Todesangst
17.05.2007 um 00:03
Hallo Crayven,
Bitte lass los von dieser Rache, welche Du hegst, es ist eineRache, welche gegen Dich selbst gerichtet ist und gegen niemanden sonst. Diesesgottesähnliche Wesen, welches für Dein Leben zuständig sein solle, existiert nur inDeiner Einbildung, auch wenn es Deine Umwelt/Erziehung Dir es so weiss machen wollte oderes ev. immer noch tut.
Dir wurde nur dann als Kind eine „Liebe“ zugesprochen, wennDu die Bedingungen erfüllen tust und nicht wenn Du Dich auf Dein unverfälschtes SelbstDich direkt beziehen würdest. Aber genau dieses, Dein unverfälschtes Selbst ist das wasDich wirklich ausmacht Crayven, Dich wirklich auch unbedingt liebt, Dir die einzigeGeborgenheit zu geben in der Lage ist und im Endeffekt auch für Dein Leben zuständig ist.
Im Prinzip hast Du bei der Erfüllung der Bedingungen, welche an Dich gestelltwurden, begonnen Dein Bewusstsein für Dein eigenes Selbst zu verlieren, indem Du dieGefühle Deiner Eltern/Umfeld nicht mehr wahrgenommen hast, sondern Dich danachausgerichtet hast, wie diese sich selbst sehen. Eine solche Anpassung an die elterlichenMachtbedürfnisse führen zu einer Spaltung in der psychischen Struktur schon als Du Kleinwarst, eigentlich ein Akt des Selbstverrats.
Als Kind hast Du wahrscheinlich DeineInnenwelt von Deiner Interaktion mit der Umwelt getrennt und damit geht auch derZusammenhang und die Wechselwirkung zwischen Handlungen und Motivationen verloren. Umteilhaben zu können an der Macht, die Dich als Kind unterworfen haben, ersetzen Gehorsamund Anpassung die Verantwortung für Dein eigenes Handeln. Dabei hast Du den Bezug zuDeinem Inneren verloren und kannst Dich nur noch auf Dein verfälschtes Selbst beziehen;auf das Image, welches sich an bestimmten Verhalten und an Gefühlslagen orientiert, dieder Umwelt/Eltern gefallen (haben).
Das Bedürfnis und vielleicht auch der Zwang,ein solches Image aufrechtzuerhalten, bemächtigt sich nun all dessen, was Deine eigenenWahrnehmung und die eigenen Gefühle und Mitgefühle hätten sein können Crayven und DeineUnfähigkeit in Dir selbst zu wurzeln, ruft eben nun dieses zerstörerische und destruktiveVerhalten hervor und Du nun auch dagegen „rebellieren“ willst.
Wenn Du nochmagst und es Dir nicht zuviel ist Crayven, so schau mal diesen Text von Arno Gruen an,vielleicht zeigt es Dir etwas zum näheren Verständnis, wie sich etwas entwickelnkann:
Verantwortlich werden für das eigene Selbst ist ein paradoxer Prozess. Werin einfachen Begriffen des zeitlichen Nacheinanders denkt, wird die Wirkmechanismen nieerfassen. Entwicklung ist nie denkbar ohne Einflüsse von aussen. Wir alle haben Eltern,haben Vater oder Mutter, die in uns weiter wirken. Doch die Widersprüche im Innern dermenschlichen Seele entstehen, entfalten ihre eigene Dynamik. So kommt es zu Handlungen,die scheinbar durch bestimmte äussere Ereignisse determiniert sind, in Wahrheit aberwenig oder gar nichts mit ihnen zu tun haben.
Denn nicht nur die Umweltbeeinflusst das kleine Selbst, das wachsen möchte. Die Reaktionen des Kindes auf dieseprägenden Einflüsse wirken ihrerseits auf die Umwelt zurück. Es handelt sich also um eineständige Wechselwirkung. Vater und Mutter können dem Kind ihren Willen aufzwingen, dochArt und Intensität ihres erzieherischen Einflusses werden bestimmt durch die Reaktionendes Kindes.
Die Kompliziertheit dieses Wechselspieles zwischen Kind und Elternliegt darin, dass die Möglichkeit zur Autonomie einerseits in den frühsten Interaktionenzwischen dem werdenden Selbst und seiner Umwelt grundgelegt wird, andererseits aberentscheidend dafür ist, wie weit das Kind Verantwortung für sich selbst übernimmt. Davonhängen alle künftigen Beziehungen innerhalb des sozialen Feldes ab. Grundsätzlich kannVerantwortlichkeit sich in zweierlei Richtungen entwickeln:
Entweder formtsich das werdende Selbst frei und offen in eigener Verantwortung, oder es überlässt sichfügsam dem prägenden Einfluss anderer. Damit weicht es den Verpflichtungen echterVerantwortung aus.
Die Flucht vor der Verantwortung wird dabei aus demBewusstsein verdrängt. Dies muss so sein, weil die Preisgabe der Autonomie durchUnterwerfung unter einen fremden Willen ein elementares Machtspiel in Gang setzt: „Ichwerde so, wie du mich haben willst, damit du für mich sorgst. Meine Unterwerfung ist vonnun an meine Macht über dich, mit der ich deine Fürsorge erzwinge.“ So wird das Sich-abhängig- Machen zur Rache für die Unterwerfung.
Es ist diese RacheCrayven, welche Du im Moment verspürst und es ist auch verständlich, dass Du selbst davonsprichst, dass Du keine Angst vor dem Tode hättest, wenn man ersehen kann, wie es dazugekommen ist. Es ist aber nicht dieselbe Art und Weise, wovon ich in meiner Schilderungdavon gesprochen habe, wie ich den Tod akzeptieren kann und auch keine Angst davor habe,ganz ohne Rache, sondern mit Ruhe und Klarheit.
Nun weiter mitGruen:
Erstens übernimmt das Kind die Bewertung der Eltern. Was manInternalisierung nennt, ist also ein Prozess der Kollaboration durch Unterwerfung.Zweitens bedeutet dies, dass das Kind alles an sich selber zu hassen beginnt, was es inKonflikt mit den Erwartungen seiner Eltern bringen könnte. Und drittens erwächst ausdiesem Selbsthass die Bereitschaft zu immer weiteren Unterwerfung. Damit ist einTeufelskreis in Gang gesetzt: Unterwerfung und Selbstverachtung bedingen sichwechselseitig. Es ist immer beides vorhanden: Selbsthass und Selbstverachtung. Doch ebendie Selbstverachtung darf nicht gefühlt werden, weil sie unerträglich wäre. Darum mussder ganze Prozess unbewusst bleiben; er wird verdrängt und verleugnet, und so stürzt mansich blindlings immer tiefer in die Verstrickungen des Machtspiels.
Hier drinliegt auch die Geburtsstunde des illusionären Ich’s begründet…
So sieht diemenschliche Situation aus, wenn die Mitwirkung an der eigenen Unterwerfung dieEntwicklung charakterisiert. Und wer nicht mehr weiss, dass er sich unterworfen hat, kanndas abgespaltene Selbst auch im späteren Leben nicht integrieren. Der darausresultierende Selbsthass wird alle künftigen Handlungen nähren- als Versuch, dasseelische Ungleichgewicht zu kompensieren. Eigentlich ist ein Leben in Selbsthassunmöglich. Nur wenn man sich dem eigenen Selbst, das sich so bereitwillig unterwerfenkonnte, stellt, dann gelangt man- wenn auch unter Schmerzen- zu einer Verminderung desSelbsthasses. Doch sich ihm stellen, das würde bedeuten, die Unterwerfung anzuerkennen,die einen hassen macht.
Ein Kind aber kann nicht erkennen und damit nichtzugeben, dass es den Schmerz nicht ertragen konnte, in seinem Selbst nicht wirklichangenommen zu werden, nicht anerkannt zu werden. Sich selbst angenommen zu fühlen durchdie Liebe eines anderen ist eine Grundbedingung des menschlichen Wachsens. FriedrichHebbel hat es in einem Gedicht ausgedrückt:
So dir im Auge wundersam
Sah ichmich selbst entstehen.
Der Schmerz darüber, nicht angenommen zu werden, ist sehrwahrscheinlich bei manchen Kindern die Ursache des so genannten plötzlichen Kindstods.Meistens unterwirft sich das Kind, um teilzuhaben an der Macht, die es unterdrückt.Autistische Kinder gehen offensichtlich anders mit diesem Schmerz um, sie scheinen nichtbereit zu sein, ihn zu leugnen…
Es ist sehr paradox: Man kann nicht mit demSelbsthass leben, ohne etwas gegen ihn zu tun. Würde man ihm ins Gesicht sehen, sähe mansich dem Schmerz über den Verrat, den man an sich selbst begangen hat, konfrontiert. Alsowird er geleugnet. Der Widerspruch zwischen dem Bedürfnis, vor sich selbst das Gesicht zuwahren, und der Bereitschaft, sich durch Unterwerfung mit der Macht zu verbünden, istdeshalb die grundlegendste und vielleicht erste Spaltung in der menschlichen Seele. Sieist nicht eine blosse Verdrängung, sondern eine radikale Abspaltung, die Abspaltung vomWissen um das preisgegebene Selbst und den daraus resultierenden Selbsthass. Dies wirdzum Grundprinzip eines ganzen Lebens.
Diese Spaltung ist eingebettet und wirdaufrechterhalten von einer gesellschaftlichen Ideologie, die Gehorsam mit Verantwortunggleichsetzt: Gehorsam sein heisst gut sein, und gut sein heisst verantwortungsvoll sein.Frei sein dagegen ist ungehorsam, und wer ungehorsam ist, fordert Missfallen heraus unddroht den Schutz der Mächtigen beziehungsweise die Chance der Teilhabe an ihrer Macht zuverlieren.
Also Crayven, versuch nicht den „harten Mann“ zu spielen, sondernwerde frei, habe Vertrauen in Dich Selbst und Deine Umwelt, übernimm die Verantwortungfür Dich selbst und lasse los von Rachegelüsten, selbst Dir Schmerzen zufügen, welcheeigentlich für andere "gedacht" sind, versuche zu verstehen was mit Dir und Deiner nahenUmgebung tatsächlich geschehen ist und schaue dem was ist, direkt ins Angesicht.
Ich wünsche Dir wirklich gutes gelingen Crayven und eine Gelassenheit ohne Racheund Schmerzen. :)