Siebenjähriger metzelt 13 Reptilien nieder
07.10.2008 um 13:52
Etwa ein Viertel aller Gewaltverbrecher sind in ihrer Kindheit oder Jugend durch schwere Tierquälereien aufgefallen. Experten sagen, dass die Zahl bei den reinen Sexualstraftätern sogar noch höher ist. Besteht also zwischen Tierquälerei und anschließender Delinquenz ein Zusammenhang?
Ronny Rieken und Rolf Diesterweg - fast jeder kennt ihre Namen. Sie sind Sexualstraftäter, haben in den neunziger Jahren Mädchen vergewaltigt und anschließend getötet. Beide sitzen in Haft. Und beide haben etwas gemeinsam: In ihrer Jugend haben sie Tiere gequält.
Dr. Alexandra Stupperich, forensische Wissenschaftlerin am Klinikum Regensburg:
„Wer in seiner Jugend Tiere quält, hat ein stark erhöhtes Risiko, später diese Art von Gewalt auch an Menschen auszuüben.“
Werden also alle Tierquäler später zu Gewaltverbrechern? Klare Antwort: Nein!
Nicht jedes Kind, das dem Familienhund am Schwanz zieht oder die Katze ärgert, wird später kriminell. Dieses kindliche Ausprobieren ist sogar ein Stück weit normal, denn im frühen Alter wissen die Kinder oft noch nicht, dass Tiere Schmerzen empfinden können. Die Kinder müssen erst lernen, Empathie für andere Lebewesen aufzubringen. Wichtig ist daher, dass Eltern ihre Kinder immer wieder darauf hinweisen, dass die Tiere genauso Schmerz empfinden wie sie selbst auch.
Manche Kinder üben auch Gewalt an Tieren aus, weil sie selbst von den eigenen Eltern geschlagen werden. Sie leiten diese Gewalt von sich auf andere, schwächere Lebewesen weiter.
Gefährlich wird es aber immer dann, wenn beim Kind eine schwere psychische Störung vorliegt und es dann beginnt, Tiere zu quälen. Diese Kinder wollen in der Regel Macht und Kontrolle auf das Tier ausüben, empfinden kein Mitgefühl. Später kann dazu kommen, dass sie diese Quälereien auch mit ihrer eigenen Sexualität in Verbindung bringen. Diese Menschen sind besonders gefährdet, später auch Sexualdelikte an Kindern und Frauen zu begehen. Dabei steht nicht unbedingt nur die sexuelle Befriedigung im Vordergrund, sondern die Ausübung von Macht!
Diese Kinder und Jugendlichen müssten eigentlich dringend therapiert werden. Fällt diese Neigung erst im Erwachsenenalter auf, dann ist es in vielen Fällen schon zu spät.
Wie geht das Ausland mit Tierquälerei um?
In den USA führt man diese Studien schon seit längerer Zeit durch. In einigen Bundesstaaten wird daher mit Tierquälern auch besonders konsequent umgegangen. Fallen Kinder dort durch schwere Tierquälereien auf, dann werden sie sofort therapiert.
Dr. Alexandra Stupperich, forensische Wissenschaftlerin am Klinikum Regensburg:
„In den USA sind die Behörden schon sehr gut vernetzt und sie arbeiten eng zusammen, Hand in Hand. Dort ist alles auch schon genau gesetzlich festgeschrieben. Das würde ich mir für Deutschland auch dringend wünschen!“
Die Realität in Deutschland
Doch in Deutschland steckt diese Entwicklung noch in den Kinderschuhen. Gesetzlich geregelt ist in dieser Beziehung nur sehr wenig. Wer Tiere quält und dabei erwischt wird, bekommt eine Strafe nach dem Tierschutzgesetz. Das sieht eine Geldstrafe oder Gefängnis bis zur Höchststrafe von drei Jahren vor. In der Regel bleibt es bei der Geldstrafe. Psychiatrisches Gutachten der Tierquäler? In der Regel wird das nicht gemacht. Doch gerade bei Jugendlichen könnte hier noch viel abgewendet werden.
Auch die Ermittlungsbehörden sind mit Anzeigen wegen Tierquälerei nicht selten überfordert. „Bei uns beschweren sich immer wieder Menschen, die mir erzählen, dass sie eine Tierquälerei bei der Polizei anzeigen wollten, und die Polizei nur abwinkt, nichts unternehmen will oder die Anzeigenden so lange nach Beweisen fragen, bis diese resigniert die Anzeige zurücknehmen“, beklagt Gerhard Käfer vom Tierschutzbund Baden-Württemberg. „Ich finde das sehr bedenklich, gerade wenn man weiß, was aus Tierquälern unter Umständen später einmal werden kann“. Er fordert, dass die Polizei Tierquälerei konsequenter verfolgt, denn viele Täter wüssten genau, dass ihnen eigentlich nichts passiert und würden damit zu Wiederholungstätern.
Besonders genau hinschauen muss man, wenn große Tiere gequält werden. Die Tierquäler machen eine Steigerung durch. Sie beginnen mit kleinen Tieren wie Fröschen oder Hasen. Am Ende der Leiter steht meist das Pferd. Findet man ein schwer verstümmeltes Pferd, dann ist das nicht selten ein Hinweis darauf, dass der Täter schon eine lange Karriere als Tierquäler hinter sich hat.
Bekommen Jugendämter Hinweise darüber, dass Kinder oder Jugendliche Tiere quälen, dann ist das für sie meist ein Indiz, dass in der Familie etwas nicht in Ordnung ist. Oft schauen sie dann in die Familien hinein, manche Kinder bekommen eine Therapie, oft nicht mehr als zehn Stunden. Das Problem: Ziehen die Kinder mit ihren Familien in einen anderen Landkreis, dann werden die Akten nur dann nachgeschickt, wenn das Kind schwere Straftaten begangen hat. Tierquälerei gehört nicht dazu. Durch einen Umzug weiß das neue Jugendamt dann in der Regel nichts von den tierquälerischen Tendenzen eines Jugendlichen – und wird ihn deshalb auch nicht weiter im Auge haben. Franz Prügl vom Jugendamt in Passau:
„Ich kann auch aus rechtstaatlichen Gründen die Akten nicht hinterher schicken. Wenn der Jugendliche eine zehnstündige Therapie hinter sich hat, die vom Gericht angeordnet war, dann ist die Sache erledigt.“
Vernetzung ist wichtig!
Wird das Problem in Deutschland nicht ernst genug genommen? Ein Fall aus Passau zeigt, wie nötig es ist, dass die Justiz und die Behörden genau hinschauen. Dort wurde ein 29-jähriger Paketbote festgenommen, der beschuldigt wurde, eine Katze schwer gequält und anschließend angezündet zu haben. Während des Ermittlungsverfahrens gab er zu, bereits zehn weitere Katzen auf ähnliche Art maltraktiert zu haben. Der Staatsanwalt Hanns Gerd Ennser hätte es sich einfach machen und die Anklage wegen Tierquälerei schreiben können. Das Geständnis hatte er ja. Doch er ließ ein psychiatrisches Gutachten anfertigen. Heraus kam: Der Mann hatte eine schwere psychische Störung, von ihm ging erhebliche Gefahr aus, er würde in Zukunft mit Sicherheit auch Frauen und Kinder gefährden.
Ergebnis: Der Täter bekam die Höchststrafe und macht jetzt eine Therapie. Staatsanwalt Ennser:
„Ich lasse noch ein weiteres Gutachten machen, weil ich möchte, dass der Mann auch nach Ablauf der drei Jahren Haft nicht frei kommt, sondern in psychiatrischer Behandlung bleibt. Er soll erst dann wieder auf freien Fuß kommen, wenn er ganz sicher geheilt ist und keine Gefahr mehr für die Öffentlichkeit darstellt.“
Und: Durch das Gutachten sind jetzt auch tschechische Profiler auf den Katzenquäler aus Passau aufmerksam geworden. Weil der Paketbote viel mit dem Auto unterwegs war, nahmen sie seine Fahrten noch einmal genau untern die Lupe. Und es stellte sich heraus: Sowohl seine psychische Struktur, als auch die Fahrten, die er mit dem Auto unternommen hat, lassen ihn als Mörder von drei tschechischen Prostituierten in Frage kommen. Zur Zeit werden die am Tatort gefundenen DNA-Spuren mit seiner DNA verglichen.
Der Fall zeigt, wie wichtig VERNETZUNG ZWISCHEN BEHÖRDEN ist. Wie wichtig es ist ,Tierquälerei nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Wie wichtig es ist, hinzuschauen. Denn schnell kann aus einem einfachen Fall von Tierquälerei ein Mordfall werden.
(3sat, 5.12.06)