@Copyleft Deine "polemische" Sicht eines Zeugen kann ich gut nachvollziehen. Ein Strafverfahren in Deutschland ist eine sehr bürokratische, aufwändige und teure Sache und vieles kann da schon mal sehr nach Beschäftigungstherapie und Korinthenkackerei aussehen. Aber es ist auch wichtig, macht unser Rechtssystem vergleichsweise fair und sicher und die Einhaltung aller Vorschriften verhindert, dass das Urteil nachträglich wegen Formfehlern angefochten werden kann.
Ich kenne die Situation von beiden Seiten - zum einen, weil ich - wie vorher bereits erwähnt - mal in einem Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung als Zeugin aussagen musste. Außerdem einmal, weil ich auf einer Party beobachtet hatte, wie einige Gäste das Gebäude durch einen - wie ich später erfuhr - Notausgang verließen, der nur von innen geöffnet werden konnte und durch den später in der Nacht ein Einbruchdiebstahl verübt wurde.
Andererseits war ich vier Jahre Schöffin beim Jugendgericht; ein schönes "Ehrenamt", das man nicht ablehnen kann wenn man ernannt wurde und das logistisch in etwa die selben "Annehmlichkeiten" bietet, wie die Situation als Zeuge.
Copyleft schrieb:Das ist, wie oben geschrieben, für den Sachverhalt wenig dramatisch (Zeugenaussage lag schriftlich vor), jedoch tatsächlich ärgerlich aufgrund der Kurzfristigkeit und der versäumten Benachrichtigung. Dies wirkt natürlich nach außen, mensch (Zeuge) fühlt sich veräppelt. Zu recht. Die psychologische Wirkung sollte nachvollziehbar und klar sein, vor allem wenn dies, wie du andeutest, zum juristischen Usus "verkommt".
"Usus" insofern, dass es tatsächlich öfter mal vorkommt, dass Zeugen kurzfristig nicht mehr gebraucht werden.
Ist mir auch passiert, das eine Verfahren, in dem ich aussagen musste, ging nach der Verhandlung vorm Amtsgericht dann wegen Berufung vors Landgericht (50km entfernt!) und ich erfuhr erst vor Ort, dass ich nicht mehr aussagen muss.
Dass man nicht rechtzeitig vorher informiert wird, liegt aber in den meisten Fällen an kurzfristigen Änderungen der Situation.
Ein Beispielszenario: Eine Gerichtsverhandlung ist auf 9:00 Uhr terminiert; die ersten Zeugen lädt man für 9:30 Uhr. (Bis dahin hat der Staatsanwalt die Anklageschrift verlesen und der Angeklagte wurde zur Sache befragt.)
Für das Gericht nicht vorhersehbar erklärt der Anwalt des Angeklagten, dass dieser, obwohl er bei der polizeilichen Vernehmung noch alles geleugnet hatte, nun ein vollumfängliches Geständnis ablegen möchte. Zu diesem Zeitpunkt ist es schon zu spät, die Zeugen noch zuhause anzurufen.
Sie höflichkeitshalber noch zur Sache aussagen zu lassen würde aber die Gerichtskosten unnötig in die Höhe treiben - jede Minute kostet eine Menge Geld, da neben den bezahlten Richtern, Staatsanwälten, Anwälten und eventuellen Jugendgerichtshelfern und Sachverständigen auch Zeugen und Schöffen Zeitausgleich und eventuellen Verdienstausfall ausgezahlt bekommen. In Verfahren, in denen der Angeklagte diese Kosten nicht auferlegt bekommt, trägt sie der Steuerzahler. Da erscheint es mir dann doch als das kleinere Übel, die Zeugen unverrichteter Dinge wieder heim zu schicken.
Übrigens gibt es auch den umgekehrten Fall, den ich persönlich viel ärgerlicher finde. Dass nämlich zum Beispiel nach einem halben Tag Verhandlung dem Angeklagten oder einem der Zeugen jemand einfällt, der garantiert total sachdienliche Hinweise zum Tathergang geben kann. Muss dieser dann erst förmlich geladen werden, können schlimmstenfalls sämtliche an der Verhandlung Beteiligten einige Tage später nochmal antanzen und haben das Vergnügen eines weiteren Vormittags im Gerichtssaal. Passiert beispielsweise auch häufig, wenn ein wichtiger Zeuge oder sogar der Angeklagte verpennt und nicht erscheint.
Im Vergleich dazu kommt man mit heimgeschickt werden noch ganz gut weg, finde ich.
Auch wenn es natürlich ärgerlich ist, wenn sie dich tatsächlich vergessen haben.
Anstatt dich darüber zu ärgern, solltest du aber trotzdem lieber stolz darauf sein, Zivilcourage gezeigt zu haben.
Finde ich für unsere Gesellschaft extrem wichtig, auch wenn subjektiv oft der Eindruck entsteht, dass diese es einem nicht wirklich dankt. Aber zumindest kannst du dir für dich selbst sicher sein, dass du richtig gehandelt hast!
:)