Fotos,Länder,Leben und Erinnerungen
11.03.2005 um 18:31
Anders reisen
Gregor Hens findet in Tokyo das, was er gesucht hat
Tokyo, werden Sie denken, das ist Stoff für eine Kolumne. Tokyo, das ist exotisch, also genau der Ort, an dem der Kolumnist in etwas hineingerät, wo er etwas Halbernst-Halblustiges mit einer moralischen Komponente erleben kann, genau das Richtige für einen modernen Erbauungstext. Und anders als in, sagen wir, Mexiko-Stadt oder Lahore, wo einem auch hin und wieder Dinge widerfahren, über die man sich lehrreich verbreiten könnte, kommt der Kolumnist hier sogar mit dem Leben davon und kann von seinem Erlebnis berichten. Ich muss Sie allerdings enttäuschen, bisher ist mir absolut nichts Erbauliches passiert, ich habe mich noch nicht einmal verlaufen. Ich ziehe mir überall brav die Schuhe aus (das mache ich in meiner Berliner Wohnung auch), und wenn ich umgerechnet sieben Euro für eine Tasse Tee hinlege, erbleiche ich ganz ordnungsgemäß.
Vielleicht weil ich auf dem langen Flug hierher Gerhard Seyfrieds Herero gelesen habe, ein Buch über deutsche Kolonisten in Afrika, laufe ich dieser Tage durch Tokyo mit geschärft postkolonialem Blick, voller Unbehagen meinem eigenen, eurozentrischen Empfinden gegenüber. Eine Art Reflex macht mir das Leben schwer. Ich kritisiere meine Beobachtungen, noch während ich sie mache. Ich will Befremdliches sehen (und Sie würden vielleicht gern darüber lesen), ich bin auf der Suche nach der verkehrten, verrückten Welt, der Swiftschen. Gleichzeitig weiß ich, dass ich nur das finde, was ich suche. Und das steckt längst als Vorstellung in meinem Kopf.
Meine Beobachtungen, kritisch analysiert, lassen sich einteilen in drei Kategorien. Erstens: Exotisches, mit dem irgendwie zu rechnen war. Teenager in silberglitzernden Fetisch-Outfits, Gemüse aus Okinawa, das aussieht wie ein gigantisches Noppenkondom. Dann, zweitens, das Exotische, das einen wirklich umhaut. Weil es jede Vorstellungskraft übersteigt. Ein wunderschöner Tempel, der alle zwanzig Jahre abgerissen und ein paar Meter weiter wieder aufgebaut wird. In einer Designerboutique eine zwölf Meter hohe Wand aus locker gestapelten Holzscheiten – und das in der erdbebengefährdetsten Großstadt der Welt! In die letzte Kategorie gehören die wirklich verrückten Dinge, mit denen nicht zu rechnen war: italienische Restaurants an jeder Ecke und wunderbare französische Bäckereien, von denen es hier mehr gibt als in Marseille, wo die Leute lieber Sushi essen. Dort tunke ich dann mein Croissant in den Milchkaffee, schaue hinaus auf einen kleinen Stelenfriedhof und frage mich, warum mich selbst das blöde Croissant nervös macht. Und ich merke: Hierin liegt das eigentlich Perfide. Denn auch die Boulangerien sind natürlich ein Volltreffer in Sachen Exotismus. Ich finde es ganz unglaublich, dass die Japaner Croissants mögen, während ich in Köln oder in Chicago mit allergrößter Selbstverständlichkeit Pizza esse. Das Vertraute ist hier das Außergewöhnliche, und mit dem Außergewöhnlichen war ja zu rechnen gewesen.
で、遅い平静深い、
容易さの微笑は、
現在の時、すばらしい時を解放する。