52
@ Sabrina
Das Kind im Manne - und was tut die Frau?
Miniaturwunder in der Speicherstadt (HH): Warum fast nur Männer der Sucht nach dem Modellbau verfallen. Versuch einer Erklärung - aus weiblicher Sicht.
Hamburg - Dieses Wunderland liegt in Etage vier. Noch höher und mit offenem Dach wäre besser, dann könnte Jörg Thyroff (41) wie Gott in den Wolken sitzen und von oben seine Welt dirigieren. 2000 Quadratmeter misst sie, hat 59 241 Einwohner, 3000 Häuser und Brücken, 50 000 Bäume, 450 Züge, 7000 Meter Gleise, und ein Tag dauert 15 Minuten. "Das ist die Wirklichkeit, sind Momente aus dem Leben", sagt Thyroff. Und weil das Miniatur-Wunderland in Hamburgs Speicherstadt nun einmal unter normale Decken gebaut ist, steht Thryroff nur am Geländer. "Da lässt sich interaktiv was bewegen", sagt er. Dann drückt er seitlich einen Knopf, und ein Karussell beginnt sich still und langsam zu drehen.
Für Außenstehende, vor allem weibliche, hat das mit "Interaktion" zunächst wenig zu tun. Gut, da sind Schalter, die an verregneten Familiennachmittagen ganz dienlich sein können. Aber Nabel der Welt? Das gleiche Spiel funktioniert auch bei dem Bungee-Springer, der auf Knopfdruck in die Tiefe stürzt. Für Kinder eben.
Nur für Kinder? Keineswegs. Immer dienstags treffen sich die Stammgäste mit Jahreskarte für 80 Euro an der weltweit größten digitalen Modell-Eisenbahn, und Woche für Woche drücken sie fasziniert auf diese Knöpfe. Immer aufs Neue. Stundenlang bestaunen sie die Landschaft im Maßstab von eins zu 87. Hamburg in klein, den Michel, die Küste oder Amerika und vieles mehr. Genug Stoff also für Fachsimpeleien. Sogar über Foren im Internet debattieren sie - sie, das sind zu 85 Prozent Männer, an diesem Abend nur 25 von fünf Millionen Modelleisenbahnfans in Deutschland.
Kein Wunder, sagt Freizeitforscherin Renate Freericks (42) von der Hochschule für Angewandte Freizeitwissenschaften in Bremen. "Männer haben von Klein auf mit Bausätzen gebastelt, Frauen normalerweise nie", sagt sie. "Mädchen begeistern Ästhetik und Emotionen, bilden mit Puppen höchstens die häuslichen Realitäten nach, nicht aber Technik." Männer hingegen sehen nur die Technik. Und die ist ein weites Feld. Jede einzelne Weiche, jedes Rädchen, jede Schraube . . . Also starren sie, starren und starren. Es ist das Kind im Manne. So einfach ist das. Oder hat jemals einer den Spruch vom "Kind in der Frau" gehört?
"Natürlich sind auch die meisten unserer Stammgäste Männer", sagt Frederik Braun (36), Inhaber des Miniatur-Wunderlandes. "Es ist eine Sucht", gesteht Braun; auch er ist ihr seit Kindesbeinen verfallen. Braun hat die Miniatur-Wunderwelt zusammen mit seinem Bruder Gerrit (36) und Freund Stephan Hertz (36) im August 2001 eröffnet. Ganz bewusst haben sie ihre Welt "Miniatur-Wunderland" genannt. Nichts mit Bahn! "Wir wollten das Wort Eisenbahn im Titel vermeiden." Zu abschreckend hätte das wirken können. Auf Frauen. Ihre Assoziationen sind in dieser Hinsicht nicht die besten: Das sind Ehemänner, die tagelang im Hobbykeller hocken, Bäume aus Plastik auf Holzplatten kleben, exklusive Blechkreise im Wert von Karibik-Reisen basteln und stattdessen Urlaube "nach Streckenvorbild" in den Harz vorschlagen. Braun: "Das kann Ehen gefährden."
Wird die Frau als solche den Mann als solchen also nie verstehen? Muss sie überhaupt? Sie sollte. Denn zu Kompromissen sind die Herren nur ungern bereit. Schließlich geht es um ihr Hobby, um ihre eigentliche Liebe. "Das lasse ich mir von niemandem nehmen. Das ist meins", sagt Jörg Thyroff. Besonders genießt der Hamburger es, anderen Menschen seine Welt zu prästentieren. Thyroff, der eigentlich Gesundheitsaufseher im Amt ist, geht voran. "Oder so 'ne Geschichte", sagt er. Er zeigt auf die AOL-Arena mit Spielern und Zuschauern. Beim HSV gegen St. Pauli steht es 3:0. Die eine Hand hält er lässig in der linken Hosentasche, die andere wandert wieder zum Knopf. Damit knipst er die Scheinwerfer an, die dann ihr blaues Licht über den Kunstrasen und in seine Augen werfen. Jörg Thyroff lächelt. "Hier wird die Fantasie zur Wirklichkeit."
Und in dieser Wirklichkeit verharrt er, "da tauche ich ein", sagt er. Das alles sei für ihn wie sein Wohnzimmer. Sein eigentliches liegt in einer 54,9 Quadratmeter großen Zwei-Zimmer-Wohnung in Borgfelde. Das ist Borgfelder Durchschnitt. In der Speicherstadt begrüßen ihn alle mit Handschlag. Leidenschaft verbindet. Hier ist jeder Kind. Hier hat Thyroff seinen 40. Geburtstag gefeiert. Es gab ein italiensch-chinesisches Buffet, Bier aus Flaschen und Karaoke ohne Ende. "Sie haben drei Stunden lang die Anlage fahren lassen", sagt Thyroff. Nur für ihn. Dann erzählt er, was er am liebsten mag. Das ist, wenn es Nacht wird und in der Miniatur-Scheune die Miniatur-Hochzeit gefeiert wird. Thyroff selbst ist Single.
Nur für Frauen erzählt die "Miniatur-Wunderwelt" auch 50 kleine Geschichten, Zwischenmenschliches eben, zeigt Liebespaare im Kornfeld. "Frauen loben den detailgetreuen Nachbau, und Männer suchen Fehler", sagt Modellbauer Gaston Burkhardt (48). Der Tischler spricht aus Erfahrung. "Deshalb habe ich auch ein besseres Verhältnis zu den Frauen." Der Buchhalter im Hause wird dagegen die Männer bevorzugen. Sie greifen im Shop ordentlich zu. Dort gibt es alles. Waggons natürlich, Feuerwehr- oder Polizeiautos und Kräuterlikör "von Lokführern und Heizern empfohlen". "Frauen", sagt Braun, "kaufen höchstens die hölzernen Eisenbahnen für Geburtstagskerzen." Warum genau, das wisse er auch nicht.
3000 Menschen haben sie vor Eröffnung der Miniatur-Wunderwelt befragt, ob sie die Ausstellung besuchen würden. Das Resultat: Die Männer waren begeistert, die Frauen nicht. Also die Geschichte mit den 50 Geschichten. "Wenn Frauen diese Miniaturwelten betrachten, sehen sie die Menschen, die vielleicht rennen, stehen bleiben oder sitzen. Sie sehen Beziehungen. Sie sehen Bahnhöfe, vergnügte Arbeiter und vielleicht noch das Verkehrschaos", sagt Freizeitforscherin Freericks. Und Männer? "Sie versuchen, die Technik zu begreifen, sie zu überwinden." Und wenn sie dann glauben, es geschafft zu haben, sagt sie, seien sie ganz Mann. "Das ist dann komplett ihre eigene Welt."
Quelle Hamburger Abendblatt, Artikel vom 06.Mai 2004
Gruss Virus
Der Mensch bringt täglich sein Haar in Ordnung;
warum nicht auch sein Herz ?