Der Irrsin der Autörität
26.09.2006 um 08:27
Auch wenn "Autörität" wie der Titel eines Album von Motörhead klingt, möchte ich alsalter Sack (Jg. 54) doch mal drauf eingehen.
In meiner Kinder- und Jugendzeit wardas, was man heute als "autoritär" bezeichnet, übliche Erziehungsmethode. In Familie,Schule und Berufsausbildung wurde geschlagen und schikaniert. Die Lehrer mussten sichmorgens vor der Klasse noch zusammen reissen, damit sie nicht den rechten Arm hochrissen.Rohrstockprügel, ins Gesicht geworfene Schlüsselbunde, Ehrenrunden im Entengang um denSportplatz und vielstündige Strafarbeiten waren Bestandteil des Unterrichts. Gernerinnere ich mich an sogenannte Mathe-Wettbewerbe, bei denen alle stehen mussten. Wereine Frage zuerst und richtig beantwortete, durfte sich setzen, der Letzte wurdekollektiv ausgelacht. Im Schwimmunterricht wurden Nichtschwimmer vom Lehrer zur Freudeder anderen Schüler ins Wasser geschubst: "Nun schwimm mal schön!"
Ich könnte dieseListe endlos fortsetzen, aber dieses Altmännergewäsch dürfte die Jüngeren nur langweilen.
Heute hat sich, glaubt man den Medien, das Bild gewandelt. Heute sind die meistenLehrer froh, wenn sie nicht von den Schülern verprügelt und von den Eltern schikaniertwerden.
Ich denke, "Autorität" hat nichts mit Gebrüll und Schlägen, sondern sehrviel mit Vorbild zu tun. Auch wenn er historisch belastet ist, so ist an dem Spruch: "Werführen will, muss Vorbild sein", doch etwas wahres dran.
Ich kann von meinen Kindernnichts verlangen, was ich nicht selbst als Kind oder heute zu leisten bereit war bzw.bin.
Ich kann nicht verlangen, dass sie ihre Bude aufräumen, wenn mein eigenerSchreibtisch aussieht wie Dresden 45. Ich kann nicht verlangen, dass sie Sport treiben,wenn mein einziger Sport im einarmigen Halbliter-Reissen besteht. Ich kann nichtverlangen, dass sie lernen, wenn ich meine Zeit nutzlos vor der Glotze verdaddel, ichkann nicht von ihnen verlangen, dass sie respektvoll mit anderen umgehen, wenn ich ihnennicht selbst mit Respekt begegne.
Diese Aufzählung mag jeder für sich beliebig langfortsetzen.
So gesehen, erziehe ich meine Kinder durchaus "autoritär" -andererseits aber schon im Sinne von "Anti-Autorität", d.h. kritisch gegenübersogenannten "Autoritäten": Nicht immer alles kritiklos glauben, was man hört, sieht,liest. Nicht vor der Obrigkeit buckeln, nicht annehmen, "die da oben" wüssten schon, wasgut ist und was nicht, nicht vermuten, es gebe einen irgendwie gearteten Gott, der demganzen einen Sinn gibt - sondern aufstehen, den Mund aufmachen, sich gegenUngerechtigkeit mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zur Wehr setzen, sich fürSchwächere engagieren usw.
Ich denke, das ist eine gute Mischung. Letztlich ist esallerdings auch irgendwann egal: Unsere Kinder werden uns ohnehin hassen (müssen),entweder für das, was wir getan haben, oder aber für das, was wir nicht getan haben. Wersich mit diesem Gedanken nicht anfreunden kann, schaffe sich lieber einen Goldfisch an.
Wie sprachen doch die Schüler in der Freiarbeits-Stunde zur Lehrerin:
"Müssen wir heute schon wieder tun, was wir wollen?"