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Ist die Realität lediglich ein Film in unserem Gehirn?
20.05.2006 um 23:38Ist das Bewusstsein eine nahtlose Erfahrung oder eine Kette flüchtiger Bilder, wie die Einzelbilder eines Filmes? Die Antwort zu dieser Frage ist ausschlaggebend dafür, ob die Weise, wie wir die Welt wahrnehmen eine Illusion ist.
Das Gehirn ist ein erstaunlich dynamisches Organ. Aus allen Ecken unserer grauen Masse senden Millionen von Neuronen einen endlosen Strom von Signalen. Viele der Neuronen scheinen spontan zu feuern, ohne irgendwelche erkennbaren Auslöser. Mithilfe neuer Techniken, wie der Elektroenzephalografie oder Mikroelektroden- Aufnahmen, lauschen die Forscher dem polyphonen Konzert in unseren Köpfen. Jede mentale Aktivität wird von einem endlosen Crescendo und Diminuendo von Hintergrundgeräuschen begleitet. Das zugrunde liegende Prinzip dieses Spektakels ist noch nicht gänzlich verstanden. Nichtsdestotrotz erzeugt, wie jeder weiß, dieses Chaos unser eigenes und einzigartiges Bewusstsein.
Und doch fällt es uns schwer, sich für längere Zeit auf einen Gegenstand zu konzentrieren. Ständig scheint unsere Aufmerksamkeit von einer Sache zur nächsten zu springen. Gerade erst habe ich diesen Satz geschrieben und schon bewegen sich meine Augen vom Computerbildschirm zu den Bäumen hinter meinem Fenster. In der Ferne höre ich einen Hund bellen. Dann erinnere ich mich an den Fristtermin für diesen Artikel - der nicht noch einmal verlängert wird. Entschlossen zwinge ich mich dazu die nächste Zeile zu tippen.
Wie kommt dieser Ablauf von Eindrücken zustande? Ist unsere Wahrnehmung wirklich so durchgängig und fortlaufend, wie sie scheint, oder ist sie in einzelne Zeitabschnitte unterteilt, wie bei einem Film? Diese Frage gehört zu der von Psychologen und Neurologen am meisten untersuchten Problematik. Die Antworten darauf werden nicht nur unsere Neugier befriedigen - sie werden uns auch Aufschluss darüber geben, ob unsere Wahrnehmung der Realität präzise oder nur eine Fiktion ist und ob meine Fiktion sich von Ihrer unterscheidet.
Haben Sie das Tier gesehen?
Nichts, von dem was wir wahrnehmen, denken oder fühlen fällt aus heiterem Himmel vor unser geistiges Auge. Jeder mentale Vorgang resultiert aus einem bestimmten Vorgang in unserem Gehirn. Wissenschaftliche Untersuchungsmethoden sind noch nicht ausgereift, um die neuronalen Prozesse, die von unserem bewussten Erleben begleitet werden, genau zu beobachten. Nichtsdestotrotz wurde schon viel über die neuronalen Grundlagen der subjektiven Erfahrung gelernt. Die jedem bewussten Vorgang zugrunde liegenden neuronalen Vorgänge bezeichnet man als "neuronaler Korrelate des Bewusstseins". Wie müssen wir uns die Entstehung und das Verschwinden solcher neuronaler Korrelate vorstellen? Entspringen sie urplötzlich aus den Tiefen unseres Unterbewusstseins, nur um sogleich wieder zu verschwinden? Solch ein Alles oder Nichts Prinzip würde zweifellos unserer subjektiver Erfahrung entsprechen, bei der ein Gedanken oder eine Empfindung plötzlich auftaucht und dann wieder verschwindet. Andererseits könnten sich neuronale Korrelate aber auch über einen längeren Zeitraum aufbauen bis sie in unser Bewusstsein vordringen und anschließend langsam abklingen, bis wir sie nicht mehr länger wahrnehmen können.
Diese zweite Theorie wird von dem Psychologen Talis Bachmann von der Tartu Universität in Estland unterstützt. Bachmann glaubt, dass das Bewusstsein für jeden Gedanken oder Sinneseindruck Zeit braucht, vergleichbar mit der Entwicklung eines Fotos.
Jede bewusste Empfindung, etwa die Farbe rot, erscheint nicht sofort - wir werden uns ihr allmählich bewusst. Eine große Anzahl experimenteller Arbeit scheint diese Hypothese zu unterstützen.
Die naheliegenste Methode, um die zeitliche Struktur unseres Bewussteins zu untersuchen, ist die Messung der Reaktionszeit. Schon im 19. Jahrhundert setzten Psychologen verschiedene Testkandidaten Blitzen von Licht aus, die in Dauer und Intensität variierten. Man versuchte herauszufinden, wie lange ein Mensch einem Reiz ausgesetzt sein müsste, um ihn bewusst wahrzunehmen und wie zeitnah zwei Reize beieinander liegen müssten, um als ein einzelner wahrgenommen zu werden. Heutzutage lassen Forscher einen kleinen schwarzen Balken auf einem Computermonitor aufblitzen und Probanden müssen dann einen Knopf drücken, wenn sie erkannt haben, ob der Streifen horizontal oder vertikal war. Wenn man jedoch mit dieser Methode misst, beinhaltet die Reaktionszeit nicht nur die Zeit, die das Auge und das Gehirn brauchen, um den Reiz zu verarbeiten, sondern auch die gewünschte motorische Reaktion - den Knopf zu drücken.
Um diese beiden Elemente zu trennen, haben Wissenschaftler, wie Simon J. Thorpe des Institutes für Gehirnforschung in Toulouse, Frankreich die so genannten evozierten Potenziale gemessen - Änderungen der elektrischen Aktivität von Neuronen im Gehirn. Dieses Gehirnsignal kann von an der Kopfhaut befestigten Elektroden erfasst werden, wie bei einer EEG-Aufnahme. In einem Experiment wurden Probanden dazu aufgefordert schnell zu entscheiden, ob ein Bild, das für den Bruchteil einer Sekunde aufblitzte, ein Tier beinhaltete oder nicht. Diese Aufgabe erwies sich als nicht schwer, obwohl die Kandidaten nicht wussten, was für eine Art von Tier gezeigt werden würde.
Es stellte sich heraus, dass die Personen weniger als eine halbe Sekunde brauchten, um die korrekte Antwort zu geben. Diese Zeit glich in etwa der Zeit, die die Probanden brauchten, um einen Knopf zu drücken, je nachdem, ob sie ein Auto oder eine andere Art von Transportmittel sahen. Die Forscher verglichen dann die Gehirnreaktionen, die von den Tierbildern ausgelöst wurden, mit denen, die von Bildern ohne Tiere ausgelöst wurden. In den ersten Bruchteilen einer Sekunde nach den optischen Präsentationen waren die EEG-Muster annährend identisch.
Ein Nervenpuls benötigt etwa 30 bis 50 Millisekunden um von der Netzhaut zum Sehzentrum des zerebralen Kortex im hinteren Bereich des Kopfes zu gelangen. Das durch die Tierbilder evozierte Potenzial unterschied sich um 150 Millisekunden von dem elektrischen Gehirnpotenzial, das auf die Nicht-Tierbilder folgte. In anderen Worten, nach etwa einem Zehntel einer Sekunde begann etwas im zerebralen Kortex die Tierbilder von Nicht-Tierbildern zu unterscheiden. Wenn man sich vor Augen führt, dass die Verarbeitungszeit einzelner Neuronen im Millisekundenbereich liegt, ist diese Einordnung bemerkenswert schnell und kann wohl nur durch massive Parallelverarbeitung bewältigt werden.
Dieses Ergebnis bedeutet jedoch nicht, dass die Information "Tier" oder "Kein Tier" innerhalb von 150 Millisekunden bewusst abrufbar ist. Die Beobachtung findet während eines Aufblitzens statt, aber das Gehirn braucht noch mehr Zeit, um dazu auch bewusste Eindrücke zu erzeugen.
Maskierte Realität
Seltsame Dinge können passieren, wenn Reize in schneller Abfolge aufeinander folgen und dabei spielt es keine Rolle, ob diese visuell, akustisch oder taktil sind.
Zum Beispiel kann die Wahrnehmung eines Bildes vorherige Bilder oder nachfolgende Bilder verzerren oder sie komplett verdrängen, wenn diese auf einem Monitor aufblitzen.
Psychologen bezeichnen diesen Effekt als "Masking". Masking verdeutlicht, dass unsere Wahrnehmung erheblich von der Realität abweichen kann. Solche systematischen Störungen der Wahrnehmung lehren die Wissenschaftler die Gesetze, nach denen sich unser Verstand seine Sicht der Welt konstruiert.
Die am meisten benutze Technik unseres Verstandes ist das "Backward-Masking", auch genannt Metakontrast, bei dem die Maskierung auf einen anfänglichen Reiz folgt. Hierbei können beide Reize komplett verschmelzen, wie der Neuropsychologe Robert Efron von der California Universität herausfand. Als Efron einigen Testpersonen ein 10 Millisekunden langes grünes Licht einblendete, dem direkt anschließend ein 10 Millisekunden langes rotes Licht folgte, berichteten die Personen von einer einzigen Einblendung. Welche Farbe sahen sie? Gelb, anstatt ein Rotes Licht, gefolgt von einem Grünen. Zwei Bilder in rascher Aufeinanderfolge führen oft zu einem einzelnen bewussten Eindruck.
Kürzlich benutzte der Bewusstseinsforscher Stanislas Dehaene vom INSERM in Orsay, Frankreich die Masking Technik, um die Wortverarbeitung zu untersuchen. Dehaene zeigte Versuchspersonen, die in einem Kernspintomografen lagen, in rascher Abfolge eine Reihe von Dias. Auf diesen Dias standen einfache Wörter, wie "Löwe." Diese Wörter erschienen für knapp 30 Millisekunden - gerade lang genug, um sie korrekt entschlüsseln zu können. Wurden jedoch vor und nach dem Wort eine Reihe von zufälligen Bildern eingeblendet, so fiel die Wahrnehmung drastisch.
Während das Wort gesehen wurde, registrierte der Kernspintomograf starke Gehirnaktivität an mehreren Orten, wie dem Seh- und Sprechzentrum. Wurde die Einblendung des Wortes "Löwe" jedoch zuvor und danach von raschen Bildern begleitet, so wurde die Gehirnaktivität gedämpft und beschränkte sich lediglich auf Bereiche des visuellen Kortexes. Das Masking unterdrückte die bewusste Wahrnehmung des Wortes "Löwe" und nur die Reizverarbeitung des visuellen Gehirnes wurde aktiviert.
Wissenschaftler haben den zeitlichen Abstand zwischen korrekter Reizverarbeitung und noch vollbrachtem Masking bestimmt - auf etwa 100 Millisekunden. Das heißt, dass ein Bild, das die Netzhaut für ein zehntel einer Sekunde nach einem ersten Bild trifft, die bewusste Wahrnehmung des ersten Bildes ausschalten kann. Doch obwohl das Masking die Entwicklung eines visuellen Eindruckes verhindert, kann es die unbewusste Verarbeitung nicht verhindern: Probanden, die ermuntert wurden zu raten, haben die ersten Bilder oft richtig identifiziert, obwohl diese von der bewussten Wahrnehmung unterdrückt wurden.
Wie lange dauert ein Moment?
Wie können wir uns solche Abweichungen erklären? Wie ist es für einen zweiten Reiz überhaupt möglich die Wahrnehmung eines Reizes, der schon längst angekommen ist, zu beeinträchtigen? Stellen Sie sich zwei Wellen vor, die auf einen Strand treffen - wenn sie sich im gleichen Tempo bewegen, sollte die zweite Welle die erste niemals einholen können. Bei der neuronalen Verarbeitung sind jedoch Rückkopplungsmechanismen involviert. Sobald neuronale Signale innerhalb des visuellen Kortexes oder auch zwischen dem Kortex und tieferen Gehirnregionen anfangen hin und her zu pendeln, können nachfolgende Informationen diesen Vorgang stören und so die Verarbeitung früherer Informationen beeinträchtigen.
Bis zu welchen Zeitabständen sich das Masking ausweiten kann, gibt uns Aufschluss über die zeitliche Verzögerung der Rückkopplungsschleifen im Gehirn. Wenn wir die experimentell bestimmte maximale Masking Zeitspanne von etwa 100 Millisekunden zu den 150 Millisekunden addieren, die nötig sind um einen visuellen Reiz wahrzunehmen, ergibt das ein Minimum von einer Viertelsekunde, die das Gehirn benötigt um einen Reiz bewusst zu sehen. Abhängig von den Reizeigenschaften kann diese Zeitspanne sogar noch länger sein, jedoch selten kürzer.
Wie es scheint, hingt unsere Wahrnehmung der Realität beträchtlich nach - und wir kriegen davon nichts mit.
Sinneseindrücke kommen und gehen aus einer Vielzahl von Gründen: Augenbewegungen, Änderung der Aufmerksamkeit, oder einfach, wenn Sinneszellen müde werden. Mit der Zunahme von visuellen Eindrücken zum Beispiel nimmt die neuronale Aktivität im visuellen Kortex stetig zu, kann dort jedoch steil abfallen, wenn eine gewisse Schwelle erreicht ist. Dies ist auch der Grund dafür, warum einem ein Licht, dass nur kurz aufblitzt heller erscheint, als ein kontinuierlicher Lichtstrahl mit der gleichen Intensität. Nach der anfänglichen schnellen Zunahme, beginnt die Wahrnehmung der Helligkeit des Lichtes langsam auf ein niedrigeres Niveau abzuklingen. Jedoch spielt hierbei auch die Veränderung der Iris eine wichtige Rolle.
Wenn die Wahrnehmung solch einer einfachen Information so verschieden sein kann, dann stellen Sie sich einmal vor, wie schwer es für das Gehirn sein muss die tatsächliche Welt einzuschätzen und zu verarbeiten. Eines der bedeutensten Themen mit dem die Bewusstseinsforschung konfrontiert wird, ist die Tatsache, dass die Welt um uns herum so unglaublich komplex und vielseitig ist. Objekte können nur selten auf einfache Eigenschaften wie Farbe oder Helligkeit reduziert werden. Ein Gesicht zum Beispiel ist durch einzigartige Formen, Konturen, Farben und Beschaffenheiten gekennzeichnet. Die Position und der Blick der Augen, das Spiel mit dem Mund, die Form der Nase, Hautfalten und kleine Unreinheiten - wie verknüpfen wie all diese Details zu einem einheitlichen Eindruck der Person miteinander, der uns Aufschluss über den Charakter, das Geschlecht und die emotionale Verfassung eines Menschen gibt?
Diese Frage beschäftigt sich mit dem so genannten Bindungsproblem. Wenn neuronale Korrelate im Gehirn zu verschiedenen Zeitpunkten entstehen, müsste man dann nicht jede der Reizeigenschaften mit einer zeitlichen Verzögerung wahrnehmen? Wie schafft es das Gehirn, all die individuellen Aktivitäten miteinander zu verbinden?
Der Neurobiologe Semir Zeki vom University College London hat sich für viele Jahre mit dieser Frage auseinandergesetzt. Er präsentierte Testpersonen Vierecke, die zum einen ständig ihre Richtung änderten und zum anderen zufällig ihre Farbe wechselten. Dabei konnte er zeigen, dass eine Farbveränderung der Objekte etwa 60 bis 80 Millisekunden schneller wahrgenommen wird, als die Richtungsänderung der Vierecke. Diese Erkenntnis lässt darauf schleißen, dass wohl doch nicht so viel an der Annahme eines einheitlichen Bewusstseins dran ist.
Solche Unstimmigkeiten machen sich im Alltag jedoch nur selten bemerkbar. Wenn zum Beispiel ein Auto an Ihnen vorbeifährt scheint seine Form ja auch nicht hinter seiner Farbe zurückzubleiben, obwohl die Verarbeitung von Farbe, Geräusch, Form, Geschwindigkeit und Richtung in verschiedenen Gehirnregionen stattfindet. Ein einheitlicher Eindruck wird schnell erzeugt, da das Gehirn kein Mechanismus besitzt, um die Asynchronität zu registrieren.
Wir sind uns fast nie über die Zeitverzögerungen bewusst. Wir nehmen einfach alle Eigenschaften eines Objektes gleichzeitig wahr - so zusammenhanglos das Gesamtbild auch sein mag.
Schnappschüsse aus der Zeit
Eine verbreitete Metapher für das Bewusstsein besagt, dass wir alle Dinge wie in einem Zeitfluss wahrnehmen. Dies würde voraussetzen, dass unsere Wahrnehmung vom Moment des Aufwachens bis zu dem Punkt, an dem wir unseren Kopf abends auf das Kissen legen, nahtlos fortschreitet. Jedoch könnte diese Kontinuität des Bewusstseins eine weitere Illusion sein. Patienten, die extreme Migränebeschwerden haben, berichten von kinematographischem Sehen bei denen sie Bilder wie in einem Zeitraffer sehen. Der Neurologe Oliver Sacks behauptet, dass diese Menschen zeitweise ihren Sinn für visuelle Abläufe verlieren und stattdessen eine flackernde Aneinanderreihung von Bildern wahrnehmen. Diese Bilder scheinen sich nicht zu überschneiden, sie dauern lediglich zu lange an.
Sack berichtet von einer Frau aus einem Krankenhaus, die dabei war sich ihr Badewasser einzulassen. Als das Wasser eine Tiefe von etwa fünf Zentimetern erreicht hatte, stieg sie in die Wanne und starrte auf den Wasserhahn - nach einiger Zeit begann das Wasser über den Rand der Wanne überzulaufen. Erst als Sack das Bad betrat und die Frau berührte, bemerkte sie die Überschwemmung. Später berichtete sie, dass sie während der Zeit das Bild vor Augen hatte, wie das Wasser in die wenige Zentimeter gefüllte Badewanne strömte. Sie bemerkte keine visuelle Veränderung, bis Sack die Frau berührte. Der Neurologe erfuhr kinematographisches Sehen selbst, nachdem er Sakau, ein beliebtes Rauschmittel aus Mikronesien, trank. Dabei beschrieb er eine schwankende Palme als "eine Abfolge von Einzelbildern, wie bei einem Film, der zu langsam abläuft." Oft berichten Konsumenten von Marihuana von ähnlichen Veränderungen in der visuellen Wahrnehmung während des "Highs".
Diese klinischen Beobachtungen zeigen uns, dass wir die zeitliche Zersplitterung von Ereignissen unter normalen Umständen nahezu nie wahrnehmen. Unsere Wahrnehmung scheint das Resultat aus einer Reihe individueller Schnappschüsse zu sein, die wir aneinandergereiht als ablaufende Bewegung deuten. Das Wichtige ist, dass wir Ereignisse die mehr oder weniger zur selben Zeit passieren, als gleichzeitig erleben.
Die Dauer solcher Schnappschüsse liegt je nach Studie bei 20 bis 200 Millisekunden. Wir wissen noch nicht genau, ob diese Abweichungen aus Ungenauigkeiten der Messungen resultieren oder ob sie einen grundlegenden Qualitätsunterschied von Neuronen widerspiegeln. Wenn letzteres stimmen würde, dann dürften Menschen mit "schnellen" Neuronen einen klaren biologischen Vorteil gegenüber Menschen mit "langsamen" Neuronen haben.
Unsere Wahrnehmung hinkt der Realität nach und verursacht so Zweifel an der angenommenen Einheit des Bewusstseins.
Nehmen Sie an, dass die Schnappschüsse jedes Momentes aus irgendeinem Grund an Dauer zunehmen, so dass weniger Schnappschüsse pro Sekunde verarbeitet werden. In diesem Fall würde ein äußeres Ereignis kürzer erscheinen und die Zeit würde anscheinend schneller vergehen. Wenn die individuellen Bilder jedoch in ihrer Dauer kürzer wären und daher mehr von ihnen pro Zeiteinheit wahrgenommen würden, dann hätte dies den Anschein, dass die Zeit langsamer vergeht.
Menschen, die einen schweren Autounfall, Naturkatastrophen oder anderer traumatische Erlebnisse hatten berichten oft, dass sie alles wie in Zeitlupe erlebt hätten. Noch wissen wir relativ wenig darüber, wie unser Gehirn den Sinn für das Zeitgefühl erzeugt. Wenn Veränderungen großer Vereinigungen von Neuronengruppen wirklich die neuronalen Korrelate des Bewusstseins darstellen, dann sind unsere topmodernen Untersuchungsmethoden zu ungenau, um diesem Prozess zu folgen.
Unsere Methoden decken bei hoher Zeitauflösung entweder nur große Regionen des Gehirns ab, oder wir beobachten ausschließlich die Aktivität eines oder weniger Neurone innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde. Wir brauchen noch empfindlichere Instrumente, die das gesamte Gehirn abdecken und so Aufschluss darüber geben, wie weit zerstreute Gruppen von tausenden von Neuronen zusammenarbeiten. Mit der Zeit werden uns immer bessere Technologien zur Verfügung stehen, die es uns wohlmöglich irgendwann einmal erlauben werden, das Bewusstsein selbst zu manipulieren. Beim augenblicklichen Stand der Dinge ist dies jedoch nur ein Traum.
Das Gehirn ist ein erstaunlich dynamisches Organ. Aus allen Ecken unserer grauen Masse senden Millionen von Neuronen einen endlosen Strom von Signalen. Viele der Neuronen scheinen spontan zu feuern, ohne irgendwelche erkennbaren Auslöser. Mithilfe neuer Techniken, wie der Elektroenzephalografie oder Mikroelektroden- Aufnahmen, lauschen die Forscher dem polyphonen Konzert in unseren Köpfen. Jede mentale Aktivität wird von einem endlosen Crescendo und Diminuendo von Hintergrundgeräuschen begleitet. Das zugrunde liegende Prinzip dieses Spektakels ist noch nicht gänzlich verstanden. Nichtsdestotrotz erzeugt, wie jeder weiß, dieses Chaos unser eigenes und einzigartiges Bewusstsein.
Und doch fällt es uns schwer, sich für längere Zeit auf einen Gegenstand zu konzentrieren. Ständig scheint unsere Aufmerksamkeit von einer Sache zur nächsten zu springen. Gerade erst habe ich diesen Satz geschrieben und schon bewegen sich meine Augen vom Computerbildschirm zu den Bäumen hinter meinem Fenster. In der Ferne höre ich einen Hund bellen. Dann erinnere ich mich an den Fristtermin für diesen Artikel - der nicht noch einmal verlängert wird. Entschlossen zwinge ich mich dazu die nächste Zeile zu tippen.
Wie kommt dieser Ablauf von Eindrücken zustande? Ist unsere Wahrnehmung wirklich so durchgängig und fortlaufend, wie sie scheint, oder ist sie in einzelne Zeitabschnitte unterteilt, wie bei einem Film? Diese Frage gehört zu der von Psychologen und Neurologen am meisten untersuchten Problematik. Die Antworten darauf werden nicht nur unsere Neugier befriedigen - sie werden uns auch Aufschluss darüber geben, ob unsere Wahrnehmung der Realität präzise oder nur eine Fiktion ist und ob meine Fiktion sich von Ihrer unterscheidet.
Haben Sie das Tier gesehen?
Nichts, von dem was wir wahrnehmen, denken oder fühlen fällt aus heiterem Himmel vor unser geistiges Auge. Jeder mentale Vorgang resultiert aus einem bestimmten Vorgang in unserem Gehirn. Wissenschaftliche Untersuchungsmethoden sind noch nicht ausgereift, um die neuronalen Prozesse, die von unserem bewussten Erleben begleitet werden, genau zu beobachten. Nichtsdestotrotz wurde schon viel über die neuronalen Grundlagen der subjektiven Erfahrung gelernt. Die jedem bewussten Vorgang zugrunde liegenden neuronalen Vorgänge bezeichnet man als "neuronaler Korrelate des Bewusstseins". Wie müssen wir uns die Entstehung und das Verschwinden solcher neuronaler Korrelate vorstellen? Entspringen sie urplötzlich aus den Tiefen unseres Unterbewusstseins, nur um sogleich wieder zu verschwinden? Solch ein Alles oder Nichts Prinzip würde zweifellos unserer subjektiver Erfahrung entsprechen, bei der ein Gedanken oder eine Empfindung plötzlich auftaucht und dann wieder verschwindet. Andererseits könnten sich neuronale Korrelate aber auch über einen längeren Zeitraum aufbauen bis sie in unser Bewusstsein vordringen und anschließend langsam abklingen, bis wir sie nicht mehr länger wahrnehmen können.
Diese zweite Theorie wird von dem Psychologen Talis Bachmann von der Tartu Universität in Estland unterstützt. Bachmann glaubt, dass das Bewusstsein für jeden Gedanken oder Sinneseindruck Zeit braucht, vergleichbar mit der Entwicklung eines Fotos.
Jede bewusste Empfindung, etwa die Farbe rot, erscheint nicht sofort - wir werden uns ihr allmählich bewusst. Eine große Anzahl experimenteller Arbeit scheint diese Hypothese zu unterstützen.
Die naheliegenste Methode, um die zeitliche Struktur unseres Bewussteins zu untersuchen, ist die Messung der Reaktionszeit. Schon im 19. Jahrhundert setzten Psychologen verschiedene Testkandidaten Blitzen von Licht aus, die in Dauer und Intensität variierten. Man versuchte herauszufinden, wie lange ein Mensch einem Reiz ausgesetzt sein müsste, um ihn bewusst wahrzunehmen und wie zeitnah zwei Reize beieinander liegen müssten, um als ein einzelner wahrgenommen zu werden. Heutzutage lassen Forscher einen kleinen schwarzen Balken auf einem Computermonitor aufblitzen und Probanden müssen dann einen Knopf drücken, wenn sie erkannt haben, ob der Streifen horizontal oder vertikal war. Wenn man jedoch mit dieser Methode misst, beinhaltet die Reaktionszeit nicht nur die Zeit, die das Auge und das Gehirn brauchen, um den Reiz zu verarbeiten, sondern auch die gewünschte motorische Reaktion - den Knopf zu drücken.
Um diese beiden Elemente zu trennen, haben Wissenschaftler, wie Simon J. Thorpe des Institutes für Gehirnforschung in Toulouse, Frankreich die so genannten evozierten Potenziale gemessen - Änderungen der elektrischen Aktivität von Neuronen im Gehirn. Dieses Gehirnsignal kann von an der Kopfhaut befestigten Elektroden erfasst werden, wie bei einer EEG-Aufnahme. In einem Experiment wurden Probanden dazu aufgefordert schnell zu entscheiden, ob ein Bild, das für den Bruchteil einer Sekunde aufblitzte, ein Tier beinhaltete oder nicht. Diese Aufgabe erwies sich als nicht schwer, obwohl die Kandidaten nicht wussten, was für eine Art von Tier gezeigt werden würde.
Es stellte sich heraus, dass die Personen weniger als eine halbe Sekunde brauchten, um die korrekte Antwort zu geben. Diese Zeit glich in etwa der Zeit, die die Probanden brauchten, um einen Knopf zu drücken, je nachdem, ob sie ein Auto oder eine andere Art von Transportmittel sahen. Die Forscher verglichen dann die Gehirnreaktionen, die von den Tierbildern ausgelöst wurden, mit denen, die von Bildern ohne Tiere ausgelöst wurden. In den ersten Bruchteilen einer Sekunde nach den optischen Präsentationen waren die EEG-Muster annährend identisch.
Ein Nervenpuls benötigt etwa 30 bis 50 Millisekunden um von der Netzhaut zum Sehzentrum des zerebralen Kortex im hinteren Bereich des Kopfes zu gelangen. Das durch die Tierbilder evozierte Potenzial unterschied sich um 150 Millisekunden von dem elektrischen Gehirnpotenzial, das auf die Nicht-Tierbilder folgte. In anderen Worten, nach etwa einem Zehntel einer Sekunde begann etwas im zerebralen Kortex die Tierbilder von Nicht-Tierbildern zu unterscheiden. Wenn man sich vor Augen führt, dass die Verarbeitungszeit einzelner Neuronen im Millisekundenbereich liegt, ist diese Einordnung bemerkenswert schnell und kann wohl nur durch massive Parallelverarbeitung bewältigt werden.
Dieses Ergebnis bedeutet jedoch nicht, dass die Information "Tier" oder "Kein Tier" innerhalb von 150 Millisekunden bewusst abrufbar ist. Die Beobachtung findet während eines Aufblitzens statt, aber das Gehirn braucht noch mehr Zeit, um dazu auch bewusste Eindrücke zu erzeugen.
Maskierte Realität
Seltsame Dinge können passieren, wenn Reize in schneller Abfolge aufeinander folgen und dabei spielt es keine Rolle, ob diese visuell, akustisch oder taktil sind.
Zum Beispiel kann die Wahrnehmung eines Bildes vorherige Bilder oder nachfolgende Bilder verzerren oder sie komplett verdrängen, wenn diese auf einem Monitor aufblitzen.
Psychologen bezeichnen diesen Effekt als "Masking". Masking verdeutlicht, dass unsere Wahrnehmung erheblich von der Realität abweichen kann. Solche systematischen Störungen der Wahrnehmung lehren die Wissenschaftler die Gesetze, nach denen sich unser Verstand seine Sicht der Welt konstruiert.
Die am meisten benutze Technik unseres Verstandes ist das "Backward-Masking", auch genannt Metakontrast, bei dem die Maskierung auf einen anfänglichen Reiz folgt. Hierbei können beide Reize komplett verschmelzen, wie der Neuropsychologe Robert Efron von der California Universität herausfand. Als Efron einigen Testpersonen ein 10 Millisekunden langes grünes Licht einblendete, dem direkt anschließend ein 10 Millisekunden langes rotes Licht folgte, berichteten die Personen von einer einzigen Einblendung. Welche Farbe sahen sie? Gelb, anstatt ein Rotes Licht, gefolgt von einem Grünen. Zwei Bilder in rascher Aufeinanderfolge führen oft zu einem einzelnen bewussten Eindruck.
Kürzlich benutzte der Bewusstseinsforscher Stanislas Dehaene vom INSERM in Orsay, Frankreich die Masking Technik, um die Wortverarbeitung zu untersuchen. Dehaene zeigte Versuchspersonen, die in einem Kernspintomografen lagen, in rascher Abfolge eine Reihe von Dias. Auf diesen Dias standen einfache Wörter, wie "Löwe." Diese Wörter erschienen für knapp 30 Millisekunden - gerade lang genug, um sie korrekt entschlüsseln zu können. Wurden jedoch vor und nach dem Wort eine Reihe von zufälligen Bildern eingeblendet, so fiel die Wahrnehmung drastisch.
Während das Wort gesehen wurde, registrierte der Kernspintomograf starke Gehirnaktivität an mehreren Orten, wie dem Seh- und Sprechzentrum. Wurde die Einblendung des Wortes "Löwe" jedoch zuvor und danach von raschen Bildern begleitet, so wurde die Gehirnaktivität gedämpft und beschränkte sich lediglich auf Bereiche des visuellen Kortexes. Das Masking unterdrückte die bewusste Wahrnehmung des Wortes "Löwe" und nur die Reizverarbeitung des visuellen Gehirnes wurde aktiviert.
Wissenschaftler haben den zeitlichen Abstand zwischen korrekter Reizverarbeitung und noch vollbrachtem Masking bestimmt - auf etwa 100 Millisekunden. Das heißt, dass ein Bild, das die Netzhaut für ein zehntel einer Sekunde nach einem ersten Bild trifft, die bewusste Wahrnehmung des ersten Bildes ausschalten kann. Doch obwohl das Masking die Entwicklung eines visuellen Eindruckes verhindert, kann es die unbewusste Verarbeitung nicht verhindern: Probanden, die ermuntert wurden zu raten, haben die ersten Bilder oft richtig identifiziert, obwohl diese von der bewussten Wahrnehmung unterdrückt wurden.
Wie lange dauert ein Moment?
Wie können wir uns solche Abweichungen erklären? Wie ist es für einen zweiten Reiz überhaupt möglich die Wahrnehmung eines Reizes, der schon längst angekommen ist, zu beeinträchtigen? Stellen Sie sich zwei Wellen vor, die auf einen Strand treffen - wenn sie sich im gleichen Tempo bewegen, sollte die zweite Welle die erste niemals einholen können. Bei der neuronalen Verarbeitung sind jedoch Rückkopplungsmechanismen involviert. Sobald neuronale Signale innerhalb des visuellen Kortexes oder auch zwischen dem Kortex und tieferen Gehirnregionen anfangen hin und her zu pendeln, können nachfolgende Informationen diesen Vorgang stören und so die Verarbeitung früherer Informationen beeinträchtigen.
Bis zu welchen Zeitabständen sich das Masking ausweiten kann, gibt uns Aufschluss über die zeitliche Verzögerung der Rückkopplungsschleifen im Gehirn. Wenn wir die experimentell bestimmte maximale Masking Zeitspanne von etwa 100 Millisekunden zu den 150 Millisekunden addieren, die nötig sind um einen visuellen Reiz wahrzunehmen, ergibt das ein Minimum von einer Viertelsekunde, die das Gehirn benötigt um einen Reiz bewusst zu sehen. Abhängig von den Reizeigenschaften kann diese Zeitspanne sogar noch länger sein, jedoch selten kürzer.
Wie es scheint, hingt unsere Wahrnehmung der Realität beträchtlich nach - und wir kriegen davon nichts mit.
Sinneseindrücke kommen und gehen aus einer Vielzahl von Gründen: Augenbewegungen, Änderung der Aufmerksamkeit, oder einfach, wenn Sinneszellen müde werden. Mit der Zunahme von visuellen Eindrücken zum Beispiel nimmt die neuronale Aktivität im visuellen Kortex stetig zu, kann dort jedoch steil abfallen, wenn eine gewisse Schwelle erreicht ist. Dies ist auch der Grund dafür, warum einem ein Licht, dass nur kurz aufblitzt heller erscheint, als ein kontinuierlicher Lichtstrahl mit der gleichen Intensität. Nach der anfänglichen schnellen Zunahme, beginnt die Wahrnehmung der Helligkeit des Lichtes langsam auf ein niedrigeres Niveau abzuklingen. Jedoch spielt hierbei auch die Veränderung der Iris eine wichtige Rolle.
Wenn die Wahrnehmung solch einer einfachen Information so verschieden sein kann, dann stellen Sie sich einmal vor, wie schwer es für das Gehirn sein muss die tatsächliche Welt einzuschätzen und zu verarbeiten. Eines der bedeutensten Themen mit dem die Bewusstseinsforschung konfrontiert wird, ist die Tatsache, dass die Welt um uns herum so unglaublich komplex und vielseitig ist. Objekte können nur selten auf einfache Eigenschaften wie Farbe oder Helligkeit reduziert werden. Ein Gesicht zum Beispiel ist durch einzigartige Formen, Konturen, Farben und Beschaffenheiten gekennzeichnet. Die Position und der Blick der Augen, das Spiel mit dem Mund, die Form der Nase, Hautfalten und kleine Unreinheiten - wie verknüpfen wie all diese Details zu einem einheitlichen Eindruck der Person miteinander, der uns Aufschluss über den Charakter, das Geschlecht und die emotionale Verfassung eines Menschen gibt?
Diese Frage beschäftigt sich mit dem so genannten Bindungsproblem. Wenn neuronale Korrelate im Gehirn zu verschiedenen Zeitpunkten entstehen, müsste man dann nicht jede der Reizeigenschaften mit einer zeitlichen Verzögerung wahrnehmen? Wie schafft es das Gehirn, all die individuellen Aktivitäten miteinander zu verbinden?
Der Neurobiologe Semir Zeki vom University College London hat sich für viele Jahre mit dieser Frage auseinandergesetzt. Er präsentierte Testpersonen Vierecke, die zum einen ständig ihre Richtung änderten und zum anderen zufällig ihre Farbe wechselten. Dabei konnte er zeigen, dass eine Farbveränderung der Objekte etwa 60 bis 80 Millisekunden schneller wahrgenommen wird, als die Richtungsänderung der Vierecke. Diese Erkenntnis lässt darauf schleißen, dass wohl doch nicht so viel an der Annahme eines einheitlichen Bewusstseins dran ist.
Solche Unstimmigkeiten machen sich im Alltag jedoch nur selten bemerkbar. Wenn zum Beispiel ein Auto an Ihnen vorbeifährt scheint seine Form ja auch nicht hinter seiner Farbe zurückzubleiben, obwohl die Verarbeitung von Farbe, Geräusch, Form, Geschwindigkeit und Richtung in verschiedenen Gehirnregionen stattfindet. Ein einheitlicher Eindruck wird schnell erzeugt, da das Gehirn kein Mechanismus besitzt, um die Asynchronität zu registrieren.
Wir sind uns fast nie über die Zeitverzögerungen bewusst. Wir nehmen einfach alle Eigenschaften eines Objektes gleichzeitig wahr - so zusammenhanglos das Gesamtbild auch sein mag.
Schnappschüsse aus der Zeit
Eine verbreitete Metapher für das Bewusstsein besagt, dass wir alle Dinge wie in einem Zeitfluss wahrnehmen. Dies würde voraussetzen, dass unsere Wahrnehmung vom Moment des Aufwachens bis zu dem Punkt, an dem wir unseren Kopf abends auf das Kissen legen, nahtlos fortschreitet. Jedoch könnte diese Kontinuität des Bewusstseins eine weitere Illusion sein. Patienten, die extreme Migränebeschwerden haben, berichten von kinematographischem Sehen bei denen sie Bilder wie in einem Zeitraffer sehen. Der Neurologe Oliver Sacks behauptet, dass diese Menschen zeitweise ihren Sinn für visuelle Abläufe verlieren und stattdessen eine flackernde Aneinanderreihung von Bildern wahrnehmen. Diese Bilder scheinen sich nicht zu überschneiden, sie dauern lediglich zu lange an.
Sack berichtet von einer Frau aus einem Krankenhaus, die dabei war sich ihr Badewasser einzulassen. Als das Wasser eine Tiefe von etwa fünf Zentimetern erreicht hatte, stieg sie in die Wanne und starrte auf den Wasserhahn - nach einiger Zeit begann das Wasser über den Rand der Wanne überzulaufen. Erst als Sack das Bad betrat und die Frau berührte, bemerkte sie die Überschwemmung. Später berichtete sie, dass sie während der Zeit das Bild vor Augen hatte, wie das Wasser in die wenige Zentimeter gefüllte Badewanne strömte. Sie bemerkte keine visuelle Veränderung, bis Sack die Frau berührte. Der Neurologe erfuhr kinematographisches Sehen selbst, nachdem er Sakau, ein beliebtes Rauschmittel aus Mikronesien, trank. Dabei beschrieb er eine schwankende Palme als "eine Abfolge von Einzelbildern, wie bei einem Film, der zu langsam abläuft." Oft berichten Konsumenten von Marihuana von ähnlichen Veränderungen in der visuellen Wahrnehmung während des "Highs".
Diese klinischen Beobachtungen zeigen uns, dass wir die zeitliche Zersplitterung von Ereignissen unter normalen Umständen nahezu nie wahrnehmen. Unsere Wahrnehmung scheint das Resultat aus einer Reihe individueller Schnappschüsse zu sein, die wir aneinandergereiht als ablaufende Bewegung deuten. Das Wichtige ist, dass wir Ereignisse die mehr oder weniger zur selben Zeit passieren, als gleichzeitig erleben.
Die Dauer solcher Schnappschüsse liegt je nach Studie bei 20 bis 200 Millisekunden. Wir wissen noch nicht genau, ob diese Abweichungen aus Ungenauigkeiten der Messungen resultieren oder ob sie einen grundlegenden Qualitätsunterschied von Neuronen widerspiegeln. Wenn letzteres stimmen würde, dann dürften Menschen mit "schnellen" Neuronen einen klaren biologischen Vorteil gegenüber Menschen mit "langsamen" Neuronen haben.
Unsere Wahrnehmung hinkt der Realität nach und verursacht so Zweifel an der angenommenen Einheit des Bewusstseins.
Nehmen Sie an, dass die Schnappschüsse jedes Momentes aus irgendeinem Grund an Dauer zunehmen, so dass weniger Schnappschüsse pro Sekunde verarbeitet werden. In diesem Fall würde ein äußeres Ereignis kürzer erscheinen und die Zeit würde anscheinend schneller vergehen. Wenn die individuellen Bilder jedoch in ihrer Dauer kürzer wären und daher mehr von ihnen pro Zeiteinheit wahrgenommen würden, dann hätte dies den Anschein, dass die Zeit langsamer vergeht.
Menschen, die einen schweren Autounfall, Naturkatastrophen oder anderer traumatische Erlebnisse hatten berichten oft, dass sie alles wie in Zeitlupe erlebt hätten. Noch wissen wir relativ wenig darüber, wie unser Gehirn den Sinn für das Zeitgefühl erzeugt. Wenn Veränderungen großer Vereinigungen von Neuronengruppen wirklich die neuronalen Korrelate des Bewusstseins darstellen, dann sind unsere topmodernen Untersuchungsmethoden zu ungenau, um diesem Prozess zu folgen.
Unsere Methoden decken bei hoher Zeitauflösung entweder nur große Regionen des Gehirns ab, oder wir beobachten ausschließlich die Aktivität eines oder weniger Neurone innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde. Wir brauchen noch empfindlichere Instrumente, die das gesamte Gehirn abdecken und so Aufschluss darüber geben, wie weit zerstreute Gruppen von tausenden von Neuronen zusammenarbeiten. Mit der Zeit werden uns immer bessere Technologien zur Verfügung stehen, die es uns wohlmöglich irgendwann einmal erlauben werden, das Bewusstsein selbst zu manipulieren. Beim augenblicklichen Stand der Dinge ist dies jedoch nur ein Traum.