@Nereide Von dem, was ich bisher darüber (nicht darin!) gelesen habe, erinnert mich dieses Buch eher an den plot zur fiktiven "Idiocracy" von Mike Judge und Etan Cohen als an eine wissenschaftlich fundierte Abhandlung - aber eine solche hatte der Autor wohl auch gar nicht im Sinn. Spitzer provoziert bewußt eine öffentliche Diskussion zur leidigen Frage "Wie vermitteln wir unseren Kindern Medienkompetenz?" und hat dafür eine ähnliche Resonanz verdient wie Sarrazin mit seiner Frage, ob die "Bluts-Deutschen" sich abschaffen, die "Pass-Deutschen" das Sagen bekommen und wer darüber traurig sein würde.
Sich frühzeitig Medienkompetenz anzueignen ist Grundvoraussetzung für eine kompetente und verantwortungsbewußte Teilhabe an den neuen Medien. Die Generation Nintendo hat selber schon schulpflichtige Kinder, aber auch die werden noch heute zum überwiegenden Teil nicht auf eine kompetente Mediennutzung vorbereitet. Eine erkennbare öffentliche Diskussion dazu fand bisher auch nicht statt (Geübte VTler würden sagen: weil nicht wenige einflußreiche Medien vorwiegend von den Inkompetenten leben und in einer solchen allgemeinen Kompetenz eine Gefahr sehen.)
Ich kann diesem Buch nur Erfolg wünschen!
Mögen muß ich es dazu ja nicht
;)"Spitzer holt aus zum Rundumschlag. Digitale Medien, wettert er in seinem Buch, machen dick, dumm, einsam - und seien wahre Lernverhinderungsmaschinen. Das betreffe Erwachsene, aber besonders Jugendliche, deren Leben bestimmt ist von digitalen Medien. So beschäftigen sich Neuntklässler laut einer Umfrage knapp 7,5 Stunden täglich mit Computer, Spielkonsolen & Co. - das Telefonieren mit dem Handy und das Musikhören auf dem mp3-Player noch nicht eingerechnet.
Wenn Schüler Referate und Hausarbeiten per "copy and paste" gestalten, aus dem Internat abschreiben anstatt selbst zu denken, wenn Prozesse vom Kopf auf den Rechner ausgelagert werden, dann, so Spitzer, entstehen im Gehirn keine Gedächtnisspuren. Da bleiben Inhalte an der Oberfläche und werden schnell wieder vergessen: "Wenn wir zum Beispiel irgendwas googeln, dann müssen wir uns das ja nicht selber merken. In einem Artikel im Fachblatt 'Science Magazine' wurde vor einem halben Jahr sehr schön nachgewiesen, dass sie, wenn sie googeln, sich nachher an den Inhalt weniger erinnern, als wenn sie sich den Inhalt anders beibringen. Ihr Hirn weiß, man kann es ja googeln - und genau deshalb muss es sich die Sache nicht merken. Das stimmt einen wirklich nachdenklich."
Nachdenklich ist das Buch "Digitale Demenz" von Manfred Spitzer nicht wirklich. Es ist laut und provokativ. Es reizt zum Widerspruch. Es fährt eine volle Breitseite gegen alle die Medienpädagogen und Bildungspolitiker, die sich dafür stark machen, Kinder möglichst früh an den Umgang mit den neuen Medien zu gewöhnen und die die Folgen nicht wahrhaben wollen.
"Ich meine tatsächlich, dass unsere geistige Leistungsfähigkeit abnimmt, dass wir deoptimiert werden auch in unserer Fähigkeit, uns selber zu kontrollieren und uns selber zu bestimmen, sodass man davon ausgehen kann, dass die heftige Mediennutzung zum früheren Eintreten demenzieller Veränderungen führen kann", sagt Spitzer. Trotzdem will der Neurobiologe die digitalen Medien nicht abschaffen. Sein Buch ist natürlich auch als E-Book erhältlich. Aber für ihn sind sie eine Droge. Und deshalb ist jeder Tag ohne sie ein guter Tag!
http://www.ndr.de/ratgeber/netzwelt/digitaledemenz101.html (Archiv-Version vom 25.08.2012)"[...] Wenn man das Netz produktiv nutzt, dann wird es auch den Verstand fordern. Oberflächlicher Konsum hingegen selbstverständlich nicht. Genau hier liegt aber das pädagogische Potenzial: Dass Schüler lernen, Inhalte produktiv und ihren individuellen Fähigkeiten entsprechend zu gestalten. Dabei selbstbestimmt vorzugehen und sich auch Fragen, Ziele und Antworten selbst zu stellen. Manfred Spitzer ist sich dieser Möglichkeiten ganz offensichtlich gar nicht bewusst. Wenn er vom Netz spricht, geht es stets ziemlich diffus zu. Konkret nennt er nur Google Search und Facebook. Von den kollaborativen Möglichkeiten des Web 2.0 spricht er nicht. Beim Lernen geht es ihm oft um „einprägen“ oder „abschreiben“.
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Im Projekt „mobiles Lehren und Lernen mit Wikis und Tablets“ wird das Internet aktiv in Schule und Lernen eingebunden. Das bedeutet nicht – wie bei Spitzer –, „kurz und oberflächlich etwas zu recherchieren“. Es geht um kritisch-analytische, verantwortungsvolle und konstruktive Mediennutzung. Die Lernenden erstellen Content auf der schuleigenen Wikiplattform. Sie arbeiten auf Blogs projekt-, produktorientiert und selbstbestimmt zusammen. So werden Fakten in einen fachlichen Zusammenhang gestellt und durch konkrete Praxis und Produktion besser verinnerlicht. Als Ausgangsbasis erhalten die Lerngruppen zum Beispiel Links zu Texten, YouTube-Videos, Bildern oder Audiobeispielen, die durch die Lehrenden auf der Wikiplattform für die jeweilige Stunde oder Unterrichtsreihe bereitgestellt werden. Dieser Materialpool ersetzt das Arbeitsblatt.
Mit dem von Spitzer zelebrierten oberflächlichen Überfliegen und Kopieren hat dies nichts gemeinsam. Mit Papier und Bleistift lassen sich solche gemeinschaftlichen Arbeitsweisen nicht abbilden. Hier bieten Netz und Computer oder mobile Geräte einen Mehrwert auf dem Weg zu einer neuen Lehr- und Lernkultur. [...]
http://www.taz.de/Buch-Digitale-Demenz/!100125/