Keine Angst?

Guten Abend!

Seit ungefähr 10 Jahren beschäftige ich mich mit "gruseligen" bzw. mit solchen Dingen, bei denen einem normalerweise sehr unbehaglich werden sollte. Naja anfangs was es so gab, Geistergeschichten, Kriminalfälle, Außerirdische usw, so die Klassiker eben.

Seit 2015 habe ich mich dann noch intensiver mit psychischen Krankheiten auseinandergesetzt und auch das DarkNet "erforscht" usw.

Und wie ich so durch das Internet reiste viel mir all die Jahre lang auf, dass ich offenbar vor nichts Angst habe.
Nicht vor Einsamkeit, oder dem Tod, oder dem Tod eines geliebten Menschen... auch nicht vor Spinnen oder Höhen oder was auch immer.
Mein bester Freund hingegen hat vor vielen Dingen Angst und ist sehr schreckhaft. Ich habe ihm schon geholfen die ein oder andere Angst ablegen zu können, meist indem ich ihm etwas vollkommen logisch erklärt habe.
Dazu habe ich einen sehr stark ausgeprägten Beschützerinstinkt.
(Das kommt eventuell daher, dass mein bisheriges Leben von Anfang an ziemlich viel Gewalt enthielt... bin zurzeit 22).

Auch einen Ekelfaktor scheine ich irgendwie nicht zu kennen, also kein Punkt an dem mir beim Anblick die Galle hochkommt... Ich erschrecke mich auch nicht, das ist auch schon immer so gewesen... hm.

Also, ich habe keine mir bekannte Angst, und weiß nicht ob das so in Ordnung ist.
Im Großen und Ganzen ist es zwar irgendwie vorteilhaft, aber es interessiert mich halt, ob vielleicht hier einer von euch etwas findet, wovor ich eventuell Angst habe. Denn alles mir bereits bekannte lässt mich völlig kalt.

Und generell eine Meinung dazu wäre sehr interessant...

Angst ist eine Schutzfunktion, die jeder hat.
Es kann sein, dass du unerschrocken bist, aber es wird Dinge geben, die dir Angst machen.
Verluste, Verrat oder sowas. Solche Sachen halt.

@Teslar

Relativ unempfänglich für Ängste zu sein, kann auf erlerntem Verhalten beruhen. Du deutest Gewalterfahrungen an, so dass man die Hypothese aufstellen könnte, dass es psychisch gesehen zu einem frühen Zeitpunkt deines Lebens von Vorteil gewesen sein dürfte, keine Angst zu empfinden bzw. Ängste abzuwehren, indem sie kompensiert werden. Rationalisieren, das Abspalten von Gefühlen, z.B. durch (rationale) Kontrolle, Leistung und Helferbedürfnisse sind einige solcher Abwehrstrategien.

Angst bahnt sich erst dann den Weg, wenn diese genannten Abwehrstrategien ihren Dienst versagen, du in eine Situation gerätst, in der diese Strategien nicht angewandt werden können oder du mit einer Situation konfrontiert bist, die sich nur emotional kompensieren ließe, statt rational. Handelt es sich also bei deiner Angstfreiheit um ein erlerntes Verhalten, dann dürfte sich unter den genannten Umständen zeigen, dass auch du über diese Emotion verfügst.

P.S.:

...im Übrigen würde auch deine Neigung, kaum Ekel empfinden zu können, für die obige Hypothese erlernten Verhaltens sprechen.

@traces

Ja, das ist eine gute Erklärung... ich bin dir sehr dankbar!
Dennoch interessiert mich wo dieser besagte Punkt liegen mag...

@Teslar

Falls deine Hauptstrategien z.B. in Kontrolle, Leistung und Rationalisieren bestehen, dann könnte es zu (unkontrollierbarer) Angst kommen, wenn deine Kontrollinstanzen nicht funktionieren.

Beispiele:

- Erkrankungen, die mit einem plötzlichen oder schleichenden Verlust von körperlichen Leistungsfunktionen einhergehen
- alle Situationen und Prozesse, die du weder real beeinflussen noch gedanklich einordnen kannst
- alle Situationen, in denen du komplett ausgeliefert und abhängig bist von der Fürsorge und Sicherheit durch Andere
- (...)

Teslar schrieb:Auch einen Ekelfaktor scheine ich irgendwie nicht zu kennen,

traces schrieb:im Übrigen würde auch deine Neigung, kaum Ekel empfinden zu können, für die obige Hypothese erlernten Verhaltens sprechen.

Ich glaube, Ekel und Scham werden komplett anerzogen - ob bewusst oder unbewusst sei mal dahingestellt.

Was die Angst anbelangt - jeder hat irgendeine Form von Angst, wie @traces schon schrieb.
Natürlich ist sie bei jedem verschieden (und kann auch zum Teil anerzogen sein).

Manchmal merkt man erst, dass man Angst verspürt, wenn man in einer bestimmten Situation ist.
Das bloße Darübernachdenken löst noch keine Angst aus.

@kilroy90

Ekel ist grundsätzlich ein biologischer (Überlebens-) Instinkt. Er ist angeboren, kann aber beeinflusst und in seiner Funktionsweise überformt (also abgeschwächt oder verstärkt) werden durch Modelllernen.

Trotzdem ist und bleibt es ein Instinkt.

Ich vermute, ich habe einfach schon so viel Übel ansehen müssen und miterlebt, dass mir die meisten "schlimmen Dinge" einfach egal geworden sind...

@Teslar

Ja, das nennt man dann manchmal auch "systematische Desensibilisierung".

@traces
Hoppla, danke für die Info. :) Ich dachte die ganze Zeit, das Ekel nur anerzogen ist.

Teslar schrieb:Ich vermute, ich habe einfach schon so viel Übel ansehen müssen und miterlebt, dass mir die meisten "schlimmen Dinge" einfach egal geworden sind...

Das ist natürlich heftig, aber komplett ausschließen würde ich nicht, dass du keine Angst hast.
Eventuell nicht vor Gewalt/Verlust, aber zum Beispiel vor Blümchen.
Ich will es nicht ins Lächerliche ziehen, aber wie gesagt, kann es sein, dass du auf bestimmte Sachen, die andere als harmlos ansehen, ängstlich reagierst oder aber erst dann reagierst, wenn du direkt damit konfrontiert wirst.

kilroy90 schrieb:Ich will es nicht ins Lächerliche ziehen, aber wie gesagt, kann es sein, dass du auf bestimmte Sachen, die andere als harmlos ansehen, ängstlich reagierst oder aber erst dann reagierst, wenn du direkt damit konfrontiert wirst.

...guter Gedanke.... Liebe ist z.B. ein Gefühl, was Angst-kontrollierten Menschen oft "Angst" macht. Sich Fallen-Lassen, sich überlassen, sich einlassen....

Ich wüsste nur zu gern wie belastbar ich tatsächlich bin.
Ich hab schon diverse Freunde damit beauftragt, mir Dinge zu zeigen die ihnen Unbehagen bereiten. ja ich würde gern auch in so einem "Geisterhaus" übernachten oder so, vielleicht gibt mir das ja irgendwas womit ich Arbeiten kann.

Habe ein wenig gehofft dieser Thread entwickelt sich zu so einem, wo mir ein Paar User ihre größten Ängste schildern und/oder irgendwelche Merkwürdigen Bilder, Websites und Videos posten.

Ich wüsste verdammt gern, wie sich Angst anfühlt.

@Teslar

Wieso in die Ferne schweifen, sieh, das Gute liegt so nah.... ;)

Du hast doch nun schon wiederholt die Erfahrung gemacht, dass dich Grusel-und Ekel-Kram völlig kalt lassen.

Wenn du dich auf die Suche nach deiner Angst begeben möchtest, dann wäre es doch einfacher, logischer und naheliegender, dort zu beginnen, im ganz normalen Alltag, wo sich in dir Widerstand regt. Begib dich zu Menschen in deinem Umfeld, die du unsympathisch findest oder deren Nähe, Geschwafel etc. dir Unbehagen bereitet, Leute, die dir emotional vielleicht zu nah kommen. Und dann: Bleib in der Situation, statt dich daraus zu entfernen. Schau, was passiert, was in dir hochkommt. Begib dich in Situationen, die du ablehnst, Orte, die du ablehnst oder "sinnlos" findest. Geh 6 Wochen in ein Kloster zum Schweigeseminar. 5 qm, 1 Mini-Fenster, 1 Bett, 1 Stuhl, nix weiter. Lass dich da einschließen und verbringe 6 Wochen in völliger Stille nur mit dir selbst. Du weißt am Besten, welche Situationen du sinnlos oder abtörnend findest - also such sie auf und begib dich hinein.