univerzal
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Erziehungsfundamentalisten
09.12.2009 um 00:53Aloha,
ehe ich lange lamentiere, zitiere ich lieber Auszüge eines Artikels aus dem Spiegel, Ausgabe 32/09, dann müsste jeder wissen worauf ich hinaus will:
Wenn sich Lisa Mohr Sorgen macht, steht sie am liebsten vorm Bücherregal. Auf Seite 69 in "Unser Baby - das erste Jahr" steht geschrieben, weshalb ihre Tochter Layla, acht Wochen alt, manchmal nicht glücklich ist. Auf zwei Spalten Text wird erklärt, warum Babys weinen. Die Gründe: "Bauchweh", "Nähe brauchen", "Überanstrengung" und "Langeweile". Lisa Mohr blättert weiter. Ab Seite 70 kann sie lesen, wie viel Geschrei normal ist: Fast drei Stunden im Schnitt weinen Babys täglich. Alles andere wäre bedenklich.
Lisa Mohr ist froh. Sie hat es jetzt schwarz auf weiß, ihre Sorgen scheinen berechtigt. Tochter Layla weint oft, mehr als drei Stunden am Tag werden es sein. Nun können Hebamme und Kinderarzt noch tausendmal sagen: "Das Kind ist gesund. Der Anfag ist anstrengend". Lisa Mohr ist für derlei Beschwichtigungen gewappnet. Wenn keiner hilft, werden sich die Mohrs eben selbst helfen. Sie haben ja ihre Bücher.[...]
Die Mohrs sind eine glückliche Familie. Sie leben in Kornwestheim bei Stuttgart. Lisa Mohr ist 23 Jahre alt, Bürokauffrau, ihr Mann Stefan, 28, arbeitet bei einer Bank. Die beiden haben noch Freunde aus Schulzeiten und wissen, was gerade im Kino läuft. Doch abends, wenn andere "Tatort" gucken, sprechen sie über die Seiten 70 ("Wie viel Babys schreien"), 75 ("Eia, popeia - uralte Tonfrequenz") und 76 ("Wann an die frische Luft" - "Vorsicht vor Extremsituationen"). Sie bitten Besuch, ein paar Monate später vorbeizukommen, um den Rhythmus des Kindes zu wahren. Sie stecken das Telefon aus, damit nicht Geklingel beim Einschlafen stört.
Mit ihrem Kind haben sich die Mohrs in einem Ausnahmezustand eingerichtet, der den Ansprüchen der Seiten 58 bis 83 genügt.
Wie die Mohrs wollen heute viele Eltern alles besonders genau wissen. Es wird nachgeschlagen: Wie kann ich mein Kind richtig erziehen? Ernähren? Fördern? Beschützen? Liebhaben? Vor der Geburt lesen sie "1000 Fragen an die Hebamme", nach der Geburt "Tyrannen müssen nicht sein". 2008 hat sich der Markt für Eltern-Ratgeber nahezu verdoppelt. Unter den wichtigsten Neuerscheinungen dieses Frühjahrs: "Maulende Rebellen, beleidigte Zicken. Der Erziehungscoach für Eltern", "Typgerecht fördern und erziehen" und "AD(H)S - was wirklich hilft".
Und so weiter, nun ist das Thema warm. Die Essenz des Artikels läuft darauf hinaus, dass 'meine' Generation an jungen Eltern, viel mehr geschriebenen Ratschlägen als dem eigenen Bauchgefühl folgen.
Folge davon sind fast schon extreme Anzüge von Beschützerwahn, der beispielsweise in einem vielstündigen Wartemarathon sonntags bei der Kinder-Notfallambulanz ausartet, obwohl der kleine Scheisser lediglich einen üblichen Durchfall hat. Könnte ja ein bösartiger Infekt sein.
Gut, Vorsorge ist besser als Nachsicht. Doch Kinderärzte, Hebammen, Erzieherinnen und vor allem Lehrer leiden seit Jahren unter einem Ansturm militant-besorgter Eltern, deren Erfahrungswerte sich aus einem Halbwissensfundus, genährt durch Ratgeber, Internet und Hörensagen, zusammenschraubt.
Wirklich mitreden kann ich nicht, denn obwohl in meinem Alter die ersten Ansätze der kindlichen Familienplanung durchaus üblich sind, sehe ich solchen Ambitionen eher gelassen entgegen. Allerdings bilde ich dabei wohl langsam die Ausnahme. Denn nach jahrelangen Wiedersehen mit so manch altgediegenen Schulkameraden, stelle ich entsetzt fest, dass deren Fortpflanzungstrategie der von Feldhasen ähnelt. Aber jedem das Seine.
Das kommerzielle Angebot dazu spricht ebenfalls Bände, dabei ist Vorschulyoga nur das geringste Übel. Fördertherapien, Sprachkurse, Musikschulen und weitere sogenannte mehr oder weniger förderliche Begabungsinstitute verzeichnen einen regen Zulauf.
Also, mein Frage an euch, sind diese krassen Fördertendenzen nur ein Spiegel unserer Gesellschaft (man stelle sich mal symbolisch Mäxchen Schmidt mit einem Trichter über den Schädel vor, ergo; höher, schneller, besser) oder nur eine Phase? Quasi ein Beleg der absoluten Totalinformation, die auch -oder besser gesagt vor allem- nicht vor jungen Eltern halt macht?
Ihr seid gefragt.
ehe ich lange lamentiere, zitiere ich lieber Auszüge eines Artikels aus dem Spiegel, Ausgabe 32/09, dann müsste jeder wissen worauf ich hinaus will:
Wenn sich Lisa Mohr Sorgen macht, steht sie am liebsten vorm Bücherregal. Auf Seite 69 in "Unser Baby - das erste Jahr" steht geschrieben, weshalb ihre Tochter Layla, acht Wochen alt, manchmal nicht glücklich ist. Auf zwei Spalten Text wird erklärt, warum Babys weinen. Die Gründe: "Bauchweh", "Nähe brauchen", "Überanstrengung" und "Langeweile". Lisa Mohr blättert weiter. Ab Seite 70 kann sie lesen, wie viel Geschrei normal ist: Fast drei Stunden im Schnitt weinen Babys täglich. Alles andere wäre bedenklich.
Lisa Mohr ist froh. Sie hat es jetzt schwarz auf weiß, ihre Sorgen scheinen berechtigt. Tochter Layla weint oft, mehr als drei Stunden am Tag werden es sein. Nun können Hebamme und Kinderarzt noch tausendmal sagen: "Das Kind ist gesund. Der Anfag ist anstrengend". Lisa Mohr ist für derlei Beschwichtigungen gewappnet. Wenn keiner hilft, werden sich die Mohrs eben selbst helfen. Sie haben ja ihre Bücher.[...]
Die Mohrs sind eine glückliche Familie. Sie leben in Kornwestheim bei Stuttgart. Lisa Mohr ist 23 Jahre alt, Bürokauffrau, ihr Mann Stefan, 28, arbeitet bei einer Bank. Die beiden haben noch Freunde aus Schulzeiten und wissen, was gerade im Kino läuft. Doch abends, wenn andere "Tatort" gucken, sprechen sie über die Seiten 70 ("Wie viel Babys schreien"), 75 ("Eia, popeia - uralte Tonfrequenz") und 76 ("Wann an die frische Luft" - "Vorsicht vor Extremsituationen"). Sie bitten Besuch, ein paar Monate später vorbeizukommen, um den Rhythmus des Kindes zu wahren. Sie stecken das Telefon aus, damit nicht Geklingel beim Einschlafen stört.
Mit ihrem Kind haben sich die Mohrs in einem Ausnahmezustand eingerichtet, der den Ansprüchen der Seiten 58 bis 83 genügt.
Wie die Mohrs wollen heute viele Eltern alles besonders genau wissen. Es wird nachgeschlagen: Wie kann ich mein Kind richtig erziehen? Ernähren? Fördern? Beschützen? Liebhaben? Vor der Geburt lesen sie "1000 Fragen an die Hebamme", nach der Geburt "Tyrannen müssen nicht sein". 2008 hat sich der Markt für Eltern-Ratgeber nahezu verdoppelt. Unter den wichtigsten Neuerscheinungen dieses Frühjahrs: "Maulende Rebellen, beleidigte Zicken. Der Erziehungscoach für Eltern", "Typgerecht fördern und erziehen" und "AD(H)S - was wirklich hilft".
Und so weiter, nun ist das Thema warm. Die Essenz des Artikels läuft darauf hinaus, dass 'meine' Generation an jungen Eltern, viel mehr geschriebenen Ratschlägen als dem eigenen Bauchgefühl folgen.
Folge davon sind fast schon extreme Anzüge von Beschützerwahn, der beispielsweise in einem vielstündigen Wartemarathon sonntags bei der Kinder-Notfallambulanz ausartet, obwohl der kleine Scheisser lediglich einen üblichen Durchfall hat. Könnte ja ein bösartiger Infekt sein.
Gut, Vorsorge ist besser als Nachsicht. Doch Kinderärzte, Hebammen, Erzieherinnen und vor allem Lehrer leiden seit Jahren unter einem Ansturm militant-besorgter Eltern, deren Erfahrungswerte sich aus einem Halbwissensfundus, genährt durch Ratgeber, Internet und Hörensagen, zusammenschraubt.
Wirklich mitreden kann ich nicht, denn obwohl in meinem Alter die ersten Ansätze der kindlichen Familienplanung durchaus üblich sind, sehe ich solchen Ambitionen eher gelassen entgegen. Allerdings bilde ich dabei wohl langsam die Ausnahme. Denn nach jahrelangen Wiedersehen mit so manch altgediegenen Schulkameraden, stelle ich entsetzt fest, dass deren Fortpflanzungstrategie der von Feldhasen ähnelt. Aber jedem das Seine.
Das kommerzielle Angebot dazu spricht ebenfalls Bände, dabei ist Vorschulyoga nur das geringste Übel. Fördertherapien, Sprachkurse, Musikschulen und weitere sogenannte mehr oder weniger förderliche Begabungsinstitute verzeichnen einen regen Zulauf.
Also, mein Frage an euch, sind diese krassen Fördertendenzen nur ein Spiegel unserer Gesellschaft (man stelle sich mal symbolisch Mäxchen Schmidt mit einem Trichter über den Schädel vor, ergo; höher, schneller, besser) oder nur eine Phase? Quasi ein Beleg der absoluten Totalinformation, die auch -oder besser gesagt vor allem- nicht vor jungen Eltern halt macht?
Ihr seid gefragt.