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Gedichte, die berühren

59 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Gedichte, Lyrik, Poesie ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Gedichte, die berühren

22.12.2023 um 03:35

Am dunklen Fenstern stand ich lang
Und schaute auf die weiße Stadt
Und horchte auf den Glockenklang,
Bis nun auch er versungen hat.
Nun blickt die stille reine Nacht
Traumhaft im kühlen Winterschein,
Vom bleichen Silbermond bewacht,
In meine Einsamkeit herein.
Weihnacht! - Ein tiefes Heimweh schreit
Aus meiner Brust und denkt mit Gram
An jene ferne, stille Zeit,
Da auch für mich die Weihnacht kam.
Seither voll dunkler Leidenschaft
Lief ich auf Erden kreuz und quer
In ruheloser Wanderschaft
nach Weisheit, Gold und Glück umher.
Nun rast' ich müde und besiegt
An meines letzten Weges Saum,
Und in der blauen Ferne liegt
Heimat und Jugend wie ein Traum.
Herrmann Hesse




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Gedichte, die berühren

22.12.2023 um 13:14
@FlamingO


Fichtenbaum und Palme

Ein Fichtenbaum steht einsam
Im Norden auf kahler Höh'!
Ihn schläfert; mit weißer Decke
Umhüllen ihn Eis und Schnee.

Er träumt von einer Palme,
Die fern im Morgenland
Einsam und schweigend trauert
Auf brennender Felsenwand.

Heinrich Heine


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Gedichte, die berühren

22.12.2023 um 14:48
Lächeln Atmen Schreiten

Schöpfe du, trage du, halte
Tausend Gewässer des Lächelns in deiner Hand!
Lächeln, selige Feuchte, ist ausgespannt
All übers Antlitz.
Lächeln ist keine Falte,
Lächeln ist Wesen vom Licht.
Durch die Räume bricht Licht, doch ist es noch nicht.
Nicht die Sonne ist Licht,
Erst im Menschengesicht
Wird das Lächeln als Licht geboren.
Aus den tönenden, leicht unsterblichen Toren,
Aus den Toren der Augen wallte
Frühling zum erstenmal, Himmelsgischt,
Lächelns nieglühender Brand.
Im kühlen Brand des Lächelns spüle die alte Hand,
Schöpfe du, trage du, halte!

Lausche, du, horche du, höre!
In der Nacht ist der Einklang des Atems los,
Der Atem, die Eintracht des Lebens ist groß.
Atem schwebt
Über Feindschaft finsterer Chöre.
Atem ist Wesen vom höchsten Hauch.
Nicht der Wind, der sich taucht
In Weid, Wald und Strauch,
Nicht das Wehn, vor dem die Blätter sich drehn ...
Gottes Hauch wird im Atem der Menschen geboren.
Aus den Lippen, den schweren,
Verhangen, dunkel unsterblichen Toren
Fährt Gottes Hauch, die Welt zu bekehren.
Auf dem Windmeer des Atems hebt an
Die Segel zu brüsten im Rausche
Der unendlichen Worte nächtlich beladener Kahn.
Horche du, höre du, lausche!

Sinke hin, kniee hin, weine!
Sieh der Geliebten erdenlos schwindenden Schritt!
Schwinge dich hin, schwinde ins Schreiten mit!
Schreiten entführt
Alles ins Reine, alles ins Allgemeine.
Schreiten ist mehr als Lauf und Gang,
Der sternenden Sphäre Hinauf und Entlang,
Mehr als des Raumes tanzender Überschwang.
Im Schreiten der Menschen wird die Bahn der Freiheit geboren.
Mit dem Schreiten der Menschen tritt
Gottes Anmut und Wandel aus allen Herzen und Toren.
Lächeln, Atem und Schritt
Sind mehr als des Lichtes, des Windes und der Sterne Bahn:
Die Welt fängt im Menschen an.
Im Lächeln, im Atem, im Schritt der Geliebten ertrinke
Weine hin, kniee hin, sinke!

- Franz Werfel -


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Gedichte, die berühren

22.12.2023 um 16:46
Sehr allegorisch, dunkel.

The Tyger

Tyger Tyger, burning bright,
In the forests of the night …

(Tiger, Tiger, Flammenpracht
in der Wälder dunkler Nacht …)

- William Blake -






Komplett:

Tiger, tiger, burning bright
In the forests of the night,
What immortal hand or eye
Could frame thy fearful symmetry?

In what distant deeps or skies
Burnt the fire of thine eyes?
On what wings dare he aspire?
What the hand dare seize the fire?

And what shoulder, and what art
Could twist the sinews of thy heart?
And, when thy heart began to beat,
What dread hand and what dread feet?

What the hammer? What the chain?
In what furnace was thy brain?
What the anvil? What dread grasp
Dare its deadly terrors clasp?

When the stars threw down their spears,
And water’d heaven with their tears,
Did He smile His work to see?
Did He who made the Lamb make thee?

Tiger, tiger, burning bright
In the forests of the night,
What immortal hand or eye
Dare frame thy fearful symmetry?





Es hat nichts mir dir zu tun, @Doors - Ich kannte das schon lange. Und nun soll es auch hier seinen Platz finden.


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Gedichte, die berühren

22.12.2023 um 16:50
@FlamingO


Ein schönes Gedicht für ein schönes Tier. Unabhängig von meinem Avatar.


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Gedichte, die berühren

22.12.2023 um 16:55
@Doors

Wie gesagt, mir kam das Gedicht von Blake unabhängig von dir in den Sinn.
Aber dieses
Tyger Tyger, burning bright,
In the forests of the night

berührt mich auf auf einer sprachlosen, bilderhaften Ebene.


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Gedichte, die berühren

22.12.2023 um 18:35
Zitat von Dr.EdelfroschDr.Edelfrosch schrieb:Mein Freund der Frosch ist tot,
platt liegt er im Klee,
denk ich an die gemeinsamen Stunden,
tut es im Herzen mir weh.
Mit seinem Grinsen, so breit wie ein Nähgarn,
Bewegt er sich durch Köln, rasch wie die Bewegung im Darm.

- F. aus K. -


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Gedichte, die berühren

22.12.2023 um 18:39
Zitat von FlamingOFlamingO schrieb:Darm.

- F. aus K. -
Franz, bist du es?

kaiser-franz-joseph100 v-img  3  4  xl -


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Gedichte, die berühren

22.12.2023 um 18:53
Zitat von Dr.EdelfroschDr.Edelfrosch schrieb:Franz, bist du es?
Hallo, Sissi?

Alle Gemälde der jüngsten Duckomenta-Gemälde, einschließlich der Bilder "The Birth of Duck", "Der arme Duck" und "Mona Duck" sind ausverkauft. Bitte gehen Sie einen Thread weiter. Nach Osten oder gen Italien.


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Gedichte, die berühren

23.12.2023 um 17:11
Im Deutsch-LK 2002 erstmals gelesen. Für mich eines der intensivsten Gedichte des Expressionismus:

Weltende

Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.

Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

- Jakob van Hoddis -


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Gedichte, die berühren

23.12.2023 um 17:46

Der Jüngling am Bache

An der Quelle saß der Knabe,
Blumen wand er sich zum Kranz,
Und er sah sie fortgerissen,
Treiben in der Wellen Tanz.
»Und so fliehen meine Tage
Wie die Quelle rastlos hin!
Und so bleichet meine Jugend,
Wie die Kränze schnell verblühn!

Fraget nicht, warum ich traure
In des Lebens Blütenzeit!
Alles freuet sich und hoffet,
Wenn der Frühling sich erneut.
Aber diese tausend Stimmen
Der erwachenden Natur
Wecken in dem tiefen Busen
Mir den schweren Kummer nur.

Was soll mir die Freude frommen,
Die der schöne Lenz mir beut?
Eine nur ists, die ich suche,
Sie ist nah und ewig weit.
Sehnend breit ich meine Arme
Nach dem teuren Schattenbild,
Ach, ich kann es nicht erreichen,
Und das Herz bleibt ungestillt!

Komm herab, du schöne Holde,
Und verlaß dein stolzes Schloß!
Blumen, die der Lenz geboren,
Streu ich dir in deinen Schoß.
Horch, der Hain erschallt von Liedern,
Und die Quelle rieselt klar!
Raum ist in der kleinsten Hütte
Für ein glücklich liebend Paar.«

Friedrich von Schiller (1759 - 1805),




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Gedichte, die berühren

27.12.2023 um 12:22
Miguel de Cervantes Saavedra

(1547–1616)


Ihr Pflanzen, so frisch und so heiter,

Die ihr auf dem Platze hier seid,

Ihr Bäume, ihr grünenden Kräuter,

Wenn ihr euch des Unglücks nicht freut,

So hört meine Klagen nun weiter.

Mach doch meinen Schmerz nicht zur Zote,

Denn er ist so fürchterlich ja,

So steht euch ein Bach zu Gebote,

Denn hier bewein ich, Don Quixote,

Die Trennung von Dulcinea

von Toboso.


Hier ist er, der Ort, den erwählet

Der Liebende, ewig getreu,

Der ihn der Geliebten verhehlet,

Hier reißet der Schmerz ihn entzwei;

Er weiß nicht recht, was ihn so quälet.

Die Liebe, sie schleppt ihn im Kote,

Wie keinem es jemals geschah,

Drum welkt er wie Bohn' oder Schote,

Denn hier bewein ich, Don Quixote,

Die Trennung von Dulcinea

von Toboso.


Er suchte wohl hier Abenteuer

In Orten an Felsen so reich,

Er flüchtete dem Ungeheuer,

Dort hört er im wüsten Gesträuch

Von Leuten nur die alte Leier.

Es peitscht ihn die Liebe zu Tode

Und bleibet zur Marter ihm nah,

Drum kratzt er den Kopf mit der Pfote,

Denn hier bewein ich, Don Quixote,

Die Trennung von Dulcinea

von Toboso.




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Gedichte, die berühren

29.12.2023 um 11:08
@FlamingO


Am Meer


Wie ist dir nun,
meine Seele?
Von allen Märkten
des Lebens fern,
darfst du nun ganz
dein selbst genießen.

Keine Frage
von Menschenlippen
fordert Antwort.
Keine Rede
noch Gegenrede
macht dich gemein.
Nur mit Himmel und Erde
hältst du
einsame Zwiesprach.
Und am liebsten
befreist du
dein stilles Glück,
dein stilles Weh
in wortlosen Liedern.

Wie ist dir nun,
meine Seele?
Von allen Märkten
des Lebens fern
darfst du nun ganz
dein selbst genießen.


Christian Morgenstern


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Gedichte, die berühren

29.12.2023 um 15:52
@Doors

Danke dir.



Hinaus an den Strand will ich gehen

Hinaus an den Strand will ich gehen,
Wenn keiner wacht
Das wilde Meer zu sehen
Und die heilige Nacht.

Und wieder faßt mich das alte Weh –

Am Strand tanzt ein Boot.
Das lockt mich hinaus in die tosende See,
Fort, fort für immer von Haß und Not,
In die See, in die Nacht, in das Glück, in den Tod.

Ich löse das Tau
Und die Freiheit lacht
Hinter Nebel und Grau.
Und ich fahre jubelnd hinaus in die Nacht,
Das Elend fliehend zu Tod und Glück.

Einmal nur blick ich zurück.
Da winkt am Land
Eine Freundeshand –

Und wie ich das seh,
Da hab ich vergessen all Haß und Not.
Es faßt mich wieder das alte Weh.
Ich wende das Boot
Zurück zum Land
Und küsse die treue Freundeshand.

- Joachim Ringelnatz -


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Gedichte, die berühren

29.12.2023 um 16:17
@FlamingO


Meer

Wenn man ans Meer kommt
soll man zu schweigen beginnen
bei den letzten Grashalmen
soll man den Faden verlieren

und den Salzschaum
und das scharfe Zischen des Windes einatmen
und ausatmen
und wieder einatmen


Wenn man den Sand sägen hört
und das Schlurfen der kleinen Steine
in langen Wellen
soll man aufhören zu sollen
und nichts mehr wollen wollen nur Meer
Nur Meer


Erich Fried


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30.12.2023 um 05:30
@FlamingO

Sie ist wieder gefunden.
Was? Die Ewigkeit.
Es ist das Meer verbunden
Mit der Sonne in eins.

Arthur Rimbaud

Mitternachtssonne? :D


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30.12.2023 um 05:49
@FlamingO


Der Mensch und das Meer

Du freier Mensch, du liebst das Meer voll Kraft,
Dein Spiegel ist's. In seiner Wellen Mauer,
Die hoch sich türmt, wogt deiner Seele Schauer,
In dir und ihm der gleiche Abgrund klafft.

Du liebst es, zu versinken in dein Bild,
Mit Aug' und Armen willst du es umfassen,
Der eignen Seele Sturm verrinnen lassen
In seinem Klageschrei, unzähmbar wild.

Ihr beide seid von heimlich finstrer Art.
Wer taucht, o Mensch, in deine letzten Tiefen,
Wer kennt die Perlen, die verborgen schliefen,
Die Schätze, die das neidische Meer bewahrt?

Und doch bekämpft ihr euch ohn' Unterlass
Jahrtausende in mitleidlosem Streiten,
Denn ihr liebt Blut und Tod und Grausamkeiten,
O wilde Ringer, ewiger Bruderhass!



Charles Baudelaire


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30.12.2023 um 11:21
Willkommen und Abschied vom ollen Goethe:


Es schlug mein Herz, geschwind, zu Pferde!
Es war getan fast eh gedacht.
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht;
Schon stand im Nebelkleid die Eiche
Ein aufgetürmter Riese, da,
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.

Der Mond von einem Wolkenhügel
Sah kläglich aus dem Duft hervor,
Die Winde schwangen leise Flügel,
Umsausten schauerlich mein Ohr;
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,
Doch frisch und fröhlich war mein Mut:
In meinen Adern welches Feuer!
In meinem Herzen welche Glut!

Dich sah ich, und die milde Freude
Floß von dem süßen Blick auf mich;
Ganz war mein Herz an deiner Seite
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Umgab das liebliche Gesicht,
Und Zärtlichkeit für mich - ihr Götter!
Ich hofft es, ich verdient es nicht!

Doch ach, schon mit der Morgensonne
Verengt der Abschied mir das Herz:
In deinen Küssen welche Wonne!
In deinem Auge welcher Schmerz!
Ich ging, du standst und sahst zur Erden
Und sahst mir nach mit nassem Blick:
Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!
Und lieben, Götter, welch ein Glück!


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30.12.2023 um 11:23
Und weil mir der Leserhythmus so unfassbar gut gefällt:

Ash von Tracy K. Smith

Strange house we must keep and fill.

House that eats and pleads and kills.

House on legs. House on fire. House infested

With desire. Haunted house. Lonely house.

House of trick and suck and shrug.

Give-it-to-me house. I-need-you-baby house.

House whose rooms are pooled with blood.

House with hands. House of guilt. House

That other houses built. House of lies

And pride and bone. House afraid to be alone.

House like an engine that churns and stalls.

House with skin and hair for walls.

House the seasons singe and douse.

House that believes it is not a house.


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30.12.2023 um 11:50
Der Wein der Liebenden

Heut leuchten und strahlen die Weiten!
Ohne Zügel und Sporn lass uns reiten,
Lass uns reiten getragen vom Wein
In den Feenhimmel hinein!

Zwei Engel, die sich der heissen,
Der dampfenden Erde entreissen,
Durch des Morgens kristallnes Blau
Hinüber zur spiegelnden Au!

Gebettet auf Windes Rücken,
Der klug uns trägt und uns wiegt,
Ziehn wir im gleichen Entzücken

Seite an Seite geschmiegt,
Ziehn, Schwesterlein, ich und du
Dem Land der Träume zu.

Charles Baudelaire


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