Offener Brief: Hilfe der NRW-Polizei für männliche Opfer häuslicher Gewalt
Sehr geehrter Herr Minister,
auf der Portalseite der NRW-Polizei (
http://www1.polizei-nrw.de (Archiv-Version vom 12.02.2012)) findet man unter den Ausführungen zum Thema
„Häusliche Gewalt“ unter anderem die folgende Aussage in Bezug auf das Gewaltschutzgesetz: „Mit den neuen
Regelungen wurde erreicht, dass Opfer häuslicher Gewalt in dem Bewusstsein gestärkt werden, dass staatliche
Stellen Hilfe leisten und die Täter erfahren, dass Gewalt in Beziehungen keine Privatangelegenheit ist und sie zur
Rechenschaft gezogen werden. In der konkreten Situation kann weitere Gewalt verhindert werden und den Opfern
wird durch Vermittlung an geeignete Beratungseinrichtungen konkrete Hilfe geleistet.“
Die Richtigkeit dieser Sätze müssen wir leider in Zweifel ziehen, zumindest was die Hilfestellung und Beratung
für männliche Opfer häuslicher Gewalt betrifft.
Uns liegen Aussagen mehrerer Männer aus Nordrhein-Westfalen vor, die in der Vergangenheit zum Teil mehrfach
von ihren Partnerinnen geprügelt worden sind. Die Erfahrungen, die sie mit Polizistinnen und Polizisten machen
mussten, nachdem sie sich hilfesuchend an Polizeidienststellen gewendet hatten, waren leider nicht selten negativ:
• Ein Mann, der sich über den Notruf 110 an die örtliche Polizeidienststelle gewandt hatte, bekam vom
diensthabenden Beamten folgende Sätze zu hören: „Was bist du denn für eine Memme? Kommst du mit deiner
Frau nicht klar? Geh mal ins Fitnessstudio!“
Eine andere Beamtin des Telefon-Notrufs behandelte den Mann wie einen Täter und legte ihm gegenüber
einen betont aggressiven Tonfall an den Tag.
• Einer Opferschutzbeauftragten der Polizei waren die Verjährungsfristen für Gewaltdelikte offenbar nicht
bekannt. Als der männliche Hilfesuchende von länger zurückliegenden körperlichen Angriffen durch die
Partnerin berichtete, sprach sie von einer Verjährungsfrist von drei Jahren. Als der Mann jedoch zugab, die
Frau auch schon einmal geschlagen haben, hatte sich die Frist plötzlich auf fünf Jahre verlängert.
Ein anderer Opferschutzbeauftragter sprach wiederum von einer Verjährungsfrist von zehn Jahren, was er
allerdings erst auf mehrfache Nachfrage hin einräumte.
• Ein von seiner Frau körperlich angegriffener Mann wurde von einem Opferschutzbeauftragten an eine städtische
Gewalt-Interventionsstelle verwiesen. Diese Einrichtung war jedoch nur für weibliche Gewaltopfer
zuständig und konnte dem Mann daher nicht helfen. Gleiches galt für eine „Männer gegen Männergewalt“-
Gruppe sowie ein Caritas-Mädchenhaus, an die er ebenfalls von Opferschutzbeauftragten der Polizei verwiesen
wurde. Auf telefonische Anfrage bei der Polizei, wohin geschlagene Männer von ihr vermittelt würden,
reagierten die Polizisten mit Hilflosigkeit und konnten keine Anlaufstellen nennen.
• Bei einem Mann, der zusammen mit seinem Kind vor der gewalttätigen Ehefrau geflüchtet war und sich an
den Polizei-Notruf 110 wandte, erklärte der Beamte am Telefon: „Ich werde sehen, ob ich Sie irgendwo un-
terbringen kann“. Nach zwei Stunden rief der Polizist zurück und teilte dem Mann mit, dass man leider
nichts Passendes habe finden können.
• Als eine häusliche Auseinandersetzung eskalierte, rief eine Frau die Polizei zu Hilfe. Als diese dann in der
Wohnung eintraf, versuchte der Mann, sich gegenüber dem Polizisten zu verteidigen, indem er ihm den Ablauf
der Geschehnisse zu schildern versuchte. Darauf wurde er vom Polizeibeamten barsch angefahren; er
solle den Mund halten. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, griff der Polizeibeamte dabei andeutungsweise
zur Waffe.
• Ein Mann wurde auf offener Straße vor den Augen des gemeinsamen Kindes niedergeschlagen. Die herbeigerufenen
Polizisten, die den Mann nur noch alleine antrafen, protokollierten den Vorfall und schickten den
Mann zur Notfallbehandlung in eine Klinik.
Auf der Polizeidientstelle wurde der Vorfall erneut protokolliert. Als der Mann eine Tür mit der Aufschrift
„Opferberatung“ sah und Anstalten machte, diesen Raum zu betreten, wurde er vom Polizisten nachdrücklich
und mit den Worten „Lassen Sie das! Das bringt nur Ärger!“ vom Betreten des Büros abgehalten.
Dies sind nur einige wenige Beispiele, aber sie zeigen unserer Meinung nach deutlich, dass es in der nordrheinwestfälischen
Polizei offensichtlich an einer koordinierten, effizienten Hilfe für männliche Opfer gewalttätiger
familiärer Auseinandersetzungen mangelt.
Die Polizei in NRW wird dem Anspruch, den sie auf ihrer Homepage durch das o.g. Zitat vermittelt, gegenüber
männlichen Gewaltopfern nicht gerecht. Vielmehr ist ein deutlich ambivalentes Verhältnis der Polizei bezüglich
ihrer Hilfsbereitschaft gegenüber Gewaltopfern, abhängig vom Geschlecht des Gewaltopfers, erkennbar.
Bedenklich ist unserer Auffassung nach vor allem der Umstand, dass weder reguläre Polizeibeamte noch Opferschutzbeauftragte
wissen, an welche Beratungsstellen männliche Gewaltopfer vermittelt werden können und welche
Unterkunftsmöglichkeiten es für sie gibt. Dies nicht zuletzt deshalb, weil es an solchen Einrichtungen speziell
für Männer offensichtlich in erheblichem Umfang mangelt.
Wir fordern daher, dass die nordrhein-westfälische Landesregierung endlich ihr veraltetes, von Klischees und Vorurteilen
geprägtes Bild männlicher Gewaltopfer aufgibt, das Problem der häuslichen Gewalt an Männern ernst
nimmt und geeignete Rahmenbedingungen schafft, die wirksam dazu führen, auch für von häuslicher Gewalt betroffene
Männern schnelle und effiziente Hilfe zu gewährleisten. Im einzelnen möchten wir Sie dazu auffordern,
• die Polizeibeamten verstärkt dahin gehend zu schulen, dass von Gewalt im familiären Bereich nicht nur
Frauen, sondern zu einem großen Teil auch Männer und von Frauen misshandelte Kinder betroffen sind.
• speziell Streifenbeamte auch dahin gehend zu schulen, männliche Opfer häuslicher Gewalt als solche zu
erkennen, ihnen im Zweifelsfall Glauben zu schenken, ihnen gut zuzusprechen und Verständnis für ihre Lage
zu äußern.
• eindeutige Richtlinien und Handlungsanweisungen zu erlassen, die gewährleisten, dass von ihren Frauen
geschlagene Männer an geeignete Hilfs- und Beratungsstellen sowie Unterkunftsmöglichkeiten verwiesen
werden können. Wo es solche Einrichtungen nicht gibt, sollte es sich die Politik zur Aufgabe machen, sie ins
Leben zu rufen.
In der Öffentlichkeit wie in der Politik herrscht leider ein Informationsdefizit, was Männer als Betroffene innerfamiliärer
Gewalt betrifft. Die Politik fordert einerseits, dass es beim Thema „häusliche Gewalt“ keine Tabus geben
darf. Andererseits hält sie dieses Tabu jedoch aufrecht, sofern es männliche Gewaltopfer betrifft. In der Vergangenheit
wurde der Schwerpunkt bei der Hilfe und Beratung von Opfern dieser Delikte fast vollständig auf weibliche
Betroffene gelegt.
Inzwischen belegt jedoch eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen eine erhebliche Betroffenheit von
Männern, so dass sich auch die Politik auf Dauer nicht mehr dieser Thematik verschließen kann.
Wir möchten Sie daher bitten, dafür zu sorgen, dass auch Männer, die häusliche Gewalt erlitten haben, in Nordrhein-
Westfalen schnelle, professionelle und wirksame Hilfe erhalten.