Ohne jetzt zu behaupten, dass das folgende Beispiel repräsentativ sei, oder ähnliches, möchte ich dennoch mal persönliche Erfahrungen schildern.
Jedenfalls kenne ich Leute, die sich diese "Maxime der Ehrlichkeit" auf die Fahne geschrieben haben und sich auch mit fortlaufender Zeit immer unbeliebter machten.
Das hatte meiner Meinung nach aber nichts damit zu tun, dass Leute keine Kritik vertragen oder nur das gesagt bekommen wollen, was sie hören wollen, sondern damit, dass "Ehrlichkeit" in diesem Falle einfach nur dazu benutzt wurde, das eigene Umfeld völlig inflationär zu kritisieren und das auch vollkommen unreflektiert.
Man hatte ständig den Eindruck, dass es sich lediglich um ein furchtbar angeknackstes Selbstbewusstsein handelt, das auf diese Weise kompensiert werden sollte.
Von diesen Leuten wurde auch niemals selbst Kritik angenommen oder Fehler eingestanden, wenn man sie darauf hinwies, dass man sich ab und zu vllt mal bedachter äußern sollte oder gewisse Themen einfach sensibler behandeln sollte.
Es trägt doch nicht zu einem vernüntigen Zusammenleben bei, wenn man völlig taktlos jedem seine Meinung ins Gesicht sagt und dabei in Kauf nimmt andere zu verletzen, auch wenn man sich moralisch danach auf
Ich sage nur die Wahrheit!
beruft.
Außerdem stellt sich mir die Frage, inwieweit die "Wahrheit" eines anderen überhaupt für mich Bedeutung haben sollte. Schließlich könnte ich mich auch für die hübscheste Person der Welt halten und durch die Gegend rennen und allen erzählen, wie hässlich ich sie finde. Wenn sich deshalb aber jemand täglich 2 Stunden länger vor den Spiegel stellt, ist das ziemlich fragwürdig.
Abschließend fällt mir gerade noch Kant ein, der mal sinngemäß behauptete, wenn man eine flüchtende Person beobachtet, die sich in einem Haus versteckt und 5 min später ein Typ mit einer großen Axt um die Ecke kommt und sich nach der Person erkundigt, auch dieser ein Recht darauf habe nicht angelogen zu werden.
edit:
Wikipedia: Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen