http://www.sueddeutsche.de/panorama/404/500668/text/ (Archiv-Version vom 21.01.2010)''Wenn CNN weg ist, kannst du einpacken''
Die Erdbebenkatastrophe von Haiti hat eine riesige Hilfsbereitschaft in Deutschland ausgelöst. "Einen solchen Ansturm an Spendern haben wir seit dem Tsunami nicht mehr erlebt", sagt Barbara Wiegard vom katholischen Hilfswerk Misereor. Bei Misereor, der Welthungerhilfe und den anderen Organisationen des Bündnisses "Entwicklung hilft" sind Zehntausende Online-Spenden eingegangen.
Das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe teilte mit, dass bereits innerhalb der ersten Tage nach dem Beben eine Million Euro Spenden eingingen. Die gleiche Summe sammelte das Deutsche Rote Kreuz (DRK). Und am Dienstag sollte die ZDF-Spendengala "Ein Herz für Kinder", moderiert von Thomas Gottschalk , die Spendenbereitschaft weiter ankurbeln.
Doch warum zeigen die Spendenkampagnen für Haiti innerhalb weniger Stunden eine so große Wirkung, während sie bei anderen Katastrophen weniger erbrachten? Warum spendeten die Deutschen etwa nach den drei tropischen Wirbelstürmen, die 2008 auf Haiti große Verwüstungen anrichteten, dem DRK zufolge gerade einmal 30.000 Euro, während sie nun tief in die Tasche greifen? Warum müssen chinesische Erdbebenopfer oder afrikanische Bürgerkriegsflüchtlinge mit weniger Spenden rechnen?
Zum einen erklärt sich das aus der Größe und der Offensichtlichkeit der Katastrophe. "Dass eines der ärmsten Länder der Erde nun zusätzlich von einem so unfassbaren Unglück getroffen wird, weckt besondere Empathie", sagt Christina Rau, die sich als Stiftungsrätin der Kindernothilfe seit Jahren in Haiti engagiert. Zum anderen weiß Rau aber auch, dass die Leute vor allem dann spenden, "wenn es sich nicht um menschengemachte Katastrophen handelt". Bestes Beispiel dafür ist der Tsunami im Indischen Ozean von 2004, bei dem die Deutschen etwa 670 Millionen Euro an Spenden sammelten.
"Dauerberieselung produziert nicht automatisch Dauerunterstützung"
Nach dem Völkermord in Ruanda hingegen, bei dem 1994 im Konflikt zwischen Hutu und Tutsi mindestens 500.000 Menschen umgebracht wurden, sei fatalerweise bei manchen der falsche Eindruck entstanden: "Die sind selbst schuld, wenn die sich bekriegen", sagt Ulrich Pohl vom Deutschen Spendenrat. Und nach dem Zyklon Nargis, der 2008 in Birma wohl mehr als 100.000 Menschen tötete, verhinderte das Militärregime, dass Bilder und Informationen nach draußen drangen - für die Spendenbereitschaft ein Desaster.
"Wenn CNN weg ist, kannst Du einpacken", lautet die von einem tansanischen Bischof aufgestellte Faustregel für den Erfolg von Spendenaufrufen. Ulrich Pohl drückt es etwas anders aus: "Die Betroffenheit läuft rein über das Bild", werden von einer Katastrophe keine anrührenden Bilder mehr übermittelt, gebe es meist nur noch ein kleines Zeitfenster, in dem Gelder fließen.
Zudem kann sich die Wirkung der Bilder auch ins Gegenteil verkehren,
"Dauerberieselung produziert nicht automatisch Dauerunterstützung", sagt Pohl; das habe die Welthungerhilfe bei der Hungerkatastrophe in Biafra schmerzvoll lernen müssen. Die Botschaft der prominenten Kampagne, die in Endlosschleife Kinder mit Hungerbäuchen zeigte, sei gewesen: "Es geht uns schlecht, es geht uns schlechter, es geht uns noch schlechter", erklärt Pohl. Irgendwann hätten die Menschen nicht mehr verstanden, ob ihre Spenden überhaupt etwas bewirken.
"Wir wollen uns beim Spenden gut fühlen!"
Wie diffizil die Gratwanderung bei der Bildersprache von Kampagnen sei, hätten auch wissenschaftliche Untersuchungen zum Robbenschlachten gezeigt, sagt Kai Jonas, Sozialpsychologe der Universität Amsterdam. Optimal sei ein rührendes Robbenbaby, das dem Betrachter direkt in die Augen schaue; Fotos, die den Schlächter beim Häuten der Robbe zeigten, seien hingegen zu brutal gewesen und hätten den Spendenfluss verringert.
Die Erklärung dafür sei einfach, sagt Jonas: "Wir wollen uns beim Spenden gut fühlen!" Aus Sicht der Sozialpsychologie hat das Spenden vor allem eine selbstdienliche, sprich egoistische Funktion. Das sei durchaus nicht negativ, so Jonas, erkläre aber vieles: Etwa das Engagement der Amerikaner, die vor der eigenen Haustür weder Elend noch Instabilität dulden und als weltweite Spendenrekordhalter auch das Image der eigenen Gruppe stützen.
Die Deutschen liegen mit einem Spendenaufkommen von 2,16 Milliarden Euro im Jahr 2008 über dem internationalen Durchschnitt, aber laut Statistik des Deutschen Fundraising-Verbandes noch hinter den Niederlanden, Schweden, Österreich, Großbritannien und den USA. Die Höhe einer Spende sei für die Beruhigung des sozialen Gewissens übrigens nicht so wichtig, sagt Jonas, entscheidend sei der Eindruck, jemanden gerettet zu haben. Wenn das noch ohne Aufwand per SMS oder Email gehe - umso besser. "Durch SMS und Twitter spenden jetzt auch die, die sonst noch nie etwas gegeben haben", sagt Burkhard Wilke, Geschäftsführer des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI), das Hilfsorganisationen mit einem Qualitätssiegel zertifiziert.
Christina Rau betont, dass auch die Erfahrungen aus dem Tsunami die Spendenbereitschaft für Haiti noch gesteigert haben könnten. Viele Organisationen arbeiteten nun enger zusammen, was den sinnvollen Einsatz der Gelder erleichtere, sagt sie. Zudem "haben auch die Medien gelernt", weil die Nachhaltigkeit von Projekten heute besser erläutert würden.